Archäologen finden Spuren an durchbohrtem Schädel

Dafür würde die Bestätigung, dass es sich bei der tödlichen interpersonellen Gewalt um einen Clankrieg handelte - die Antwort werden wir realistisch gesehen mangels sinnvoller Methoden dies zu ermitteln niemals erhalten - großmütterliche Theorienkartenhäuser umschmeißen, welche vom Verlust des matriarchalen Paradieses in dem Gewalt unbekannt war durch eine Patriarchalisierung der vormals matriarchalen Gesellschaft seit dem Neolithikum ausgehen.

Ja, ja, das matriarchale Paradies und der indogermanische oder neolithische Gewaltimport. :D

@Heine hat oben den zugrunde Aufsatz verlinkt. Daraus:

"This finding shows that the lethal interpersonal violence is an ancient human behavior and has important implications for the accumulation of bodies at the site, supporting an anthropic origin."

Dann gibt es noch den These von der Testosteron-Explosion:
http://www.geschichtsforum.de/723567-post665.html
 
Man fand zwar Höhlenkunst mit Kriegsmotivik, die aber aus viel späteren Zeiten datiert, d.h. dem Neolithikum (insbesondere um 8.000 BCE), allerdings ohne entsprechende Waffenfunde.

Es ist durchaus denkbar und sogar wahrscheinlich, dass ein Dorf ein anderes überfiel, um sich beispielsweise Saatgut anzueignen. Inwieweit es auch Auseinanderstzungen gab, deren Ursache Blutrache war, sei dahingestellt.

Mit Sicherheit herrschte im Neolithikum nicht überall Eintracht und Frieden. Andererseits gab es schon aus logistischen Gründen keine Möglichkeit zu regional weitgespannten Eroberungen, denn die kleinen neolithischen Dörfer lagen wie Inseln in der Wildnis. Zudem werden Kriegerkasten in der neolithischen Gesellschaft Mitteleuropas nicht vermutet, wie auch die Gesellschaft vermutlich egalitär war. Das scheinen jedenfalls die Gräber zu bestätigen, die noch keine Fürsten- oder Kriegerbestattungen kennen. Das entwickelte sich erst ab der frühen Bronzezeit, in Mitteleuropa mit der Aunjetitzer Kultur.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kriegerische Auseinandersetzungen im Neolithikum bezweifelt Chan ja nicht. Er bezweifelt solche im Meso- und Paläolithikum.
 
Nur weil keine Höhlenmalereien das zeigen, bedeutet das nicht, dass solche Handlungen nicht vorkamen.
Die Höhlenmalereien zeigen ja nicht eine Momentaufnahme des paläolithischen Lebens insgesamt, sondern sind ja bewusst ausgewählt danach, was abbildenswert war.
Es finden sich auch keine Malereien von Steinbearbeitung (zumindest soweit ich das weiß) und niemand wird deshalb davon ausgehen, dass ihnen die Faustkeile, Federmesser und wie sie nicht alle heißen einfach zugeflogen sind.

Möglicherweise war das einfach zu profan und altäglich, als dass man es auf einer Felswand verwirklichen müsste.

Ich will damit nicht behaupten das Krieg und töten damit alltäglich waren, aber vielleicht ein Thema welches nichts auf einer Höhlenwand zu suchen hatte.
 
Kriegerische Auseinandersetzungen im Neolithikum bezweifelt Chan ja nicht. Er bezweifelt solche im Meso- und Paläolithikum.

Solche Auseiandersetzungen werden an der Tagesordnung gewesen sein. Das waren dann vermutlich Revierkämpfe, möglicherweise auch Brautraub oder Rache für irgendwelche Streitigkeiten unter benachbarten Horden bzw. Clans.
 
Das glaube ich wiederum nicht. Mit der Neolithisierung fing auch eine ernstzunehmende Thesaurierung an, gleichzeitig mit einer sich erhöhenden Standorttreue. Aufgrund dieser war es im Neolithikum a) lohnenswerter und b) leichter, eine andere Gruppe anzugreifen, wohingegen man sich im Paläolothikum und Mesolithikum, auch wegen der Größe der Gebiete, leichter aus dem Weg gehen konnte oder im Zweifelsfall für die Großwildjagd auch mal zusammen ging. Im Paläo- und Mesolithikum war es auch einfach zur eigenen Ressourcenschonung sinnvoll, Konflikten aus dem Weg zu gehen.
Mit der Standorttreue ging auch eine Bevölkerungsexplosion einher. Durch die Möglichkeit zur Thesaurierung und auch ihre Notwendigkeit, war plötzlich das Verhältnis von Aufwand und Ergebnis bei einer kriegerischen Auseinandersetzung ein ganz anderes.

