Allerheiligensingen - die deutsche Entsprechung zum Heischebrauch zu Halloween

Riothamus

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Es wird ja immer wieder die ausländische Herkunft der Halloween-Bräuche und ihre heidnische Herkunft betont. Selbstverständlich schließt ihre heutige Vebreitung an die Verbreitung in die USA an. Darüber, wie die kindlichen Beutezüge zu uns herüberschwappten, haben wir schon einmal diskutiert. Ich habe dazu aber nur diesen Jammerthread im Smalltalk gefunden, der zwei Hinweise von Lili und letztergisone zu südlicheren Gefilden gleich auf der ersten Seite beinhaltet.

Doch kenne ich natürlich schon länger entsprechende Traditionen aus Ostwestfalen, wo das Allerheiligensingen ebenfalls bekannt war. Wie Lili zum Süden berichtet standen auch hier zunächst die "Ortsarmen" im Focus, erst später, zuerst in den Städten, die Kinder. Die folgenden Beschreibungen und Zitate stammen aus Beate von Sobbe, Urgroßmutters deftige und feine Spezialitäten aus dem Paderborener Land - Forschungsarbeit über Eßgewohnheiten und Brauchtum der vergangenen Jahrhunderte, Salzkotten 1983, S. 115 f, 136.

Dort wird von dem alten Brauch hinsichtlich Salzkottens berichtet, wo er während des 1. Weltkriegs einschlief. In der Woche vor Allerheiligen wurden aus Runkeln (Futterrüben) tragbare Fackeln geschnitzt. [Auch für das hier ursprünglich fremde Halloween schnitzte man Rüben. Begreiflicherweise ging man irgendwann zu den leichter und gefahrloser zu bearbeitenden Kürbissen über. Das Schnitzen erledigten die Jungen (und vermutlich auch manches Mädchen) der Überlieferung zufolge, unterstützt von den Vätern oder älteren Geschwistern, selbst. Anm. vom Postschreiber]

"Etwa 1 cm dick dick durfte die äußere Wandung sein, in die man nach Beendigung des Aushöhlens ein dämonisches Gesicht schnitzte. Durch zwei gegenüberliegende Löcher am oberen Teil der Wandung wurde ein starker Bindfaden gezogen und festgeknotet. Gleichzeitig lief er auch durch zwei gegenüberliegende Löcher im "Deckel", sodaß man die Fackel problemlos öffnen und schließen konnte, wobei der Faden immer als verlngerter 'Aufhänger' diente, wie bei einem sakralen 'Schwenkpöttchen'." Zur Belüftung gehörte in dem Deckel noch ein drittes, etwas größeres "oft sternförmiges Loch".

Am Abend vor Allerheiligen lief man im eigenen Garten 'Probe'. "Hellrosa oder weiß leuchteten die Runkelköpfe und tantzten geisterhaft hin und her."

Beim eigentlichen Allerheiligensingen ging es, wie bei Halloween üblich, von Haus zu Haus. Gaben waren Äpfel, Wurst, Nüsse und Eier. [Aus mündlicher Überlieferung ist mir bekannt, dass auch kleine Gebäckstücke gegeben wurden. Das variierte von Ort zu Ort und von Hofgröße zu Hofgröße. Anm. des Postschreibers] Beate von Sobbe erwähnt, dass zum Sammeln "Leinenbeutelchen" genutzt wurden. [Salzkotten liegt gerade außerhalb des traditionellen Leinenanbaugebiets um Delbrück und Boke. Anm. des Postschreibers]

Zwei Reime sind dazu überliefert: [Auch die Reime konnten von Ort zu Ort unterschiedlich sein. Übersetzungen einiger Wörter stehen in eckigen Klammern. Anm. des Postschreibers]

"Allerheiligen Füleken [Vögelchen]
chiff mey wat int Bühleken, [Beutelchen]
chiff mey wat int Näppken, [Töpfchen]
chiff mey wat int Fättken, [Fässchen]
chiff mey wat un lot [lass] mey chohn,
ick mutt noch en Huiseken widderchohn!" [weitergehn]

und:

"Klein Manneken up de Deeke, [Dach]
de Himmel dey is leyke, [gleich]
de Himmel dey wull unnerchohn,
do mochten wey olle rinnechohn!"

