Aufbau von norditalienischen Republiken

Jetz weiß ich, von wem der Esel-Schweinevergleich stammt. Von einem Florentiner, namens Franco Sacchetti.
Er schrieb über die Genuesen-Esel: " Die Natur des Esels ist folgende: Wenn viele beisammen sind und einer mit einem Stock geschlagen wird, rennen alle auseinander, fliehen dahin und dorthin, so groß ist ihre Schändlichkeit."
und über die Venezianer: " Die Venezianer ähneln den Schweinen und werden deshalb venezianische Schweine genannt, und ihre Natür entspricht tatsächlich den Schweinen, denn wenn man viele Schweine zusammensperrt und eines mit dem Stocke schlägt, drängen sich alle zusammen und rennen den Schlagenden über den Haufen; und das entspricht so ganz ihrer Natur."
 
Besondere Voraussetzungen Venedigs, ein Versuch

Die beste Ausgangsbasis für den Aufstieg Venedigs als selbstständige Stadt war bereits im frühen Mittelalter gelegt: Es lag lange am Rande der Macht & Interessensphären der Langobarden/Karolinger wie der Byzantiner. Als Karl d. Gr. zum Kaiser gekrönt wurde, kam er in Gegensatz zum Kaiser in Byzanz, da sich beide Seiten in der Tradition des Römischen Reiches sahen. Venedig lag im Schnittpunkt beider Mächte und konnte profitieren. Diesen „Startvorteil“ für seine institutionelle Ausgestaltung konnten die späteren Stadtrepubliken nicht mehr aufholen, die in der Regel auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches lagen, Venedig aber nicht (wirklich). Auch konnte es früh international in Erscheinung treten und Kontakte pflegen, weshalb es sich in der Adria ziemlich ohne republikanische Konkurrenz erst einmal etablieren konnte und mit Konstantinopel Zugang zu den wichtigsten Märkten hatte!

Venedig etablierte sich neben seiner Seemacht auch als eine Territorialmacht mit überregionaler Bedeutung. Es band durchaus mächtige Adelsherrschaften in seinen Machtbereich ein, so zum Beispiel Verona. Verona wurde über lange Zeit vom Geschlecht der Scaliger beherrscht, die eine durchaus expansive Politik betrieben und eine mächtige Territorialherrschaft aufbauen konnten. Zu Zeiten Dantes beherrschten sie nicht nur Verona mit Umland, sondern wurden zu den mächtigsten Fürsten Italiens, als sie Belluno, Bassano, Feltro, Padua, Treviso und Vicenza unter ihre Kontrolle brachten. Durch weitere Expansion gelang ihnen das Gleiche mit Brescia, Lucca und Parma. Damit brachten sie ihre Nachbarn gegen sich auf. Eine Koalition unter Einschluss Venedigs ließ diese Macht weitgehend kollabieren. Letztlich war es Venedig, welche den Kern des früheren Machtbereiches der Scaliger übernehmen konnte. Es konnte sich auf ein „Netzwerk“ von Städten auf dem Festland stützen, das von ihm abhängig war. Dergleichen gelang den übrigen Seerepubliken Italiens niemals. Genua lag in Anbetracht der französisch-spanisch-habsburgischen Ambitionen in Norditalien zu ungünstig um neutral bleiben zu können. Seine strategische Lage war dazu nicht geeignet, zumal in seinem Hinterland sehr mächtige Herrschaften lagen, von denen Mailand nur die Wichtigste war. Venedig konnte sich von dieser Macht mithilfe jener Stützpunkte gut behaupten, wie sie einst die Scaliger errichtet hatten. Eine der der bemerkenswertesten Auseinandersetzungen zwischen Mailand und Venedig fand am 20.11.1493 auf dem Gardasee statt, welche die Venezianer mithilfe zum See gebrachter Schiffe für sich entscheiden konnten. (Man google nach „Mit dem Schiff über alle Berge“)

