"Bandengründungen" in DE nach Französischer Revolution? Waisen?

Dennoch ging es nach 1815 mit dem Bandenwesen zuende, und die Gründe dafür werden überaus kontrovers diskutiert.

War es die Modernisierung der Justiz, oder lag es vielmehr daran, dass durch die Verarmung weiter Teile der bevölkerung einfach nichts mehr zu holen war?


Ich persönlich tendiere eher zu letzterer These.

Wie bereits geschrieben:
Ich bin bisher davon ausgegangen, dass die Zeit von ca. 1815 bis 1845 eine Zeit der wirtschaftlichen Prosperität war. Also das Gegenteil der Verarmung der Bevölkerung vorliegen müsste.
Hast Du irgendwelche Nachweise für Deine These, würde mich aus anderen Gründen interessieren.
 
Wie bereits geschrieben:
Ich bin bisher davon ausgegangen, dass die Zeit von ca. 1815 bis 1845 eine Zeit der wirtschaftlichen Prosperität war. Also das Gegenteil der Verarmung der Bevölkerung vorliegen müsste.
Auf die Gefahr hin, Scorpio vorzugreifen:

Soweit man überhaupt von Prosperität reden kann, so kam diese jedenfalls den breiten Bevölkerungsschichten nicht zugute, und das ist auch der Grund, warum in den 30er Jahren der Begriff des Pauperismus aufkam. Zur sozialen Lage hier die Zusammenfassung bei Henning (Die Industrialisierung in Deutschland 1800-1914, S. 105 f.):

1806 bis 1819: Bis auf die Jahre 1810 und 1811 lagen die Agrarpreise zu hoch und damit die Reallöhne zu niedrig, um selbst in Arbeit stehende Personen ausreichend zu versorgen.

1820 bis 1826: Die Not beschränkte sich aufgrund sinkender Agrarpreise auf Bevölkerungsgruppen ohne Arbeit und auf die landwirtschaftliche Bevölkerung, die in ihren Einkommen durch die niedrigen Preise (und häufig noch durch die Ablöseverpflichtungen aus der Bauernbefreiung) empfindlich getroffen wurde.

1827 bis 1835: Auf Grund der wieder ansteigenden Agrarpreise und zurückbleibender Löhne gerieten nach und nach auch diejenigen Einwohner in Not, die ein Arbeitseinkommen hatten. Kinder und Frauen mußten verstärkt von den Familien zur Arbeit geschickt werden, erhöhten damit die Arbeitslosigkeit unter den Lohnarbeitern und drückten die Löhne.

1835 bis 1855: Die Verstädterung nahm immer mehr zu, so saß zunächst noch der Mangel an Industriearbeitsplätzen die vorindustrielle Armutssituation verschärfte und aufgrund des erhöhten Bedarfs in städtischer Umgebung (z. B. Fehlen primärer Hilfe aus Familie und Nachbarschaft) diese Not noch verstärkt wurde.

Dazu Ganze vollzog sich angesichts eines starken Bevölkerungswachstums insgesamt, das ein Ventil u. a. in den ansteigenden Zahlen der Auswanderer fand.

Ob das ausschlaggebend war für den "Niedergang" des Bandenwesens, mag ich nicht beurteilen; die bürokratisch-administrative Erstarkung der Staatsgewalt war sicher genauso wichtig.
 
Oh ja, Heinrich von Kleist - genau, der mit dem zerbrochenen Krug, dem Bettelweib von Locarno oder Michael Kohlhaas - berichtet im Winter 1810/11 in den Berliner Abendblättern, im Übrigen der ersten deutschsprachigen Zeitung, die täglich erschien, berichtet kontinuierlich von einer Mordbrennerbande, welche das Umland von Berlin terrorisierte. Als er keine Polizeiberichte mehr erhielt* und die Zeitung beinahe nur noch aus seinen literaturtheoretischen Texten bestand (etwa Über das Marionettentheater), brach auch das Interesse der Leser weg. Er konnte die Zeitung nur ein gutes halbes Jahr herausgeben.
Jedenfalls war es die Strategie dieser Mordbrennerbande die Berlin und Umland monatelang in Atem hielt, Häuser, insbesondere Bauernhöfe, in Brand zu setzen (und dabei auch Tote in Kauf zu nehmen) um in aller Ruhe anderswo ein Gehöft auszurauben.
Ein paar der Zeitungen sind online, allerdings nur die, welche mit literaturhistorisch bedeutenden Texten Kleists aufwarten können:



bibliotheca Augustana


*Französischer Druck auf die preußische Polizei, noch war Preußen mit Napoleon zwangsverbündet.

