Kleriker als feudale Lehnsherren und Kriegsdienst
Kleriker begleiteten im frühen Mittelalter ihre Fürsten oft in den Krieg. Das ist vielfach belegt. Sie führten dabei oft ihren Königen ein kopfstarkes Aufgebot an Kämpfern zu. Inwieweit sie dann allerdings aktiv in die Kämpfe eingriffen ist eine andere Frage. Im Kontext mit der Belagerung von Augsburg durch die Ungarn 955 soll Bischof Ulrich die Verteidigung organisiert haben und den Männern Mut gemacht haben. Er gilt auch als Befehlshaber der Truppen. Gerade im Mittelalter ist nicht davon auszugehen, dass sich Befehlshaber immer aus den Kämpfen hätten heraushalten können, da ihre persönliche Präsenz oft erwartet wurde. Im Gefolge von königlichen Aufgeboten stellt sich die Frage ob die Anwesenheit von hohen Klerikern nicht nur wenig über einen „Hofdienst im Feld“ herausgekommen ist? Aber auch hier gilt die Einschränkung, da aus einem solchem „Hofkreis“ im Feld auch immer direkte Feldkommandanten ernannt werden konnten. Man muss sich solche „Hofkreise“ auch als einen potentiellen „Offizierspool“ vorstellen. Eine strikte Trennung zwischen „Hofdienst“ und „Offiziersdienst“ dürfte schwer festzumachen sein, schon weil hohe Kleriker immer ein eigenes Aufgebot von Truppen dem Heer zuführten (wenn es nicht auf eigene Rechnung operierte…). Da mir nicht klar ist, inwieweit du auf den Kontext eingegangen bist, mache ich ein paar wenig vorsortierte Hinweise:
Ein Beispiel für einen frühen, rauflustigen Bischof wäre der „Gegenspieler“ des Bonifatius, der Bischof von Mainz Gewiliobus zu nennen. Er war der Sohn von Geroldus, seines direkten Vorgängers und fiel im Krieg gegen die Sachsen, genau wie sein Vater. Für den Tod seines Vaters beanspruchte er auch erfolgreich das uralte, germanische Recht der Blutrache. Unter Karl Martell waren einige hohe klerikale Ämter an Adelige ohne entsprechende Ausbildung verliehen worden, was der Stärkung seiner Hausmacht dienen sollte. Beide Männer waren letztlich aus diesem Umfeld in ihre bischöfliche Stellung gelangt.
Gewiliobus ? Wikipedia
Im gleichen Link findet sich auch der Hinweis, dass Geistliche laut einem unter Bonifatius abgehaltenen Konzil (Concilum Germanicum, um 742) das Tragen von Waffen verboten worden wurde. Derartige Verbote mussten einen entsprechenden Hintergrund besitzen... An dieses Gebot hielten sich die Kleriker allerdings wenig. Sie stammten in der Regel aus dem Adel und ihnen war der Umgang mit Waffen nicht fremd, sondern standesgemäß verinnerlicht – ungeachtet irgendwelcher Einschränkungen, wie es für derartig hohe Vertreter des Christentums vielleicht zu erwarten gewesen wäre!
Wenn ich mich recht erinnere wurde die Anweisung, dass Kleriker kein Blut vergießen sollten, recht wörtlich genommen: Man griff auf Waffen zurück, welche direkt keine blutenden Wunden verursachten (wie das traditionelle Schwert…) und verwendete stumpfe Hiebwaffen wie Streitkolben (auf diese Waffe soll sich angeblich auch der „moderne“ Feldherrenstab zurückführen lassen). Wie das mit einer gebrochenen Schädeldecke in Einklang zu bringen ist, was gewiss eine blutende Wunde verursachte, muss offen bleiben… Auf dem von Badian verlinkten Teppich von Bayeux trägt Bischof Odo offensichtlich ebenfalls einen Streitkolben und nicht das sonst zu sehende Schwert! Odo war übrigens Auftraggeber des Teppichs und hatte sicherlich Einfluss auf seine Gestaltung...
Im Übrigen dürfte es öfters Paradigmenwechsel im Verhältnis zwischen Klerus und Kriegsdienst gegeben haben. Aber vielleicht findest du etwas in deiner Literatur dazu?
Bischöfe oder Äbte waren auch Grundherren und standen damit einer typisch feudalen Lehenspyramide vor. Dies war auch die Grundlage für die damalige Heeresordnung. Die Könige beriefen das Aufgebot ihrer Vasallen ein um mit diesen Truppen Krieg zu führen. Der Lehensherr befehligte solche Truppen oft persönlich, auch wenn bei königlichen Aufgeboten die persönliche Anwesenheit vieler solcher Kleriker nicht ausdrücklich verlangt wurde. In einem „Personenverband“, wie es ein Feudalstaat war, war es sicherlich immer ein Fehler, nicht öfters persönlich zu erscheinen um bei Hofe „nicht vergessen zu werden“. Der Kriegsdienst bot Gelegenheit die Aufmerksamkeit des Lehensherrn zu erregen und sich für weitere Dienste zu empfehlen. Aus diesem Grund muss die Anwesenheit von Klerikern in einem (königlichen) Heer nicht unbedingt den aktiven Einsatz in der Schlacht bedeuten. Viele hohe Kleriker sind unter den Opfern entsprechender mittelalterlicher Schlachten anzutreffen. Andere, wie etwa der greise Abt Sturmi begleitete Karl den Großen in den Sachsenkrieg (wo er auch eine Burg zeitweilig befehligte), erkrankte und verstarb an den Folgen der Krankheit im Anschluss an den Feldzug.
Die militärische Bedeutung von Bistümern und Klöstern ergibt sich aus dieser Stellung als Lehnsfürsten und der daraus resultierenden Heerespflicht für ihre Aufgebote. Unter den Ottonen sind die Zahlen solcher Aufgebote öfters überliefert und damit die Relevanz der Aufgebote für das Reichsheer! Die Verteidigung von Augsburg gegen die Ungarn im Vorfeld der Schlacht auf dem Lechfeld 955 wurde bekanntlich vom dortigen Bischof Ulrich geleitet. Bischöfe und Äbte hatten etwa ¾ des Aufgebots von 981 an Panzerreitern für den Italienfeldzug zu stellen. Das Aufgebot soll insgesamt etwa 2090 Panzerreiter umfasst haben. Die Erzbistümer/Bistümer Köln, Mainz und Straßburg hatten je 100 zu stellen, die Bistümer Trier, Salzburg und Regensburg je 70, Würzburg, Lüttich und Verdun als Bistümer jeweils 60 Panzerrreiter. In letzterer Kategorie finden sich mit Fulda und der Reichenau mit gleicher militärischer Leistung die Aufgebote der ersten Klöster an exponierter Stelle. Sie stellten damit mehr Männer als kleinere Bistümer! Die nächstwichtigsten Klöster Lorsch und Weißenburg stellten 50, St. Gallen, Hersfeld, Ellwangen und Prüm je 40 weitere Panzerreiter... Das komplette Aufgebot ist nicht aufgeschlüsselt, doch umfasst meine Aufstellung bereits rund die Hälfte dieser Reichsarmee! [Als Quelle wird angegeben: Indiculus Loricatorum S 633; Übersetzung in „Quellen zur deutschen Verfassungsgeschichte Band 16“ S 62ff].
Dieses Heer von Kaiser Otto II. wurde 982 in Süditalien in der Schlacht von Cotrone durch die Sarazenen vernichtet und es fielen dabei auch zahlreiche Geistliche.
Schlacht am Kap Colonna ? Wikipedia