Archäologie trifft auf Jäger und Sammler verlieren sich doch "in translation"

@Riothamus:

Ok, dann können wir ja das nächste Mal einen Glaskugelleser aus Rumänien einladen....

Glakugellesen und ähnlicher Hokuspokus ist sicher keine einfache Nummer. Die Kunst dabei ist ja nicht, das Kommende so exakt wie möglich vorherzusagen sondern für die Vorhersagen bezahlt zu werden.

Das Beispiel gefällt mir, denn, und da geb ich den Kritikern recht, bietet die Vergangenheit in Form von ein Paar uralten Fährten natürlich ähnlich viel Projektionsfläche wie die Zukunft :D
 
Es läuft halt darauf hinaus wie die Erkenntnisse begründet werden. Wenn da ein San sagt: "Das ist die Spur eines ca. 40 Jährigen" so ist dies erst einmal nutzlos.

Sagt er aber: "Das ist die Spur eines ca. 40 Jährigen, denn die Spuren zeigen hier die typischen Risse in der Hornhaut und Größe des Fußes und Gewicht des Mannes deuten darauf hin" so lässt sich dies überprüfen und vergleichen.

Der Nutzen solcher Spurenleser liegt ja nicht darin, dass diese andere Deutungen anbringen können - alle Deutungen zu dieser Zeit sind sowieso Spekulation.

Der Nutzen ist, dass sie evtl. auf Details achten die für andere belanglos wären und die übersehen werden könnten. Aber diese Details müssen dann dokumentiert und bewertet werden.
(Hervorhebung von mir)

Wenn ich mir bei Gleichaltrigen heutzutage die unterschiedlichen Ausprägungen an den Füßen wie bspw. Hornhäute, Schwielen, Hühneragen etc. vor Augen führe, befällt mich Stirnrunzeln hinsichtlich präziser Altersangaben. Besonders eindrucksvoll können Ausprägungsunterschiede bei eineiigen Zwillingen auftreten die hinsichtlich körperlicher Belastungen unterschiedliche Lebebswege beschritten haben (einer Landwirt, der andere Bürokaufmann).
Natürlich bringt unser heutiger Alltag immens differenzierte Erwerbstätigkeitsherausforderungen und Lebensformen im Vergleich zu einer steinzeitlichen Jäger- und Sammlergesellschaft hervor, was sich bezüglich körperlicher Ausprägungen vermutlich enorm weit auffächert. Doch ich frage mich, wie sich die Fußsohlen eines vierzigjährigen Steinzeitlers ausbildeten der aus Gründen wie bspw. bestimmter Funktionen innerhalb einer Gemeinschaft oder einer körperlichen Einschränkung nicht zu den fährtenlesenden Jägern gehörte, doch gleichwohl wie diese seine Spuren in einer Höhle hinterlassen haben kann.

Insofern will mir als gewinnbringende Erkenntnis bislang nur die von den San entdeckte größere Zahl von Individuen einleuchten.
 
Gewinnbringende Erkenntnisse bewertet natürlich jeder für sich. Bei der Bewertungs-Spannbreite von - zugegeben geplättet: - lächerlich bis rassistisch oder quasi-Offenbarungseid der Wissenschaft scheint ja ordentlich Dampf in der Leitung zu stecken. Bestimmt überinterpretiere ich das aber.

Soweit ich dazu gelesen habe, gibt es wohl aktuell keine relevanten (direkten) empirischen Vergleiche (die beiden zitierten Hinweise kann man durchaus hinterfragen).

Das - solche empirisch abgestützten Vergleiche - wäre für mein laienhaftes Verständnis das einzige, was bewertungsrelevant erscheint. Es gibt aber zumindest einen behaupteten Entdeckungserfolg, dem wohl auch niemand in den Publikationen widersprochen hat. Die Autoren von oben äußern sich zum Vergleich ansonsten wie folgt, siehe letzte Zeile:
 

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Gewinnbringende Erkenntnisse bewertet natürlich jeder für sich. Bei der Bewertungs-Spannbreite von - zugegeben geplättet: - lächerlich bis rassistisch oder quasi-Offenbarungseid der Wissenschaft scheint ja ordentlich Dampf in der Leitung zu stecken. Bestimmt überinterpretiere ich das aber.

Soweit ich dazu gelesen habe, gibt es wohl aktuell keine relevanten (direkten) empirischen Vergleiche (die beiden zitierten Hinweise kann man durchaus hinterfragen).
(...)

Wahrscheinlich habe ich noch weniger gelesen, gerade zu dem was jetzt jüngst in Köln angegangen wurde.

