Cassius Dio als Überlieferer älterer Quellen - seine Glaubwürdigkeit

El Quijote

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Dieser Thread hat sich aus einer anderen Diskussion entwickelt. Seit Jahren greife ich Cassius Dio dafür an, dass er als letzter der wichtigen Historiographen zur Varusschlacht über Detailkenntnisse verfügt, über die kein anderer der überlieferten Historiographen verfügt. Diese Diskussion hat sich vor einigen Tagen wiederholt.

Warum weiß Cassius Dio so viel mehr über die Schlacht, als alle anderen Autoren und warum finden wir nichts von dem Sondergut auch nur angedeutet in zeitnäheren Quellen?

Alle anderen Quellen schreiben von Wäldern und Sümpfen.
Cassius Dio schreibt von engen Tälern und Schluchten (und Wäldern und Sümpfen)
Niemand weiß etwas vom Wetter, Cassius Dio schreibt von Regen und Sturm (der die Römer verwirrt, aber den (elbengleichen :still:) Germanen nichts anhaben kann).
Die verbrannten Wagen - Sondergut von Cassius Dio.
Varus befand sich an der Weser - Sondergut von Cassius Dio.
Varus sollte auf Bitten der Germanen einen weit entfernten Aufstand niederschlagen - Sondergut von Cassius Dio.

Cassius Dios Sondergut wird dann gerne damit erklärt, dass er ja auf andere, nicht erhaltene Quellen zurückgegriffen haben könne. Das kann leider nur nicht bewiesen oder widerlegt werden.

Vielleicht sollte man differenzieren zwischen "wer hat was geschrieben" und "was ist von wem erhalten". Dass der ausführlichste Bericht von Cassius Dio stammt, bedeutet schließlich nicht, dass er der erste und einzige war, der so viel geschrieben hat, sondern nur, dass er der einzige ist, von dem ein so ausführlicher Bericht erhalten ist. Wir wissen aber nicht, was und wie ausführlich Plinius d. Ä. in seinem leider verlorenen immerhin zwanzigbändigen Werk über die Germanienkriege über die Varusschlacht schrieb. Wir wissen auch nicht, ob Velleius Paterculus sein Versprechen, ein eigenes Werk über die Varusschlacht zu verfassen, nicht einlöste (bzw. nicht mehr einlösen konnte) oder es bloß nicht erhalten ist. Wir wissen auch nicht, was Claudius in seinem 41-bändigen Werk über die Regierung von Augustus geschrieben hat. Wir wissen auch nicht, was und wie ausführlich die anderen heute bestenfalls noch namentlich bekannten Geschichtsschreiber der frühen Kaiserzeit über die Varusschlacht schrieben.

Wir wissen aber u.a., dass Cassius Dio die Quellen der frühen Kaiserzeit als in der Menge (und in der Wiedergabe des Entscheidungsprozesses) als unzureichend und außerdem als unehrlich abqualifiziert.

Und bzgl. Plinius und seiner germanischen Kriege schreibt Symmachus an Protadius, 395 nach Christus: „enitar, si fors votum iuvet, etiam Plinii Secundi Germanica bella conquirere - Ich werde, wenn das Schicksal es erlaubt, versuchen auch die germanischen Krieges des Plinius Secundus aufzuspüren.“ Plinius germanische Kriege waren also nicht besonders weit verbreitet.
Nun hat Symmachus knapp 170 Jahre nach Cassius Dio gelebt und es wird sicher eingewandt werden, dass ein Sachverhalt des späten vierten Jahrhunderts kein belastbarer Beleg für die Verbreitung im frühen dritten Jahrhundert sei. Das zu diskutieren würde sicherlich fruchtlos sein, ich bin jedoch der Auffassung, dass, wäre Plinius' Germanica bella im frühen dritten Jahrhundert verbreitet gewesen, wäre es auch sehr viel einfacher gewesen sein müsste, im späten vierten Jahrhundert noch daran zu kommen.

Sei's drum... Ich glaube Bushhons war es, der mich aufforderte, zu belegen, dass Cassius Dio auch an anderer Stellen dazuerfindet oder ungenua mit den Quellen umgeht, um meine Auffassung davon, dass Cassius Dios Schlachtbeschreibung eine erfundene ist (ich hab den Beitrag leider nicht gefunden, sonst hätte ich ihn zitiert).

