Besiegt oder Befreit?

xxxx

  • xxxx

    Stimmen: 8 42,1%
  • xxxxx

    Stimmen: 11 57,9%

  • Umfrageteilnehmer
    19
  • Umfrage geschlossen .
heinz schrieb:
Mir wurde erzählt, dass Kartoffeln von ihnen in der Toilettschüssel gewaschen wurden, dann wurde Wasser gezogen und man wunderte sich, dass die Kartoffeln weg waren.

Diese Anekdote ist sogar bis in meinem Wald vorgedrungen.

Ich hoffe mal für dich, du hast nicht alles geglaubt, was dir deine Ostverwandschaft vorgejammert hat, nur um mal ein Packet mehr zu bekommen.
 
Nach langem Nachdenken muss ich zu der Frage aber auch noch einmal etwas loslassen.
An mehreren Stellen wird behauptet, ein grosser Teil der Bevölkerung hätte sich eventuell nicht unterdrückt gefühlt. Das sehe ich aber ganz anders.
Deutschland befand sich in einer militärisch aussichtslosen Lage.
Die Soldaten wurden, ich nenne es mal, verheizt in sinnlosen Kämpfen. Denkt mal an die Endphase des U-Boot-Krieges. Die Besatzungen bestanden fast nur noch aus Jugendlichen (um die 17). Wenn sie einberufen wurden lebten sie durchschnittlich noch 3 Monate.
Ich glaube spätestens ab diesem Zeitpunkt fühlte sich die grosse Mehrheit der Deutschen durch die Kapitulation doch von einem mörderischen Regime befreit.
 
Ich lese eben in 1945. Kriegsende und Neubeginn im Westmünsterland (1995):

Beim Einmarsch war den britischen Soldaten jeglicher Kontakt mit der Bevölkerung untersagt. Doch irritierte sie der Widerspruch zwischen Fakten, Propaganda und persönlichem Erleben: das bekanntwerdende Ausmaß der NS-Verbrechen - z.B. hingen Fotos aus den KZs in den Geschäftszimmern der Einheiten - schienen vorgefasste Meinungen zu bestätigen, aber der persönliche Umgang mit den Menschen vermittelte einen anderen Eindruck und machte die Tatsachen noch unbegreiflicher. Was ein Besatzungsoffizier über die Bocholter sagte, galt gewiss für viele Deutsche: sie fühlten sich befreit, aber wussten nicht, wovon.
 
Ich lese eben in 1945. Kriegsende und Neubeginn im Westmünsterland (1995):

sie fühlten sich befreit, aber wussten nicht, wovon.

Wirkt wie ein treffendes Zitat, zumindest für einen Teil der Bevölkerung. Wobei ich nicht ganz über das Wort "befreit" hinwegkomme. Können Menschen das für sich in Anspruch nehmen, wenn sie das Regime bis 1-2 Jahre zuvor noch zu größten Teilen voll mitgetragen haben? Ernste Frage, ich habe da keine gute moralische Antwort drauf.
 
Ich kann mit dieser "Befreiung" nichts anfangen. Sie ist natürlich aus der Sicht der politischen Parteien von 1985 nachvollziehbar. Ich bin ein Bewunderer von Richard von Weizsäcker. Er war für mich einer der großen deutschen Politiker der Bonner Republik. Hier kann ich seine Idee dieser Rede verstehen, aber nicht teilen. Was war denn die Realität:

