Artillerie und Bewegungskrieg 1870/1914

Rurik

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Die Deutschen haben nicht wegen der Ausrüstung gewonnen (beide Seiten hatte ihre Vor- und Nachteile).
Da möchte ich in aller Bescheidenheit widersprechen. Den Krieg haben die kruppschen Kanonen entschieden, wie auch schon im Deutsch-Dänischen Krieg. Die Franzosen wussten gar nicht, wo sie sich vor dem Fernfeuer der preußischen Granaten verstecken sollten. Da half auch die Überlegenheit des Chassepotgewehrs nicht.
 
Da möchte ich in aller Bescheidenheit widersprechen. Den Krieg haben die kruppschen Kanonen entschieden, wie auch schon im Deutsch-Dänischen Krieg. Die Franzosen wussten gar nicht, wo sie sich vor dem Fernfeuer der preußischen Granaten verstecken sollten. Da half auch die Überlegenheit des Chassepotgewehrs nicht.

Zum Teil.

Das französische Gewehrfeuer hatte eine Reichweite die fast doppelt so groß war wie die der Preussen. Das hat in den Gefechten zu hohen Ausfällen geführt und war mancherorts fast entscheidend.

Die französischen Mitrailleusen wurden falsch eingesetzt, wo sie jedoch zum tragen kamen, haben sie auch großen Schaden angerichtet.

Die deutsche Artillerie war dagegen sehr überlegen, es dauerte jedoch erst bis die Bedingungen zustande kamen, dass sie ihre Fähigkeiten beweisen konnten.

Die großen Schlachten zu Beginn des Krieges wurden m.E. mehr durch die schnellere Mobilisation (dabei der effektivere Gebrauch der Eisenbahn und des Telegraphen), geschicktes Maneuvrieren, gute Aufklärung (die Franzosen agierten dagegen fast blind) eine sehr aggressive Vorgehensweise und erst zuletzt duch die Artillerie entschieden, wobei die Artillerie m.E. hauptsächlich die Vorteile der Französischen Kleinwaffen aufhob und die Mitrailleusen ausschaltete.

Entscheidend war sie dann, als die Franzosen sich in Metz hatten einkesseln lassen und der weiteren Reichweite der Kruppschen Kanonen nicht entkommen konnten. Da war die Messe aber schon gelesen.

Im Deutsch-Dänischen krieg war die Preussisch-Österreichische Überlegenheit so groß, dass die Waffentechnische sich kaum beweisen konnte. Da die Dänen bei Düppel gut verschanzt waren, hatte die Artillerie auch nicht so viel Wirkung zeigen können.

Im Deutsch-Österreichischen (bzw. Deutsch-Deutschen Krieg, mein Ur-Opa kämpfte auf der Bayrischen Seite und wurde bei Kissingen verletzt) war dagegen das Zündnadelgewehr tatsächlich entscheidend, die Schlacht bei Königgratz und die vorausgehende Gefechte wurden infanteristisch entschieden, bevor die Artillerie überhaupt richtig zum Einsatz kam. Das dürfte auch ein Grund sein, warum den Franzosen (Napoleon III war ja Artillerist) die preussische Überlegenheit auf diesem Felde gar nicht auffiel, er jedoch größten Druck bei der Modernisierung der Gewehre machte. Das Chasseepot wurde ab 1866 in Windeseile eingeführt um den bei Königgratz erkannten Nachteil der gezogenen Vorderlader gegenüber dem Zündnadelgewehr aufzuholen. (Bis dahin hatte man angenommen, das Reichweite und Zielgenauigkeit der Minie-Gewehre, die höhere Schussfolge ausgleichen würden).

Ich denke, diese drei Kriege sind auch wichtig in der Entstehung der "Illusion des kurzen Krieges": Seit den Befreiungskriegen, waren eigentlich alle Kriege "kurz" und wurden in wenigen Monaten bzw. gar in Wochen, in einigen großen Schlachten entschieden. Im schlimmsten Falle gab es zum Abschluss noch eine Belagerung wie bei Sewastopol, Plewna, Paris oder Port Arthur.
Nur die kolonialen Konflikte haben sich gelegentlich in die Länge gezogen, wurden von den Militärs jedoch nicht als Maßgebend betrachtet.