Kommen wir also zum Cassius Dio-Text im Vergleich mit früheren Quellen.

Cassius benutzte Caesars Schriften und folgte ihnen ziemlich getreu, bis in den Aufbau. Dann und wann legt er Caesar, etwa vor der Schlacht gegen Ariovist, eine Rede in den Mund, die er mit Passagen aus Tacitus' Germania anreichert. Aber hin und wieder verlässt Cassius Dio auch den caesarischen Text. Bei Caesars Schlacht gegen die Nervier manipuliert Cassius Dio den caesarischen Text. Bei Caesar greift Caesar in die Schlacht ein (BG II, 25, 2 – 3) und Labienus erobert das Lager der Nervier (BG II, 26, 4). Bei Cassius Dio erobern die Nervier das Lager der Römer und Caesar erobert es zurück (39, 2, 2). Caesar, der sonst so gut wie alle Erfolge auf sein eigenes Konto schreibt, gesteht Labienus diesen Sieg zu. Cassius Dio dagegen macht ihn zu einem persönlichen Erfolg Caesars.
Eine andere Stelle, in der Cassius Dio in offenem Widerspruch zu Caesar steht, ist die über die Seeschlacht gegen die Veneter. Caesar (BG III, 7 – 16) schildert, wie er Schiffe auf der Loire zimmern ließ. Die Rammsporne dieser Schiffe haben den Schiffen der Veneter nichts anhaben können (BG III, 14, 4) – bei Cassius Dio kommt Decimus Brutus aus dem Mittelmeer herangesegelt und zerstört die Schiffe der Veneter mit den Rammspornen. (42, 2 – 4).
Nach Meinhard-Wilhelm Schulz, Caesar und Labienus. Geschichte einer tödlichen Kameradschaft. Hildesheim, Zürich, NY 2010.


Wie bei Caesar wird die Belagerung Massilias im Bericht von Cassius Dio durch den Bericht des ersten Spanischen Krieges unterbrochen, aber anders als Caesar, der die Erfolge seiner Generäle hervorhebt, verbindet Cassius Dio den Sieg über Massilia mit dem Erscheinen Caesars. Tatsächlich kapitulierte Massilia gegenüber Trebonius, während Caesar selbst noch in Spanien weilte. Meinhard-Wilhelm Schulz kommentiert dies mit "Dios Referat widerspricht Caesars Darstellung grundlegend..."


Meinhard-Wilhelm Schulz ist der Auffassung, dass Cassius Dio keine Ahnung von militärischen Dingen hatte: "allein daraus ergibt es sich, dass Dio die Ereignisse einer radikalen Kürzung unterworfen hat; dabei fallen fast alle militärischen Details unter den Tisch: Dio ist auch hier ein Mann der Toga." (368)
"Er würdigt Caesars neu eingeführte Taktik mit keinem Wort. Dio hat die Neuerung des Reiterkrieges wohl nicht begriffen und gehörte einer Senatoren-Generation an, die sich lieber in der Sänfte herumtragen ließ." (369)
"...und wenn er behauptet 'Vercingetorix hätte entkommen können' widerspricht er damit Caesar, der die Stadt hermetisch abgeriegelt haben will. Dies trifft auch auf die demütige Geste zu, mit der er sich Caesar unterwirft und von der Caesar selbst nichts weiß." Ebd.
Dio "zeigt sich dabei erneut militärtaktisch wenig kompetent, wenig interessiert" (381)
"...so kommt man erneut zu der Erkenntnis, dass Cassius Dio sich für Strategien gar nicht interessiert und sich das Recht in Anspruch nimmt, seiner Phantasie die Zügel schießen zu lassen." (387)


Besonders schön ist auch eine Stelle bei Cassius Dio, bei der Caesar erst ins Wasser fällt, sich dann seines schweren Purpurmantels entledigen muss, während die Ägypter ihn beschossen, er aber einhändig schwimmend in der linken Hand mehrere Dokumente, die er nicht nass werden ließ. Da muss Caesar wohl ins Tote Meer, statt in den Hafen von Alexandria gefallen sein, wenn er so gar nicht untergehen wollte... :fs:


