Die Azteken opferten keine Menschen!
http://www.zeit.de/1992/38/die-luege-des-hernan-cortes :yes:
"Bernal Diaz ist jedoch nicht der Erfinder dieser Ritualmordlüge: Hernán Cortes schrieb sie 1522 in einer etwas kürzeren Fassung in seiner „Tercera Carta de Relaciön" an Kaiser Karl V. Er durfte gewiß sein, damit in Europa auf offene Ohren zu treffen, grassierten doch gerade dort seit dem 15./16. Jahrhundert bereits Ritualmordlügen über die Juden, die man soeben zusammen mit den Mauren von der iberischen Halbinsel vertrieben hatte. (In unserem Jahrhundert haben sich auch die Nazis bei ihren Hetzkampagnen gegen die Juden dieses alten Topos der Barbarei bedient.)
In der Tat, der Lüge des Hernán Cortes war ein überwältigender Erfolg beschieden: Fast fünfhundert Jahre lang konnte sie unbeschadet überdauern. Juan Ginés de Sepúlveda, der Gegenspieler des Indianer-Verteidigers Fray Bartolome de las Casas, benutzte solche Berichte über Menschenopfer und Kannibalismus – Praktiken also, die er selber nie beobachtet hatte – als Grundlage für seine rassistischen Schriften, mit denen er versuchte, den indianischen Völkern das Menschsein abzusprechen und ihre Unterwerfung oder Ausrottung zu rechtfertigen.
Zu den Lügen der Konquistadoren kommen noch einige wenige ausführlichere Berichte aus zweiter Hand, also „Geschichten vom Hörensagen"; man findet sie in den Schriften der spanischen Missionare und der indianischen Konvertiten, welche in proselytischem Eifer gegen die alte Religion wetterten. Daneben gibt es eine Fülle von stereotypen Phrasen, zum Beispiel die Wendung „und sie opferten sie". Offensichtlich hat jedoch nie ein Spanier oder ein indianischer Konvertit tatsächlich die Opferung eines Menschen beobachtet!
Die einzigen konkreten Aussagen darüber, wer wen wann wo und wie „geopfert" haben soll, entstammen nicht etwa dem aztekischen Kulturbereich, sondern jenem der Maya in Yukatan. Diese Schilderungen sind in den Akten der Inquisitionsprozesse von 1561/65, welche der fanatische Pater Diego de Landa leitete, aufgezeichnet. Pater Diego gilt als Hauptinformant in Sachen Maya-Kultur. Er war es auch, der die Bibliotheken der Maya plündern und etliche Hieroglyphenhandschriften verbrennen ließ.
Die besagten Geständnisse über Menschenopfer jedoch wurden den Indianern unter der Folter durch stereotype Befragungen abgepreßt. Diese Prozedur wurde jeweils so lange fortgesetzt, bis die gewünschte Antwort kam oder der Gepeinigte starb. Die Aussagen der gequälten Indianer entbehren somit jeglicher Beweiskraft und sind für die Ethnographie wertlos.
Die Forschung hat sich bislang auf die erwähnten Lügen und die Geschichten vom Hörensagen abgestützt und dann entsprechend die archäologischen Zeugnisse, die mexikanischen Bilderhandschriften sowie bestimmte Maya-Hieroglyphen interpretiert. Der Zirkelschluß ist klar: Die Spanier bekamen Darstellungen auf Skulpturen, Fresken, Malereien und Bilderhandschriften zu Gesicht, die sie als Menschenopfer deuteten, und die Anthropologen wiederum verwendeten die spanischen Berichte zur Interpretation dieser oder ähnlicher Sachquellen, ohne die schriftlichen Zeugnisse je kritisch und systematisch hinterfragt zu haben, aller Ungereimtheiten und Widersprüche zum Trotz.
