Bürgerlichkeit als Lebensform. Späte Essays

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Dieser Band vereinigt Essays Joachim Fests, die bislang nicht in Buchform vorlagen. Sie stammen aus seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten und schreiten noch einmal die Themenkreise ab, denen Fest sich widmete: das Dritte Reich und den deutschen Widerstand die Rolle der Intellektuellen im Zeitalter der Ideologien die Geschichtsschreibung, Literatur und bildende Kunst - von den mittelalterlichen Totentänzen über die Ästhetik des Klassizismus bis hin zu Ludwig Börne und den Brüdern Mann. Daneben gibt es überraschende Seitenblicke auf Weggefährten und Zeitgenossen wie den Publizisten Herbert Lüthy, Willy Brandt oder den Regisseur Jürgen Roland, einen Freund. Sie repräsentierten für Fest nicht zuletzt eine Bürgerlichkeit, deren Verdienste und Gefährdungen ihn immer wieder beschäftigt haben. Alle diese Texte sind Zeugnisse eines Stilisten und gebildeten Geistes. "Joachim Fest war ein Vorbild für historische Ehrlichkeit und literarische Zivilcourage", schrieb Klaus von Dohnanyi in seinem Nachruf.

Joachim C. Fest • Bürgerlichkeit als Lebensform. Späte Essays • Rowohlt 2007 • 367 Seiten

Rezension:Deutschlandradio Kultur
 

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Rezension der NZZ am Sonntag vom 6.5.2007 (Online nicht verfügbar):

Meisterhafte Porträtskizzen

Von Urs Bitterli

Im September letzten Jahres ist der Historiker und Journalist Joachim Fest, Verfasser der bekanntesten unter allen Hitler-Biografien, gestorben; seinen eigenen Lebensbericht hatte er eben noch abschliessen können. Nun sind unter dem Titel «Bürgerlichkeit als Lebensform» eine Reihe von Fests späten Essays erschienen, Texte, die bisher noch nie veröffentlicht oder noch nie in einem Sammelband vereinigt wurden. Die meisten dieser Arbeiten befassen sich mit Themen, die Fest ein Leben lang nicht losgelassen haben: mit dem Nationalsozialismus und seinen Folgen, mit der Haltung der Intellektuellen gegenüber den totalitären Versuchungen des 20. Jahrhunderts, mit Sinn und Aufgabe der Geschichtsschreibung. Hinzu kommen kürzere Porträts aus gegebenem Anlass, darunter Würdigungen Karl Dietrich Brachers und Willy Brandts, ferner mehrere Aufsätze, die den Literatur- und Kunstliebhaber, der Fest auch war, erkennen lassen.


Als ein Meister des historischen Porträts ist Joachim Fest oft bezeichnet worden. Und in der Tat: Kaum je sind die kriminelle Energie und der machtpolitische Instinkt einer historischen Persönlichkeit so packend vergegenwärtigt worden wie in seiner Hitler-Biografie, was Golo Mann zum Einwand veranlasste, einen solch «widrigen Gegenstand» dürfe man so glänzend nicht beschreiben.

Auch unter den hier vorliegenden späten Essays finden sich Meisterwerke der Persönlichkeitsdarstellung. Eine Porträtskizze über Joseph Goebbels macht nachvollziehbar, wie sich aus den Frustrationen der frühen Lebensgeschichte ein übersteigertes Kompensationsbedürfnis entwickeln konnte, das diesen Intellektuellen zum engsten und effizientesten Gefolgsmann Hitlers werden liess.


Diesem Modellfall für die Durchsetzbarkeit des Bösen stellt Fest Adam von Trott gegenüber, einen frühen und entschiedenen Gegner Hitlers, der seine einflussreichen englischen Freunde vergeblich zu warnen suchte und dem die tragische Erfahrung zuteil wurde, dass man «nicht als Widersacher des Regimes wirken konnte, ohne ein Teil davon zu sein».


Gern geht Joachim Fest vom Besonderen aus, um Allgemeines sichtbar zu machen. Dies gilt von zwei Essays über Thomas Manns «Buddenbrooks» und die «Betrachtungen eines Unpolitischen», in denen auf eindrückliche Weise Zugänge zur Geistigkeit des Bildungsbürgertums und zur kulturellen Mittellage Deutschlands zwischen Ost und West freigelegt werden.


Als Vertreter einer erzählenden Geschichtsschreibung mit ausgeprägtem Bezug zu den handelnden Persönlichkeiten geriet Fest ins Schussfeld der Sozialhistoriker, die sozialwissenschaftliche Methoden und langfristige Perspektiven des gesellschaftlichen Wandels ins Zentrum ihrer Forschung stellen. Er beharrte auf der Fortführung der Tradition bürgerlicher Geschichtsschreibung, die sich dem Dreiklang von kritischer Quelleninterpretation, Einfühlung und Kunst der Darstellung verpflichtet weiss.


In Joachim Fest fanden die Vertreter der deutschen Sozialgeschichte ihren wohl streitbarsten Gegner. Dies wird auch in verschiedenen Essays des vorliegenden Sammelbandes deutlich, am eindringlichsten vielleicht in der Würdigung des bedeutenden Schweizer Historikers und Journalisten Herbert Lüthy, der zwischen 1958 und 1971 an der ETH Zürich wirkte. Was den Deutschen am Schweizer Lüthy beeindruckte, war die geistige Unabhängigkeit seines Urteils, die ihn gegenüber der Verführungskraft wissenschaftlicher Doktrin ebenso immunisierte wie gegenüber ideologischen Voreingenommenheiten. Heute, wo das von der Sozialgeschichte lange Zeit beanspruchte Deutungsmonopol einem schwer zu überblickenden Pluralismus der Methoden und Anschauungen gewichen ist und wo die historische Biografie sich zum beliebtesten Genre der Geschichtswissenschaft entwickelt hat, sind die Ausführungen des konservativen Liberalen Joachim Fest von überraschender Aktualität.
 
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