Καὶ αὐτῶν ὁπουδήποτε καὶ ἀθρόως ἐσβιαζομένων ἐς αὐτὰς ἄλλοι τε πολλοὶ ἐς τὴν θάλασσαν ἐξέπεσον καὶ ὁ Καῖσαρ. Κἂν διέφθαρτο κακῶς, ὑπό τε τῶν ἱματίων βαρυνόμενος καὶ ὑπὸ τῶν Αἰγυπτίων βαλλόμενος ἁλουργῶν γὰρ αὐτῶν ὄντων ἐστοχάζοντο, εἰ μὴ καὶ ἐκεῖνα ἀπερρίφει καὶ μετὰ τοῦτο διανεύσας πῃ ἐς ἀκάτιον ἐσεβεβήκει.


Tandis que les fugitifs étaient forcés de trouver le chemin des navires dans la cohue comme ils le pouvaient, César et beaucoup d'autres tombèrent à la mer. Il aurait péri malheureusement, poussé vers le fonds à cause de sa robe longue et criblé par les Égyptiens (son vêtement de pourpre offrait une belle cible), s’il n’avait enlevé son vêtement et s’il n’avait pas réussi à nager jusqu’à une barque qui l’emmena.

While the fugitives were forcing their way into these in crowds anywhere they could, Caesar and many others fell into the sea. He would have perished miserably, being weighted down by his robes and pelted by the Egyptians (for his garments, being of purple, offered a good mark), had he not thrown off his clothing and then succeeded in swimming out to where a skiff lay, which he boarded.
Schulz meint dazu nur süffisant: "Dio hätte es einmal versuchen sollen; aber vielleicht war er ja Nicht-Schwimmer und wäre ertrunken..." (394)


Zusammengefasst:
:rechts: Cassius Dio hatte an militärischen Dingen wenig Interesse und daher auch keine Ahnung davon. (Schulz)
:rechts: Cassius Dio erfindet ohne Not etwas dazu oder schreibt Geschichte um (Schulz) - es gibt freilich auch Stellen, bei denen er (zu Recht!) hart mit Caesar ins Gericht geht, weil dessen Darstellung unglaubwürdig ist, aber mir geht es hier nur um die Stellen, bei denen er Caesar weniger kritisch darstellt, als dieser sich selbst bzw. wo er ohne einen sachlichen Grund Caesars Angaben nicht folgt und andere, z.T. gegenteilige Behauptungen aufstellt (bzw. der sachliche Grund darin liegt, dass Cassius Dio aus seiner ex post-Sicht Labienus nicht leiden mag). (Schulz)
:rechts: Cassius Dio erfindet Dinge, die naturwissenschaftlich nicht möglich sind: Bäume erschlagen nur Römer, nicht aber Germanen - Caesar fällt ins Wasser, schafft es aber nicht unterzugehen, sich seines schweren Mantels zu entledigen und dabei wichtige Dokumente nicht nass werden zu lassen und unter Beschuss zu einer rettenden Insel zu schwimmen. (Womit Caesar kein Tollpatsch-Römer aus Zucker ist, wie die Varuslegionen, sondern schon fast einen Superheldenstatus erreicht, da er seinerseits die Naturgesetze aushebelt).
 
Noch eine schöne Stelle - Schulz ist auch hier herrlich polemisch:
Anschließend kommt es zu einem 'publizistischen' Kampf der Feldherren, indem beide beim Feind allerlei Hand-Zettel verteilen lassen, in denen zum Überlaufen aufgefordert wird; Caesar soll mehr geboten haben und deshalb erfolgreicher gewesen sein, behauptet Dio, dessen Referat in den Kommentarien aber nicht zu finden ist. In Wirklichkeit hätten die Centurionen beider Seiten gewiss jeden 'Postboten' des Feindes in Stücke gehackt und das Papier [sic!] vernichten lassen; hinzu kommt die Frage, woher man Material und Kopisten für diese 'Massendrucksache' hatte. (401)
 
Insgesamt ein toller Beitrag, der Deine Auffassung gut verdeutlicht!
Es wird sich bestimmt eine spannende Diskussion daraus entwickeln. Auf die Schnelle nur hierzu:

Ich glaube Bushhons war es, der mich aufforderte, zu belegen, dass Cassius Dio auch an anderer Stellen dazuerfindet oder ungenua mit den Quellen umgeht, um meine Auffassung davon, dass Cassius Dios Schlachtbeschreibung eine erfundene ist (ich hab den Beitrag leider nicht gefunden, sonst hätte ich ihn zitiert).

