Außenpolitik von Bismarck

Repo schrieb:
Wie kann England durch einen Vertrag den es gar nicht kennt! Nicht kennen kann, von einer Annäherung an den Dreibund abgehalten werden? Den Hildebrand kenne ich nicht, aber damit hat er sich für mich ziemlich erledigt.
Du gibst Hildebrand falsch wieder. Er schreibt, dass Caprivis Einschätzung, England werde durch den RVV von einer Annäherung an den Dreibund abgehalten, irrig war. Folgt man der Logik Deines Beitrages müsstest Du also Hildebrand zustimmen.:rofl:
Repo schrieb:
Ja, ich habe die Meinung eines anderen abgetippt, Sekundärquelle. Aus einem ganz einfachen Grund, die lassen mich einfach an die Primärquellen nicht ran.:D
Ich habe zwar inzwischen den Text des Rückversicherungsvertrags, auch den russ/franz. Vertrag von 1891 und ein paar andere aufgetrieben, es fehlt aber noch der Dreibundvertrag und die Mittelmeer-Entente, und ohne die kann ich mir kein Urteil bilden.
Was Dich leider nicht davon abgehalten hat, in Beitag Nr. 48 bereits Dein Urteil zu verkünden...
Repo schrieb:
also, ich bleibe bei den Sekundärquellen, und habe in den letzten Tagen alles durchgesehen zum Thema. was eben so schnell greifbar war. Alle! erklären Bsimarcks Bündnissystem für "widersprüchlich", wobei Wahl den Widerspruch am kürzesten definiert.
Ich unterstelle einfach mal:
Wahl kannte die Primärquellen, Wahl hat sie richtig interpretiert. Denn wie gesagt, das "widersprüchliche" des Systems betont jeder!
Wir wollten doch diskutieren, also Argumente austauschen. In diesem Teil Deines Beitrags argumentierst Du leider nicht. Du berufst Dich stattdessen auf Autoritäten. Das bringt unsere Diskussion leider nicht voran.
Repo schrieb:
Franzel schreibt einiges zur Schutzzollpolitik und wie auf Bismarcks persönliche Initiative hin, die Reichsbank die Lombardierung russischer Anleihen abgelehnt hat. Russland konnte dadurch keine Anleihen mehr in Deutschland platzieren.
Worauf Russland die Anleihen in Frankreich gezogen hat. In Milliardenhöhe! Was damals sehr viel Geld war. Diese Punkte hätten sehr zur Entstehung der Feindschaft beigetragen.
Auch über diesen Sachverhalt könnte man viel diskutieren. Nur besagt er nichts über die Unverträglichkeit des RVV mit den Bündnissen Deutschlands.;)
Repo schrieb:
Lassen wir Bismarck sein Spiel mit den 5 Kugeln.
Der russische Unterhändler hatte vom Zaren aber schon klare Vorgaben die Verlängerung nur mit Bismarck abzuschließen, er musste sich seine Vollmachten erst erweitern lassen. Um überhaupt verhandeln zu können. Dies ist für mich ein zusätzliches Indiz, dass die Nachfolger dieses Spiel mangels Bereitschaft der mitspieler so nicht mehr weiterführen hätten können.
Du lässt ausser Acht, dass die Russen 1890 sogar bereit waren, auf das ganz geheime Zusatzprotokoll zu verzichten. Von einer mangelnden Verhandlungsbereitschaft der Russen kann also keine Rede sein.

Zu Deinem weiteren Beitrag kann ich vermutlich erst morgen etwas posten.
 
Gandolf schrieb:
Wenn ich Dich richtig verstehe, argumentierst Du nicht mit einer objektiv vorhandenen Widersprüchlichkeit des Rückversicherungsvertrages sondern mit einer möglicherweise von den Österreichern subjektiv empfundenen Widersprüchlichkeit, die objektiv gar nicht bestand.

Stimmt. Dafür fehlt mir der Sachverstand. Repo hat sich da tiefer reingelesen.

Nun ja, nur weil die Össis Verträge möglicherweise falsch verstanden, kann man doch gegenüber Russland nicht auf Diplomatie verzichten.

Sicher nicht. Es ist nur die Frage, welche Art Diplomatie. Geheimdiplomatie, die geeignet war einen wichtigen Partner zu verprellen, weil sie (scheinbar) gegen diesen gerichtet war, könnte schon eine Art Diplomatie gewesen sein, die man vermeiden wollte.
 