Was mir bei der Außendarstellung (seit 2013) zu “tracking in caves“ bezüglich, auch für Laien wie mich, verständlichen Vergleichbarkeiten schlicht fehlt, ist so was wie zum Beispiel:
Eine beide Geschlechter, verschiedene Lebensalter, mal gesund mal kränkelnd, mal beladen mal unbeladen und idealerweise dies zweifach abdeckende Probandengruppe wird über lehmigen, sandigen oder sonstwelchen Untergrund geschickt. Dann kommen die Fährtenleser zum Zuge.
Bei einer signifikant hohen Trefferquote gewännen etliche ihrer Interpretationen der Höhlenspuren einiges an Gewicht.

So aber kommt die sich wiederholende gegenüberstellende Betonung von “westlicher Wissenschaft“ zu “indigener Kompetenz mit Steinzeit-Touch“ wenig hilfreich für die Glaubhaftigkeit daher. Das lässt sich nicht der Presse anlasten, denn es zieht sich wie ein roter Faden durch alles was ich bislang dazu gelesen habe, ziert abstracts, findet sich auf der DFG-Seite, etc. In der ARTE-Dokumentation kommen Pastoors und Lenssen-Erz mit eben diesem auch live zu Wort.

Edit:
Ich verorte mich nicht ausschließlich im Draufhau-Modus, finde den Ansatz durchaus interessant, allerdings unglücklich vermittelt.
Ich kann mir ganz gut vorstellen, dass die mediale Begleitung durch ein Filmteam während dieses Forschungsprojektes eine Dynamik ausgelöst hat die nur noch schwer zu stoppen war/ist.
Dadurch können (vielleicht gänzlich unbeabsichtigt) Aspekte Eingang finden die entlang von Fragen nach Unterhaltungswerten, Spannungsbögen und nicht zuletzt auch marktwirtschaftlicher Verwertbarkeit beeinflusst werden.
Interessant zu lesen finde ich hierzu:

CINARCHEA - Tracking in Caves – Fußspuren in die Vergangenheit
 
Zuletzt bearbeitet:
Meine Güte, zügelt Mal bitte Eure Hate-Speech gegen die ganze Menschheit.
Die Witze hast du leider nicht verstanden. Ich dachte die vielen gelben Gesichter hätte meine Intention ausgedrückt. Zweideutigkeit im Internet ist ein Problem. Eigentlich war mein Satire-Versuch auch unnötig, weil die Real-Satire des Sandkastenexperiments schon ausgereicht hat, um mich zum Lachen zum bringen.

Für die sensationslüsterne Presse können die Wissenschaftler nichts. Was sie schreibt ist ein anderes Thema.
Ich halte deine Kritik an der Presse für völlig ungerechtfertigt. Die Sensationslust liegt hier ganz bei der Wissenschaften. Der Veranstalter hat die Multiperspektivität betont und es wurden in der Zeit und in der Badener Zeitung entsrpechend sehr verschiedene, ja konträre Perspektiven wiedergeben. Die verantwortlichen Archäologen haben selbst die Polarisierung zwischen western science und indigene knowlege und der möglioche Gleichwertigkeit konstruiert und verbreitet.

Sie könnten Rassisten sein, oder davon ausgehen, dass ihre Leser es sind. (Hier übernehme ich mal Eure vernichtende Wortwahl. Das Statement mit der Hate Speech vom Anfang ist auch so zu verstehen, dass es eher angebracht ist, die Berichterstatter darauf aufmerksam zu machen, was sie mit ihren Worten bewirken, als den üblichen Wettbewerb der Empörung zu starten.)
Meinst du jetzt mich? Ich kann keine "Hate Speech" in den verlinkten Zeitungsartikel erkennen.
Der einzige, der in Presse tendenziös negativ dargestellt wird, ist der kritische Archäologe Benett. Ihm "leuchtet nicht alles ein". Er wird als "Advocatus diaboli" bezeichnet, der indigenes Wissen abwertet und nur darauf vertraut, was seine Laserscanner und Computer "ausspucken", vgl. Zeit. Ich finde die implizierte Bewertung nicht gut und es ehrlich gesagt schon gruselig. (In der Zeit wird es sogar so dargestellt, als wären die Archäologen die eigentlich Esoteriker, die in der Steinzeit "Schamanismus und Hokuspokus" vermuten, währen die San die "sachlichere Interpreation" lieferten.)