Nee, ich war das nicht.:p Zu solch einer Anfrage hätte ich mich nie und nimmer hinreißen lassen. Erstens weil ich selbst Dio-Stellen kenne, die ich im Abgleich mit anderen Quellen fragwürdig finden muss, zweitens weil ich weiß, dass man sich mit solch einer Frage eigentlich bei jedem antiken Geschichtswerk von Umfang nur ein Eigentor schießen kann.
 
Und:
Dios Schilderung der Schlacht von Thapsus unterscheidet sich auffällig von der Darstellung in den Kommentarien: Der Salzsee verkümmert zu einem Sumpf; Thapsus ergibt sich sofort, während in den Kommentarien der Kommandeur Vergilius die Tore verschlossen hält; Scipio marschiert keineswegs den längeren Weg um den See-Sumpf herum sondern Caesar unmittelbar hinterher, die große Feldschlacht münzt Dio in einen Belagerungskampf um, es kommt zu einem großen Gemetzel, aber nicht im Felde sondern im Lager... (402)
Man muss Cassius Dio aber auch folgendes zu Gute halten:
Er hat Caesars Entschuldigungen in den Kommentarien zum 'Afrikanischen Krieg', die sich noch bei modernen Autoren finden, vo[m] Tisch gefegt und den Diktator als mörderisches Ungeheuer bloßgestellt... (402/3)
 
Wirklich sehr interessant, vielen Dank! Eine Frage aber von einem "Laien". Die Fehler bzw. Abwichungen von Cassius Dio sind sicherlich richtig, aber sind die anderen Autoren wirklich fehlerfrei? Ich meine damit, ob diese Abweichungen ein besonderes Merkmal von Dio sind, um ihn und seine Aussagen unglaubwürdiger stehen zu lassen als von anderen Autoren.
 
Wirklich sehr interessant, vielen Dank! Eine Frage aber von einem "Laien". Die Fehler bzw. Abwichungen von Cassius Dio sind sicherlich richtig, aber sind die anderen Autoren wirklich fehlerfrei? Ich meine damit, ob diese Abweichungen ein besonderes Merkmal von Dio sind, um ihn und seine Aussagen unglaubwürdiger stehen zu lassen als von anderen Autoren.

Es geht mir explizit nicht um Fehler sondern um Stelle, bei denen Cassius Dio von seiner Vorlage abweicht. Ich habe aus dem Text von Schulze nur die herausgestellt, die für mich im Augenblick interessant waren. Im großen und ganzen dreht es sich bei Schulze um die weitgehende damnatio memoriae die Cassius Dio dem Labienus ex post angedeihen lässt. Interessant ist die überaus ambivalente Haltung zu Caesar die zwischen Bewunderung oder Panegyrismus und Spott oder offenbarer Ablehnung schwankt. So stellt Schulze heraus, dass der Egozentriker Caesar bei weitem nicht so vermessen ist, alle seine Siege auf seine eigene Feldherrenkunst und alle seine Niederlagen auf die anderer zu münzen, auch wenn er hier und dort vielleicht, trotz seines viel gelobten klaren Stils die Sachverhalte verdunkelt. Siege, die Caesar anderen also gönnt, macht Cassius zu Caesars Siegen. Man hat den Eindruck, dass Cassius insbesondere den späteren Caesar, den Diktator der Jahre 46 (auf zehn Jahre) oder 44 (auf Lebenszeit) kritisiert. Cassius bemerkt auch, dass die ostentative Trauer Caesars um Pompeius absolut unglaubwürdig und die Darstellung dieser durch Caesar lächerlich sei.

