28. Januar 814 - Todestag Karls des Großen

Dieter

Premiummitglied
Heute vor 1200 Jahren starb Karl der Große in Aachen. Welche aktuellen Fragen ergeben sich?

1. Gibt es neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Leben und Wirken Karls des Großen?

2. Hat sich die Bewertung seiner Person in der neuesten Forschung geändert?

3. Wird er immer noch als "Vater Europas" gesehen?

4. Wie fromm oder kriegslüstern war Karl wirklich?
 
Zu Frage 1: es sind jetzt zum Karlsjahr bereits einige Bücher erschienen, und es werden sicher noch mehr folgen. In Aachen ist dies Jahr eine große Ausstellung mit kunstgeschichtlichem Fokus. In Frankfurt wird eine ähnlich gelagerte Ausstellung folgen, allerdings erst, wenn das Historische Museum fertig ist - der Termin ist also noch offen und es wird wohl erst in 2-3 Jahren sein. Der Fokus in den Rezensionen liegt auf den Büchern von Stefan Weinfurter und Altmeister Johannes Fried. Letzteres bekam ich zu Weihnachten geschenkt, hatte aber allerdings noch keine Zeit, einen Blick reinzuwerfen.

Zu Frage 2 & 3: diese sehe ich mal als Komplex an. Von dem, was ich bisher in Zeitungen gelesen habe, schwankt die Rezeption wie üblich zwischen Sachsenschlächter und "Vater Europas". Letztere vertrat Jan Gerschow, Leiter des historischen Museums Frankfurt, heute im Radio, wobei er dieses Urteil ausdrücklich mehr auf die Kulturpolitik bezog. Auch nix ganz Neues. Einem Trend in den Geschichtswissenschaften folgend, wird allerdings die Herrschaftsinszenierung jetzt wohl stärker in den Blick genommen. Siehe diesen Spiegel-Artikel: Karl der Große: Horst Bredekamps Der schwimmende Souverän - SPIEGEL ONLINE
Auch in der Frankfurter Ausstellung soll dann die Ikonografie der Karolinger breiten Raum bekommen.
Persönlich hätte ich mehr Lust auf eine strukturelle Analyse der Karolinger und des Frankenreiches, denn für mich war Karl vor allem derjenige, der sich gerade in seiner ersten Regierungsphase ganz in den Fußstapfen seiner Vorgänger Karl Martell, Karlmann, Pippin dem Jüngeren bewegte, deren Politik aufgriff und sie aus Sicht der Karolinger erfolgreich beendete.

4. Zumindest das Adjektiv "kriegslüstern" halte ich nicht für ganz zutreffend. Auch Karls Vorfahren zogen fast jedes Jahr in den Krieg, mit ähnlichen Gegnern - Sachsen, Aquitanier, bisweilen die Herzogtümer (bes. in Ostfranken). Mangels aussagekräftiger Beschreibungen ist auch schwer zu sagen, ob Karls Sachsenkriege brutaler geführt wurden als die seiner Vorgänger. Sie waren auf jeden Fall länger und größer. Als wirklich "frommen" Herrscher kann ich mir Karl, mit Blick auf seine Familienverhältnisse, auch nicht vorstellen. Wie seine Vorgänger Karlmann und Pippin unterstützte er allerdings massiv eine frühe Art der Kirchenreform, die von Bonifatius maßgeblich gestartet wurde (und viel wichtiger ist als dessen Missionstätigkeit).
 
@ Ashigaru: Danke für die ausführliche Stellungnahme!

In der aktuellen ZEIT las ich kürzlich einen Artikel, in dem behauptet wurde, kein moderner Historiker würde mehr bei Karl dem Großen vom "Vater Europas" sprechen - höchstens noch im Hinblick auf seine Kulturpolitik. An ein "Europa" hätte Karl nie gedacht.