Einen sich über mehrere Jahre durchgehend hinziehenden Krieg, zwischen großen europäischen Mächten, hatte es seit hundert Jahren nicht mehr gegeben.
 
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Bewegungskrieg als Grundlage der Heeresorganisation

@Bdaian: Eine sehr gelungene Analyse! Die preußische Armee war in keiner der drei Kriegen so sehr technisch überlegen, wie das gerne hingestellt wird! Zu Beginn war die infanteristische Ausrüstung der Preußen ein wichtiger Punkt für die Siege, gegen Frankreich stach dann die (endlich) besser ausgestattete Artillerie. Es war die taktische Flexibilität und die präzisen strategischen Aufmärsche, welche die Preußen letztlich siegen ließen. Gerade der zweite Punkt brachte zu Beginn des Krieges die zahlenmäßige Überlegenheit, die notwendig war, die erfahrene und gut geführte französische Armee vor Abschluss ihres halbherzigen Aufmarsches aus dem Felde zu schlagen. Die republikanischen Massenheeren der späteren Kämpfe bemeisterte man dank besserer Ausbildung und Erfahrung von Soldaten und Führung.


Mit einem großen und langen Ringen rechnete keine der beteiligten Seiten 1914, daher sind auch Überlegungen zu Seeblockaden nicht so gewichtet worden, wie man im Rückblick glauben möchte. Auch der von Staatsräson erwähnte Ausfall belgischer und französischer Industriegebiete in Folge des Schlieffenplanes wurde daher zu Beginn des Konflikts nicht sonderlich beachtet!


Alle beteiligten Armeen hatten eine offensive Grundeinstellung, bei allen Unterschieden in der Gewichtung von Defensive und Festungen... Alle Armeen hatten im Vorfeld ihre Heeresverbände so strukturiert und bewaffnet, um mit ihnen einen schnellen Bewegungskrieg möglich zu machen. Eines der besten deutschen Beispiele hierzu ist die Salpeterkrise, die nur durch die deutsche Chemieindustrie gemeistert werden konnte: Eine Maßnahme, die Falkenhayn sehr nachdrücklich forcieren half! Auch die übrigen Staaten hatten mit den Konsequenzen des entstehenden, zähen Ringens zu kämpfen: Schon früh konnte Russland seine „Menschenreserven“ nicht völlig ausnutzen, weil es an Kampfmitteln fehlte. Die dortige Munitionskrise etwa führte zu der überraschend erfolgreichen Artillerietaktik während der Brussilow-Offensiven. Auch entsendete Russland später Hilfstruppen nach Frankreich, die von den dortigen Verbündeten ausgerüstet und verpflegt werden sollten… Zwar hatten Frankreich und GB nicht eine Salpeterkrise zu bewältigen, doch auch bei ihnen war die Versorgung mit einwandfreier Munition häufig ein Engpass. Es genügte ja nicht Pulver zu haben. Die Qualität der Granaten wurde durch Materialknappheit, fehlende Facharbeiter und eingeschränkte Produktionskapazitäten stark beeinträchtigt. Russland etwa scheint Anfangs geradezu Naiv fest mit kaum beeinträchtigten Lieferungen aus GB und F gerechnet zu haben… Mancher Artillerist aus allen Nationen kam durch Rohrkrepierer zumindest um seine Gesundheit.

Alle beteiligten Armeen hatten prinzipiell bereits vor dem Krieg den möglichen Nutzen der Feuerkraft von Maschinengewehren erkannt. Neben anderen Gründen hielt man sie aber für zu schwer und unbeweglich, weshalb eine stärkere Ausstattung unterblieb. Einzig die Russen zogen die Konsequenz und begannen ab 1904 bei ihrer Kavallerie das leichtere- und damit beweglichere Madsen-MG einzuführen (eine dänische Konstruktion)! Es war eine so überzeugende Waffe, dass Beutewaffen dieses Typs sofort wieder eingesetzt wurden. In der Regel waren alle Armeen mit den schweren, wassergekühlten Maschinengewehren bewaffnet, die auf eine Konstruktion des Briten Maxim zurückgingen: Waffen, die im Bewegungskrieg sehr sperrig waren, im folgenden Stellungskrieg aber eine der wichtigsten Waffen des Krieges wurden!