Schließlich hat auch der Huitzilopochtli-Mythos, der immer noch als Grundlage für die angeblichen Menschenopfer bei den Azteken herhalten muß, nichts mit einem Opfer zu tun. Die Göttin Coatlicue wurde durch eine Daunenfeder schwanger. Ihre Söhne, die Centzonhuitznaua, und deren ältere Schwester Coyolxauqui glaubten ihr nicht und wollten ihre vermeintlich unehrenhafte Mutter töten. Doch bevor den Geschwistern dies gelang, wurde Huitzilopochtli – in voller Kriegsmontur – geboren. Er vernichtete seine älteren Brüder und zerstückelte seine böse Schwester Coyolxauqui.
Von einem Tötungsritual im Sinne einer Opferhandlung kann bei diesem Kampf der Götter wahrlich keine Rede sein. Dies hat zwar Eduard Seier (1849-1922), ein Pionier der Mexikanistik, schon zu Beginn dieses Jahrhunderts erkannt, aber weder er noch andere Wissenschaftler zogen daraus Konsequenzen. Noch etwas hat man übersehen: Der Stammesgott der Azteken, der in der Literatur, auch in der Belletristik, als so blutrünstig dargestellt wird, ließ sich während des Festes Tlaxochimaco anscheinend auch durch harmlose Blumen zufriedenstellen. Während des ihm geweihten Panquetzaliztli-Festes haben die Feiernden sein Abbild in der Form einer Teigfigur „gefangengenommen" und in einer Art Eucharistie verspeist.
Das Resümee: Nach sorgfältigem und systematischem Studium der Quellen lassen sich keine institutionalisierten (Massen-)Menschenopfer nachweisen. Das Phänomen ist also nicht das angebliche Opfer, sondern – allen Widersprüchen in den Quellen zum Trotz – der immer noch tief verwurzelte Glaube daran.
http://www.zeit.de/1992/38/die-luege-des-hernan-cortes
:yes:
Nachdem es nun als erwiesen gilt, dass die Mexica (so nannten sich die Azteken selbst) ihren Göttern keine Menschen opferten, sollten wir nicht in kontinuierlichen Abständen, die schreckliche Kriegspropaganda der spanischen Konquistadoren wiederholen. - Es glaubt ja auch keiner mehr an die Ritualmorde der Juden!
http://www.zeit.de/1992/38/die-luege-des-hernan-cortes :yes:
"Bernal Diaz ist jedoch nicht der Erfinder dieser Ritualmordlüge: Hernán Cortes schrieb sie 1522 in einer etwas kürzeren Fassung in seiner „Tercera Carta de Relaciön" an Kaiser Karl V. Er durfte gewiß sein, damit in Europa auf offene Ohren zu treffen, grassierten doch gerade dort seit dem 15./16. Jahrhundert bereits Ritualmordlügen über die Juden, die man soeben zusammen mit den Mauren von der iberischen Halbinsel vertrieben hatte. (In unserem Jahrhundert haben sich auch die Nazis bei ihren Hetzkampagnen gegen die Juden dieses alten Topos der Barbarei bedient.)
In der Tat, der Lüge des Hernán Cortes war ein überwältigender Erfolg beschieden: Fast fünfhundert Jahre lang konnte sie unbeschadet überdauern. Juan Ginés de Sepúlveda, der Gegenspieler des Indianer-Verteidigers Fray Bartolome de las Casas, benutzte solche Berichte über Menschenopfer und Kannibalismus – Praktiken also, die er selber nie beobachtet hatte – als Grundlage für seine rassistischen Schriften, mit denen er versuchte, den indianischen Völkern das Menschsein abzusprechen und ihre Unterwerfung oder Ausrottung zu rechtfertigen.
Zu den Lügen der Konquistadoren kommen noch einige wenige ausführlichere Berichte aus zweiter Hand, also „Geschichten vom Hörensagen"; man findet sie in den Schriften der spanischen Missionare und der indianischen Konvertiten, welche in proselytischem Eifer gegen die alte Religion wetterten. Daneben gibt es eine Fülle von stereotypen Phrasen, zum Beispiel die Wendung „und sie opferten sie". Offensichtlich hat jedoch nie ein Spanier oder ein indianischer Konvertit tatsächlich die Opferung eines Menschen beobachtet!