Wir haben heute bei nomadisierenden Völkern zum Teil das Phänomen, dass nur ein Kleinkind pro Elternteil aufgezogen wird, um im Falle einer erzwungenen Flucht alle Kinder mitnehmen zu können. Ist natürlich schwer, das aufs Paläo- oder Meslithikum 1:1 zu übertragen. Das Magdalénien (Schwelle vom Paläolithikum zum Mesolithikum) ist geprägt von einer Verbesserung des Handwerkszeugs und der Jagdwaffen, was die Tödlichkeit v.a. auch aus der Ferne erhöhte.

Ich würde also, ähnlich wie chan, eine erhöhte Anzahl kriegerischer Konflikte seit dem Neolithikum ansetzen. Spuren davon haben wir ja. Und auch potentiell häufiger (verbesserte Fernwaffen) häufiger dürften Konflikte tödlich ausgegangen sein. Die Begründung für die erhöhte Anzahl von Konflikten, die sehe ich deutlich anders als chan.
 
Zudem werden Kriegerkasten in der neolithischen Gesellschaft Mitteleuropas nicht vermutet, wie auch die Gesellschaft vermutlich egalitär war. Das scheinen jedenfalls die Gräber zu bestätigen, die noch keine Fürsten- oder Kriegerbestattungen kennen.
Auch mit solchen Schlüssen wäre ich vorsichtig. Es ist ja nicht zwingend so, dass sich in einer Gesellschaft der gesellschaftliche Status einer Person im Grab wiederspiegeln muss. (Siehe z. B. heute bei uns, wo sich allenfalls die Qualität des Sargs und des Grabsteins unterscheidet, aber im Grunde genommen alle Menschen ähnlich bestattet werden.)
 
Mit der Neolithisierung fing auch eine ernstzunehmende Thesaurierung an, gleichzeitig mit einer sich erhöhenden Standorttreue. Aufgrund dieser war es im Neolithikum a) lohnenswerter und b) leichter, eine andere Gruppe anzugreifen, wohingegen man sich im Paläolothikum und Mesolithikum, auch wegen der Größe der Gebiete, leichter aus dem Weg gehen konnte oder im Zweifelsfall für die Großwildjagd auch mal zusammen ging. Im Paläo- und Mesolithikum war es auch einfach zur eigenen Ressourcenschonung sinnvoll, Konflikten aus dem Weg zu gehen.
Mit der Standorttreue ging auch eine Bevölkerungsexplosion einher.

Der Zusammenfassung kann man sich nur anschließen.

Das Thema Gewalt hängt außerdem (von emotionalen spontanen Handlungen abgesehen, für die 7000 Jahre keinen Unterschied in Verhaltensweisen ergeben dürften) mit Hierachien und sozialen Strukturen zusammen.

Dazu gibt es etliche Publikationen, zB. Human Evolution and the Origins of Hierarchies oder Routledge Handbook of the Bioarchaeology of Human Conflict).

Hierarchien zur Gruppenbildung und Organisation des Zusammenlebens, sozusagen als Überlebensstrategie, sind Gegenstand sozio-anthropologischer Untersuchungen, auch zB in Vergleichen mit Primaten: Ressourcen als Basis jeder Hierarchiebildung, Bevölkerungsanstieg (hier die Unterschiede zwischen "Kleingruppen" und Änderungen bei Anstieg der Gruppenzahlen, Arbeitsteilung und "Spezialisierung", Hierarchien als Verhaltensanpassungen zur Minimierung von internen Gruppenkonflikten und zur Aggressionsdämpfung, etc. sind da Untersuchungsfelder.

Insbesondere Origins of Hierarchies kann man da sehr empfehlen. Zu dem Aspekt hinzu kommen natürlich die "technologischen" Entwicklungen.
 
Ist natürlich schwer, das aufs Paläo- oder Meslithikum 1:1 zu übertragen. Das Magdalénien (Schwelle vom Paläolithikum zum Mesolithikum) ist geprägt von einer Verbesserung des Handwerkszeugs und der Jagdwaffen, was die Tödlichkeit v.a. auch aus der Ferne erhöhte.

Ich würde also, ähnlich wie chan, eine erhöhte Anzahl kriegerischer Konflikte seit dem Neolithikum ansetzen. Spuren davon haben wir ja. Und auch potentiell häufiger (verbesserte Fernwaffen) häufiger dürften Konflikte tödlich ausgegangen sein. Die Begründung für die erhöhte Anzahl von Konflikten, die sehe ich deutlich anders als chan.