Eine solche territoriale Ausdehnung auf dem Festland wie Venedig konnte keine andere Seerepublik erreichen. Bei Städten wie Genua oder Amalfi wundert es bei ihrer Lage (schwer zugängliches Hügelland, bzw Halbinsel) wenig. Im Falle von Pisa fanden sich in ihrem Umland mehrere, durchaus volkreiche Nachbarrepubliken – wie das bereits erwähnte Florenz oder die einstige Herzogsstadt Lucca. Venedig beherrschte weiterhin weitgehend konkurrenzlos die Adria und wichtige Zugänge ins Byzantinische Reich, wo gute Gewinne generiert werden konnten. Ein wichtiger Aspekt im mittelalterlichen Italien mit seinen mächtigen Condottiere, deren Schlagkraft dem gut zahlenden zur Verfügung stand…

@Aufbau italischer Stadtrepubliken:
Man findet häufig an römisch-republikanische Verhältnisse erinnernde Doppelämter. Nicht selten wurden angesichts der rivalisierenden Adelshäuser einer Stadt gerade militärisch wichtige Posten an Ortsfremde vergeben. Das verhinderte aber nicht immer, dass ein solcher Quereinsteiger eine „tyrannische Herrschaft“ errichten konnte und/oder sich ins Establishment einheiratete… Allgemeines über italische Stadtrepubliken ist kaum zu sagen, zu unterschiedlich waren sie zumindest im Detail und zu unverständlich manche Regelung vor heutigen politischen Erwartungen. Man konzentriert sich ohnehin gerne auf die Seerepubliken, doch gab es noch manche, interessante Republik im Inland. Im Hohen Mittelalter, als Gegner der deutschen Kaiser waren das etwa Mailand, später zum Beispiel Florenz – aus beiden Republiken hatten sich lange vor den Veränderungen, die Napoleon brachte längst machtvolle Herzogtümer gebildet… Mächtige, einst „republikanische Regierende“ hatten oft die Angewohnheit, sich zu Fürsten aufzuschwingen… Das macht die „Verfassungen der Stadtrepubliken“ noch undurchsichtiger!
 
Die Venezianer hatten ihre Stadt dem Meer abgetrotzt , mussten die morastigen Untergründe mit Millionen von, in den Grund gerammten Baumstämmen , für Häuser, Paläste und Kirchen bebaubar machen. Dies schuf offenbar einen vollkommen anderen Gemeinsinn und ein Zusammengehörigkeitsgefühl , welches den, ausschließlich privatwirtschaftlich denkenden und undiplomatischen Genuesen fehlte. Die Streitigkeiten der Adelsfamilien, der die Stadt manchmal unregierbar machte, waren auch der Grund weshalb die Bürger Genuas mehrmals ausländische Mächte, wie den König von Frankreich als Oberherr und Schlichter riefen. Derartiges politisches Chaos gab es in Venedig nicht, was die jahrhundertelange Souveränität sicherte und sie selbst nach dem Verlust seiner wichtigsten Außenposten und seiner Monopolstellung im Gewürz-und Textilhandel noch lange weiterbestehen ließ.
 
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Auch in militärischen Belangen unterschieden sich Venedig und Genua. Die Genuesen verfügten weder über eine staatliche Werft noch über eine, dem Staat unterstellte Flotte. Stets waren es reiche Reederfamilien, die privat, Kriegsgaleeren bauen ließen und unterhielten, die sie auch anderen Mächten verpachteten. Dieses System zeigte besonders im 16. Jh. seine Mängel als die Doria ihre Galeeren und Mannschaften dem Kaiser, Spanien oder der hl. Liga zur Verfügung stellten. Den genuesischen Eigentümern war immer daran gelegen, ihre Schiffe möglichst unversehrt zurückzubekommen. Der Sieg war für sie zweitrangig. So ging die Seeschlacht von Preveza ,gegen die Osmanen verloren, weil Andrea Doria sich mit seinen Galeeren zurückhielt und weitgehend passiv blieb. Auch die Seeschlacht von Lepanto drohte auf der genuesischen Seite zu kippen und man machte sich nach dem Sieg darüber lustig, dass die Kommandogaleere von Gianandrea Doria ,als einziges der spanischen, päpstlichen und venezianischen Flaggschiffe vollkommen unbeschädigt geblieben war. Für Papst Pius und die Venezianer war das Verhalten Dorias Verrat.