Ganz anders ist Benetts Darstellung in der Badener Zeitung. Dort steht nur, dass Benetts weitere "wissenschaftlich fundierte Messreihen und Blindstudien" fordere.
Paastors Darstellung ist hingegen ziemlich glecihförmig in allen Artikeln. Bereits 2013 gegenüber Spiegel bringt er die gleichen Phrasen zum besten, die sich auch auf der Homepage seines Projekts finden.
Das Problem sind nicht die fake news, sondern die fake science. Eine falsche Wissenschaft wird als richtig dargestellt. Viel mehr kann Presse nicht leisten.


Wenn Du nicht erkennst, dass der Jagdaufseher sich wie ein Unteroffizier verhält, der über die Vorgesetzten spottet, um besser anleiten zu können, begehst Du einen Fehler, wie ich ihn oben schilderte: Du erkennst nicht, dass Du nicht alle Aspekte berücksichtigst.
Es tut mir ja schrecklich leid, dass liegt daran, dass ich nicht gedient habe. Ich habe auch nie besonders viel übers Militär gelesen, schon gar nicht über Hierarchien oder die inoffiziellen Verhältnisse. Eigentlich hätte es ahnen müssen, weil die Bundeswehr-Anekdoten meines Vaters durchaus einen ähnliches Charakter hatten wie die Erlebnisse: Männer allein im Wald, dumme Sprüche, Bier usw.
Mein eigentlicher Fehler war, dass ich nicht ganze Geschichte erzählt habe und du daher auch nicht alle Aspekte kennst, die ich kenne. Ein wesentlich Anlass des Streit war auch der, dass der Hund des Seniorchefs im Gegensatz zu allen anderen Hunden, keinen GPS-Sender trug. Ich will es jetzt nicht weiter ins Detail gehen, weil ich die Geschichte lieber anonym belassen will.

Riothamus schrieb:
Fährtenlesen ist kein Okkultismus.
Ja und nein.
Es gibt echtes Fährtenlesen. Das ist trivial und erklärbär.
Man kann es aber auch als okkulte Praktik betreiben und die ist dann unerklär oder nur okkult erklärbar.
Der Unterschied ist ungefähr so groß wie zwischen Astrologie und Astronomie.
Alles kann okkult augelegt werden. Das gilt für die Sterne genauso wie für die Spuren im Sand.


Arldwulf schrieb:
Es läuft halt darauf hinaus wie die Erkenntnisse begründet werden. Wenn da ein San sagt: "Das ist die Spur eines ca. 40 Jährigen" so ist dies erst einmal nutzlos.
Und es bleibt leider nutzlos, weil die Erkenntnisse nicht erklärt werden.
Wie die drei San ihre Diagnosen stellen, wurde 2013 im Spiege beschrieben.
Spiegel schrieb:
Die Analysen der Spurenleser fanden stets in einem Gespräch untereinander statt. Sehr klare Aussagen zum Geschlecht und Alter der Person, die die Abdrücke verursacht hat, standen am Ende jeder Unterhaltung. Das ist unter anderem auch der Sprache der Fährtenleser geschuldet, denn einen Konjunktiv gibt es in ihr nicht. "Wir treffen eine Entscheidung, die sicher ist", erklärte Cigae.
Die Diagnosen der San sind sehr konkret und detailverliebt. Sie kennen keine Zweifel. Begründungen brauchen sie daher auch keine.
Laut Badener Zeitung behaupteten die gleichen Fährtenleser, diese Fähigkeit von Gott geschenkt bekommen zu haben. Außerdem haben sie es ja von den eigenen Eltern gelernt. Das ist also alles echt! Mehr geht nicht.

Welche Vorstellung die San von konkretem Alter eines Individuums haben oder wenigstens bis in die jüngste Vergangenheit hatten, ist auch eine gute Frage, die in Köln wahrscheinlich niemanden interessiert hat.
Der Schauspieler und prominete San-Fährtenleser N!xau starb 2003 im Alter von XX Jahren. Freunde schätzen sein Alter auf 59 Jahre, vgl. Spiegel: Hauptdarsteller N!xau starb beim Holzsuchen. Sie schätzen 59, d.h. nicht 58 bis 60.
Das bei Alterseinschätzungen ganz konkrete Zahlen rauskommen, ist bei den San also keineswegs unüblich, sondern der ganz normale Alltag. Beim Schätzen geht es letztlich um die Konstruktion eines objektiven Alters.
Das wirkliche Alter ist unbekannt bzw. kann mangels Geburtsdaten nicht errechnet werden. Die Mitmenschen bestimmen, wie alt jemand ist. So entsteht zumindest in der San-Gesellschaft ein Konsens über das Alter. Praktiken werden von den Eltern erlehnt und von Gott gegeben. Weitere Reflektion gibt es nicht.