Die Bewegungskriege des ausgehenden 19. Jhts. hatten immer höhere Anforderungen an die Beweglichkeit der Artillerie gestellt. Zu Zeiten Napoleons hatte man zwischen „Reitender Artillerie“ (meist kleinere Kaliber) und der schwereren Fußartillerie unterschieden. Vor Beginn des 1. Weltkrieges setzten fast alle Staaten recht einseitig auf eher leichte Feldkanonen, die hauptsächlich mittels Schrapnells gegen feindliche Infanterie eingesetzt werden sollte. Grundforderung war eine hohe Beweglichkeit und eher geringes Gewicht. Die deutsche 7,7 cm Feldkanone C 96 n.A. stellte das Rückgrat der Feldartillerie, ergänzt von leichten Feldhaubitzen 10,5 cm des Typs „leichte Feldkanone 98/09“. Frankreich setzte ebenfalls auf die Feldkanone. Mit ihrem legendär werdenden 7,5 cm Canon de 75 mle 1897 besaß Frankreich ein technisch überlegenes Geschütz. Frankreich vernachlässigte wie die meisten anderen Nationen total die frühere „Fußartillerie“: Schwere, schlecht bewegliche Geschütze, die für den angestrebten Bewegungskrieg eher ungeeignet waren.
Einzig das kaiserliche Deutschland, das mit der Notwendigkeit rechnen musste, schwere Festungen erobern zu müssen, leistete sich weiterhin eine schwere „Fußartillerie“, die ab 1896 zur „schweren Artillerie des Feldheeres“ ausgebaut worden war. Sie wurden aufwändig für Mobilität vorbereitet. Standard waren 15 cm Feldkanonen und 21 cm Mörser. Teils mussten die Geschütze für den Transport in mehrere Einheiten zerlegt werden. Entsprechend lange dauerte es, sie für das Gefecht Einsatzklar zu machen – Genau der Punkt, warum diese Waffen in den meisten anderen Armeen bis Kriegsbeginn keine Rolle spielten! Die Zahl dieser Geschütze im kaiserlichen Heer blieb überschaubar. Dieser Fakt mag verwundern, wo doch alle Nationen durchaus starke Festungen in der Zeit vor dem Kriege errichtet hatten. Doch dies unterstreicht nur einmal mehr die Fixierung aller Armeen auf schnell ausgefochtene Kriege! In den anstehenden Stellungskriegen erwies sich die Feldkanone als weniger entscheidend als erwartet: Aus diversen Gründen verschob sich das Verhältnis zwischen Feldkanonen und Feldhaubitzen im deutschen Heer von etwa 3:1 im Jahre 1914 auf rund 1,5:1 bei Kriegsende…. Doch für dergleichen gibt es besser Informierte Mitglieder hier im Forum als mich.
 
@Bdaian und tejason: Sehr schöne Auflistung! :yes:

Bei der Artillerie sollte man aber neben der deutschen schweren Artillerie auch die österreichische (Skoda) erwähnen.
 
@Bdaian und tejason: Sehr schöne Auflistung! :yes:

Bei der Artillerie sollte man aber neben der deutschen schweren Artillerie auch die österreichische (Skoda) erwähnen.

Auf diese wollte ich auch hinweisen. Die belgischen Sperrforts um Antwerpen sind durch geliehene Skoda-Mörser geknackt worden. Die deutschen 21 cm Mörser die zu Kriegsbeginn zur Verfügung standen waren dazu nicht stark genug.

Die deutsche Fußartillerie hatte eine wichtige Rolle die sich jedoch hauptsächlich in den teorethischen Aspekten zeigte. Die Feldartillerie beherrschte weder bei den Franzosen noch bei den Deutschen das indirekte Schiessen. Das höchste was sie konnten war über eine Bodenwelle hinweg aus gedeckter Stellung zu feuern, man hatte jedoch weder Quadranten noch sonstige Ausrüstung um verdeckte Ziele zu bestreichen.

Die Fußartillerie entwickelte jedoch diese Techniken sehr ausführlich, inklusive der notwendigen Signal und Verbindungsmittel, und setzte sie dann bereits im Bewegungskrieg 1914 ein, um den vorrückenden Truppen bei Widerstand Deckung zu geben. Auf alliierter Seite gab es da noch nichts vergleichbares, es wurde jedoch relativ schnell entwickelt in den man auf die eigenen Festungs- und Marineartilleristen zurück griff.
 
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