  • Deutschland hat 24 % seiner Fläche verloren. Wie konnte sich jemand aus Stettin, Breslau oder Königsberg befreit fühlen? Von was, von materiellen Verpflichtungen wie Haus und Mobiliar?
  • die Eroberung durch die Alliierten ging meines Wissens häufig mit Verbrechen einher. Die sowjetischen Straftaten wie Massenvergewaltigungen sind allgemein bekannt. Ein ähnliches Verhalten von Franzosen und US-Amerikaner wurde und wird von den Medien weitgehend verschwiegen. Schließlich waren dies nach 1945 unsere Verbündete und Beschützer vor asiatischen Horden
  • Deutschland wurde - wie zuvor die von uns besetzten Gebiete - schamlos ausgeplündert. Wenn ein Zug von der britischen in die französische Zone fuhr, kam danach nur Bahnschrott zurück, Die Franzosen klauten jeden Waggon der sich aus der britischen Zone in die französische Zone bewegte. Dies wurde dann durch marodes Material der Franzosen ausgetauscht und in dieses dann in die britische Zone zurück geschickt. Es gibt französische Berichte von Besatzungsoffizieren das sie die beste Zeit ihres Lebens nach 1945 in Deurtschland verbracht hatten. Hier lebten sie in Luxus und mit Personal. Dies war nur vergleichbar mit den Leben von Kolonialbeamten in Französisch Indochina
  • Befreit wurden Sozialdemokraten, Kommunisten, Zeugen Jehovas, Schwule und eine handvoll überlebende Juden. Ausländische Displaced Persons zogen durch das Land und plünderten. Wurde ein Einheimischer dabei erschossen, wen interessierte es. Wer wollte sich wo beschweren?
Und schlussendlich:
Ich finde es schäbig, wenn ich im Fernsehen irgendeine Doku sehe mit einer Botschaft, "Nazi-Deutschland" habe dies und jenes Verbrechen begangen. Das habe doch nichts mit den Deutschen zu tun. Wer bitte, hatte den dieses Regime 12 Jahre lang unterstützt und das Personal gestellt? Das waren nicht irgendwelche Nazis, sondern wir Deutschen - zumindest unsere Großeltern-Generation.

In weiten Teilen meiner Familie fühlte sich niemand befreit. Meine männlichen Vorfahren mütterlicherseits waren bekennende Nazis. Mein Großvater hat bis zu seinem Tod dem NS-Regime die Treue gehalten. Auch von meinen Onkels habe ich noch in den 1980er / 1990er Jahre Aussagen gehört, die mich völlig fassungslos machten. Auf manchen Familienfesten wurde von den älteren Herren zur später Stunde alte "Kampflieder" angestimmt und Helmut Kohl als "Shmuel Cohen" bezeichnet.

Mein Großvater väterlicherseits war zwangsweise zur Waffen-SS eingezogen worden. Dieser Familienzweig hatte in der alten Heimat eine Firma und anderen Besitz verloren. Über den 2. Weltkrieg wurde in der Familie grundsätzlich geschwiegen. Aber befreit wurde dieser Familienzweig auch keinesfalls. Die Hoffnung auf ein Deutschland unter Einschluss von Österreich und Deutsch-Böhmen - für immer vorbei. Das wäre diesem Familienzweig wichtig gewesen.

Ich habe den alten Faden jetzt nur überflogen. Und ja, viele Argumente für und wider sind schon ausgetauscht. Und ich wiederhole daher nur. Deshalb zitiere ich mal unser geschätztes Mitglied Ogrim. Es ist schon alles gesagt, aber noch nicht von mir. :D
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin der Ansicht, dass 1945 auch das deutsche Volk befreit wurde. Befreit vom Nationalsozialismus mit dem es sich viel zu intim gemein gemacht hat und von dem es unfähig war, sich selbst zu befreien.

Nordhessen ist recht glimpflich davongekommen. Seine Metropolis Kassel war Oktober 1943 dem Erdboden gleichgemacht worden, und auch kleinere Orte haben etwas auf den Hut bekommen, aber die meisten Städte standen noch, und die Amerikaner zeigten sich als faire Sieger. Es kam nicht zu massenhaften Vergewaltigungen oder zu all den Grausamkeiten, die den Vormarsch der Roten Armee schon in Ungarn und Rumänien begleitet haben.

Frauen, Kinder und Fahrräder waren sicher vor den Amerikanern.

Es endeten endlich die Luftangriffe, es waren keine Sirenen mehr zu hören. Der Krieg ging endlich vorüber, es endete die Angst um Familienangehörige, um Ehemänner, Brüder und Väter.