Das halte ich für etwa verkürzt und zudem missverständlich. An eine Europäische Union hat Karl sicher nicht gedacht, aber dennoch mit dem Reich der Karolinger ein zentrales Fundament für die künftige europäische Staatenwelt gelegt. Frankreich und Deutschland gingen aus dem fränkischen Karlsreich hervor und bilden bis heute wesentliche Pfeiler Europas. Insofern hat Karl der Große - unwissentlich oder wissentlich - einen entscheidenden Beitrag geleistet.

Die Sachsenkriege führte Karl der Große mit grenzenloser Brutalität, hinterließ in vielen Regionen ein Land der verbrannten Erde, löschte Siedlungen und Dörfer aus und ließ seine Soldateska blutig unter Männern, Frauen und Kindern wüten. Antrieb war hier ein religiöser Fanatismus, mehr noch als Machtstreben. Spitze dieser Vernichtungsorgien ist das berüchtigte "Blutgericht von Verden" und wenn es auch nicht 4500 Menschen waren, die Karl enthauptete, so waren es in jedem Fall Hunderte.

Karl führte 30 Jahre Krieg, wobei andere Herrscher ihm damals nicht nachstanden. Das Geschäft des Krieges und die Versorgung der Fürsten mit Beute waren alltägliches Geschäft. Allerdings war Karl bei der Zusammenraffung großer Gebiete besonders erfolgreich, wenn er Sachsen, Oberitalien, Baiern und die Gebiete des vernichteten Awarenreichs einkassierte.
 

Ein Artikel, der ganz wesentlich die Sichtweisen in diesem Jubiläumsjahr zusammen fasst, allerdings auch zeigt, dass leider wenig neue Perspektiven oder Forschungsansätze zu erwarten sind.

Dieter schrieb:
Das halte ich für etwa verkürzt und zudem missverständlich. An eine Europäische Union hat Karl sicher nicht gedacht, aber dennoch mit dem Reich der Karolinger ein zentrales Fundament für die künftige europäische Staatenwelt gelegt. Frankreich und Deutschland gingen aus dem fränkischen Karlsreich hervor und bilden bis heute wesentliche Pfeiler Europas. Insofern hat Karl der Große - unwissentlich oder wissentlich - einen entscheidenden Beitrag geleistet.

Na ja, auch hier sehe ich es im Zusammenhang. Die Grundlagen wurden schon unter den Vorgängern gelegt, gerade auch unter Pippin der Schulterschluss mit dem Vatikan und der Versuch einer "Neuauflage" des Römischen Reichs. Die Reformen Karls zum Ende seiner Regierungszeit hin waren zwar bedeutend, doch der größte Teil davon zerfiel noch schneller als die Karolingerherrschaft; als mit Konrad I. der erste nichtkarolingische König gekrönt wurde, war davon fast nichts mehr übrig.
 
Also, die wichtigsten Reformen Karls sind so die kleinen Nebensächlichkeiten....
Vereinheitlichung der Schrift und Gartenkultur !!!!!!
Hildegard von Bingen ff hätten wohl keine Chance gehabt, auf Heilkräuter aus dem Garten zurückzugreifen, wenn Karl nicht das anlegen von Gärten gefordert hätte. Und Äpfel, Kirschen und Bienenzucht gäbs auch nicht. Denn kein Kaiser/König vor und nach ihm hat sich um so was "unwichtiges" gekümmert!!! Ohne KdG sähe es mangels Bienen schlecht um Rapsöl im Diesel aus.
Das Bewußtsein, das Schriftlichkeit Wissen erhält, auch etwas, was KdG anzurechnen ist.
So rein bezogen auf ´s Sonnenjahr ist sein Todestag allerdings wohl schon vor einer Woche gewesen. s.Kalenderreform.
 