Ganz anders in Venedig. Das riesige Arsenal gehörte, samt Kriegsgaleeren und Kriegsgerät der Serenissima. Selbst die großen Handelsgaleeren waren Staatsbesitz und wurden von Geschäftsleuten nur angemietet. Im Kriegsfall mussten diese ihre Ladung im nächsten venezianischen Hafen entladen und die Schiffe der Kriegsflotte zuführen.
 
. Die Streitigkeiten der Adelsfamilien, der die Stadt manchmal unregierbar machte, waren auch der Grund weshalb die Bürger Genuas mehrmals ausländische Mächte, wie den König von Frankreich als Oberherr und Schlichter riefen.

Das war letztlich die Ursache, warum Genuas Macht bereits früh erodierte. Man liest von unablässigen innenpolitischen Wirren, Aufständen, Umstürzen und Staatsstreichen, während die venezianische Regierung ruhig und mit starker Hand den Staat ordnete, verwaltete und sofort diplomatische - und wenn es sein musste kriegerische - Mittel gegen jeden einsetzte, der die Interessen der Markusrepublik störte. So wurde die Adria bereits früh venezianisches Interssengebiet, in dem die Republik keine andere Macht duldete. Das führte in der Frühphase ihrer Geschichte zur Auseinandersetzung mit den Normannen, denen es nicht gelang, Venedigs Vorherrschaft zu brechen.

Und so gab es jedes Jahr zu Himmerfahrt ein großes Fest: In einer prächtigen Staatsprozession fuhr der Doge mit dem goldenen Bucintoro auf die Adria hinaus und vermählte sich mit dem Meer, inden er einen goldenen Ring in die Flut warf. Leider ist der Bucintoro nicht mehr erhalten, da ihn die Soldaten Napoleons weitgehnd vernichteten.

Dennoch muss man sich wundern, wie es bei der schmalen territorialen und demografischen Basis Venedigs gelingen konnte, den Status einer Großmacht zu erreichen und vor allem über mehrere Jahrhunderte zu bewahren. Die Stadt hatte im späten Mittelalter etwa 80 000 bis 150 000 Einwohner. Die Zahlen schwanken und sind auch abhängig von zwei großen Pestepidemien, die etwa die Hälfte der Einwohner dahinrafften. Ein venezianisches Territorium existierte nicht, denn die Ausdehnung auf dem Festland erfolgte erst im 15. Jh. Diese festländische Expansion stieß durchaus auf den Widerstand vieler Venezianer, die der Meinung waren, dadurch würde Venedig in die Kriege der europäischen Großmächte hineingezogen. Dass diese Befürchtung nicht grundlos war, zeigt die spätere Geschichte der Terra ferma.

Und so brachte eine für heutige Verhältnisse kleine Stadt über Jahrhunderte die gewaltigen Mittel auf, immer neue Handels- und Kriegsflotten zu erbauen und auszurüsten, Kriege gegen Großmächte zu führen, mit ihnen Allianzen und Bündnisse einzugehen und schließlich einen jahrhundertelangen Krieg gegen die Türken zu führen - auch wenn der immer wieder von Friedensphasen unterbrochen war.

Die finanziellen Mittel hierfür erbrachten die Kaufleute und der lukrative Handel, den Venedig nahezu als Monopol im östlichen Mittelmeer betrieb. Nach der Eroberung des venezianischen Kolonalreichs im Gefolge des Vierten Kreuzzugs und dem Verschwinden der Konkurrenz Genuas konnte Venedig enormen Reichtum anhäufen, der diese Expansion ermöglichte. Dass sich das Blatt nach der Entdeckung der Neuen Welt und der Verlagerung der Handelswege allmählich wendete, ist die Kehrseite dieser Erfolgsgeschichte.

