Adenauers Außenpolitik als Voraussetzung zur Wiedervereinigung?

Das sind Parolen aus der Wahlpropaganda der fünfziger Jahre.

Sorry, aber das ist weit mehr als "Propaganda" und es geht auch nicht um "Preußen-Hass", sondern um das rationale kalkulieren von politischen Mehrheiten. Die betreffenden Politikberater von Adenauer haben definitiv auf das "Cleavage-Modell" zurückgegriffen und die Auswirkungen für die Mehrheitsverhältnisse in einem Vereinigten Deutschland prognostiziert.

Und eine "linke" Mehrheit als Folge einer potentiellen Vereinigung hätte eher bedeutet, dass die "Westintegration" in Frage gstellt wird. So sicherlich auch die Wahrnehmung in Paris, London, Rom, oder Washington. Und das wollte, wie Repo zu Recht schreibt, niemand!

Am ehesten stand vermutlich Stalin dieser Option, wie mhorgran unter #22 richtig schreibt, am aufgeschlossensten gegenüber.

Die Nutzung des Cleavage-Modells gilt sicherlich für Noelle-Neumann, Scheuch, Kaltefleiter und in der Folge auch für Oberndörfer, Falter, Kaase, Klingemann oder Pappi, um nur die wichtigsten Professoren (mit Schwerpunkt Wahlsoziologie) mit praktischen Erfahrungen in der Politikberatung zu nennen.

Und Adenauer war durchaus orientiert an der Erhaltung einer stabilen konservativen Machtbasis. Ein Anliegen, das vermutlich gerade in Paris mit starkem Wohlwollen auch so gesehen wurde.

Die "Kleindeutsche"- Lösung war dabei eigentlich die Option, die Frankreich bereits nach dem WW1 als die erfolgversprechendste ansah, um die "Kriegsfähigkeit" Deuschlands nachhaltig zu beschränken.

Insofern deckten sich implizite Wertvorstellungen von Adenauer und de Gaulle an diesem Punkt und beförderten stattdessen nachhaltig und irreversibel die Aussöhnung mit dem "Erzfeind".

Und ich kann in "Petite Venice" problemlos einkaufen gehen. Vive la France!
 
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Es gab einen Vorschlag Stalin Deutschland wiederzuvereinigen, inkl. Friedensvertrag. Dieses Deutschland hätte dann allerdings Paktfrei und neutral sein müssen (wie Österreich). Die Vorschläge wurden von westl. (US-) Seite abgelehnt da sie deren Plänen widersprachen.
Sicherlich hätte Stalin versucht auf dieses -wiedervereinigte- Deutschland Einfluß zu nehmen (nicht anders als die USA / GB / FR).

Im übrigen waren dabei die Wünsche der deutschen Bevölkerung (und Eliten) nicht einmal im Ansatz interessant - für keine Seite.
 
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Mir erscheint die Argumentation in Hinblick auf die Ausgangsfrage (ich erinnere : Adenauers Außenpolitik als Voraussetzung zur Wiedervereinigung?) ein bisschen willkürlich.

Ich würde es so sehen : In einer politischen Situation, in der es allenfalls die Alternative (a) "Westintegration mit Begeisterung" oder (b) "Westintegration ohne Begeisterung" gab, die Alternative (a) gewählt. Eine Alternative (c) "sofortige Wiedervereinigung" gab es real nicht.

Dadurch rückte die Wiedervereinigung zunächst in weite Ferne (genauer gesagt : 40 Jahre). Allerdings hätte Alternative (b) auch nicht mehr gebracht und Alternative (c) gab es ja nicht.

So gesehen hat Adenauers Politik überhaupt keinen Effekt auf den Zeitpunkt der Wiedervereinigung gehabt (konnte einen solchen aber auch nicht haben).

Als der Zeitpunkt nun kam, gelang die Wiedervereinigung zum großen Teil deshalb (wie Melchior ausgeführt hat), weil die BR Deutschland ein annerkanntes und zuverlässiges Mitglied Europas und der NATO war. Und dies ist auch Adenauers Verdienst.

Recht so ?
 
Als der Zeitpunkt nun kam, gelang die Wiedervereinigung zum großen Teil deshalb (wie Melchior ausgeführt hat), weil die BR Deutschland ein annerkanntes und zuverlässiges Mitglied Europas und der NATO war. Und dies ist auch Adenauers Verdienst.