Es musste nicht mehr verdunkelt werden, es mussten nicht mehr die Türen abgesperrt werden, wenn man sich eine Sendung der BBC oder von Radio Luxemburg anhörte. Es endete die Angst, zum Tode verurteilt zu werden, weil man eine Sau geschlachtet, einen Witz weitererzählt oder Zweifel am Endsieg geäußert hatte.

Vereinzelt kamen auch die ersten Männer aus dem Krieg zurück, viele hatten Abenteuer homerischen Ausmaßes erlebt und mancher hatte sich unter abenteuerlichen Bedingungen durchgeschlagen.

Es endete der Terror! Es wurden die Konzentrationslager und Gefangenenlager befreit. Es ging das Morden zu Ende, es ging die Zeit der Angst, der Paranoia zu Ende. Es endete die Sorge, von Nachbarn und Mitbürgern denunziert zu werden. Es endete die Zeit der verbotenen Bücher, der entarteten Kunst, des staatlich verordneten Kulturbanausentums. All die Grimmes, und Beumelburgs, und Flex verschwanden mit Mein Kampf und dem Mythus des 20. Jahrhunderts da wo sie hingehörten: in den Keller oder Speicher, wohin auch die Führerbilder und -Büsten verschwanden.

Es endete die Zeit der Angst: Angst vor Fliegerangriffen, Angst vor Blockwarten, Angst vor dem Briefträger, der schwarzumrandete Briefe zustellte, in denen den Hinterbliebenen mitgeteilt wurde, dass der Mann oder Bruder für Großdeutschland gefallen ist, oder auch Briefe, in denen mitgeteilt wurde, dass Israel Soundso oder Sarah Soundso an Herzversagen im Osten oder im Schwarzwald verstorben ist und der Hinterbliebene soundsoviel für dessen Entsorgung bezahlen muss.
Es endete die Zeit des Misstrauens, dass Klima der Angst und Denunziation.

Es waren viele der alten Nachbarn verschwunden, es waren vor allem die Juden verschwunden, es kamen aber neue Nachbarn. Aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern oder auch aus Siebenbürgen und der Bukowina.

Wie es weitergeht und wie es weitergehen soll, dass war häufig völlig unklar, dass es aber weitergeht und weitergehen muss- dass war doch allgemeine Überzeugung.
 
Mein Problem mit dem Begriff "befreit", im Bezug auf das Jahr 1945 wäre, dass in meinem Verständnis sich eine Befreiung dadurch auszeichnet, dass sie die Freiheit zur Folge hat.
Dazu gehört für mich, aber wenn man auf der Ebene der Gesamtbevölkerung oder Deutschlands argumentiert nicht nur die persönliche Freiheit des Einzelnen, sondern auch die Freiheit der Bevölkerung die Belange ihres öffentlichen Zusammenlebens ohne Bevormundung durch andere selbst zu regeln.

War das der Fall? Ich meine nein. Jedenfalls nicht unmittelbar.

Im Osten ohnehin nicht. Auch der Westen des Landes wurde besetzt, geteilt und überregionale politische Selbstbestimmung erstmal unterbunden, während sich die Besatzungsmächte zunächst alle wichtigen Entscheidungen in überregionalen Angelegenheiten selbst vorbehielten.

In den 1950er Jahren nach der Wiederherstellung eines zusammenhängenden deutschen Staatsgebiets, der Ablösung des Besatzungsstatuts und der normalisierung des völkerrechtlichen Status der Bundesrepublik und der weitgehendenn Normalisierung der interntationalen Beziehungen, wird man sicherlich davon ausgehen können, dass damit für den westdeutschen Staat ein Grad an Souveränität erreicht war, der die Freiheit der Bevölkerung ihre Belange ohne auswärtige Bevormundung selbst zu regeln, nicht mehr behinderte.
An diesem Punkt um 1955 herum würde ich von einer tatsächlich abgeschlossenen Befreiung sprechen.