Von Fehlern kann man in den von mir ausgewählten Beispielen nicht sprechen - vielleicht noch beim Flottenkrieg gegen die Veneter, weil es hier keinen Grund für eine Änderung des Sachverhalts gibt. Aber an den anderen Stellen geht es darum, Leute aus der Geschichte herauszuschreiben bzw. ihre Siege Caesar zuzuschreiben - ob es nun Labienus ist oder dessen Nach-Nachfolger Trebonius (der könnte, très bon, glatt eine Erfindung von Uderzo/Goscinny sein ;)).
 
Danke. Aber die Frage stellt sich doch, ob dies dazu führt, dass Cassius Dio auch hinsichtlich der Varusschlecht sich so verhalten hat. Mir fehlt bei deinem Beitrag der Brückenschlag dazu. Du hast zwar es sehr schön gegenüber Caesar aufgeführt, aber mir fehlen die möglichen Beweggründe bei der Varusschlacht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Schulze zeigt ja, dass Cassius Dio Sachverhalte erfindet (Seeschlacht gegen die Veneter) und an militärischen Dingen wenig interessiert ist (das steht bei Schulz auf den S. 368 - 411 gefühlt auf allen anderhalb Seiten). Insofern wird die Annahme, Cassius Dio würde treu irgendwelche Quellen wiedergeben - von denen wir nicht einmal wissen, ob er sie benutzt hat - oder das man gar militärtaktische Schlussfolgerungen aus dem cassionischen Text ziehen könnte, haarig.
 
Schulze zeigt ja, dass Cassius Dio Sachverhalte erfindet (Seeschlacht gegen die Veneter) und an militärischen Dingen wenig interessiert ist (das steht bei Schulz auf den S. 368 - 411 gefühlt auf allen anderhalb Seiten). Insofern wird die Annahme, Cassius Dio würde treu irgendwelche Quellen wiedergeben - von denen wir nicht einmal wissen, ob er sie benutzt hat - oder das man gar militärtaktische Schlussfolgerungen aus dem cassionischen Text ziehen könnte, haarig.


Durchaus überzeugend argumentiert!

Leider liegen uns keine Anmerkungen* seitens Cassius Dio vor, woher er seine Kenntnisse hat. Hat die Forschung eigentlich eine Meinung, aus welchen Quellen CD geschöpft haben könnte?

*immerhin schrieb Cassius keine wissenschaftliche Abhandlung:scheinheilig:
 
Cassius Dio benutzt ziemlich eindeutig Caesars Commentarien zum Bello Gallico, Civilis etc. Benedikt Simons (Cassius Dio und die römische Republik. Berlin, NY 2009.) glaubt außerdem rekonstrurieren zu können, dass Cassius für die Darstellung der frühen römischen Republik auf die juristischen Traktate von Ulpian, das Geschichtswerk des Poseidonios von Apamaia und Gaius Licinus Macer, dessen populare Ansichten Cassius Dio mittels Verwendung rhetorischer Stilmittel antipopular ausdeutet. Außerdem übernimmt er seine historiographische Konzeption von Thukydides und Lukian.

"In diesem Sinne dürfte auch die Auswahl der 'relevanten Ereignisse' der ἀναγκαῖα zu verstehen sein. So entspricht Cassius Dio in dieser Hinsicht, Material auszuwerten und Informationen auszuwählen, zwar Forderungen Lukians,... Mit dem Begriff der ἀναγκαῖα allerdings verstößt Cassius Dio auch gegen ein offenbar existenzielles Kriterium der Historiographie. Denn es ist nach wie vor unklar, woran er die Relevanz der ἀναγκαῖα festmacht, jedenfalls nicht an der historischen Wahrheit." (Benedikt Simons: Cassius Dio und die römische Republik. Berlin, NY 2009, S. 20 f.)
ἀναγκαῖα – Bedeutung, Notwendigkeit – bei Cassius Dio nach B. Simons die Erziehung durch historische Exempla.

