Im Allgemeinen muss der Alphabetisierungsgrad im späten 17./18. Jh. doch nicht ganz so verherend niedrig gewesen sein, wie man gemeinhin annimmt.
Die Schwierigkeit dieser Frage trat schon bei anderer Gelegenheit zu Tage, z. B. bei
http://www.geschichtsforum.de/f77/schulpflicht-im-mittelalter-23348/:
- Was meint "Bildung"? (Allgemeinbildung?)
- Was meint Alphabetisierung? (Lesen können? Unterschreiben können? Mehr als die Unterschrift schreiben können?)
Im Grunde kann man fürs 17. Jahrhundert nicht entscheidend mehr sagen als für die Jahrhunderte davor, was die Bildung des "einfachen Volkes" betrifft. Einen sehr erhellenden Beitrag findet man in Band 3 der "Geschichte des privaten Lebens" (Hg. Ariès/Duby, 1991, S. 115-165): "Die Praktiken des Schreibens" von Roger Chartier. Verfasser nennt darin auch einzelne Daten zur Situation in Frankreich. Beispiel:
Wenn möglich, sollten die Ehegatten ihre Vermählung in den Kirchenbüchern per Unterschrift dokumentieren. Nach einer 1877 vorgenommenen Auswertung der Kirchenbücher zwischen 1686 und 1690 "unterschrieben nur 29 % der Männer und 14 % der Frauen"; ein Jahrhundert später waren es 48 % bzw. 27 % (S. 117).
Dabei handelte es sich aber, im Gegensatz zum 19. Jh., keineswegs um einen irreversiblen Prozess - Rückschläge blieben nicht aus:
In der Provence war "bei den Schülergenerationen in dem halben Jahrhundert von 1690 bis 1740 eine Stagnation, ja, ein deutlicher Schwund der Alphabetisierungsrate ... zu verzeichnen" (S. 118 f.).
Interessant auch der Hinweis auf die Verbreitung von Büchern in Privathaushalten:
In Paris führten zwischen 1750 und 1760 nur 22 % der Nachlassverzeichnisse Bücher auf, in Lyon immerhin 30 % - in Tübingen hingegen 89 %, in Speyer 88 % und in Frankfurt 77 %! (S. 133)
Letzteres, so der Autor, hatte eindeutig eine konfessionelle Kompenente! Am Beispiel der Stadt Metz:
Hier sind zwischen 1645 und 1672 in 70 % der protestantischen, aber nur in 25 % der katholischen Nachlassverzeichnisse Bücher aufgeführt. Das spiegelt sich auch bei einzelnen Berufsständen: 75 % der reformierten Adligen, aber nur 22 % der katholischen besaßen Bücher (S. 134).
Von daher könnte man die These entwickeln, dass insbesondere die Religionspolitik Ludwigs XIV. - Vertreibung vieler Hugenotten! - das Bildungswesen insgesamt deutlich zurückgeworfen haben könnte. Aber wie gesagt: nix Genaues weiß man nicht.