Am Rande zum Magdalénien (die Hypothese ist nicht neu, aber dazu aktuell):

eine neue Publikation beschäftigt sich mit Spuren an menschlichen Knochen, für die als eine mögliche Erklärung auch Kannibalismus angegeben wird, hier als damit verbundene rituelle Handlung vermutet:


Abstract

Cut-marked and broken human bones are a recurrent feature of Magdalenian (~17–12,000 years BP, uncalibrated dates) European sites. Human remains at Gough’s Cave (UK) have been modified as part of a Magdalenian mortuary ritual that combined the intensive processing of entire corpses to extract edible tissues and the modification of skulls to produce skull-cups. A human radius from Gough’s Cave shows evidence of cut marks, percussion damage and human tooth marks, indicative of cannibalism, as well as a set of unusual zig-zagging incisions on the lateral side of the diaphysis.

These latter incisions cannot be unambiguously associated with filleting of muscles. We compared the macro- and micro-morphological characteristics of these marks to over 300 filleting marks on human and non-human remains and to approximately 120 engraved incisions observed on two artefacts from Gough’s Cave.

The new macro- and micro-morphometric analyses of the marks, as well as further comparisons with French Middle Magdalenian engraved artefacts, suggest that these modifications are the result of intentional engraving. The engraved motif comfortably fits within a Magdalenian pattern of design; what is exceptional in this case, however, is the choice of raw material (human bone) and the cannibalistic context in which it was produced.

The sequence of the manipulations suggests that the engraving was a purposeful component of the cannibalistic practice, implying a complex ritualistic funerary behaviour that has never before been recognized for the Palaeolithic period.


Freier download in der PLOSone:
An Upper Palaeolithic engraved human bone associated with ritualistic cannibalism
An Upper Palaeolithic engraved human bone associated with ritualistic cannibalism

älter:
Prähistorischer Leichenschmaus: Ritueller Kannibalismus in englischer Grotte - Spektrum der Wissenschaft

aktuell:
Magdalenians carved human bones in cannibalistic rituals 15,000 years ago
 
Löwenmännchen entscheiden allerdings nicht, die Jungen des aus dem Rudel vertriebenen Vorgängers zu töten, sie sind darauf "programmiert".

Diese Aussage bassiert auf der allgemeinen Fehleinschätzung vieler Homo Sapiens, die glauben, sie hätten einen "Willen" bzw. würden Entscheidungen "bewusst fällen".

Beispiel Löwe: Wenn er ein Rudel übernimmt, so besteht die (oben zitierte) "Programmierung" in Wahrheit in einem Gefühl: Der Löwe hat das Gefühl den Nachwuchs des anderen Männchen töten zu müssen. Das Gefühl mag aus Koponenten wie "Hass" oder "Wut" zusammengesetzt sein - Gefühle die ein Mensch durchaus auch zu verspüren vermag. I. A. sind die meisten unserer "willentlich beschlossenen" Handlungen, tatsächlich nur durch Gefühle verursacht. Die "freie Willententscheidung" wird nachträglich durch das Bewusstein vorgegaukelt. Wie viele Tötungsdelikte sind nur in Affekt passiert und wurden gleich im Anschluss bereut? Selbst geplante Morde werden letztendlich nur durch Gefühle getriggert.

Wenn also der Löwe "programmiert" ist, dann ist es der Mensch auch.
 
Du sprichst da eine neurologische These an, die auch unter Neurologen nicht so unumstritten ist, wie du unterstellst. Als Historiker stelle ich sie in Frage: Hätten wir Menschen eine Geschichte, wenn wir keinen freien Willen hätten? Wieso fahren wir in den Urlaub? Warum fliegen wir auf den Mond? Warum haben wir das Rad erfunden? Ist das vorprogrammiert? Oder waren es Willensentscheidungen, die dazu geführt haben, etwas zu erfinden? Warum stellen wir Regeln auf (und halten uns mehr oder weniger an diese)? Was ist mit der Impulskontrolle?
 
Hat sich mal jemand Gedanken um die "Tatwaffe" gemacht? Eine Keule gibt ein anderes Schadensbild. Auch faustkeilähnliche Konstrukte (mit Stiel) schaffen keine solchen Löcher, wobei der Knochen ringsum nicht einbricht. Ein Speer wäre denkbar, aber nicht gleich doppelt.
 
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