Als in Salzkotten nach dem zweiten Weltkrieg der Martinsumzug, wobei "Stutenkerle", gebackene Figuren aus Milchbrötchenteig mit einer Tonpfeife und manchmal mit Rosinen, an die Kinder verteilt werden, eingeführt wurde - an anderen Orten gab es ihn schon oder zumindest schon länger, schnitzte man zunächst wieder Rübenfackeln. Doch verlor sich dieser Brauch und die üblichen Papierlaternen kamen auf. Aus meiner Kindheit kann ich mich erinnern, dass man in den 80ern versuchte, diese Fackeln wiederzubeleben, doch wegen der Verletzungsgefahren beim Aushöhlen der Runkeln war dem kein Erfolg beschieden.

Mich würde interessieren, ob jemand den Ursprung dieses Brauchs hierzulande kennt. Es können hier -im Gegensatz z.B. zu Süddeutschland, ja keine keltisch-heidnischen Feste zur Erklärung herangezogen werden. Ich kann mich erinnern, dass es bei uns im Deutschunterricht ein Thema war, doch kann ich mich nicht genau genug erinnern.

Natürlich wäre es auch schön, von Allerheiligenbräuchen anderer Gegenden und dazu, was es sonst noch unter dem Aspekt Geschichte dazu gibt, zu lesen.
 
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Also Rübengeister haben wir in den 80ern in Oberschwaben auch geschnitzt. Allerdings gab's bei uns kein Singen und keine Umzüge damit - die waren reine Deko. Ich bin bis heute überzeugt, wir hätten Zuckerrüben genommen - die lagen im Herbst bei uns in riesigen Häufen vorm (damals noch auf jedem Dorf vorhandenen) Güterbahnhof rum und harrten ihres Abtransports. (Meine große Schwester behauptete jüngst, es hätte sich um Futterrüben gehandelt, aber große Schwestern im allgemeinen und im besonderen... o_O).
Da bei uns wirklich keinerlei Brauchtum drumrum vorhanden war, mutmaße ich, dass man ggf. aus der relativ freien Verfügbarkeit von Material einen Teil eines lokal entweder ansonsten ausgestorbenen oder eines eigens hierfür importierten Restbrauchs (ggf. aus der baddisch-alemannischen Ecke) angewandt hätte haben können.

Bettelumzüge haben wir stattdessen am Dreikönigstag gemacht, während hier an der Küste (aber bei weiterm nicht überall) an Silvester "Rummelpott" gelaufen wird - übrigens ebenfalls verkleidet. Ggf. bestehen verwandschaftliche Brauchtumsbeziehungen?
 
In Richterswil am Zürichsee macht man einen Rübenumzug und die Kinder singen:

«Räbeliechtli, Räbeliechtli, wo gaasch hii?
I de tunkli Nacht, oni Stärneschii,
da mues mis Liechtli sii.»


Im Département Mosellel ist die Rommelbootzennaat eine Tradition, die am Vorabend des Allerheiligentags, vor allem im Pays de Nied und im benachbarten Saarland, gefeiert wird. Am Vorabend des Allerheiligentags schnitzen die Kinder grinsende Köpfe in Rüben, deren Ernte das Ende der Feldarbeit markiert. Die Köpfe werden auf Fensterbänken, Brunnen, Friedhofsmauern oder an Kreuzungen aufgestellt, um die Passanten zu erschrecken. So wurde noch lange vor der Rückkehr der Halloween-Mode nach Europa in den späten 1990er Jahren gefeiert.