Simons verweist außerdem auf Unruh (leider wird der Titel nicht genannt und steht auch nicht im Literaturverzeichnis), wenn er schreibt: "Zudem befürchtet er, dass das Reich unter dem Einfluss regionaler Machtfaktoren auseinanderbrechen könne. [Weiter in der Fußnote] Dieses Symptom der Krise, dass er in 75, 2, 4 ff umschreibt, leitet er aus dem Umgang Roms mit den Barbarenstämmen ab, dazu UNRUH, 153." (306 [+ FN 10]) Da sehe ich wiederum einen Zusammenhang mit Varus. (Truppen nicht beisammen gehalten, Versklavung der Germanen, hohe Besteuerung, mangelnde Vorsicht). Simons geht davon aus, dass Cassius Dio zu Gunsten von Metazielen (Erziehung seiner Leser durch Exempla) die historische Wahrheit auch schon mal beiseite schiebt. (Simons sagt das nicht so direkt, das ist aber die Quintessenz, die man aus den Sn. 300 - 307 ziehen muss.)
 
Simons geht davon aus, dass Cassius Dio zu Gunsten von Metazielen (Erziehung seiner Leser durch Exempla) die historische Wahrheit auch schon mal beiseite schiebt.
hat der Cassius denn dabei rhetorisches und erzählerisches Geschick? Als Historiograph scheint er ja, so der Tenor hier, das Klassenziel ganz und garnicht erreicht zu haben.
 
Schulze stellt Cassius Dio als Langweiler dar, der in Suetons Spuren wandelt: Viel Klatsch, wenig Substanz.
Simons nimmt Cassius ein wenig dagegen in Schutz, er habe seine Quellen nur ausgeschrieben. Ihm zufolge will Cassius Dio seinen Lesern die stoische Tugend der Mäßigung anempfehlen. Das Verdikt (Simons) von Schwartz in der RE über Cassius Dio "Unter seinen ungeschickten Händen [ist] ein unvergleichlicher Stoff, dessen Fülle von dramatischen Motiven auch einem mäßigen Erzählertalent wohlfeile Lorbeeren bot, zu einer grauen, formlosen Masse zusammengeballt" hält Simons seit den Büchern von Bleicken (1962) und Millar (1964) für überholt (Simons steigt mit diesem Zitat in sein Buch ein).
 
jetzt habe ich den Eindruck erhalten, dass diese Tante Wiki Einschätzung dringend revidiert werden müsste:
Der Wert Dios als Quelle ist trotz mancher Probleme sehr hoch. Für die Zeit der späten Republik, vor allem aber für die Kaiserzeit bietet er wertvolles Material, das teilweise sonst nirgendwo anders verzeichnet ist und weitgehend als zuverlässig gilt. Problematisch ist allerdings, dass Dio vielfach Entwicklungen und Zustände seiner eigenen Zeit auf die Verhältnisse in Republik und früher Kaiserzeit überträgt, was mitunter zu Anachronismen führt, die nicht immer leicht zu identifizieren sind.
aus Cassius Dio ? Wikipedia
 
Wieso? Weitgehend zuverlässig ist er ja. :D
dennoch wird ihm hier ein gerüttelt Maß an Glaubwürdigkeit abgesprochen - das ist für interessierte Laien wie mich verwirrend ;)

momentan kommt es mir so vor:
Fräulein XY, Idealmaße, feine Züge, kurzum rundum schön, hat hinterm linken Ohrläppchen eine kleine Warze - prompt erhält sie keinen Modelvertrag :D
 
dennoch wird ihm hier ein gerüttelt Maß an Glaubwürdigkeit abgesprochen - das ist für interessierte Laien wie mich verwirrend ;)

momentan kommt es mir so vor:
Fräulein XY, Idealmaße, feine Züge, kurzum rundum schön, hat hinterm linken Ohrläppchen eine kleine Warze - prompt erhält sie keinen Modelvertrag :D

... zumindest nicht hier Ohrläppchenfashionbusiness...:winke:
 
Wenn ich oben lese, das Cassius Dio von überlieferten Originalquellen !!!! aus welchen Gründen auch immer abweicht, und das so , das der Berichterstatter in besser da steht, als er sich selbst darstellt, kann ich zumindest Dio als einzige Quelle nicht trauen.
Wenn das mehrfach vorkommt, Dinge dazu erfunden werden etc. , mag es ja sein, das er dann das meiste so schildert, wie andere es auch überliefern, aber gerade in den nicht anders überlieferten Stellen liegt für mich nahe, das er da "ausschmückt", und nicht, das er ältere Quellen korrekt wiedergibt.