Repo schrieb:
Der RVV enthält im "ganz geheimen" Teil den Passus:
"....sollte sich das Russische Reich jedoch genötigt sehen die Verteidigung der Meerengen selbst in die Hand zu nehmen, so wird das Deutsche Reich...."

Dies widerspricht dem Berliner Abkommen von 1878, und genau für diesen Fall, dass Rußland doch nach den Meerengen greifen würde, wurde die Mittelmeer-Entente gegründet. ÖU + Italien waren in der Mittelmeer-Entente und Dreibund-Vertragspartner. Als treibende Kraft stand Bismarck hinter der Mittelmeer-Entente.

Also ich halte das schon für "widersprüchlich"
Diesen Beitrag lob ich mir. Endlich beginnst Du zu argumentieren!:yes:

Aber trifft Dein Argument auch zu?

Um Misstverständnisse zu vermeiden, möchte ich darauf hinweisen, dass die Berliner Kongreßakte (1878) keine spezielle Regelung über die Meerengenfrage (Bosporus und Dardanellen) trifft. Sie bestätigt lediglich in Art. 63 die Fortexistenz des Pariser Vertrags vom 30.3.1856 und des Londoner Vertrags vom 13.3.1871. Der Pariser Vertrag beendete den Krimkrieg. In Bezug auf die Meerengen revidierte er die Meerenkonvention von 1841 (Art. 10). Der Anhang I des Pariser Vertrages enthielt eine neue Meerengenkonvention, deren Art. 1 zufolge, die Meerengen für fremde (= nichtosmanische) Kriegsschiffe in Friedenszeiten gesperrt waren. Der Anhang II des Pariser Vertrages sah die Neutralisierung des Schwarzen Meeres vor. Im Londoner Vertrag vom 13.3.1871 (sog. Pontus-Vertrag) wurde Art 11 des Pariser Vertrages zwar aufgehoben. Aber er bestätigte in Art. 2 das Prinzip der Schließung der Meerengen. Er sah lediglich für die Ausführung der "Stipulationen" (= Schuldverpflichtungen) des Pariser Vertrages eine Ausnahme von dieser Schliessung vor.

Für die Russen bestand somit folgende Situation: das Schwarze Meer war neutralisiert. Die Stärke ihrer Kriegsflotte war durch vertragliche Regeln begrenzt. Die Schliessung der Meerengen behinderte also nicht nur Russlands Möglichkeiten, sondern sie schützte auch Russland vor einem Angriff feindlicher Flotten. Deshalb hatte Russland auch das Interesse, dass der Sultan diese Verpflichtung einhielt. Sollte der Sultan jedoch diese Verpflichtung brechen, musste Russland diesen Vertragsbruch als (Zulassung einer) Aggression bewerten. In diesem Fall war Russland entschlossen, dem Osmanischen Reich den Krieg zu erklären.

Sowohl der Pariser Vertrag als auch der Londoner Vertrag wurden von den Großmächten (E, R, F, DR, ÖU, I, Osm. R) unterzeichnet. Auf dem Berliner Kongreß stritten sich England und Russland über die Frage, ob das Prinzip der Schliessung der Meerengen von den anderen, nichtosmanischen Großmächten auch gegenüber Russland oder nur gegenüber dem Sultan einzuhalten war. England behauptete, dieses Prinzip würde nur gegenüber dem Sultan binden, so dass ein Vordringen der englischen Flotte in das Schwarze Meer, auch ohne Einverständnis des Zaren möglich wäre. In diesem Fall würde nur der Sultan das Völkerrecht brechen. Russland hingegen vertrat die naheliegende Auffassung, dass die Verträge gegenüber jedem Unterzeichnerstaat und somit auch Russland galten. Ohne russisches Einverständnis durfte also dieser Auffassung zufolge keine Kriegsflotte in das Schwarze Meer eindringen. Diese Sichtweise gab der zweite Bevollmächtigte auf der Sitzung des Berliner Kongresses vom 12.7.1878 zu Protokoll.