Das alles nötigt schon Bewunderung ab, was auch für die staatliche Existenz der Republik gilt, die immerhin rund 1200 Jahre währte. Am Ende seines staatlichen Lebens war Venedig eine gebrechliche alte Dame, die sich im Ränkespiel europäischer Mächte nur noch ganz vorsichtig bewegen konnte und auch keine Bündnisse mehr einging. Die Markusrepublik wahrte freundliche Neutralität, auch wenn ihr festländisches Territorium immer wieder von den in Italien involvierten Mächten durchzogen wurde. Aber wie dem auch sei: Die Geschichte der Republik von San Marco endete erst 1797 mit der Besetzung durch Napoleon und der späteren Angliederung an Österreich. Immerhin ein beachtliches Alter, das viele staatliche Gebilde der Vergangenheit nicht erreichten.
 
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Und so gab es jedes Jahr zu Himmerfahrt ein großes Fest: In einer prächtigen Staatsprozession fuhr der Doge mit dem goldenen Bucintoro auf die Adria hinaus und vermählte sich mit dem Meer, inden er einen goldenen Ring in die Flut warf.
Dieses Ritual hatte seinen Ursprung in Ereignissen des Jahres 1000. Venezianische Seeleute hatten bei der Rückkehr von ihren Handelsfahrten, ein gefährliches Gewässer zu durchfahren ;die Adria. Dalmatien war ,mit seinen Inseln und Buchten ein perfekter Unterschlupf für kroatische Piraten. Die Stadt zahlte sogar eine Zeit lang Tribute an die slawischen Seeräuber. Diese hielten sich aber selten an die Abmachungen und überfielen weiterhin venezianische Handelsschiffe.
Am Himmelfahrtstag des Jahres 1000 brach der Doge Orseolo, mit einer Kriegsflotte und einer großen Anzahl Soldaten, zu einem Feldzug gegen die Kroaten auf. Orseolo gelang es teils durch geschickte Diplomatie, teils mit kriegerischer Gewalt die Piraten niederzuwerfen und der Republik tributpflichtig zu machen. Im Triumph kehrte die Flotte nach Venedig zurück und der Dogentitel wurde um den Zusatz Dux Dalmatiae erweitert, den alle Dogen danach ebenfalls führten.
Seit diesen Ereignissen feierte Venedig, an jedem Himmelfahrtstag die Vermählung mit der Adria, die nun zum venezianischen Meer geworden war.
Der Feldzug Orseolos kann als Beginn des Aufstieges Venedigs, das damals noch Untertan Konsantinopels war, zu einer maritimen Macht angesehen werden.
 
Es muss ein prächtiges Bild gewesen sein, wenn man sich dieses Gemälde von Canaletto mal anschaut. http://www.canalettogallery.org/107769/Return-of-the-Bucintoro-on-Ascension-Day-large.jpg
Über den verbleib des Dogenschiffes Bucintoro gibt es zwei Versionen. Die erste besagt, dass ihn Napoleons Soldaten verbrannten, die zweite, dass die Österreicher alle Verierungen abrissen, Kanonen an Bord brachten und den Bucintoro als Wachschiff vor der Lagune verankerten.
 
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Ich bin mittlerweile fündig geworden, was den genuesischen Staatsaufbau anbelangt:

Im J. 1339 ward ein lebenslänglicher höchster Staatsbeamter, der Doge, von dem Volke erwählt. Aber er hatte nicht Macht genug, der Parteiwuth zu steuern. Es wurden ihm endlich Räthe zur Seite gesetzt, und doch ward bei allen Versuchen, eine feste Staatsordnung einzuführen, kein Friede im Innern, ja man unterwarf sich sogar, um aus der unglücklichen Anarchie, die der stete Parteikampf herbeiführte, sich zu retten, einige Male fremder Herrschaft [...] Im J. 1528 erhielt endlich der gährende Staat Ruhe und eine bleibende Ordnung, welche bis zu Ende des 18ten Jahrhunderts fortdauerte. Die Regierungsform war streng aristokratisch. Das Oberhaupt des Staats war der gewählte Doge. Er mußte 50 Jahre alt seyn, wohnte im Palaste der Republik (palazzo della signoria), wo auch der Senat sich versammelte. Der Doge hatte den Vortrag im Senate, der sich in demselben Palaste versammelte. Ohne seine Einwilligung konnte kein Rathschluß gefaßt werden, und die Staatsverordnungen wurden in seinem Namen gegeben. Er blieb nicht länger als zwei Jahre im Amte, dann ward er wieder Senator und Procurator, und nach 5 Jahren konnte er wieder zum Doge erwählt werden. Ihm zur Seite standen 12 Governatori und 8 Procuratori, nicht gerechnet diejenigen, welche Dogen gewesen waren. Jede dieser Würden hatte eine Dauer von 2 Jahren. Von den Governatori wohnten 3, von den Procuratori 2 mit dem Doge im Palaste der Republik, so daß sie von 3 zu 3 Monaten durch andere Amtsgenossen abgelöset wurden. Sie bildeten den geheimen Rath, der mit dem Doge alle Staatssachen besorgte. Die Procuratori waren die Aufseher des öffentlichen Schatzes und der Staatseinkünfte. Die souveraine Gewalt stand erstens bei dem aus 300 Gliedern bestehenden großen Rathe, zu welchem alle Genuesische Edelleute, die 22 Jahre alt waren, gehörten; zweitens bei dem kleinen Rathe von 100 Gliedern. Beide hatten das Recht, mit den Governatori und Procuratori über Gesetze, Zölle, Auflagen und Steuern zu berathschlagen, und in diesen Fällen ward durch Stimmenmehrheit entschieden. Ueber Krieg, Frieden und Bündnisse ward im kleinen Rathe verhandelt, und wenigstens 4 Fünftheile der Glieder mußten einstimmig seyn, wenn ein Schluß abgesagt werden sollte. Der Adel ward in den alten und neuen abgetheilt. Zu dem alten gehörten, außer den Geschlechtern Grimaldi, Fieschi, Doria, Spinola, noch 24 andere, die an Alter, Reichthum und Ansehen jenen am nächsten standen; zu dem neuen Adel aber 437 Geschlechter. Der Doge konnte aus dem alten wie aus dem neuen Adel genommen werden.
Quelle: Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816, Band 5.

Was ich allerdings nicht verstehe: Ist mit "Senat" der Große Rat, der Kleine Rat oder noch ein anderes Gremium gemeint? Was genau waren die "Governatori" und wer saß im Großen, wer im Kleinen Rat?
 
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@Moctezuma, da wirst Du wohl um den Kauf von Literatur, zum Thema nicht herumkommen, wenn Du ein so spezielles Interesse an dem Staatsaufbau der Republik hast. Ich würde es ,an Deiner Stelle mit dem Buch "Genua- die versteckte Weltmacht" versuchen. Nach den Renzensionen müsste das für Dich das Richtige sein.
 
Um noch mal auf Venedig zurück zu kommen: Die Stadt hatte natürlich auch das Glück,,am Rande Italiens zu liegen und durch die seit dem 10 Jahrhundert währende Herrschaft über die dalmatinische Küste den Rücken freizuhaben.Dadurch und durch die konkurrenzlose Stellung als einzige See- und Handelsmacht der Adria konnte die Republik aus einer gesicherten Stellung heraus agieren, solange man sich intern einig war. Und dafür sorgte die ausgeklügelte Balance of Power im Inneren, die mit dem Ratssystem keine der großen Familien zu übermächtig werden ließ und das Staatsoberhaupt,den Dogen letztlich zum machtvollsten, machtlosesten Fürsten in Europa machte, indem es ihm eine Stellung einräumte die der eines Königs in einer heutigen konstitutionellen Monarchie entsprach. Wenn man sich die Verfassungen nicht nur der oberitalienischen Städte sondern auch der freien Reichsstädte oder der französischen und flandrischen Städte anschaut,so stellt man fest,daß das venezianische System mehr oder weniger konsequent und erfolgreich fast überall kopiert worden ist, ein solch ausgeklügeltes System der Machtverteilung und der Machtkontrolle findet man jedoch sonst nirgends.
 
Um noch mal auf Venedig zurück zu kommen: Die Stadt hatte natürlich auch das Glück,,am Rande Italiens zu liegen und durch die seit dem 10 Jahrhundert währende Herrschaft über die dalmatinische Küste den Rücken freizuhaben.