Also, die wichtigsten Reformen Karls sind so die kleinen Nebensächlichkeiten....
Vereinheitlichung der Schrift und Gartenkultur !!!!!!
Hildegard von Bingen ff hätten wohl keine Chance gehabt, auf Heilkräuter aus dem Garten zurückzugreifen, wenn Karl nicht das anlegen von Gärten gefordert hätte. Und Äpfel, Kirschen und Bienenzucht gäbs auch nicht. Denn kein Kaiser/König vor und nach ihm hat sich um so was "unwichtiges" gekümmert!!! Ohne KdG sähe es mangels Bienen schlecht um Rapsöl im Diesel aus.
Das Bewußtsein, das Schriftlichkeit Wissen erhält, auch etwas, was KdG anzurechnen ist.
So rein bezogen auf ´s Sonnenjahr ist sein Todestag allerdings wohl schon vor einer Woche gewesen. s.Kalenderreform.

Die karolingische Minuskel war zumindest eine sehr erfolgreiche Schrift, die sich auch lange im Mittelalter hielt, das stimmt.
Die Verbreitung einer "Schriftlichkeit" scheiterte aber, schon fast direkt nach dem Tode Karls. Eigentlich trifft es der Begriff auch nicht so ganz - eher sollte man vom Versuch sprechen, eine einheitliche Reichsverwaltung durchzusetzen, für die eben Schriftgebrauch nötig ist. Es sollte Jahrhunderte dauern, bis sich wirkliche weltliche Verwaltungsstrukturen im Reich bildeten, und dann dezentral und zuerst in den Städten.
Auch das mit der Gartenkultur würde ich verhaltener sehen. Wir wissen zwar, wie sich die "Regierung" (Karl hat die bekannten Schriften dazu ja nicht selbst verfasst) die Güterwirtschaft vorstellte. Im berühmten "Capitulare de Villis" geht es ja um mehr als um die Gärten, sondern um eine Organisation der gesamten Landwirtschaft im Reich. Doch ob und in welchem Umfang diese umgesetzt wurde, lässt sich kaum nachweisen, was u.a. daran liegt, dass die korrespondierenden Verwaltungsquellen nicht detailgetreu genug sind, um Aussagen über die Mikrowirtschaft der Höfe zu treffen.
 
Weiss man denn inzwischen, welche Sprache Karl sprach ?
(Oder wäre es vielleicht besser, wenn man es nie erführe, wg. Europa ?)
 
Weiss man denn inzwischen, welche Sprache Karl sprach ?

Einhard (Vita Caroli 29) wusste folgendes:

Omnium tamen nationum, quae sub eius dominatu erant, iura quae scripta non erant describere ac litteris mandari fecit. Item barbara et antiquissima carmina, quibus veterum regum actus et bella canebantur, scripsit memoriaeque mandavit. Inchoavit et grammaticam patrii sermonis. Mensibus etiam iuxta propriam linguam vocabula inposuit, cum ante id temporis apud Francos partim Latinis, partim barbaris nominibus pronuntiarentur. Item ventos duodecim propriis appellationibus insignivit, cum prius non amplius quam vix quattuor ventorum vocabula possent inveniri. Et de mensibus quidem Ianuarium uuintarmanoth, Februarium hornung, Martium lenzinmanoth, Aprilem ostarmanoth, Maium uuinnemanoth, Iunium brachmanoth, Iulium heuuimanoth, Augustum aranmanoth, Septembrem uuitumanoth, Octobrem uuindumemanoth, Novembrem herbistmanoth, Decembrem heilagmanoth appellavit.
Einhard: Life of Charlemagne




Er ließ aber alle ungeschriebenen Gesetze der von ihm beherrschten Stämme [Thüringer, Sachsen, Friesen] sammeln und schriftlich aufzeichnen. Auch die uralten heidnischen Lieder, in denen die Taten und Kriege der alten Könige besungen wurden, ließ er aufschreiben, um sie für die Nachwelt zu erhalten. Außerdem begann er mit einer Grammatik seiner Muttersprache. Weiter gab er den Monaten einheitlich fränkische Namen: sie waren bisher bei den Franken teilweise durch lateinische, teilweise durch einheimische Bezeichnungen benannt gewesen. Die zwölf Winde unterschied er ebenfalls durch passende Ausdrücke: vorher hatte es nicht mehr als vier Benennungen dafür gegeben. Er nannte den Januar uuintarmanoth, den Februar hornung, den März lenzinmanoth, den April ostarmanot.
...
 