Der Streit zwischen London und St. Petersburg kreiste eigentlich um eine politische "Mücke". Aber dadurch, dass über diese Frage keine Einigung erzielt werden konnte, war Russland in der Folgezeit bestrebt, sich seine Rechtsauffassung von den anderen Großmächten bestätigen zu lassen. Infolgedessen sah bereits Art. III des Dreikaiserabkommens vom 18.6.1871 vor, dass D und ÖU diese Rechtsauffassung teilen, gemeinsam mit Russland darüber wachen, dass der Sultan sich an das Prinzip der Schliessung der Meerengen hält und dass beide dem Osm. Reich den Krieg erklären werden, wenn der Sultan dieses Prinzip verletzt, bzw. beide mit Krieg drohen werden, wenn eine solche Verletzung bevorsteht. In Art. III des Rückversicherungsvertrages wird dieser Passus inhaltsgleich übernommen. Insoweit führte Berlin lediglich seine bisherige Politik fort. Die Verpflichtung dem Osm. Reich den Krieg zu erklären, konnte also nur dann entstehen, wenn der Sultan das Prinzip der Schliessung der Meerengen verletzte, um einen (englischen) Angriff auf die russische Schwarzmeerküste zuzulassen. Doch für einen Angriff auf R sah weder der Zweibund, noch der Dreibund, noch das Mittelmeerabkommen eine deutsche Bündnisverpflichtung vor (welche denn?). Insoweit kann von einer "Widersprüchlichkeit" oder "Unverträglichkeit" nicht die Rede sein!

Auch aus dem geheimen Zusatzprotokoll ergibt sich keine deutsche Verpflichtung einer russischen Agression beizustehen. Deren Nr. 2 sah zwar vor, dass das Deutsche Reich bei russischen Massnahmen zur Kontrolle der Meerengen wohlwollende Neutralität sowie moralische und diplomatische Unterstützung ausüben würde. ABER dieser Passus enthielt auch Vorbehalte: der Zar musste zur "Wahrung der Rechte Russlands" (hierzu siehe oben) handeln und seine Massnahmen mussten der "Verteidgung des Zugangs zum Schwarzen Meer" dienen. Aus diesen Formulierungen wird deutlich, dass der Rückversicherungsvertrag dem Zaren keinen Freibrief gab, sich die Meerengen unter den Nagel zu reissen.

Schließlich streitet gegen die These, aus dem "ganz geheimen Protokoll" des RVV ergebe sich ein Widerspruch zu den sonstigen deutschen Bündnisverpflichtungen, die übrigens allesamt defensiver Natur waren, dass die Russen 1890 ja bereit waren, einer Verlängerung des RVV auch ohne diesem Zusatzprotokoll zuzustimmen. Dennoch verweigerte Berlin, die Verlängerung des RVV. Dies geschah ganz offensichtlich aus anderen Gründen. Die Widersprüchlichkeits-These war nur vorgeschoben.
 
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Arne schrieb:
Stimmt. Dafür fehlt mir der Sachverstand. Repo hat sich da tiefer reingelesen.
Super! Du berufst Dich auf Repo und dieser auf Dritte... - naja, wenigstens hat er die Meerengenthematik angeschnitten.
Arne schrieb:
Sicher nicht. Es ist nur die Frage, welche Art Diplomatie. Geheimdiplomatie, die geeignet war einen wichtigen Partner zu verprellen, weil sie (scheinbar) gegen diesen gerichtet war, könnte schon eine Art Diplomatie gewesen sein, die man vermeiden wollte.
Geheimdiplomatie war damals üblich. Auf ihren Inhalt kommt es an. Und der des RVV lässt das deutsche Ziel deutlich werden, Russland von einem Bündnis mit Frankreich abzuhalten. Sollte Kaiser Franz-Josef für dieses Ziel keine Sympathie gehabt haben?
 
Gandolf schrieb:
Super! Du berufst Dich auf Repo und dieser auf Dritte... - naja, wenigstens hat er die Meerengenthematik angeschnitten.
Nee, nee..nicht berufen: verweisen!

Jetzt hast du zur Meerengenfrage ja detailliert refereriert. Und wie sieht es mit den beiderseitigen Interessen Rußlands und Österreichs in Bulgarien aus? Rußlands Rechte wurden doch wohl im RVV-Zusatzprotokoll von D anerkannt (auch nach der vorgeschlagenen reduzierten Verlängerungsform). Das war doch ein klarer Gegensatz zu ÖUs Interessen...

Hatten wir auch schon......Wenn auch kein Widerspruch zum (defensiven) Dreibund, aber doch klar gegen Österreichs Interessen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Arne schrieb:
Nee, nee..nicht berufen: verweisen!
Meinetwegen "verweisen". Du verweist also auf Repo und dieser auf Dritte. Doch wo bleiben die Argumente?
Arne schrieb:
Jetzt hast du zur Meerengenfrage ja detailliert refereriert.
Jaja, vielen Dank für die Blumen.:D
Arne schrieb:
Und wie sieht es mit den beiderseitigen Interessen Rußlands und Österreichs in Bulgarien aus? Rußlands Rechte wurden doch wohl im RVV-Zusatzprotokoll von D anerkannt (auch nach der vorgeschlagenen reduzierten Verlängerungsform). Das war doch ein klarer Gegensatz zu ÖUs Interessen...

