Antike im Mittelalter?

Man hatte durch kirchliche Quellen, die Schriften der Kirchenväter etc. schon eine (teils natürlich eher verquere) Vorstellung von der Antike, insbesonders vom RR. Aber auch aus hellenistischer Zeit waren noch Eindrücke in Form von Literatur (die nicht überall gedulded war) vorhanden. Hier gibt es natürlich herbe Unterschiede zwischen einzelnen Kulturräumen, in Ostrom sah man sich als legitimer Erbe des RR weswegen dieses Bild hbier präsenter war. Aber auch in Europa kannte man durchaus noch existente Bauwerke, die Trajanssäule oder das Pantheon sind hier gute Bsp. Und man konnte lateinische Inschriften auf diesen Bauwerken noch verstehen. Schwieriger wirds da bei der Vorgeschichte, hier wurden Hügelgräber mitunter als Riesengräber identifiziert, oder steinzeitliche Faustkeile als "Donnerkeile" zum Brandschutz unters Dach gehängt ;)
 
Man verehrte die Antike durchaus, obwohl sicher weniger als etwa in Renaissance oder Aufklärung.

Aus geistlicher Sicht waren die klassischen Römer und Griechen erstmal Heiden. Trotzdem wurde die Zeit der Cäsaren als große Epoche gesehen, denn warum hätte Jesus sonst ausgerechnet damals auftauchen sollen? Er musste einen passenden Zeitpunkt, ein "Goldenes Zeitalter" gewählt haben. Zudem orientierte man sich bzw. verbesserte man die Architektur der Römer: die Romanik ist im Grunde nur eine Variation des klassischen römischen Stils. Das römische Cäsarentum galt als Tradition und Richtschnur für die teutonischen Kaiser, und römische Taktiken bildeten die Basis für mittelalterliche Kriegsführung.

Die Mönche und darauf aufbauend die Philosophen der Scholastik beschäftigten sich intensiv mit römischen und griechischen Schriften und gaben sich Mühe, sie passend zum christlichen Dogma zu interpretieren. Hier fand man eine raffinierte Rechtfertigung für das Studium heidnischen Wissens: Man behauptete, dass nach den angeblichen Botschaften der antiken Meister diese wohl Christen geworden wären, hätte Jesus damals schon gelebt! Auf diese Weise konnten Platon, Aristoteles usw. bequem zu potentiellen Christen umgedeutet und ihre Werke nach damaliger Meinung "ernsthaft" diskutiert werden.
 
Das Wissen über die Antike ging natürlich im Mittelalter nicht völlig verloren. Gebildete Leute wussten mit Namen wie Alexander dem Großen, Caesar etc. etwas anzufangen, und natürlich waren auch die Bibel oder die Schriften der Kirchenväter Relikte aus der Antike. Dennoch näherte man sich eher über die Schriftquellen der früheren Geschichte.
Ein archäologischer Zugang war jedoch weitgehend unbekannt.
In den bedeutenden Städten des Mittelmeers waren antike Bauten stets sichtbar - und sind es zum Teil bis heute. In unserem Raum dürfte das Bild gemischt gewesen sein. Im kürzer besiedelten rechtsrheinischen Raum dürften die Bauten früher und vollständiger zerstört gewesen sein, während in Städten wie Köln und Trier bis heute hochragende Bauten zu sehen sind. Die Kenntnisse über die Bauten gingen häufig verloren, wie etwa bei vielen Ortsbezeichnungen am Limes zu sehen ist. Manchmal wurden die Kastelle in ihrer ungefähren Funktion noch richtig erkannt (etwa bei einer "Haselburg"), manchmal deutete man sie aufgrund der verbliebenen Baureste falsch (z.B. ein Römerbad als "Heidenkiirche" oder ein Kastell als "Hunnenkirchhof") und schrieb sie allgemein unbekannten, mythischen Vorfahren zu.
In abgelegenen Gebieten verfielen antike Gebäude einfach.
In größeren Städten und anderswo kam es häufig zu einer Sekundärnutzung, wo besonders Rom großartige Beispiele liefert (etwa die Engelsburg oder das Metellergrabmal), aber in Deutschland etwa auch Trier.
Bauten, die sich noch fast authentisch erhalten haben (wie das "Maison Carree" in Nimes, das Pantheon oder der Victor-Tempel in Rom) haben dies häufig einer Umwidmung als Kirche zu verdanken.
Viele andere Gebäude wurden "ausgebeutet", was sich etwa an vielen so genannten Spolien in Kirchen und anderen Gebäuden ablesen lässt. Griff man zunächst häufig wegen des ästhetischen Werts zunächst vor allem auf schön bearbeitete Steine zurück, kam die große Zeit des "Steinraubs" erst in der Neuzeit, als auch das Volk verstärkt in Stein baute.