1945 wurde die Gewaltherrschaft des NS-Systems mit all ihren verbrecherischen Auswüchsen beendet, wofür man nur dankbar sein kann, allerdings die Freiheit für das Land oder seine Bevölkerung, abseits der persönlichen Ebene waren die danach folgenden Jahre der Besatzungherrschaft bis in die 1950er Jahre hinein sicher nicht.

Von dem her scheint mir der Begriff "Befreiung" unpassend, zumindest wenn man ihn auf den direkten Kontext des Jahres 1945 oder die unmittelbar folgende Zeit bezieht.

Den Begriff "besiegt" halte ich auch nicht unbedingt für passend, jedenfalls wenn man ihn auf die gesamte Bevölkerung beziehen wollte, denn das würde erstmal voraussetzen, dass diese Bevölkerung aktiv gekämpft hätte.
Mindestens im Westen, dachte der weitüberwiegende Teil der Zivilbvölkerung aber überhaupt nicht daran, irgendwelchen ernsthaften Widerstand im Sinne eines Volkskrieges zu leisten, sondern war einfach froh, wenn die Briten oder Amerikaner einrückten, so dass man ihnen den Ort möglichst kampflos und mit wenig Zerstörung übergeben konnte und der ganze Spuk endlich vorbei war.
Da wurde die Möglichkeit der Kapitulation und sich unter den Schutz der alliierten Streitkräfte zu stellen weitgehend eher herbeigesehnt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin der Ansicht, dass 1945 auch das deutsche Volk befreit wurde. Befreit vom Nationalsozialismus mit dem es sich viel zu intim gemein gemacht hat und von dem es unfähig war, sich selbst zu befreien.
Dem - und auch dem Rest deines Beitrags - stimme ich zu.

Lediglich zu diesem Statement
All die Grimmes, und Beumelburgs, und Flex verschwanden mit Mein Kampf und dem Mythus des 20. Jahrhunderts da wo sie hingehörten: in den Keller oder Speicher, wohin auch die Führerbilder und -Büsten verschwanden.
habe ich eine Ergänzung zu machen: Es waren offenbar zu viele, die Nazi-Devotionalien vielleicht mit dem Hintergedanken aufbewahrten: Man kann ja nicht wissen, was noch kommt. Und jetzt, nach beinahe 80 Jahren, sind sie bei manchen Enkeln wieder begehrt. Aber leider nicht wegen ihres historischen Wertes, sondern wegen der Ideen, die sie repräsentieren.
 
Dem - und auch dem Rest deines Beitrags - stimme ich zu.

Lediglich zu diesem Statement habe ich eine Ergänzung zu machen: Es waren offenbar zu viele, die Nazi-Devotionalien vielleicht mit dem Hintergedanken aufbewahrten: Man kann ja nicht wissen, was noch kommt. Und jetzt, nach beinahe 80 Jahren, sind sie bei manchen Enkeln wieder begehrt. Aber leider nicht wegen ihres historischen Wertes, sondern wegen der Ideen, die sie repräsentieren.


Ich habe mich als Kind und auch später als Erwachsener immer wieder gefragt, wozu die das aufgehoben haben. Manches war ja geradezu bizarr. Das Bizarrste was ich zu Gesicht bekam, waren arische Christbaumkugeln in gotischer Schrift mit deutschem Gruß. Rest einer Kollektion , die 1945 den Amerikanern in die Hände fiel. Die GIs müssen sich gefreut haben. Meine Oma sagte immer, sie gingen wie fröhliche Kinder die soeben beschert wurden. Schwer belastendes Material hatte meine Großtante im Misthaufen versteckt.

Mein Großonkel war ein 150 Prozentiger. Wegen Einnahme einer Höhe bekam er das Ritterkreuz, und er war Zeitlebens überzeugt, dass der NS gute Ideen hatte, die schlecht ausgeführt wurden.

Aber auch der wünschte sich nicht ernsthaft die Nazis zurück, und als sie dran waren hat ihm auch manches nicht gepasst. Zum Beispiel wollte er sich nicht vorschreiben lassen, mit wem er Viehhandel betrieb.
 
Zurück
Oben