Als aus Patienten Terroristen wurden

Klaus

Aktives Mitglied
Am 24. April 2015 jährt sich die Geiselnahme von Stockholm durch die RAF zum 40. Mal. Vier der sechs Terroristen entstammten dem so genannten Sozialistischen Patientenkollektiv - einer radikalen Gruppe von Psychiatriepatienten, die "aus der Krankheit eine Waffe machen" wollten.
RAF-Geschichte: Als aus Patienten Terroristen wurden - Spektrum der Wissenschaft

Dieser Artikel ist interessant zur Geschichte der RAF, aber auch zu der grundsätzlichen Frage der Interpretation der Geschichte aus der Psychologie des Einzelnen und des Kollektivs.
 
ein sehr interessanter Artikel, Danke Klaus!

Weiß man eigentlich, welcher Art die Erkrankungen waren?

Mit diesem Bereich der RAF habe ich mich selbst noch gar nicht beschäftigt.

ein Gedanke - zugegeben noch sehr unausgegoren - zur Psychologie des Einzelnen/des Kollektivs: "vielleicht ist ein von geltender Norm abweichendes Verhalten 'nützlich' bei der Entwicklung jeglicher Radikalität"??

Wenn ich im Augenblick einen Denkfehler habe, bitte ich darum, mich zu korregieren, Danke.
 
Die Überschrift erweckt schon einen ziemlich falschen Eindruck.
Viele Aktivisten, insbesondere jene, die sich später der RAF anschlossen, waren gar keine Patienten, sondern Psychologie-Studenten. Sie waren genauso wenig Patienten wie Proletarier.
Mir ist nicht bekannt, dass irgendein Patient RAF-Terrorist wurde. Bei einer akuten psychischen Erkrankung ist auch eher zu bezweifeln, dass man dazu in der Lage.
 
Dieser Artikel ist interessant zur Geschichte der RAF, aber auch zu der grundsätzlichen Frage der Interpretation der Geschichte aus der Psychologie des Einzelnen und des Kollektivs.

Diesem nicht weiter begründeten Urteil kann ich mich auch absolut nicht anschließen.

1. Handwerklich wirkt das ganz so, als wenn eine Praktikantin sich ein paar Fragen ausgedacht hat und dann irgendjemand aus einer Kartei der Zeitschrift angerufen hat und um ein Interview gebeten hat. Der hat sich dann im Internet "schlau" gemacht und im wesentlichen das reproduziert, was man mit 2 der 3 Clicks auch so schnell finden kann.

Das ist m.E. unter journalistischen Gesichtspunkten eher peinlich.

2. Zur Frage der Erklärung der RAF ist m.E. ebenfalls nicht viel zu finden, außer das der Zeitgeist bestimmte radikale Idee umtrieb und kaptalismuskritische Sichten eine Krise des Kapitalismus meinten identifiziert zu haben. Diese Sichten gab es völlig unabhängig von "SPK" und sind somit kaum als genuine Erklärung zu gebrauchen.

3. Nebenbei waren andere Theoretiker wie Hegel, Marx oder Lukacs deutlich wichtiger für diese damalige marxistisch - freudianische Diskussionen über die psychischen Kosten - individuelle und kollektive - der Entfremdung unter den Bedingungen des Kapitalismus. Allen voran spielten die Arbeiten von Reich, teils auch von Freud direkt und sicherlich auch die von Marcuse eine zentrale Rolle in der Diskussion.

Wie ich auch nicht wirklich glauben mag, dass Hegel diskutiert wurde, was aus der damaligen Rezeptionsgeschichte m.E. eher unwahrscheinlich ist.

4. Und das Verhältnis von Agent, Struktur und geschichtlichen Ereignissen wird ebenfalls nicht im geringsten durch diesen - schlichten - Artikel angemessen thematisiert. Er erklärt gar nichts, was man heranziehen könnte, um die damalige Radikalisierung generalisierend zu erklären. Es sei denn man gibt sich mit der Erklärung frieden, das die damaligen gesellschaftlichen Widersprüche eskaliert sind und zur RAF geführt haben. Nun ja, wer hätte das gedacht.

