Birkenpech ohne Keramik

Wsjr

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Seit einiger Zeit ist ja bekannt, dass bereits die Neandertaler Birkenpech genutzt und produziert haben.
Schaut man sich mal die Fundstelle in Campitello, die bis heute älteste bekannte, so hat man in dem Waldelefantenskellet 3 Abschläge wovon 2 Birkenpech enthalten. Das Pechstück an einem der Abschläge ist fast so groß wie der Abschlag selber.
Interessant ist halt, dass die Abschläge unretuschiert waren und nur zum einmaligen Gebrauch genutzt wurden und dann weggeworfen. Wenn man solche Wegwerfgegenstände trotzdem noch mit Birkenpech an einen Schaft klebt, dann kann das nur heißen, dass Birkenpech nichts unglaublich wertvolles war, sondern etwas einfach und in großen Mengen herzustellendes.


[FONT=Arial, sans-serif]P. Mazza ,F. Martini.,B. Sala, ,[/FONT][FONT=Arial, sans-serif]M. Magi, M. Colombini, G. Giachi,F. Landucci,[/FONT]
[FONT=Arial, sans-serif]C. [/FONT][FONT=Arial, sans-serif]Lemorini, A new Palaeolithic discovery: tar-hafted stone tools in[/FONT]
[FONT=Arial, sans-serif]a European Mid-Pleistocene bone-bearing bed. Journal of Archaeological[/FONT]
[FONT=Arial, sans-serif]Science 33, 2006, S.1310-1318.[/FONT]


Lange Zeit galt die Auffassung, dass man für die Herstellung von Birkenpech zwei Gefäße braucht wo das Pech durch trockene Destillation und Kondensation im Doppeltopfverfahren gewonnen wurde. Das liegt aber vor allem daran, dass man frühneuzeitliche Teermeilertechnik und die ersten Laborversuche Sandermanns und Rottländers welche ihre Versuche in Glaskolben mit Auffanggefäßen durchführen einfach ins Neolithikum übertrug.
Dann muss man sich aber fragen, wo sind die Retortensysteme? Weiner gibt für das Neolithikum gerade mal eine Hand voll Funde von Keramik mit Birkenpech an, wobei bei einigen eindeutig eine Reparatur im Vordergund steht. Dies steht in keinem Verhältniss zum reichlichen Einsatz von Birkenpech in neolithischen Siedlungen. Dazu kommt dann noch dass man KEramik für eine Zeit vor dem Neolithikum ohnehin nicht annehmen kann.


[FONT=Arial, sans-serif]J. Weiner, Wo sind die Retorten? Überlegungen zur Herstellung von Birkenpech im Neolithikum. Acta Preahistorica et Archaeologica 23, 1991, S. 15-19[/FONT]

Der Fehler den viele Experimentatoren gemacht haben, war anzunehmen, dass Birkenpech nur durch trockene Destillation bei absolutem Luftabschluss entstehen kann. Betrachtet man aber REM Bilder von Birkenpechproben aus meso und paläolithischen Funden, so erkennt man immer wieder eine teilweise umgewandelte Masse mit darin eingebetteten Pflanzenfasern. An manchen Stellen sieht man sogar den fließenden Übergang von der Pflanzenzelle zum Pech.
Proben wo das Pech völlig umgewandelt und destilliert wurde, zeigen eine glasige völlig homogene Masse.

[FONT=Arial, sans-serif]A. Pawlik, Funktionsanalyse an Artefakten aus Henauhof Nord II. In:C.J. Kind, [/FONT]
[FONT=Arial, sans-serif]Die letzten Wildbeuter. Henauhof Nord II und das Endmesolithikum in[/FONT]
[FONT=Arial, sans-serif]Baden-Württemberg. Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 39. (Stuttgart [/FONT][FONT=Arial, sans-serif]1997)[/FONT]

Es reicht also aus dass die Birkenrinde teilverschwelt und die eingebetteten Rindenstücke könnten sogar die Eigenschaften des Pechs verbessern.
Es ist also eigentlich Blödsinn keramische Produktionsweisen zu versuchen akeramisch hinzukriegen, das ist wie das Pferd von hinten aufzäumen.
Irgendwie müssen die Menschen das Birkenpech ja auch durch Zufall entdeckt haben und das geschah bestimmt nicht in komplizierten Gefäßkonstruktionen die gant zufällig mit Birkenpech gefüllt waren.

Ein einfach Test hat gezeigt wie einfach es ist dass Birkenpech entsteht. Ich habe beim Verlassen auf das noch heiße Glutbett Birkenrinde gelegt und darauf dann Steine. Eine einfach Methode wie man die Glut vorm ausgehen schützt damit man nächsten morgen direkt wieder anfachen kann.
Als ich nächsten Morgen aufdeckte sehe ich genau was ich erwartet hab. Die Birkenrinde war an einigen Stellen verkohlt und blasig aber an einigen Stellen hatte sich minimal Birkenpech gebildet, bzw. die Umwandlung hatte gerade begonnen. Man konnte regelrecht den Übergang sehen. Sieht man auf dem ersten Bild in der Mitte am besten.
Es ist also nahezu selbsverständlich, dass die Vormenschen schnell den Nutzen vom Birkenpech entdeckt haben, bei tausenden von Jahren immer wieder Lagerfeuer und Birkenrinde, wird es irgendwann mal passiert sein und ich gehe davon aus dass es schnell passiert ist.