Hatten wir auch schon......
Auch dieser Einwand kommt mir bekannt vor. Aber unser Meinungsstreit ging ja über die Frage, ob der RVV sonstigen deutschen Bündnisverpflichtungen widersprach. Deshalb kann ich mit Deinem Einwand, vom angeblich klaren Gegensatz zu ÖUs Interessen in Bulgarien recht wenig anfangen. Der eine spricht über Äpfel, der andere über Birnen.:pfeif:

Zudem sollte man auch beim Bulgarien-Problem beim Vertragstext bleiben. Art. 2 Satz 1 des RVV sieht die Anerkennung russischer Einflussrechte auf dem Balkan vor. Satz 2 sieht die Aufrechterhaltung des status quo vor. Kein Vertragspartner durfte - ohne Einverständnis des anderen - den status quo selbst ändern oder der Änderung durch einen Dritten zustimmen. Wenn also Berlin Russland sein Einverständnis zu einer aggressiven Balkanpolitik nicht gab, konnte es auch keine Probleme mit den defensiven Bündnisverpflichtungen des Zweibundes bzw. des Dreibundes geben.;) Ging hingegen ÖU zu einer aggressiven Balkanpolitik über, war diese vom Zweibund/Dreibund nicht gedeckt und konnte sich Berlin entsprechend den Bestimmungen des RVV dieser Politik widersetzen, es sei denn Russland stimmte dieser Politik zu. Auch hier kann ich keinen Widerspruch erkennen.

Die Verpflichtung, Russland bei der Bildung einer bulgarischen Regierung BEIZUSTEHEN, war in Nr. 1 des geheimen Zusatzprotokolls geregelt und nicht im RVV. Und auf diese Beistandspflicht zu verzichten, war Russland 1890 bereit gewesen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Gandolf schrieb:
Meinetwegen
. Und auf diese Beistandspflicht zu verzichten, war Russland 1890 bereit gewesen.

Zwischen Tür und Angel:
Es ist doch für die Einschätzung ob Bismarcks Bündnispolitik widersprüchlich war vollkommen unerheblich auf was die Russen nach Bismarck verzichten wollten.

Grüße Repo
 
Gandolf schrieb:
Zudem sollte man auch beim Bulgarien-Problem beim Vertragstext bleiben. Art. 2 Satz 1 des RVV sieht die Anerkennung russischer Einflussrechte auf dem Balkan vor. Satz 2 sieht die Aufrechterhaltung des status quo vor. Kein Vertragspartner durfte - ohne Einverständnis des anderen - den status quo selbst ändern oder der Änderung durch einen Dritten zustimmen. Wenn also Berlin Russland sein Einverständnis zu einer aggressiven Balkanpolitik nicht gab, konnte es auch keine Probleme mit den defensiven Bündnisverpflichtungen des Zweibundes bzw. des Dreibundes geben.;) Ging hingegen ÖU zu einer aggressiven Balkanpolitik über, war diese vom Zweibund/Dreibund nicht gedeckt und konnte sich Berlin entsprechend den Bestimmungen des RVV dieser Politik widersetzen, es sei denn Russland stimmte dieser Politik zu. Auch hier kann ich keinen Widerspruch erkennen.

Die Verpflichtung, Russland bei der Bildung einer bulgarischen Regierung BEIZUSTEHEN, war in Nr. 1 des geheimen Zusatzprotokolls geregelt und nicht im RVV. Und auf diese Beistandspflicht war Russland 1890 bereit zu verzichten.

Das ist substantiell neu für mich. Der genaue Text liegt mir nicht vor. Gehen wir also davon aus, daß Rußland 1897
a) Einflussrechte auf dem Balkan zuerkannt wurden und
b) eingreifen durfte, wenn die bulgarische Regierung um Hilfe gerufen hätte.

1890 wären sie bereit gewesen auf b) zu verzichten.

Wie war die Lage im Juni 1897? Rußland hatte gerade einen unliebigen Fürsten (Alexander I.) gestürzt, der wurde durch Fürst Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha ersetzt - einen Favoriten Österreichs. Rußland verlor den Einfluß auf Bulgarien. Warum wollte Rußland gerade zu diesem Zeitpunkt den Status Quo festgeschrieben haben? Bestanden Bedenken, Österreich könnte sich Bulgarien einverleiben oder zumindest größeren Einfluß auf die Bulgaren ausüben? Der Serbisch-Bulgarische Krieg, mit ÖU hinter Serbien, war 1886 von den Bulgaren gewonnen worden. Befürchteten die Russen einen zweiten Angriff? Irgendwas scheint da Grund für den Passus gewesen zu sein...