Cassius Dio will schließlich unterhalten und die Römer in Gänze gut dastehen lassen. Und da zu seiner Zeit niemand mehr den "Zug des Varus" kennt, unterhält er seine Leser mit diesen Geschichten und übertreibt ein wenig oder erfindet hinzu.

Da nützt auch weitestgehend zuverlässig an anderen Stellen nichts, denn das sagt auch "streckenweise sehr Fantastisch"
 
Ich habe so viel wert auf das weitgehend gelegt, weil es so nichtssagend ist. Würde es sich bei dem Text nicht um einen Wikipedia-Artikel sondern um einen Gesetzestext handeln, würden wir von einem Gummiparagraphen sprechen.
 
momentan kommt es mir so vor:
Fräulein XY, Idealmaße, feine Züge, kurzum rundum schön, hat hinterm linken Ohrläppchen eine kleine Warze - prompt erhält sie keinen Modelvertrag :D

Ich bin mir nicht sicher, ob dem so ist.
Aber:

Den Beitrag,bzw. Vergleich an sich finde ich wirklich Klasse!:winke:
 
Besonders schön ist auch eine Stelle bei Cassius Dio, bei der Caesar erst ins Wasser fällt, sich dann seines schweren Purpurmantels entledigen muss, während die Ägypter ihn beschossen, er aber einhändig schwimmend in der linken Hand mehrere Dokumente, die er nicht nass werden ließ. Da muss Caesar wohl ins Tote Meer, statt in den Hafen von Alexandria gefallen sein, wenn er so gar nicht untergehen wollte... [...] Schulz meint dazu nur süffisant: "Dio hätte es einmal versuchen sollen; aber vielleicht war er ja Nicht-Schwimmer und wäre ertrunken..." (394) [...] Cassius Dio erfindet Dinge, die naturwissenschaftlich nicht möglich sind: Bäume erschlagen nur Römer, nicht aber Germanen - Caesar fällt ins Wasser, schafft es aber nicht unterzugehen, sich seines schweren Mantels zu entledigen und dabei wichtige Dokumente nicht nass werden zu lassen und unter Beschuss zu einer rettenden Insel zu schwimmen. (Womit Caesar kein Tollpatsch-Römer aus Zucker ist, wie die Varuslegionen, sondern schon fast einen Superheldenstatus erreicht, da er seinerseits die Naturgesetze aushebelt).
Diese Geschichte kann man aber nicht einseitig Cassius Dio anlasten. Bereits etwa hundert Jahre vor ihm erzählte das Plutarch in seiner Caesar-Biographie (Kap. 49) so ähnlich: Auch bei ihm schwimmt Caesar, während er mit einer Hand Papiere übers Wasser hält. Diese Ausschmückung muss also schon irgendwann zwischen dem anonymen, zeitnah verfassten "Bellum Alexandrinum", in dem bloß das Schwimmen an sich vermerkt wird, und Plutarch entstanden sein - sofern sie nicht überhaupt auf eine (zum Bellum Alexandrinum) alternative verlorene Quelle zurückgeht. Die Geschichte mit dem Mantel wiederum findet sich in den Grundzügen bei Appian (Bürgerkriege 2,90) - wenngleich bei ihm nicht steht, dass Caesar mit ihm geschwommen sei, sondern nur, dass die Alexandriner ihn erbeutet und als Trophäe präsentiert hätten. Caesar kann ihn natürlich gut abgeworfen haben, ehe er ins Wasser sprang, und so fiel er den Alexandrinern in die Hände. Cassius Dio hat das dann vielleicht nur etwas missverstanden. Bei Florus steht, dass Caesar den Mantel im Wasser zurückgelassen habe. Im Prinzip die ganze Geschichte findet sich bereits bei Sueton: Im 64. Kap. schreibt er, dass Caesar mit der linken Hand Papiere übers Wasser hielt. Beim Mantel weicht er allerdings ab: Den zieht Caesar bei ihm mit den Zähnen nach, um ihn nicht den Feinden als Trophäe in die Hände fallen zu lassen.
Eine bewusste Erfindung muss man Cassius Dio somit nicht unterstellen: Alles, was er über diese Episode schrieb, war im Prinzip bereits vor ihm vorhanden.