Eine stellvertretene Reflektion seitens der beteiligten Archäologen ist aufgrund der Vorannahme, dass westliche Wissenschaftlicher das nicht verstehen können, eher ausgeschlossen. Vielmehr nahmen sie nicht die anzweifelbaren und eindeutigen Analysen dankend an.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und es bleibt leider nutzlos, weil die Erkenntnisse nicht erklärt werden.
Wie die drei San ihre Diagnosen stellen, wurde 2013 im Spiege beschrieben.

Zumindest in dem Artikel weiter oben wurden durchaus konkrete Erkenntnisse erklärt.

Aber es ging ja auch weniger um diese drei konkreten Fährtenleser als um die generelle Frage ob Fährtenleser helfen könnten bisher unbeachtete Details in den Fokus zu rücken.
 
Die Ergebnisse der Kölner Forschung laufen auf einen quantitativen Vergleich hinaus. Die indigenen Fährtenleser entdeckten mehr Spuren. Das war es also.
Ich kann diese Erkenntnis natürlich trivial nennen, aber die gewählte Methode, nämlich die quantitative Forschung, wird nie andere, höchstens sicherere Ergebnisse liefern können - selbst wenn man mit Doppelverblindung den Goldstandard der Pharmakologie erreicht.
Natürlich könnten die Wissenschaftler bei sorgsamer Verblindung im Sandkastenlabor herausfinden, ob die indigenen Fährtenleser mit ihren Diagnosen wirklich recht haben.
Mit dem gleichen Versuchsaufbau kann man auch herausfinden, ob eine Medikament wirklich wirkt oder nicht. Wie eine Pille aber wirklich funktioniert, kann selbst mit einer Placebo-Studie nie herausgefunden werden.

Die für mich eigentlich spannende Fragen ist das Verstehen und Nachvollziehen des Spurenlesens.
Das kann aber nur mit qualitativer Forschung erreicht werden. Hier stellt sich aber das Problem "lost in translation". Triviale Erkenntnis: Man kann Menschen nicht verstehen, wenn man deren Sprache nicht versteht.
Aber auch das Übersetzungsproblem ist bereits ein Fehler im Versuchsaufbau. Man hätte von Anfang an Fährtenleser heranziehen sollen, die deutsche oder wenigstens englische Muttersprachler sind oder alternativ einen Wissenschaftschaftler mit San-Muttersprache. (Bei der phantastischen Annahme einer Dichotomie von "western sciene" und "indigene knowledge" ist eine derartige Versuchsaufstellung natürlich ausgeschlossen. So bleibt die San-Sprache der letzte Schleier um eine Erklärung für den Mythos Fährtenleser zu verhehlen.)

Was die Archäologen hier geritten hat, ist der naive Glaube an die naturwissenschaftlichen Methoden und die quantitative Forschung, den sie eigentlich entfliehen wollten. Am Ende entsteht natürlich eine Tabelle mit Zahlen.

Die Wissenschaft (western science) ist eigentlich schon viel weiter. Bronislaw Malinowski (1884 - 1942) gilt als Begründer der ethnografischen Feldforschung.
Über Jahrhunderte hatte sich die westlichen Ethnologen und Anthropologen damit begnügt die Mitbringsel von Missionaren und Seefahrern in den Elfenbeintürmen Europas zu untersuchen. Hierbei konnte es sich um Kulturgegenstände, menschliche Überreste oder auch lebendige Menschen.

Malinowski hatte den kühnen Einfall die indigenen Kulturen in Polynesien vor Ort zu untersuchen. Die Polynesier wurden in ihrem Alltag untersucht.
Malinowskis Hauptwerk "Argonauten des westlichen Pazifiks" erschien 1922. Feldforschung als teilnehmdende Beobachtung könnte wahrscheinlich erklären, wie indigene Fährtenleser arbeiten und denken.
Ein westlicher Wissenschaftler kann das wahrscheinlich schon irgendwann verstehen, es müsste wahrscheinlich ein Sozialwissenschaftler und kein Naturwissenschaftler sein.

Was die Archäologen in Köln tun ist ganz einfach: Sie ignorieren die 100 Jahre Methodenentwicklung der Sozialforschung. Sie untersuchen die Kulturpraktiken von Menschen unter Laborbedingungen. Der verstaubten Methodik des 19. Jahrhundert wird mit den Anschein eines modernen naturwissenschaftlichen Aufbaus neuer Glanz verliehen.:yes:
 
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