1890 waren die Russen bereit auf die "Beistandsleistung" zu verzichten. Die Lage hatte sich stabilisiert, Fürst Ferdinand hielt sein Land eigenständig zwischen den Großmächten. Rußland wollte nur noch seine Vorrechte festgeschrieben haben. Ganz praktisch bedeutet das für mich, Deutschland sollte ggfl. auf ÖU einwirken, den Einfluß auf dem Balkan nicht versuchen auszuweiten.

Was schrieben die Wikis nochmal zur Kündigung des RVV?
Wikipedia RVV schrieb:
Ursache für die deutsche Entscheidung war die Annahme, dass ein Abkommen mit Russland in Bezug auf den Balkan die deutsche Glaubwürdigkeit gegenüber den Verbündeten Österreich-Ungarn und Italien unterminiere. Die heutige Forschung vertritt allerdings die These, dass ein Vertrag mit Russland durchaus mit dem Dreibund vereinbar gewesen wäre.

Der Schlüssel zu der Lösung scheint also auf dem Balkan zu liegen. Wenn da steht, daß es Deutschland um den Verlust der Glaubwürdigkeit ging, so ist dies ein Problem, was gar nicht auf eine Widersprüchlichkeit von Verträgen hindeutet, sondern tatsächlich um subjektive Widersprüche. Ob Historiker das heute als vereinbar sehen, spielte damals vielleicht gar keine Rolle...(?)
Deutschland war nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich und kulturell Österreichs Partner, das Interessen auf dem Balkan hatte. Nach dem RVV mußte D - per Geheimvertrag verpflichtet - ÖU von weiterer Expansion abhalten.
Jetzt, aus heutiger Sicht mit der Geschichte des Ersten Weltkriegs vor Augen, würde ich mich freuen, wenn man das damals genau so gemacht hätte; am besten offen und per Lautsprecher!

Aber damals schien das ein Punkt für Caprivi & Co gewesen zu sein, den Vertrag auslaufen zu lassen. Österreich sah, meines Wissens, den Balkan als bedrohlichen Unruheherd an. Die letzten Jahrzehnte waren von Unabhängigkeitsbestrebungen und Kriegen geprägt. ÖU sah hierin auch eine Gefahr für den eigenen Vielvölkerstaat. Die Expansion nach Südosten war weniger um das Land zu vergrößern, sondern um Ruhe in das Chaos zu bringen - nach eigenen Vorstellungen. Das war ein Ziel, daß nicht nur "eine Nummer zu groß" für den Vielvölkerstaat war (man brauchte da Rückendeckung) und weiterhin in Kollision zu russischen (und slawischen) Interessen stand.
 
Ich habe jetzt lange gegoogelt und immer nur Hinweise darauf gefunden, daß die Widersrüchlichkeit nicht aus schriftlichen Gegensätzen innerhalb Bismarcks Verträgen kommen, sondern aus prinzipieller Natur, nämlich

a) Seiner Unterstützung für den Orient-Drei-Bund, der gegen Rußland gerichtet ist. Aber gleichzeitig Rußland im RVV den Zugang zum Meer zuspricht.

b) Rußland Rechte auf dem Balkan zusichert, aber gleichzeitig Österreich-Ungarn im Dreibund beisteht.

In dieser Rezension eines neueren Buches von Stefan Kestler "Kaiserlich-deutsche Rußlandpolitik" heißt es

"....dessen Kernstück der deutsch-russische Rückversicherungsvertrag vom Juni 1887 darstellte. Zur Ergänzung dieses Abkommens, das "in deutlichem Gegensatz" zu den übrigen Bündnisverträgen des Deutschen Reiches stand (S.149), regte er außerdem vertragliche Verbindungen zu Großbritannien an."
Quelle:http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=1745

Vielleicht müßte man da mal nachschlagen, worin der Mann die Widersprüche sieht....
 
Ich habe jetzt noch aufgetan:
Den Dreibund DR-ÖU-I, den Beitrittsvertrag Deutschlands zum Vertrag ÖU-Rumänien, alles in gedruckter Form.
(Wird durchgearbeitet - aber nicht heute)

Aber ich habe keine Ahnung woher ich den Mittelmeer-Entente-Vertrag kriegen soll.
Hat einer der Damen und Herren aus dem Alpen-Dollar-Gebiet eine Ahnung, die hat er doch direkt betroffen?