Hallo!

Man hat mir diesen Thread empfohlen.

Karl der Große - Die Welt feiert ihn als Vater Europas.


Er wird vereinnahmt.

Zwei Nationen, Frankreich und Deutschland, führten ihre Anfänge auf ihn zurück.

Aber sicher hatte Karl nie die Idee eines gemeinsamen Europas!

Er fuehrte stattdessen lange grausame Kriege. Sachsenschlaecheter Karl!

Jede Zeit/Epoche "zimmerte" sich sein Bild von Karl.

Nach 1945 wurde ihm eine neue Rolle verpasst: Als Ikone einer transnationalen, europäischen Politik.

Aber taugt Karl der Große wirklich als Vorbild für das 21. Jahrhundert?

25 Minuten zum nach-hoeren:
Audio: Karl der Große - die Geschichte einer Vereinnahmung | ARD Mediathek | SWR2

Am Rande noch:

Auf Kaiser Friedrich Barbarossas Veranlassung erfolgte 1165 die Heiligsprechung Karls durch den Erzbischof von Köln unter Billigung von Gegenpapst Paschalis III., aber gegen den Willen von Papst Alexander III. Seit 1176 wird die Verehrung geduldet: sie ist offiziell "gestattet, nicht anerkannt".
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[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]aus:
[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]http://www.heiligenlexikon.de/index.htm?Heiligsprech...
http://www.heiligenlexikon.de/index.htm?Heiligsprech...

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Was die Punkte, die ich bzgl. der Sendung notiert habe, wurden allerdings nur unzureichend angesprochen. Da haben wir ja jetzt hier die Moeglichkeit, diese ausfuehrlicher zu thamtisieren ?
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Zuletzt bearbeitet:
Karl der Große - Die Welt feiert ihn als Vater Europas.
Er wird vereinnahmt.
Zwei Nationen, Frankreich und Deutschland, führten ihre Anfänge auf ihn zurück.

Aber sicher hatte Karl nie die Idee eines gemeinsamen Europas!
Er fuehrte stattdessen lange grausame Kriege. Sachsenschlaecheter Karl!

Da haben wir ja jetzt hier die Moeglichkeit, diese ausfuehrlicher zu thamtisieren ?

In meinem Beitrag # 3 bin ich auf diese Fragen bereits eingegangen.
Siehst du da Unterschiede zu deiner Auffassung und wenn ja welche? :grübel:
 
Danke.

Ich hab viel in einer vierteiligenSerie im Januar in der Frankfurter Rundschau dazu gelesen (Historiker Fried ist ja an der Uni Frankfurt). Hier ein paar Passagen, die ICH interessant fand:

Stefan Weinfurter, als Mittelalterforscher ebenfalls eine Instanz, fragt in seiner Karls-Biografie immer wieder: Ist es denn wahr, stimmt die Geschichte? Und wenn er die Frage stellt, ob denn alles erfunden sei, gerade auch das, was die Nachwelt Karl in der Tat andichtet, dann ist das eine semi-rhetorische Frage. Nein, nicht alles erfunden, aber ungeheuer viel.
Einhart, Karls erster Biograf und Mann an seiner Seite, bezeichnete Karls erstrangige Anstrengung als „Beseitigung jeder Unbestimmtheit“. Das ist nicht ohne Ironie, denn zu der gewaltigen Bildungs- und Wissensoffensive gehörte eine „regelrechte Schreib-Euphorie“ (Weinfurter) – mit allem, was dazugehört: Beschönigungen, Verklärungen, Vertuschungen, Verdrehungen, Entstellungen, Fälschungen.

