Bergonzo Betta ein Botta

Mashenka

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Auf den Spuren des Choreographen Bergonzo ›Betta‹

»Eine der ersten Ballettaufführungen fand 1499 anlässlich der Vermählung des Herzogs von Mailand mit Isabel von Aragon in Tortona, Italien, statt. Choreograph der Veranstaltung war Bergonzo Betta, ein Adeliger aus der Stadt Tortona. Sein Beitrag war in der Tat originell. Er gab seinem Werk einen klar erkennbaren Aufbau, der die eheliche Liebe ausdrücken sollte.«

Dieser Text ist fast wörtlich hundertfach in mehreren Sprachen im Web zu lesen und gehört anscheinend zum Katekismus jeder Élevin, die etwas auf sich hält und über Ballettgeschichte Bescheid weiß.

Dass die Jahreszahl falsch ist, verrät bereits der traurige Umstand, dass der hübsche Herzog in 1499 bereits unter der Erde lag. Im Bewusstsein aber, dass es sich in Isabel von Aragóns Umfeld um große Kunstgeschichte handeln muss, hab ich verzweifelt gesucht, bis klar war, man weiß rein gar nichts über einen Bergonzo Betta aus Tortona. Als sei der Mann in der Geschichte kurz aufgetaucht, um eine Ballettaufführung auf die Beine zu stellen, um dann wieder im Nebel der Vergangenheit zu verschwinden.

Zunächst aber die Ereignisse um Isabels Hochzeit:

21. Dezember 1488, Eheschließung per procura (in Abwesenheit der Braut) zwischen Isabel von Aragón und Gian Galeazzo Sforza, Herzog von Mailand.
18. Januar 1489, nach der Seereise aus Neapel erreicht Isabel den Hafen von Genua.
23. Januar 1489, Isabel in Tortona (auf halbem Weg nach Mailand), wo sie Gian Galeazzo Sforza zum ersten Mal trifft. Hier sieht sie ebenfalls zum ersten Mal einen anderen wichtigen Mann in ihrem Leben, Leonardo da Vinci, der hier die Festlichkeiten zu Ehren des Hochzeitspaares organisiert. Hier schlägt auch die große Stunde des besagten Choreographen, mit der er in die Ballettgeschichte eingeht.
1. Februar 1489, Isabel in Vigevano, in der Nähe von Mailand.
5. Februar 1489, große Hochzeit in Mailand mit anschließenden Feierlichkeiten.

Die Chronologie wäre damit vmtl. geklärt. Aber ein Handlungsballet um 1500?

Über die Handlung jener Darbietung berichtet die Literaturzeitschrift Blätter für literarische Unterhaltung vom 10. November 1843:

»Eine ähnliche, viel prachtvollere, fast monströse Darstellung erwähnt Tiraboschi[1], welche von Bergonzo Botta in Tortona 1489 bei der Durchreise der Prinzessin Isabella von Aragonien, Gemahlin des Herzogs Giangaleazzo Sforza, verfasst wurde. Hier erschienen auf der Bühne zuerst Orpheus, Amor und die Grazien, die eheliche Treue, Mercur und die Fama; nach ihnen ziehen herein Semiramis, Helena, Medea und Kleopatra, welche verrufene Weiber von der ehelichen Treue hart angefahren, im Wettstreit besiegt, zum Schweigen und zur Flucht gebracht werden; nach ihnen treten als entgegengesetzte Tugenden auf Penelope, Lucretia, Tomyris, Judith, Parzia[Parca?] und Sulpicia, welche natürlich den hohen Zuschauerinnen manches Schmeichelhafte sagen, und den Zug schließt Silenus.«

1. Girolamo Tiraboschi, Storia della letteratura italiana di Girolamo Tiraboschi: Dall'anno 1400 fino all'anno 1500, Presso Molini, Florenz, 1809, Band 3, S. 875.

Tiraboschi erwähnt Bottas Tanzaufführung nur kurz als Fußnote, sodass Stefano Arteagas Rivoluzioni del teatro musicale italiano (1783/1785), das 1789 in deutscher Übersetzung erschienen war, der Zeitschrift als Quelle gedient haben muss. Bei Arteagas ausführlicher Beschreibung (weshalb ich sie hier nicht poste) wird klar, dass die eigentliche Handlung aus dem Auftragen der Gerichte durch mythologische Gestalten bestand, wonach jedesmal noch eine Tanzeinlage folgte. Einzig die Szene zur Ermahnung der Braut zur Treue kann als dramaturgische Handlung bezeichnet werden, wo jene »verrufenen Weiber« von den Verführungen der Liebe erzählen, worauf sie von Liebesgöttern tanzend aus dem Saal gejagt werden, indem ihnen sogar Haarbänder und Schleier in Brand gesteckt werden. Doch rein vom Tänzerischen her, waren die Bewegungen sicherlich einstudiert, d.h. von Bergonzo Botta ausgedacht, also choreographiert.

Sucht man nach Bergonzo Botta, stößt man schnell auf den Schatzmeister von Mailand, der in der Umgebung von Tortona einige Besitztümer hatte und als einer der reichsten Männer Italiens galt. Botta war 1454 geboren, also kein junger Hüpfer mehr bei der Inszenierung. Heute denkt man, Tanzdarbietungen seien damals eher ein vornehmes Herumstolzieren gewesen. Aber die Beschreibung der Inszenierung deutet auf recht expressionistische, z.T. wilde Tänze, die eher an die Ballets Russe anfangs des 20. Jhs. erinnern als an barocke Hoftänze. Da muss sich also ein reicher Mann ganz schön ins Zeug gelegt haben.

Wenn Ihr Korrekturen zu meinen Ausführungen, oder mehr zu diesem Fest, bzw. mehr über Bergonzo Botta wisst, dann sehr gerne! Meine Identifikation des Choreographen mit dem Schatzmeister von Mailand fand ich bisher nirgends belegt.
 
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