Grüße Repo
 
Von Gandolf wird hier eine Diskussion auf Basis der Primärquellen gefordert.

Objektiv gesehen kann das aber keiner der hier involvierten bringen.
Es fehlt Hintergrundwissen, es fehlt weitgehend der Zugang zu den Quellen usw. usf.
Sowas muss man den Fachleuten überlassen.

Meine Einschätzungen auf Basis der mir vorliegenden Sekundärquellen habe ich abgegeben.

Ich verabschiede mich deshalb endgültig aus dieser Diskussion.


Grüße Repo
 
Repo schrieb:
Zwischen Tür und Angel:
Es ist doch für die Einschätzung ob Bismarcks Bündnispolitik widersprüchlich war vollkommen unerheblich auf was die Russen nach Bismarck verzichten wollten.
Erstens sehe ich keinen Widerspruch zwischen der Pflicht, Russland bei der Bildung einer bulgarischen Regierung beizustehen, und dem Zweibund/Dreibund oder wurde im letzteren geregelt, dass ÖU eine bulgarische Regierung bilden durfte???

Zweitens ging es ja auch eher um die Frage, welche Rolle diese angebliche Widersprüchlichkeit bei der Nichterneuerung des RVV hatte. Und da die Russen 1890 bereit waren, auf diese Beistandspflicht zu verzichten, kann man diese Frage dahingehend beantworten, dass sie eindeutig keine Rolle spielte ... unnötig darüber noch weiter zu diskutieren.
 
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Arne schrieb:
Das ist substantiell neu für mich. Der genaue Text liegt mir nicht vor. Gehen wir also davon aus, daß Rußland 1897
a) Einflussrechte auf dem Balkan zuerkannt wurden und
b) eingreifen durfte, wenn die bulgarische Regierung um Hilfe gerufen hätte.

1890 wären sie bereit gewesen auf b) zu verzichten.

Wie war die Lage im Juni 1897? Rußland hatte gerade einen unliebigen Fürsten (Alexander I.) gestürzt, der wurde durch Fürst Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha ersetzt - einen Favoriten Österreichs. Rußland verlor den Einfluß auf Bulgarien. Warum wollte Rußland gerade zu diesem Zeitpunkt den Status Quo festgeschrieben haben? Bestanden Bedenken, Österreich könnte sich Bulgarien einverleiben oder zumindest größeren Einfluß auf die Bulgaren ausüben? Der Serbisch-Bulgarische Krieg, mit ÖU hinter Serbien, war 1886 von den Bulgaren gewonnen worden. Befürchteten die Russen einen zweiten Angriff? Irgendwas scheint da Grund für den Passus gewesen zu sein...
Vorbemerkungen: Du meinst sicherlich 1887.

Ich habe mir mal "Das amtliche Deutsche Aktenmaterial zur Auswärtigen Politik 1871-1914", hrsg. vom Institut für Auswärtige Politik in Hamburg (1928) angesehen.

Alexander I. hatte mit der Anerkennung der Vereinigung Bulgariens mit Ostrumeliens den Berliner Vertrag verletzt und die "Bulgarische Krise" beschworen. Mit seiner Abdankung (4.9.1886) war diese keineswegs beendet. Es stellte sich nämlich die Frage, wer die neue Regierung bilden sollte. Diese Frage wurde erst am 6.7.1887 entschieden, mit der Wahl Ferdinands I. von Sachsen-Coburg-Kohary durch die bulgarische Nationalversammlung. ÖU, E und I waren geneigt diese anzuerkennen, R und F hielten sie für illegal. Die Fürstenfrage war zu diesem Zeitpunkt also noch ungeklärt. Ferdinand war mutig, reiste nach Bulgarien, leistete den Throneid am 2.8.1887. Gleichzeitig war auch die Regierungsbildung zwischen prorussischen und antirussischen Politikern umstritten.