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Karl, geboren am 2. April 748, gestorben am 28. Januar 814, wurde 65 Jahre alt. Bereits damit hat sich seine Zeit nicht arrangieren wollen. Seine Grabinschrift behauptete, er habe „siebzig Jahre des Lebens als Greis vollendet“. Jahrhunderte hat auch diese Fälschung gewirkt, Jahrhunderte hat es gedauert, sie zu durchschauen, heute (vor allem durch die Biografie Dieter Hägermanns) erscheint plausibel, dass die Grab-inschrift eine Anspielung auf Psalm 89 war: „Unser Leben, heißt es da, „währet siebzig Jahre“. Um Karl als Vollendeten hinzustellen, letztendlich als Vollender der Heiligen Schrift, sollte der Gebieter ein gesegnetes Alter erreicht haben. Auch diese Segnung war bereits eine falsche Fährte.
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Der Glaubenskrieger Karl war der Urheber eines Dreißigjährigen Kriegs, der Provokation folgte eine Eskalation der Gewalt, die Gründungen von Bischofsburgen oder Karlsburgen wurden zu Brückenköpfen der Mission, um die kultische Verehrung heidnischer Gottheiten und Dämonen zurückzudrängen. Wo auch immer ein Heide aufgetrieben wurde, sah er der „Predigt mit der eisernen Zunge“ entgegen. Fried erzählt, wie Karl die Parole ausgegeben haben soll: Taufe oder Tod. Karl war ein Glaubenskrieger, der große Franke ein „heiliger Barbar“, wie Stefan Weinfurter sein Buch untertitelt.

Besessen war Karl auch von der Mission der Muslime. Für sie stürzte er sich, ohne Kenntnisse über den Islam, über dessen Kultur und, das war dann wirklich fatal, dessen Kriegstechniken, ins „Abenteuer“ (Fried) gegen die Sarazenen. Was Karl bei seinem spanischen Feldzug im Jahr 778 widerfuhr, war ein (immer wieder verschwiegenes) Desaster. Der Nachklang dann im „Rolandslied“ und anderen Epen bedeutete weitere verklärende Fiktionen, die das Karlsbild beeinflussten, im Hochmittelalter, im Spätmittelalter. Nicht nur vor 700, 800 Jahren.

Zu erzählen weiß, warum das Karolinger Reich, Fried skizziert es auf wenigen Seiten, alles andere als eine „egalisierende Einheit“ war, vielmehr „bunte Vielfalt prägte das durch Kriege zusammengebrachte „karlische Vielvölkerreich“. Dabei war es vor allem aber zweierlei: „randseitig“ – gemessen an Byzanz und am Reich des Kalifen war das Frankenreich Peripherie. Hinzu kam, trotz der Wiederentdeckung der Neugierde und der durch Kriegszüge vorgenommenen Horizontverschiebungen: Das Reich hatte von seiner Lage kaum eine Vorstellung, wie Fried gelegentlich, nicht durchgängig, zuspitzt. Die Franken, denen die Weltweite und die Weltferne, trotz diplomatischer Anstrengungen bis hin nach Bagdad, verborgen blieb, lebte die Isolation. Das nicht etwa bewusst, aber, im Schatten der gewaltigen Wissensoffensive Karls, unwissentlich.
 
Karl, geboren am 2. April 748, gestorben am 28. Januar 814, wurde 65 Jahre alt. Bereits damit hat sich seine Zeit nicht arrangieren wollen. Seine Grabinschrift behauptete, er habe „siebzig Jahre des Lebens als Greis vollendet“. Jahrhunderte hat auch diese Fälschung gewirkt, Jahrhunderte hat es gedauert, sie zu durchschauen, heute (vor allem durch die Biografie Dieter Hägermanns) erscheint plausibel, dass die Grab-inschrift eine Anspielung auf Psalm 89 war: „Unser Leben, heißt es da, „währet siebzig Jahre“. Um Karl als Vollendeten hinzustellen, letztendlich als Vollender der Heiligen Schrift, sollte der Gebieter ein gesegnetes Alter erreicht haben. Auch diese Segnung war bereits eine falsche Fährte.
So einfach ist das aber nicht. Man wusste nicht so genau, wann Karl geboren worden war, dementsprechend kursierten unterschiedliche Angaben. Einhard schrieb, Karl sei im 72. Lebensjahr gestorben, also mit 71 - und futsch ist die Bibelangleichung.