Ein museal-historisches Forschungsinteresse an antiken Relikten entwickelte sich dann in der Tat erst in der Frühneuzeit.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Wissen über die Antike ging natürlich im Mittelalter nicht völlig verloren. Gebildete Leute wussten mit Namen wie Alexander dem Großen, Caesar etc. etwas anzufangen,

eyn ritter so gelehret waz
daz er in den buochen las

in der mittelalterlichen Epik finden sich genügend gebildete Querverweise auf die antike literatur, auf antike Stoffe und rhetorische Techniken

Karl der Große ließ sich u.a. im Ingelheim quasi "Thermen" bauen, d.h. in kleinerem Maßstab der Versuch die antiken luxuriösen Bautechniken weiter zu pflegen - später im 13. Jh. z.B. ein Hypocaustum im Refektorium des Klosters Bebenhausen (wie ich unlängst bei einer Führung durch die Wartburg erfuhr, diskutiert man, ob dort sowie in ein paar anderen als Repräsentativbauten genutzten Burgen ebenfalls hypocausten-ähnliche Bodenheizungen angebracht waren: man hat verrußte Röhren/Schächte im Boden von Sälen/Gemächern gefunden und diskutiert diese)

dann gibt es den mittelalterliche Alexanderroman :winke:

nicht zuletzt, wenn auch "christlich zensiert", pflegten die Scriptorien der Klöster das antike literarische, rhetorische und philosophische Erbe
 
Ein kleines Beispiel von der praktischen Nutzung antiken Wissens im Mittelalter.

Um die Jahre 1147/50 belagerte der Graf Gottfried Plantagenet von Anjou die Burg von Montreuil-Bellay. Obwohl er mehrere Breschen in die Mauern schlagen konnte, blieb die Burg für ihn uneinnehmbar, weil deren Verteidiger es verstanden die Breschen in der Nacht immer wieder mit Holzbalken zu reparieren. Da bemerkte der Graf einen in seinem Gefolge anwesenden Mönch der Abtei Marmoutier, welcher gerade eine Ausgabe der De Re Militaria des Vegetius Renatus (4. Jahrhundert) las. Obwohl der Graf selbst lesen und schreiben konnte(!) lies er sich aus diesem Buch vorlesen, unter anderem eine Stelle in der beschrieben wird, wie ein Turm, denn man mit überlappenden Eichenbohlen repariert hat, leicht genommen werden kann. Mittels dieser Beschreibung konnte der Graf nun eine Taktik entwickeln, mit der er die Burg doch noch einnehmen konnte.

Diese Geschichte wurde beschrieben in der Historia Gaufredi Ducis Normannorum et Comitis Andegavorum (zweite Hälfte 12. Jahrhundert).

Bernard S. Bachrach: The Pratical Use of Vegetius' "De Re Militari" during the Early Middle Ages (1985), S. 242-244
Jim Bradbury: The Medieval Siege (1992), S. 85-86

Flavius Vegetius Renatus ? Wikipedia
http://de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_V._(Anjou)
 
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