Bei den Verhandlungen über den RVV, die sich Ende 1886 bis Mitte 1887 erstreckten, versuchte Russland das Deutsche Reich für seinen Standpunkt zu gewinnen. Es bestand auf einem Passus, demzufolge Deutschland ÖU mitteilen sollte, dass "eine Behinderung des russischen Vorgehens, sei es in Bulgarien, in Rumänien oder in Konstantinopel, niemals den >>casus foederis<< zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn ergäbe" (Institut für Auswärtige Politik in Hamburg (Hrsg.), aaO., S. 365 f.). Die Erfüllung dieser Forderung wurde von Berlin strikt abgelehnt. Russland liess diese daraufhin fallen und der RVV wurde am 18.6.1887 in Berlin unterzeichnet. Aus dieser Vorgeschichte wird schon deutlich, dass Berlin auch Russland gegenüber großen Wert darauf legte, in keinen Widerspruch zu den Defensivverpflichtungen des Zweibundes und des Dreibundes zu geraten; ggf. hätte man diesen Schriftverkehr auch in Wien vorlegen können.

Ich stimme Dir zu, dass Berlin im RVV einer Ausweitung des österreichischen Einflusses auf Bulgarien entgegentrat. Schon beim Abschluss des Zweibundes hatte Bismarck ÖU deutlich zu verstehen gegeben, dass D nur gewillt ist, ÖU vor einem russischen Angriff zu verteidigen, aber nicht ÖU bei einer offensiven Balkanpolitik zu unterstützen. Insoweit war dies nichts, was in Wien verwundert hätte.

ABER Berlin verpflichtete Russland im RVV auch, auf jede Änderung des Status Quo auf dem Balkan zu verzichten, es sei denn, Berlin ist mit dieser ausdrücklich einverstanden. Die von Dir angedachte militärische Intervention setzte also nicht nur Bulgariens Einverständnis voraus (sowohl der Fürst als auch der Regierungschef waren proösterreichisch!) sondern auch Berlins Einverständnis.

Der RVV ist also das Werk einer am Erhalt des Status-Quo orientierten Politik; seine Nichterneuerung - so meine ich - das Werk einer Politik, die an eine deutsch-österreichische Interessengemeinschaft und somit auch an die Ausweitung des eigenen Einflussbereiches dachte.
 
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Arne schrieb:
Der Schlüssel zu der Lösung scheint also auf dem Balkan zu liegen. Wenn da steht, daß es Deutschland um den Verlust der Glaubwürdigkeit ging, so ist dies ein Problem, was gar nicht auf eine Widersprüchlichkeit von Verträgen hindeutet, sondern tatsächlich um subjektive Widersprüche. Ob Historiker das heute als vereinbar sehen, spielte damals vielleicht gar keine Rolle...(?)
Deutschland war nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich und kulturell Österreichs Partner, das Interessen auf dem Balkan hatte. Nach dem RVV mußte D - per Geheimvertrag verpflichtet - ÖU von weiterer Expansion abhalten.
Jetzt, aus heutiger Sicht mit der Geschichte des Ersten Weltkriegs vor Augen, würde ich mich freuen, wenn man das damals genau so gemacht hätte; am besten offen und per Lautsprecher!

Aber damals schien das ein Punkt für Caprivi & Co gewesen zu sein, den Vertrag auslaufen zu lassen. Österreich sah, meines Wissens, den Balkan als bedrohlichen Unruheherd an. Die letzten Jahrzehnte waren von Unabhängigkeitsbestrebungen und Kriegen geprägt. ÖU sah hierin auch eine Gefahr für den eigenen Vielvölkerstaat.
Die Expansion nach Südosten war weniger um das Land zu vergrößern, sondern um Ruhe in das Chaos zu bringen - nach eigenen Vorstellungen. Das war ein Ziel, daß nicht nur "eine Nummer zu groß" für den Vielvölkerstaat war (man brauchte da Rückendeckung) und weiterhin in Kollision zu russischen (und slawischen) Interessen stand.
Du stimmst mir also zu, dass die Nichterneuerung des RVV den Boden für eine expansive österreichische Balkanpolitik bereiten sollte? Caprivi hat sich ja auch dahingehend geäussert, dass er das friedenserhaltende Spiel mit den fünf Kugeln nicht beherrscht, in Bündnissen Interessengemeinschaften sieht und deren Wert an der Kriegstauglichkeit misst. Diese Gedanken sind von einem dt./öst-russ. Balkankrieg zur Ausdehnung des pax apfelstrudelcus nicht mehr weit entfernt.
 
Arne schrieb:
Ich habe jetzt lange gegoogelt und immer nur Hinweise darauf gefunden, daß die Widersrüchlichkeit nicht aus schriftlichen Gegensätzen innerhalb Bismarcks Verträgen kommen, sondern aus prinzipieller Natur, nämlich

a) Seiner Unterstützung für den Orient-Drei-Bund, der gegen Rußland gerichtet ist. Aber gleichzeitig Rußland im RVV den Zugang zum Meer zuspricht.

b) Rußland Rechte auf dem Balkan zusichert, aber gleichzeitig Österreich-Ungarn im Dreibund beisteht.