Im Übrigen steht in Psalm 90 (nicht 89): "Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, sind es achtzig." Wenn Karl also ein "gesegnetes Alter" hätte erreichen sollen, hätte man ihn mit 80 sterben lassen müssen.
(Übrigens wird in Genesis 6,3 das höchstmögliche Lebensalter des Menschen mit 120 festgesetzt ... Aber gut, das wäre allzu unglaubwürdig gewesen.)

Die Übersetzung der Grabinschrift ist übrigens reichlich frei. Eigentlich stand dort: "Decessit septuagenarius anno Domini DCCCXIIII, indictione VII, V. Kal. Febr.", also "Er starb als Siebzigjähriger im Jahre des Herrn 814, in der 7. Indiktion, am 28. Januar", also viel weniger poetisch.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Isolation des westlichen Christentums war der Zeit sehr wohl geläufig, daher ja die Bezeichnungen als 'pater europae' und auch als 'Leuchtturm Europas' für Karl. Mit Europa ist ja im Epos die Christenheit gemeint. Und in den Augen der Franken gab es da nur das Frankenreich und Byzanz. Wobei die Byzantiner nicht immer als richtige Christen galten.

Dass Rom und Jerusalem, Zentren der Welt, woanders lagen, muss auch bewusst gewesen sein. Also auch geographisch konnte man sich nicht als 'Zentrum' fühlen.

Doch für die Lebenswirklichkeit war die Francia von den britischen Inseln bis nach Italien das politische Zentrum.

Dies wird bei Fried nur angedeutet. Auch an anderen Stellen beleuchtet Fried nicht alle Aspekte, aber er betrachtet seine - unbedingt lesenswerte - Karls-Biographie nicht als wissenschaftliches Werk, sondern als persönliche 'Annäherung'. Er will sein Bild von Karl in seiner Zeit wiedergeben, nicht eine Forschungsdiskussion. Und die Randlage des Frankenreichs ist eben ein wichtiger Aspekt, der oftmals nicht berücksichtigt wird.
 
Die Isolation des westlichen Christentums war der Zeit sehr wohl geläufig, daher ja die Bezeichnungen als 'pater europae' und auch als 'Leuchtturm Europas' für Karl. Mit Europa ist ja im Epos die Christenheit gemeint. Und in den Augen der Franken gab es da nur das Frankenreich und Byzanz. Wobei die Byzantiner nicht immer als richtige Christen galten.

I.d.Z. :

Karls Reich sollte ja wohl das Himmlische Reich "abbilden"....und seine Intention war wohl, dass dem Reich Gottes der Weg auf Erden gebahnt wuerde....Ohne Karl kein Christlisches Europa?
 
Na ja, wieso sollte die Frage nicht gestellt werden?

Er wird als Vater Europas bezeichnet (heutzutage!) und das musste wohl einhergehen mit der Verbreitung des Christentums...

Es wurde ja auch viel getauft!

Zunaechst wohl der Adel....

btw.:

[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif][/FONT]
[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]Johannes Fried: "Karl der Große - Gewalt und Glaube. Eine Biographie"

http://www.deutschlandradiokultur.de/biografie-schuldbewusster-suendiger.1270.de.html?dram:article_id=275621



Gringo

[/FONT]
 
Ich habe jetzt die ersten 40 bis 50 Seiten von Frieds Biografie gelesen und finde sie soweit sehr empfehlenswert.
Fried nähert sich dem Thema von der Wirkungsgeschichte her - die ersten Seiten behandeln die Rückschau auf Karl in den ersten 200 Jahren nach seinem Tod - und versucht davon ausgehend, herauszuarbeiten, was man wirklich über sein Leben weiß.
Ob hier nun wirklich Neues zu finden ist, vermag ich wenig zu sagen, da ich mich schon lange nicht mehr mit dem Thema beschäftigt habe. Auf jeden Fall eine Biografie, die Spaß macht, auch weil Fried rein sprachlich herausragend erzählt.
 
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