Vorteilhaft für Venedig war zunächst seine Lage im Meer. Getrennt vom Land durch die Lagune mit morastigen Inseln, unwegsamen Fahrrinnen und tückischen Wasserständen war es mit den militärischen Mitteln des frühen Mittelalters kaum möglich, Venedig zu besetzen. Ein Aushungern war wenig wirksam, da die venezianische Flotte im Golf dominierte und für Nachschub sorgen konnte. Daher wurde auch eine Eroberung der Stadt vom Land her nie ernsthaft versucht. Vorstöße des italienischen Frankenkönigs Pippin scheiterten.

Ein weiterer Vorteil war die Zugehörigkeit Venedigs zum byzantinischen Exarchat Ravenna. Dadurch gehörte Venedig nie zu Reichsitalien und die Kaiser konnten keinen politischen Anspruch auf Lehnshoheit erheben. Da aber das Byzantinische Reich seinem venezianischen Außenposten wenig Aufmerksamkeit schenkte und zudem militärisch kaum präsent war, konnte sich Venedig im politischen Windschatten nahezu frei entfalten. Es betrieb dabei eine wirkungsvolle Schaukelpolitik zwischen Byzanz und dem Reich, das immerhin die Lombardei beherrschte - auch wenn seine Macht mit dem Aufstieg der oberitalienischen Handelsrepubliken schwand. Später waren es dann die Habsburger, die im Norden an Venedig grenzten, und die Republik von San Marco mehr als einmal in Bedrängnis brachten.

Schließlich war es der Bau einer effektiven Kriegsflotte, die die Unabhängigkeit Venedigs sicherte. Spätestens um das Jahr 1000 betrachtete Venedig die Adria als seine Einflusszone, in die andere Schiffe nur mit seiner Einwilligung einfahren durften. Die Flotte wurde das Instrument, mit dem Venedig sein Kolonialreich aufbaute und im hohen Mittelalter eine Dominanz im östlichen Mittelmeer erreichte - vor allem nach dem Vierten Kreuzzug und der Eroberung Konstantinopels im Jahr 1204 durch eine vom Dogen Enrico Dandolo geführte Flotte.

Und dafür sorgte die ausgeklügelte Balance of Power im Inneren, die mit dem Ratssystem keine der großen Familien zu übermächtig werden ließ und das Staatsoberhaupt,den Dogen letztlich zum machtvollsten, machtlosesten Fürsten in Europa machte, indem es ihm eine Stellung einräumte die der eines Königs in einer heutigen konstitutionellen Monarchie entsprach. Wenn man sich die Verfassungen nicht nur der oberitalienischen Städte sondern auch der freien Reichsstädte oder der französischen und flandrischen Städte anschaut,so stellt man fest,daß das venezianische System mehr oder weniger konsequent und erfolgreich fast überall kopiert worden ist, ein solch ausgeklügeltes System der Machtverteilung und der Machtkontrolle findet man jedoch sonst nirgends.

Das ist sicher richtig. Das im Verlauf der ersten Jahrhunderte nach Venedigs Gründung entstandene Regierungssystem sorgte dafür, dass keine Adelsclique zu mächtig wurde, die Maßnahmen der Regierung /Signoria jederzeit transparent blieben, Verschwörungen im Keim erstickt wurden und kein Doge eine Erbmonarchie errichten konnte - die wenigen Versuche bezahlten die Dogen mit dem Leben bzw. öffentlichen Hinrichtungen.

Es wird allerdings sichtbar, dass das ausladende System von Großem Rat, Kleinem Rat, Rat der Vierzig, Rat der Zehn und Senat ab dem späten Mittelalter zunehmend unflexibel wurde, für eine Erstarrung der Politik sorgte und Innovationen verhinderte, da seit der Schließung des Großen Rats keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen wurden.