In dieser Rezension eines neueren Buches von Stefan Kestler "Kaiserlich-deutsche Rußlandpolitik" heißt es

"....dessen Kernstück der deutsch-russische Rückversicherungsvertrag vom Juni 1887 darstellte. Zur Ergänzung dieses Abkommens, das "in deutlichem Gegensatz" zu den übrigen Bündnisverträgen des Deutschen Reiches stand (S.149), regte er außerdem vertragliche Verbindungen zu Großbritannien an."
Quelle:http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=1745

Vielleicht müßte man da mal nachschlagen, worin der Mann die Widersprüche sieht....
Vielleicht sollte man aber auch mal unterscheiden zwischen Bündnisverpflichtungen und politischen Interessen der Bündnispartner. Dass ÖU an einer Ausweitung seines Einflusses auf dem Balkan genauso interessiert war wie Russland und zwischen diesen beiden Interessengegensätze bestanden sowie zwischen England und Russland ist unbestreitbar. Doch die Bündnisse, die Bismarck einging, deckten nur bestimmte Teile dieser Interessen ab (die defensiven Interessen). Ob Bismarcks Bündnissystem widersprüchlich war, kann doch nicht auf der Basis der durch seine Bündnisse ungedeckten Interessen sondern sollte auf der Basis der abgedeckten Interessen entschieden werden.

Unter Bismarck war das DR nicht nur ein Verbündeter sondern es stritt sich mit den anderen Großmächten auch über die Frage, wie weit das Bündnis reichte. "Niebelungentreue" wurde nicht zugesichert, "Blankoschecks" gabs keine, "unbedingte Gefolgschaft" auch nicht, "uneingeschränkte Solidarität" auch nicht... Man kann das natürlich "machiavellistisch" nennen. ABER gehört es nicht zum Wesen der Politik gegenüber den Interessen der Anderen ausgeklügelte, differenzierte Standpunkte einzunehmen?
 
Repo schrieb:
Von Gandolf wird hier eine Diskussion auf Basis der Primärquellen gefordert.

Objektiv gesehen kann das aber keiner der hier involvierten bringen.
Es fehlt Hintergrundwissen, es fehlt weitgehend der Zugang zu den Quellen usw. usf.
Sowas muss man den Fachleuten überlassen.

Meine Einschätzungen auf Basis der mir vorliegenden Sekundärquellen habe ich abgegeben.

Ich verabschiede mich deshalb endgültig aus dieser Diskussion.
Eigentlich habe ich von Dir nur gefordert, dass Du Dein Urteil, Bismarcks Bündnissystem hätte Deutschland in einem Kriegsfall auf verschiedene Seiten verpflichten können, näher zu erläutern. Dass dies sinnvollerweise nur anhand der Vertragstexte möglich ist, hängt mit Deinem Standpunkt zusammen. Zudem hast Du selbst geschrieben, Dich zu diesem Thema nur bei Kenntnis der Vertragstexte äussern zu können...:still:

Die Vertragstexte kann man übrigens auch der Sekundärliteratur entnehmen wie z.B. Quellensammlungen, Aktensammlungen, etc. Meines Wissens gibt es diesbezüglich eine relativ kostengünstige Reclamreihe zur Deutschen Geschichte;): www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3150300266/qid=114752264/sr=1-6/ref=sr_1_3_6/302-0248830-8575270 (11 Bände/99 Euro).

Zur Mittelmeerentente (ÖU/I/GB): Ist es gedanklich überhaupt vorstellbar, dass ein Bündnis wie die Mittelmeerentente, an dem Deutschland gar nicht beteiligt war, Deutschland verpflichten konnte (unabhängig von der Frage, ob diese Pflicht in einem Widerspruch zu den Pflichten des RVV gestanden hätte)?:winke:
 
Zuletzt bearbeitet:
Repo schrieb:
Ich

Aber ich habe keine Ahnung woher ich den Mittelmeer-Entente-Vertrag kriegen soll.
Hat einer der Damen und Herren aus dem Alpen-Dollar-Gebiet eine Ahnung, die hat er doch direkt betroffen?

Grüße Repo

Laut Sokol "Des Kaisers Seemacht" gab es die Mittelmeer-entente als Vertragswerk gar nicht.
Sie beschränkte sich auf einen entsprechenden Notenaustausch zwischen den Regierungen.

Grüße Repo
 
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