Diese Bande war die des Schönen Carls", der später in Magdeburg gehängt wurde. Diese Banditen waren völlig untypisch und spezialisierten sich auf ein Vorgehen, wie es während des Dreißigjährigen Krieges häufiger war. Sie legten Feuer, um im entsprechenden Tumult stehlen oder einbrechen zu können. Dabei legten sie Häuser, Gehöfte und ganze Dörfer in Asche. Dabei kamen insgesamt mehr als 10 Menschen ums Leben.

Die Justiz stand in punkto Brutalität den Banditen nicht nach. Zwei Mitglieder der Bande. Christiane Delitz und Johann Peter Horst wurden 1813 in Berlin als Brandstifter öffentlich verbrannt.
 
Auf die Gefahr hin, Scorpio vorzugreifen:

Soweit man überhaupt von Prosperität reden kann, so kam diese jedenfalls den breiten Bevölkerungsschichten nicht zugute, und das ist auch der Grund, warum in den 30er Jahren der Begriff des Pauperismus aufkam. Zur sozialen Lage hier die Zusammenfassung bei Henning (Die Industrialisierung in Deutschland 1800-1914, S. 105 f.):

1806 bis 1819: Bis auf die Jahre 1810 und 1811 lagen die Agrarpreise zu hoch und damit die Reallöhne zu niedrig, um selbst in Arbeit stehende Personen ausreichend zu versorgen.

1820 bis 1826: Die Not beschränkte sich aufgrund sinkender Agrarpreise auf Bevölkerungsgruppen ohne Arbeit und auf die landwirtschaftliche Bevölkerung, die in ihren Einkommen durch die niedrigen Preise (und häufig noch durch die Ablöseverpflichtungen aus der Bauernbefreiung) empfindlich getroffen wurde.

1827 bis 1835: Auf Grund der wieder ansteigenden Agrarpreise und zurückbleibender Löhne gerieten nach und nach auch diejenigen Einwohner in Not, die ein Arbeitseinkommen hatten. Kinder und Frauen mußten verstärkt von den Familien zur Arbeit geschickt werden, erhöhten damit die Arbeitslosigkeit unter den Lohnarbeitern und drückten die Löhne.

1835 bis 1855: Die Verstädterung nahm immer mehr zu, so saß zunächst noch der Mangel an Industriearbeitsplätzen die vorindustrielle Armutssituation verschärfte und aufgrund des erhöhten Bedarfs in städtischer Umgebung (z. B. Fehlen primärer Hilfe aus Familie und Nachbarschaft) diese Not noch verstärkt wurde.

Dazu Ganze vollzog sich angesichts eines starken Bevölkerungswachstums insgesamt, das ein Ventil u. a. in den ansteigenden Zahlen der Auswanderer fand.

Ob das ausschlaggebend war für den "Niedergang" des Bandenwesens, mag ich nicht beurteilen; die bürokratisch-administrative Erstarkung der Staatsgewalt war sicher genauso wichtig.


Danke.
Aber wie verträgt sich dies damit:
aus: Jürgen Kuczynski, Darstellung der Lage der arbeitenden Klasse 1789-1849, Bd. 1 Darstelleung der Lage der Arbeiter in Deutschland v. 1789-1849, Akademie-Verlag, Berlin 1961, Seite 251

Durchschnittliche Bruttoreallöhne aller Arbeiter 1820-1849 (1900=100)
1820-1829 86
1830-1839 82
1840-1849 75

ein paar herausgegriffene Jahre:
1844 83
1845 77
1846 65
1847 57
1848 79
1849 86

Die Lebenshaltungskosten, 1820-1849 (1900=100) aaO Seite 253
1820-1829 48 bei einer Bandbreite von 35 (1825) und 49 (1820)
1830-1839 56 45 (1834) 57 (1831)
1840-1849 65 50 (1849) 79 (1847)
1844 53
1845 57
1846 68
1847 79
1848 57
1849 50


Womit klar wird (mir zumindest) dass von einer "Verarmung der Bevölkerung" nicht gesprochen werden kann.

Das Problem in jenen Jahren scheint mir eher in, nach schlechten Ernten, periodisch auftretenden stark steigenden Lebensmittelpreisen zu liegen.
 
Aber wie verträgt sich dies damit:
aus: Jürgen Kuczynski, Darstellung der Lage der arbeitenden Klasse
Durchschnittliche Bruttoreallöhne aller Arbeiter 1820-1849 (1900=100)
1820-1829 86
1830-1839 82
1840-1849 75
Die Lebenshaltungskosten, 1820-1849 (1900=100) aaO Seite 253
1820-1829 48 bei einer Bandbreite von 35 (1825) und 49 (1820)
1830-1839 56 45 (1834) 57 (1831)
1840-1849 65 50 (1849) 79 (1847)
Das Problem in jenen Jahren scheint mir eher in, nach schlechten Ernten, periodisch auftretenden stark steigenden Lebensmittelpreisen zu liegen.