Als Fehler erwies sich besonders, dass die Bevölkerung des venezianischen Festlandbesitzes - der Terra ferma - kein Mitspracherecht hatten. Ihre Repräsentanten konnten nicht in die Regierungsorgane Venedigs gewählt werden. Das verhinderte ein Zusammenwachsen der Inselstadt mit dem Festland und die Herausbildung einer venezianischen Identität bei der festländischen Bevölkerung; obwohl die in den letzten Jahrhunderten den Staatshaushalt Venedigs maßgeblich trug, da der Seehandel aufgrund der Verlagerung in den Atlantik so stark schrumpfte, dass Venedig allmählich zu einem Provinzhafen abgesunken war.

Als Napoleon Venedig eroberte, hatte die Republik von San Marco rund 2,5 Millionen Einwohner. Das war eine Größe, die auch Staaten wie Dänemark ein Überleben sicherte. Da jedoch die Festlandsbewohner nie zu einer venezianischen Identität gefunden hatten, was man allein der Regierung anlasten muss, wurde der venezianische Staat nach Napoleons Sturz zu einer quantité négligeable und verschwand von der Bildfläche. Dass noch andere Effekte hinzukamen, besonders der Wunsch Österreichs, die gesamte Lombardei zu annektieren, ist anzumerken. Auf jeden Fall hatte sich die aristokratische Republik Venedig, wie sie sich Ende des 18. Jh. darstellte, überlebt. Ob Reformen noch etwas bewirkt hätten, sei dahingestellt.
 
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Als Fehler erwies sich besonders, dass die Bevölkerung des venezianischen Festlandbesitzes - der Terra ferma - kein Mitspracherecht hatten.
Fehler ist relativ ... Wir hatten ja auch schon öfters Diskussionen, in denen eher abfällig über das republikanische Rom geurteilt wurde, weil es nicht allen Reichsbewohnern gleiche Rechte verlieh, oder Ähnliches bei griechischen Stadtstaaten mit größerem Untertanengebiet. Und hier eben Venedig ... Wieso machten die alle den "Fehler", nicht durch Gleichberechtigung ihrer Untertanen ihre Machtbasis zu verbreitern?

Dabei wird aber meiner Meinung nach ein wichtiger Punkt übersehen: Je mehr Menschen an der Macht teilhaben, umso weniger Macht hat der einzelne. Hätte Venedig der Bevölkerung seines gesamten Territoriums gleiches Mitspracherecht verliehen, wäre Venedig selbst zu einer Stadt unter vielen seines Territoriums herabgesunken, und die Bewohner Venedigs, erst recht seine Oberschicht, hätten ihre führende Rolle verloren. So wie Berlin zwar die Hauptstadt Deutschlands ist, seine Bewohner aber verglichen mit der Gesamtbevölkerung Deutschlands nur einen Bruchteil darstellen und somit auch keine dominante Rolle innehaben, wäre es auch der Stadt Venedig ergangen.

Das aber spießt sich mit dem Wesen der bzw. dem Streben nach Macht: Was nützt es vom Machtaspekt aus, ein großes Gebiet und eine große Bevölkerung zu haben, wenn man dann darin kaum etwas zu sagen hat?

Normalerweise werden Gebiete erworben, um durch sie mehr Macht zu erlangen, nicht um Macht an die Bewohner der Neuerwerbungen abzugeben. Langfristig gesehen hat es zwar meist negative Folgen, die Masse der Bevölkerung von der Macht fernzuhalten, und führt oft schließlich zum Untergang der Elite ... aber das würde auch eine sofortige freiwillige Machtabtretung. Wenn also die herrschende Gruppe die Wahl hat, sofort auf einen Großteil ihrer Macht zu verzichten, um ein langfristiges Überleben eines gemeinsamen Staates, in dem man aber nur noch eine geringe Rolle spielt, zu ermöglichen, oder aber möglichst lange am Machtmonopol festzuhalten, auch um den Preis, dass das irgendwann in ferner Zukunft zum Niedergang des Staates und somit auch zu dem der eigenen Nachfahren führen könnte - wer mag es ihr da, rein menschlich gesehen, verdenken, wenn sie zweitere Variante wählt? Das natürlich ohnehin vorausgesetzt, dass die herrschende Gruppe überhaupt ein Bewusstsein für diese Problematik hat, also bewusst eine Variante wählt, was meist zweifelhaft sein wird. Doch selbst wenn: Ein gewisses "Hinter uns die Sintflut"-Denken ist ohnehin vielen Menschen eigen, wenn es um "Nachhaltigkeit" (in welchem Zusammenhang auch immer) geht. So etwas wie eine demokratisch-nationalstaatliche Sichtweise darf man natürlich ohnehin nicht in Anwendung bringen, das wäre ein Anachronismus.