Aber hin und wieder verlässt Cassius Dio auch den caesarischen Text. Bei Caesars Schlacht gegen die Nervier manipuliert Cassius Dio den caesarischen Text. Bei Caesar greift Caesar in die Schlacht ein (BG II, 25, 2 – 3) und Labienus erobert das Lager der Nervier (BG II, 26, 4). Bei Cassius Dio erobern die Nervier das Lager der Römer und Caesar erobert es zurück (39, 2, 2). Caesar, der sonst so gut wie alle Erfolge auf sein eigenes Konto schreibt, gesteht Labienus diesen Sieg zu. Cassius Dio dagegen macht ihn zu einem persönlichen Erfolg Caesars.
Das ist für mich nur teilweise nachvollziehbar: Auch bei Caesar erobern die Nervier das römische Lager zumindest teilweise (BG II, 24, 2). Cassius Dio verschweigt lediglich die Eroberung des feindlichen Lagers durch Labienus (wobei seine Schlachtschilderung aber auch wesentlich knapper ist als bei Caesar), aber eine bewusste Manipulation des Schlachthergangs (also in dem Sinne, dass er etwas bewusst falsch wiedergibt) kann ich daraus nicht ableiten. Im Übrigen war es auch hier bereits Plutarch, der Caesars Rolle in der Schlacht massiv herauskehrte.

Wie bei Caesar wird die Belagerung Massilias im Bericht von Cassius Dio durch den Bericht des ersten Spanischen Krieges unterbrochen, aber anders als Caesar, der die Erfolge seiner Generäle hervorhebt, verbindet Cassius Dio den Sieg über Massilia mit dem Erscheinen Caesars. Tatsächlich kapitulierte Massilia gegenüber Trebonius, während Caesar selbst noch in Spanien weilte. Meinhard-Wilhelm Schulz kommentiert dies mit "Dios Referat widerspricht Caesars Darstellung grundlegend..."
Das halte ich für überspitzt formuliert. Einleitend möchte ich auch hier wieder darauf hinweisen, dass Cassius Dios Darstellung der Belagerung wesentlich knapper ist als die Caesars, somit ist auch klar, dass Cassius Dio nicht auf alle Taten von Caesars Generälen eingehen kann. Aber immerhin erwähnt auch er ausdrücklich Brutus' Seesieg. Dass Massilia gegenüber Trebonius kapituliert hätte, schreibt Caesar nicht. Eigentlich geht aus Caesar gar nicht näher hervor, wem gegenüber die Massilioten kapitulierten. In BC II, 21 schreibt Caesar, dass er Tarraco verließ und nach Narbo und Massilia gelangte. In BC II, 22 wird dann die Kapitulation von Massilia behandelt, aber nicht ausdrücklich erwähnt, wem gegenüber die Stadt kapitulierte. Es steht nur, dass Caesar die Stadt verschonte, zwei Legionen als Garnison zurückließ und nach Rom weiterzog. Meiner Meinung nach kann man also durchaus auch Caesar selbst so lesen, dass die Stadt ihm gegenüber kapitulierte. Das ist sogar die wahrscheinlichere Auslegung: Im vorletzten Satz von BC II, 21 steht: "... inde Massiliam pervenit", also "gelangte nach Massilia". Im letzten Satz steht dann, dass er "ibi", also "dort" (Massilia) erfuhr, dass er vom Praetor Lepidus zum Dictator ernannt worden war. Erst im folgenden Kapitel wird dann die Kapitulation der Stadt erwähnt. Dass die Kapitulation nur als Nachtrag erwähnt worden wäre und schon vor Caesars Ankunft stattgefunden hätte, kann ich nicht herauslesen, auch hier eher im Gegenteil: Die Massilioten "constituunt" ihre Übergabe. "Beschließen" steht also sogar im Präsens statt im Plusquamperfekt.
 
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