Die einzigen konkreten Aussagen darüber, wer wen wann wo und wie „geopfert" haben soll, entstammen nicht etwa dem aztekischen Kulturbereich, sondern jenem der Maya in Yukatan. Diese Schilderungen sind in den Akten der Inquisitionsprozesse von 1561/65, welche der fanatische Pater Diego de Landa leitete, aufgezeichnet. Pater Diego gilt als Hauptinformant in Sachen Maya-Kultur. Er war es auch, der die Bibliotheken der Maya plündern und etliche Hieroglyphenhandschriften verbrennen ließ.
Die besagten Geständnisse über Menschenopfer jedoch wurden den Indianern unter der Folter durch stereotype Befragungen abgepreßt. Diese Prozedur wurde jeweils so lange fortgesetzt, bis die gewünschte Antwort kam oder der Gepeinigte starb. Die Aussagen der gequälten Indianer entbehren somit jeglicher Beweiskraft und sind für die Ethnographie wertlos.
Die Forschung hat sich bislang auf die erwähnten Lügen und die Geschichten vom Hörensagen abgestützt und dann entsprechend die archäologischen Zeugnisse, die mexikanischen Bilderhandschriften sowie bestimmte Maya-Hieroglyphen interpretiert. Der Zirkelschluß ist klar: Die Spanier bekamen Darstellungen auf Skulpturen, Fresken, Malereien und Bilderhandschriften zu Gesicht, die sie als Menschenopfer deuteten, und die Anthropologen wiederum verwendeten die spanischen Berichte zur Interpretation dieser oder ähnlicher Sachquellen, ohne die schriftlichen Zeugnisse je kritisch und systematisch hinterfragt zu haben, aller Ungereimtheiten und Widersprüche zum Trotz.
Schließlich hat auch der Huitzilopochtli-Mythos, der immer noch als Grundlage für die angeblichen Menschenopfer bei den Azteken herhalten muß, nichts mit einem Opfer zu tun. Die Göttin Coatlicue wurde durch eine Daunenfeder schwanger. Ihre Söhne, die Centzonhuitznaua, und deren ältere Schwester Coyolxauqui glaubten ihr nicht und wollten ihre vermeintlich unehrenhafte Mutter töten. Doch bevor den Geschwistern dies gelang, wurde Huitzilopochtli – in voller Kriegsmontur – geboren. Er vernichtete seine älteren Brüder und zerstückelte seine böse Schwester Coyolxauqui.
Von einem Tötungsritual im Sinne einer Opferhandlung kann bei diesem Kampf der Götter wahrlich keine Rede sein. Dies hat zwar Eduard Seier (1849-1922), ein Pionier der Mexikanistik, schon zu Beginn dieses Jahrhunderts erkannt, aber weder er noch andere Wissenschaftler zogen daraus Konsequenzen. Noch etwas hat man übersehen: Der Stammesgott der Azteken, der in der Literatur, auch in der Belletristik, als so blutrünstig dargestellt wird, ließ sich während des Festes Tlaxochimaco anscheinend auch durch harmlose Blumen zufriedenstellen. Während des ihm geweihten Panquetzaliztli-Festes haben die Feiernden sein Abbild in der Form einer Teigfigur „gefangengenommen" und in einer Art Eucharistie verspeist.
Das Resümee: Nach sorgfältigem und systematischem Studium der Quellen lassen sich keine institutionalisierten (Massen-)Menschenopfer nachweisen. Das Phänomen ist also nicht das angebliche Opfer, sondern – allen Widersprüchen in den Quellen zum Trotz – der immer noch tief verwurzelte Glaube daran.
http://www.zeit.de/1992/38/die-luege-des-hernan-cortes
:yes:
Nachdem es nun als erwiesen gilt, dass die Mexica (so nannten sich die Azteken selbst) ihren Göttern keine Menschen opferten, sollten wir nicht in kontinuierlichen Abständen, die schreckliche Kriegspropaganda der spanischen Konquistadoren wiederholen. - Es glaubt ja auch keiner mehr an die Ritualmorde der Juden!