Vom Gesichtspunkt des mittelfristigen Machterhalts aus wäre es jedenfalls ein "Fehler" gewesen, den Untertanen volles Mitspracherecht zu verleihen.
 
Vom Gesichtspunkt des mittelfristigen Machterhalts aus wäre es jedenfalls ein "Fehler" gewesen, den Untertanen volles Mitspracherecht zu verleihen.

Die Beteiligung der adligen Familien an den Regierungsorganen hätte die venezianische Identität der festländischen Bevölkerung außerordentlich gefördert. Da das nicht geschah, war die Folge Gleichgültigkeit gegenüber fremden Eroberern.

Was Patriotismus erreichen kann, sieht man am Verhalten der niederländischen Bevölkerung gegenüber der spanischen Macht. Insofern wäre ein Einbinden der Terra ferma in den Staatsapparat aus mehreren Gründen wünschens- und lohnenswert gewesen.
 
Insofern wäre ein Einbinden der Terra ferma in den Staatsapparat aus mehreren Gründen wünschens- und lohnenswert gewesen.
Aber wohl kaum aus der Sicht der herrschenden Oberschicht Venedigs, für die das einen Machtverlust bedeutet hätte. Vielleicht nicht einmal aus der Sicht der einfachen Bevölkerung Venedigs, weil ihre Stadt dadurch ihre hervorgehobene Rolle verloren hätte.

Die Beteiligung der adligen Familien an den Regierungsorganen hätte die venezianische Identität der festländischen Bevölkerung außerordentlich gefördert.
Mag sein, muss nicht sein. Ob eine "venezianische Identität" der Bevölkerung der Poebene wirklich gefördert worden wäre, nur weil ihre Adligen in Venedig mitregieren dürfen?

Dass Beteiligung und Mitbestimmung nicht zwangsläufig zu einer Herausbildung einer gemeinsamen Identität und Stabilisierung des Gesamtstaats führen muss, zeigt das Beispiel Österreich-Ungarn, wo auch die angemessene Repräsentation der verschiedenen Ethnien im Reichsrat der österreichischen Hälfte und die Einführung eines allgemeinen gleichen Wahlrechts letztlich nichts gebracht hat.
 
Aber wohl kaum aus der Sicht der herrschenden Oberschicht Venedigs, für die das einen Machtverlust bedeutet hätte. Vielleicht nicht einmal aus der Sicht der einfachen Bevölkerung Venedigs, weil ihre Stadt dadurch ihre hervorgehobene Rolle verloren hätte. .

Es ging hier nicht um die venezianische Nobilität, sondern um das, was rückblickend für das Überleben der Republik Venedig nützlich gewesen wäre. In diesem Punkt sind sich die Historiker ziemlich einig, dass die Einbindung der Bevölkerung der Terra ferma bzw. ihrer Oberschicht für den venezianischen Staat politisch und wirtschaftlich vorteilhaft gewesen wäre.
 
Venedig hatte auch nie ein Interesse am Schicksal der einheimischen Bevölkerung, in seinen Kolonien gezeigt, die es in abhängiger Knechtschaft hielt und restlos ausplünderte. Die Venezianer blieben verhasste Besatzer und schufen keinerlei Zugehörigkeitsgefühl bei ihren griechischen und slawischen Untertanen. Die hohen, verlangten Abgaben an die Stadt führten auf Kreta sogar zu mehreren Aufständen gegen Venedig, die von venezianischen Landbesitzern angeführt wurden.
Ehen zwischen Venezianern und Einheimischen waren verpönt. Nur in der Rechtsprechung gab es keinen Unterschied. Die Gesetze waren für venezianische Kolonisten die gleichen, wie für die einheimische Bevölkerung und wurden auch gleich angewandt.
 
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