So würde ich das auch sehen, vielleicht noch ergänzt um "stabil". :winke:
 
Nagut, dann erklären wir nachträglich alle "Falken" des "Kalten Krieges", wie ich es versucht habe unter #10 auszuführen, zu verdienstvollen Vorläufern der Vereinigung.

Über den Mechanismus der Westintegration und seine praktischen Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit und die Verhandlungsposition bei 2+4 brauchen wir nicht streiten, da sind wir uns einig (wenngleich Thatcher und Mitterand das deutlich skeptischer gesehen haben, soweit ich micht erinnere).

Aber den politischen Akteuren in der "BRD" war in der damaligen Zeit dieser Mechanismus zum Zeitpunkt des Kalten Krieges so nicht bewußt und schon gar nicht intendierte Adenauer über seine Westintegration, die Vereinigung später zu ermöglichen.

Die Voraussetzung für die Vereingung war im Endeffekt das Ergebnis eines ökonomischen Niedergangs der SU als Ergebnis eines uneffektiven Wirtschaftssystems unter dem Druck einer Hyperüstung. Und nicht als Ergebnis einer Westintegration durch Adenauer.

Eine derartige visionäre Kraft bzw. Analyseschärfe besaß er sicherlich nicht.
 
OK. Bin ich teilweise anderer Meinung, aber OK, ist ja immer so. Belassen wir es.

Aber nochmals, vergesst Adenauers Rolle bei der Aussöhnung mit Israel nicht. In Israel damals sehr umstritten!
Aber auch dies ein wichtiger Meilenstein, dass man den Deutschen wieder zu trauen begann.

Überhaupt die Person Adenauers, mit De Gaulle konnte er, mit Ben-Gurion ebenfalls, die Russen hat er 55 mit seiner Trinkfestigkeit überaus beeindruckt.
 
Aber nochmals, vergesst Adenauers Rolle bei der Aussöhnung mit Israel nicht. In Israel damals sehr umstritten!

Ohne die, von der SPD abgelehnten, Hallstein-Doktrin wäre die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zu Israel wohl schon früher geschehen. Ben-Gurion streckte die Hand mehrmals aus, aber die Bundesregierung nahm diese aus Angst vor der Anerkennung der DDR durch arabische Staaten nicht an.

DER SPIEGEL 13/1960 schrieb:
Solche Bereitschaft bahnte sich im Frühjahr 1957 an. Damals reisten Konrad Adenauer und Heinrich von Brentano nach Amerika, und der israelische Botschafter in Washington, Eban, hatte das State Department gebeten, es möge doch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Jerusalem vermitteln. Dulles gab die Bitte an Heinrich von Brentano weiter und nannte sie eine "gute Idee", aber der Bonner Außenminister ging - aus Furcht vor der arabischen Reaktion - nicht darauf ein.

Ben-Gurion ließ sich nicht entmutigen und sagte im Juli 1957 einem deutschen Interviewer: "Bisher haben wir nur wirtschaftliche und finanzielle Beziehungen. Ich würde gern vollkommene diplomatische Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten hergestellt sehen." Bundespressechef Felix von Eckardt parierte die Offerte vorsichtig mit dem Satz, "in nicht allzu ferner Zukunft" würden darüber Verhandlungen beginnen.

Aber prompt drohte der Ministerpräsident des damals noch selbständigen Syrien, in solchem Falle werde sein Land die DDR anerkennen, und sofort zuckte die Bundesregierung zurück: Ihre Missionschefs versicherten in den arabischen Ländern, die Frage sei "im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht aktuell".

Israels Zeitungen wurden scharf. "Es scheint", hieß es in einem Kommentar, "daß Adenauer schon bekommen hat, was er von Israel erwartete, um Deutschlands Namen zu reinigen und die Untaten der Nazis vergessen zu machen. Offenbar besteht für den Bundeskanzler keine Notwendigkeit mehr, die Wünsche des israelischen Ministerpräsidenten mit Höflichkeit und Rücksichtnahme zu behandeln."


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Ohne die, von der SPD abgelehnten, Hallstein-Doktrin wäre die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zu Israel wohl schon früher geschehen. Ben-Gurion streckte die Hand mehrmals aus, aber die Bundesregierung nahm diese aus Angst vor der Anerkennung der DDR durch arabische Staaten nicht an.




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Die diplomatischen Beziehungen sind eine Sache der Politik, eine ganz andere Kiste.
Die "Wiedergutmachung", unter dem Titel lief das damals, eine Sache von Anstand und Moral.

Die Hallstein-Doktrin wurde übrigens von der SPD weitgehend mitgetragen, in modifizierter Art und Weise bestand sie bis 1989 weiter.
 