Ich finde, das verträgt sich sehr gut miteinander:

  • Die durchschnittlichen Bruttoreallöhne sinken im Betrachtungszeitraum um (86-75) 9 Prozentpunkte.
  • Gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten um (48-65) 17 Prozentpunkte.
Diese Erwägungen führen uns freilich ziemlich weit vom Bandenwesen weg. Sollten wir ein eigenes Thema aufmachen, wo wir etwas tiefer einsteigen können? :winke:
 
Ich finde, das verträgt sich sehr gut miteinander:

  • Die durchschnittlichen Bruttoreallöhne sinken im Betrachtungszeitraum um (86-75) 9 Prozentpunkte.
  • Gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten um (48-65) 17 Prozentpunkte.
Diese Erwägungen führen uns freilich ziemlich weit vom Bandenwesen weg. Sollten wir ein eigenes Thema aufmachen, wo wir etwas tiefer einsteigen können? :winke:

Wenn du die Jahre 1844-1847, die Historiker halten sie für entscheidend für den Revolutionsausbruch, sinkende Löhne, steigende Lebenshaltungskosten, sieht die Sache deutlich anders aus.

Insofern als Grund für das Ende der Räuberbanden auf alle Fälle untauglich.

Aber stimmt, wäre ein Thema wert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn du die Jahre 1844-1847, die Historiker halten sie für entscheidend für den Revolutionsausbruch, sinkende Löhne, steigende Lebenshaltungskosten, sieht die Sache deutlich anders aus.
Ich wüsste nicht, dass hier jemand einen Zusammenhang mit der Revolution hergestellt hat, ich schon gar nicht. :confused:

Vielmehr geht es um diese These:

Ich bin bisher davon ausgegangen, dass die Zeit von ca. 1815 bis 1845 eine Zeit der wirtschaftlichen Prosperität war. ... "So eine Art Wirtschaftswunder"...
Sobald Du Belege hierfür bringst, sage ich Freund Scorpio insoweit sofort Adieu und schlage mich auf Deine Seite. Versprochen! :winke:
 
Ich wüsste nicht, dass hier jemand einen Zusammenhang mit der Revolution hergestellt hat, ich schon gar nicht. :confused:

! :winke:


Hä?

Vielmehr geht es um diese These:

Sobald Du Belege hierfür bringst, sage ich Freund Scorpio insoweit sofort Adieu und schlage mich auf Deine Seite. Versprochen

Dennoch ging es nach 1815 mit dem Bandenwesen zuende, und die Gründe dafür werden überaus kontrovers diskutiert.

War es die Modernisierung der Justiz, oder lag es vielmehr daran, dass durch die Verarmung weiter Teile der bevölkerung einfach nichts mehr zu holen war?

Für mich ging es um diese These.
Die bei Reallöhnen von ca. 80% und Lebenshaltungskosten von ca. 60% der von 1900 als widerlegt gelten kann.


Aber auch für die von Dir unterstellte These, bloß die such ich jetzt nicht.
Sorry, aber ich habe gerade genug Baustellen.:red:
 
Die Modernisierung der Justiz und der Verfolgungsbehörden, die Liquidierung der Kleinterritorien und die lange Friedenszeit sind sicher bedeutende Faktoren für den Niedergang des Bandenwesens...
Diesem Hinweis bin ich nochmal nachgegangen und sehe ihn verifiziert durch die Darstellung, die z. B. Gustav Zimmermann in Die Deutsche Polizei im 19. Jahrhundert (Hannover 1845) gibt. Er stellt mehrere Faktoren als maßgeblich für die Effizienzsteigerung der Strafverfolger heraus (Bd. 1, S. 85 ff.):

  • Trennung von Polizei und Justiz (wichtig wegen der Langwierigkeit justizförmiger Verfahren)
  • Entlastung von Ordnungsaufgaben ("Huren und Vagabonden auspeitschen", "lärmenden Gassenbuben nachrennen" und sonstige "Lumpereien")
  • Strengere Hierarchisierung der Polizeibehörden (Abkehr vom bislang verbreiteten, ebenfalls zeitraubenden Kollegialprinzip)
  • Zentralisation der Weisungsbefugnisse bei der Spitze des Staates (Zurückdrängung des lokalen Einflusses)
  • Anfänge einer zwischenstaatlichen Kooperation der Polizeibehörden
Der Autor gesteht zu, dass "die französische Einrichtung der Polizei stark und theilweise wohlthätig auf die Ausbildung unsers Polizeiinstituts gewirkt hat".
 
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