Wie hat mans also gemacht? Es braucht jedenfalls keine Gefäße und auch keinen Luftabschluss. Es reicht dass man keine offene Flamme mehr hat sondern ein schwelendes Glutbett. Viele Methoden sind denkbar. z.B. heiße Steine oder einfach ein Birkenrindenpaket indem kleine Schnipsel Birkenrinde sind einfach so in die glut hinein. kleine Schnipsel deshalb weil je größer die Oberfläche, desto besser und großflächiger wirkt die Hitze.
Wie kontrolliert man nun die Hitze? Ja das ist der schwierigste Punkt. Das Temperaturfenster ist mit ca. 350-400 °C recht klein. Ich gehe mitlerweile davon aus, dass man besser sehr kleine Pakete macht wo die Hitze besser zu kontrollieren ist und schneller ins innere dringt und man dann kurz heiß macht. Ich hab bei einem Testversuch, in diesem Fall aber mit einer kleinen Metalldose, gerade mal 5 Minuten gebraucht und die Ausbeute war sehr effizient. Fast 1:1. kein Vergleich beim langwierigen und ineffizienten destillieren. Genau die richtige Methode für Jäger und Sammler. Kein großes Brimborium sondern schnell, einfach und effektiv.

Richtig große Mengen konnte ich nur mit Steinen und Hitze bisher noch nicht produzieren, aber das scheint nur Erfahrungssache zu sein. Jedenfalls geht es auch so und die Klebeigenschaften sind sehr gut. Eine Steinspitze hält Bombenfest im Schaft.


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Danke Wsjr für diesen tollen und interessanten Beitrag!

So wie ich es verstehe war Birkenpech ja der Universalkleber schlechthin und deshalb haben die Möglichkeiten der Herstellung eine große Bedeutung.
...und die eingebetteten Rindenstücke könnten sogar die Eigenschaften des Pechs verbessern.
Das kann man sich gut vorstellen wenn man davon ausgeht, dass die Passgenauigkeit zwischen Schaft und Spitze nur gering sein konnte und deshalb ein Stützgewebe diesen Mangel (ungenügende Scher-Beanspruchung des Klebers) mindern konnte.

Eine Frage:
weißt Du was der Dr. Kaiser hier macht?
Ich nehme an, dass am oberen (kühleren) Gefäß das Pech kondensiert und es das Verfahren darstellt welches nach Deinen Versuchen nicht notwendig ist.
Inwiefern hier ein Luftabschluss gegeben ist?

Grüße hatl

.. Viel Erfolg weiterhin. Ich find es sauinteressant was Du da treibst. :hoch:
 
Ja sieht ganz nach Doppeltopfverfahren aus.

Man muss aber sagen wenn man wirklich ganz dünnflüssiges Teer, z.B. zum imprägnieren von Leder gewinnen will muss man schon irgendwie destillieren.

Aber Kleber geht auch einfacher.

Man kann ja auch mit Koniferenharz kleben, da besteht aber das große Problem dass das Zeug durch Hitze spröde wie Glas wird. Das beste Mittel um diesen Kleber ähnlich elastisch wie Birkenpech zu machen ist mittels ganz fein zerstoßener Kohle und zerstoßenen Rehkötteln, weil die unzersetzten Pflanzenfasern genau richtig sind um die Sprödigkeit zu minimieren.

Man muss aber sagen, dass es glaub ich überhaupt keine Nachweise für Harz als Klebemittel in der Steinzeit gibt. Wird wohl schon Gründe haben dass sie viel lieber Birkenpech genutzt haben.
 
Wenn man jetzt ein Loch gräbt, Glut hineingibt, drauf einen ersten flachen Stein legt, darauf die Birkenrinde, und weiter oben das ganze mit einem weiteren Stein abschließt, hat man dann auch ein "Doppeltopfverfahren"?
 
Ja da gäbs auch etliche Möglichkeiten sowas irgendwie akeramisch machen zu wollen.
z.B. der hier:
http://www.geo.uni-tuebingen.de/fil...en/GFU/2007/075-084_GFU_Mitteilung16_mail.pdf

Das Problem ist halt dass das mega ineffizient ist, erstens weils eben kein geschlossenes System ist und n Haufen Zeug verdampft und in die umgebung sickert und zweitens weil ein Auffangstein immer viel zu viel davon aufsaugt. Kann man auch hier sehen da hab ichs auch mal mit nem Lehmzylinder probiert. Der Stein war nachher ölig aber man konnte kaum was verwerten
Und dann hat man auch immer noch die Gefahr das Sediment beim aufdecken reinrieselt.
 

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Eine neue Publikation, die sich mit dem Birkenpech als Klebstoff, verwendet von Neandertalern, beschäftigt (nature):
Experimental methods for the Palaeolithic dry distillation of birch bark: implications for the origin and development of Neandertal adhesive technology

Dabei wurde bzgl. Herstellungsmöglichkeiten und Eigenschaften des "Klebers" experimentiert, zB in der Verwendung für die Herstellung von Werkzeugen.

Birkenpech: Wie Neandertaler den ersten Klebstoff herstellten - SPIEGEL ONLINE - Wissenschaft

How Neanderthals made the very first glue
 
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