5. Ansonsten wird durch diesen Artikel - ähnlich wie bei dem Versuch Hitler durch eine psychische Erkrankung zu erklären - viel spekuliert und nichts wirklich erklärt. Er trägt eher zur Legendenbildung bei und läuft auf das Klischee hinaus, die Leute von der RAF seien ohnehin leicht gestört gewesen und viel Lesen ist ohnehin verdächtig. Und das haben wir doch eigentlich schon immer gewußt, oder?
 
Ich schließe mich meinen Vorrednern an: Der Artikel taugt nix. Außer zur Werbung für das vom interviewten Forsbach so dezent in der letzten Antwort ins Spiel gebrachte Buch... :hüstel: .

Die Einordnung des SPK in eine seinerzeit vorhandene Antipsychiatriebewegung entfällt, sowohl im Artikel wie offenbar auch bei Forsbach. Geleistet werden soll offenbar die Dämonisierung der RAF, diesmal mit der Unterstellung, diese habe 'arme Geisteskranke' ausgebeutet und für sich schießen lassen und aus diesem Grunde wird nicht danach geschaut, um welcher Art Mitglied des SPK es sich bei den namentlich im Artikel genannten Personen gehandelt hat. Es wird auch nicht thematisiert, daß sich in der Ideologie der Gruppe eben kein Unterschied zwischen therapierenden und therapierten Gruppenmitgliedern ergab. Das sich somit ergebende Bild läuft letztlich darauf hinaus, die RAF zumindest in Teilen als unzurechnungsfähig, geisteskrank etc darzustellen. Das geht irgendwie dann doch zu sehr in die Richtung: Wem es hier nicht paßt, der kann nicht mehr alle aufm Sender haben. Das ist für wissenschaftliche Arbeit eindeutig zu dünn.

Zu den angesprochenen Personen:

Hanna Krabbe ? Wikipedia

Krabbe begann ein Psychologiestudium und wurde zunächst Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK), das im Kampf gegen die „Ärzteklasse“ eine klassenlose Gesellschaft schaffen wollte und dabei auch Gewaltanwendung nicht ausschloss. Als das SPK vermehrt von den Strafverfolgungsbehörden bedrängt wurde und sich schließlich auflöste, schloss sich Krabbe wie mehrere andere SPK-Mitglieder der RAF an.


Elisabeth von Dyck ? Wikipedia

Von Dyck war zuvor Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK) und des „Komitees gegen Folter“.


Siegfried Hausner ? Wikipedia

Hausner war Mitglied des linksterroristischen[2] Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK) in Heidelberg. Im 1. SPK-Prozess wurde er am 19. Dezember 1972 zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Nach seiner Entlassung 1974 wandte er sich, wie andere Mitglieder der SPK ebenfalls, der RAF zu.


Lutz Taufer ? Wikipedia

Taufer war seit 1970 Mitglied des SPK in Heidelberg, hatte sich seit 1971 der RAF angeschlossen

In einem Fall, bei Krabbe, wird deutlich, daß sie wohl nicht als Patientin im Kollektiv war; bei den drei anderen wird dies weniger deutlich.


Ein Artikel dazu im Spiegel von 1972:

PROZESSE: Verhängnisvolle Wendung - DER SPIEGEL 46/1972
Zumindest der 'Zeitgeist' ist dem Artikel zu entnehmen. Daß der Spiegel, wie seinerzeit leider üblich, die RAF als 'Anarchisten' bezeichnet, ist bedauerlich.

NB: Die Einschätzung einer 'Praktikantenarbeit' mag ich nicht wirklich nachvollziehen, weil ich der - vielleicht unangebrachten - Meinung bin, einem Praktikanten hätte man einen Text mit derartig vielen Fepptihlern und sonstigen orthographischen Flusigkeiten verbal um die Ohren gehauen, anstatt ihn zu veröffentlichen.
 
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