@Repo. Du hast natürlich Recht, dass es eine Frage von Anstand und Moral war!

Es hatte aber auch eine politische Dimension und die hing mit dem Alleinvertretungsanspruch der BRD zusammen und dem entschiedenen Ablehnen der politischen Legalität der DDR, eben der Hallstein-Doktrin. Durch die Übernahme der Verpflichtungen im Rahmen der Wiedergutmachung machte die BRD deutlich, dass sie der einzige legitime Rechtsnachfolger des 3. Reichs war.

In diesem Sinne wurde die Hallstein-Doktrin auch zum eigenen Vorteil instrumentalisiert. Nebenbei ein völlig akzeptables politisches Vorgehen!
 
@Repo. Du hast natürlich Recht, dass es eine Frage von Anstand und Moral war!

Es hatte aber auch eine politische Dimension und die hing mit dem Alleinvertretungsanspruch der BRD zusammen und dem entschiedenen Ablehnen der politischen Legalität der DDR, eben der Hallstein-Doktrin. Durch die Übernahme der Verpflichtungen im Rahmen der Wiedergutmachung machte die BRD deutlich, dass sie der einzige legitime Rechtsnachfolger des 3. Reichs war.

In diesem Sinne wurde die Hallstein-Doktrin auch zum eigenen Vorteil instrumentalisiert. Nebenbei ein völlig akzeptables politisches Vorgehen!


Wenn ich mich richtig erinnere, hat aber "Hallstein" in Bezug auf die verzögerte Aufnahme dipl. Beziehungen zu Israel keine Bedeutung.

Der Standpunkt der DDR, "wir sind auch Opfer des NS-Regimes" und die Zeche der BRD allein anzuhängen führte da halt auch nicht weiter.
 
@Thane

Natürlich hatten die "kalten Krieger" und auch Adenauer nicht die Vision, daß die Westintegration zur deutschen Einheit führt. Aber am Ende des Tages erwies sich die konsquente Integration in den Westen inkl. "Wertesystem" als erfolgreiche Voraussetzung dafür. Innerhalb von Monaten "integrierte" sich die ehemalige DDR ebenfalls in den Westen (EU, NATO etc.) via Beitritt.

o.t.

Ich möchte hier keine Metadiskussion um Adenauer beginnen, dieses wäre vllt. einen eigenen Thread wert, aber wer außer ihm stand bereit, Schumacher, von mir hochgeschätzt, wäre aber er die "Integrationsfigur" gewesen im Nachkriegsdeutschland? Ich meine nein. Und bedenke bitte, die Alliierten hatten auch noch ein Wort mit zu reden.


M. :winke:
 
Im übrigen waren dabei die Wünsche der deutschen Bevölkerung (und Eliten) nicht einmal im Ansatz interessant - für keine Seite.

Genau !

Und auch was Adenauer auch immer in Sinn hatte - die Politik wurde in Washington , London und Paris gemacht .
Ich behaupte , erst mit der KSZE gab es Möglichkeiten zu eigenständiger Politik
auf beiden deutschen Seiten.
 
Das ist mit Sicherheit in dieser Absolutheit der Formulierung nicht richtig.

Grundsätzlich ist anzumerken, daß eine eigenständige Politik selbst Washington nach 45 nicht formulieren konnte. Dieses stellt Kissinger (Die Vernunft der Nationen, S. 648 ff) ausführlich dar.

Und für Paris und London stellte sich die Notwendigkeit in noch stärkerem Maße, im Rahmen von Konsultationen, Mehrheiten für ihre Positionen zu gewinnen. Die einen in Anlehnung an die USA und die anderen in Abgrenzung zu den USA.

Ansonsten war Adenauer durchaus in der Lage, trotz noch teilweise vorhandener Abhängigkeit von den Hohen Kommissaren, eine relativ eigenständige Außenpolitik zu machen, allerdings auf eine subtilere Art. Ihn lediglich als willenloses Anhängsel zu betrachten ist sicherlich völlig verkehrt.

Hilfreich war für ihn dabei die enge Bindung an die USA und in besonderem Maße die "freundschaftliche" Beziehung zu Dulles (US Außenminister), die eine Instrumetalisierung der amerikanischen Politik im Sinne Adenauers in gewissem Umfang ermöglichte .

Daß die USA eine Politik betrieben haben, die primär amerikanische Interessen verfolgt hat, muß dabei sicherlich nicht erwähnt werden. Altruismus ist unter Nationen noch seltener anzutreffen wie unter Menschen.
 
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