In Hannover versuchte man 2007 der Halloweenmode Herr zu werden und verteilte 970.000 Bonbons mit Martin Luthers Bildnis, um zu versuchen, die Leute das heidnische Fest vergessen zu lassen. Zitrone, schwarze Johannisbeere und orangefarbene Bonbons mit einem Bildnis des Begründers des Protestantismus, mit einem spöttischen Lächeln und einem Augenzwinkern. Für den evangelischen Bischof von Hannover ist es absurd, Halloween zu feiern, weil Luther die Protestanten aus der Angst vor Hexen und Dämonen befreite.

Martin Luther auf Bonbonpapier - Recherche Google
 
Kürbisse waren in Nordhessen bis in die Nachkriegszeit so gut wie unbekannt. Besser gesagt, bekannt schon, von den einheimischen Bauern hat aber keiner so etwas angepflanzt. Es waren Flüchtlinge aus Schlesien und dem Sudetenland, die Kürbisse mitbrachten, aber in meiner Jugendzeit waren die trotzdem Mangelware, und wir haben als Kinder auch Laternen aus Rüben geschnitzt, allerdings nicht zu Allerheiligen.

Heischebrauchtum gab/gibt es in meiner Region nur am Nikolaustag. Dann zogen die Kinder mit Nikolausmasken vor dem Gesicht von Haus zu Haus, sagten mehr oder weniger originelle Verse auf und bekamen dann Süßigkeiten. Inzwischen hat sich die demographische Struktur sehr geändert. Manche Gemeinde könnte ohne die Russlanddeutschen einpacken und viele Kirchen wären noch leerer. Viele Kinder gibt es auch nicht mehr, in den letzten Jahren haben die zu Halloween eingekauften Süßwaren locker bis zum Nikolaustag gereicht, sofern ich sie nicht selbst aufgegessen habe.

Ehrlich gesagt habe ich eine Schwäche für Halloween, es ist so multikulturell. Ein Brauch, in Irland entstanden, der via die USA wieder nach Europa zurückkehrte. Es sind weniger Kinder geworden, die von Haus zu Haus ziehen, aber das Brauchtum ist trotzdem reicher geworden. Voriges Jahr musste ich furchtbar lachen, da klingelte es am Nikolaustag zu einer Zeit, in der man keine Kinder mehr erwartet. Es standen drei Gestalten vor der Tür. Einen habe ich erkannt, das war der Sohn vom türkischen Tankstellenbesitzer, die anderen konnte ich nicht erkennen, denn sie trugen wirklich gruselig aussehende Werwolfsmasken und dazu Nikolausmützen. Nachdem sie mich wirklich erschreckt haben, sagten sie ganz brav jeder einen traditionellen Nikolausreim auf in reinem Hochdeutsch auf aber mit leicht russisch klingendem Akzent und zogen reich beschenkt wieder ab, nachdem ich ihnen das Versprechen abgenommen habe, bei der schon etwas älteren Nachbarschaft eine passendere Maskerade zu verwenden. Kaputtgelacht hat sich noch keiner, zu Tode erschreckt aber schon. Kein Problem sagte einer der Nikolaus-Werwölfe, sie wüssten schon, bei wem man so etwas bringen kann und bei wem nicht.

So eine Gaudi habe ich seit Jahren nicht mehr gehabt, weder zu Allerheiligen, noch zu Nikolaus, und ohne den Kulturimport von Halloween wäre ich wohl um eine Erfahrung und Anekdote ärmer.
 
Einen Heischebrauch gibt es in Sachsen am Faschingsdienstag. Gruppen verkleideter Kinder ziehen an diesem Tag von Tür zu Tür, sagen Verse auf, verlangen Süßigkeiten und manchmal kleine Geldbeträge ("Pfeng"). Bei Nichtöffnen hinterlassen sie Konfetti vor der Tür.
 
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