Cassius Dio als Überlieferer älterer Quellen - seine Glaubwürdigkeit

Wir wissen aber u.a., dass Cassius Dio die Quellen der frühen Kaiserzeit als in der Menge (und in der Wiedergabe des Entscheidungsprozesses) als unzureichend und außerdem als unehrlich abqualifiziert.
Daraus kann man aber nicht schließen, dass er sie einfach durch Selbsterfundenes ersetzt hat.

ich bin jedoch der Auffassung, dass, wäre Plinius' Germanica bella im frühen dritten Jahrhundert verbreitet gewesen, wäre es auch sehr viel einfacher gewesen sein müsste, im späten vierten Jahrhundert noch daran zu kommen.
Gesetzt, dem wäre so, war Plinius aber trotzdem nicht die einzige mögliche Quelle.

Meinhard-Wilhelm Schulz ist der Auffassung, dass Cassius Dio keine Ahnung von militärischen Dingen hatte: "allein daraus ergibt es sich, dass Dio die Ereignisse einer radikalen Kürzung unterworfen hat; dabei fallen fast alle militärischen Details unter den Tisch: Dio ist auch hier ein Mann der Toga." (368)
"Er würdigt Caesars neu eingeführte Taktik mit keinem Wort. Dio hat die Neuerung des Reiterkrieges wohl nicht begriffen und gehörte einer Senatoren-Generation an, die sich lieber in der Sänfte herumtragen ließ." (369)
Man sollte nicht vergessen, dass Cassius Dio seine Vorlagen radikal kürzen musste. Trotz eines Umfangs von 80 Büchern ist sein Werk alles in allem großteils recht knapp gehalten. (Vom Umfang geht leider eine Menge für fiktive Dialoge und mehr oder weniger fiktive Reden drauf.) Für militärische Details war da einfach kein Platz.
Als Statthalter mehrerer Provinzen, darunter Pannonien, wird Cassius Dio jedenfalls nicht komplett ahnungslos von militärischen Dingen gewesen sein. Die Soldaten in Pannonien hielt er in strenger Zucht.

"...und wenn er behauptet 'Vercingetorix hätte entkommen können' widerspricht er damit Caesar, der die Stadt hermetisch abgeriegelt haben will. Dies trifft auch auf die demütige Geste zu, mit der er sich Caesar unterwirft und von der Caesar selbst nichts weiß." Ebd.
Das hat Cassius Dio aber auch nicht selbst erfunden, eine ähnliche Schilderung findet sich auch in Plutarchs Caesar-Biographie (Kap. 27), ebenso bei Florus.
Im Übrigen bedeutet der Umstand, dass Caesar nichts davon berichtet hat, nicht zwangsläufig, dass nicht eine derartige Szene stattgefunden haben könnte. Ich würde es Vercingetorix jedenfalls zutrauen, dass er sich, wenn schon, wenigstens möglichst effektvoll ergeben wollte.

Caesar fällt ins Wasser, schafft es aber nicht unterzugehen, sich seines schweren Mantels zu entledigen und dabei wichtige Dokumente nicht nass werden zu lassen und unter Beschuss zu einer rettenden Insel zu schwimmen.
Die Details erscheinen fragwürdig, aber ich sehe keinen Grund, am Schwimmen an sich zu zweifeln. Immerhin wurde das - noch ganz nüchtern - schon im "Bellum Alexandrinum" erwähnt.

Wirklich sehr interessant, vielen Dank! Eine Frage aber von einem "Laien". Die Fehler bzw. Abwichungen von Cassius Dio sind sicherlich richtig, aber sind die anderen Autoren wirklich fehlerfrei? Ich meine damit, ob diese Abweichungen ein besonderes Merkmal von Dio sind, um ihn und seine Aussagen unglaubwürdiger stehen zu lassen als von anderen Autoren.
Wie ich in meinem letzten Beitrag schon zu zeigen versucht habe, sind die Abweichungen teils schon bei anderen, älteren, Autoren vorhanden, teils existieren sie - zumindest in der behaupteten Schärfe - gar nicht. Von den gebrachten Beispielen sind nur Details in den Berichten über die Seeschlacht gegen die Veneter wirklich miteinander unvereinbar.

Im großen und ganzen dreht es sich bei Schulze um die weitgehende damnatio memoriae die Cassius Dio dem Labienus ex post angedeihen lässt.
Auch diesen Vorwurf halte ich in dieser Schärfe für unberechtigt. Da Cassius Dio den Gallischen Krieg wesentlich knapper schildert als Caesar, ist nur natürlich, dass er den Labienus wesentlich weniger oft erwähnt. Das gilt aber nicht nur für Labienus, auch andere fähige Unterfeldherrn wie Publius Licinius Crassus werden weniger oft erwähnt. Cassius Dio erwähnt immerhin Labienus' Erfolge gegen die Treverer und seine Eroberung von Lutetia, und auch im Konflikt mit Commius kommt er vor.

Schulze zeigt ja, dass Cassius Dio Sachverhalte erfindet (Seeschlacht gegen die Veneter)
Auch hier muss wohl dahingestellt bleiben, ob Cassius Dio das wirklich selbst erfunden oder von einer Quelle abgeschrieben hat.
 
salve

Ich finde die von Ravenik angesprochene Situation durchaus interessant.
Wenn Cassius Dio bereits verfälschte Quellen verwendete dann sind evtl beim ihm auftauchende Fehler nicht unbedingt ihm anzulasten.
Das macht dann aber seine Aussagen auch nicht "richtiger" wenn er solche Quellen verwendet hat, er wusste vielleicht nur nicht dass die Quelle nicht korrekt ist und hat das als korrekt angenommen.

Gruß
Segimerus
 
Das ist für mich nur teilweise nachvollziehbar: Auch bei Caesar erobern die Nervier das römische Lager zumindest teilweise (BG II, 24, 2). Cassius Dio verschweigt lediglich die Eroberung des feindlichen Lagers durch Labienus (wobei seine Schlachtschilderung aber auch wesentlich knapper ist als bei Caesar), aber eine bewusste Manipulation des Schlachthergangs (also in dem Sinne, dass er etwas bewusst falsch wiedergibt) kann ich daraus nicht ableiten. Im Übrigen war es auch hier bereits Plutarch, der Caesars Rolle in der Schlacht massiv herauskehrte.

Was BG II, 24, 2 angeht, da muss ich Schulz entlasten, das führt er durchaus auch mit auf. Das ändert aber nichts daran, dass bei Cassius Dio das Römerlager während der Schlacht erobert wird und Caesar es danach dann zurückerobert etc. Hat Plutarch diesen Sachverhalt auch schon so umgekehrt? Und unterliegt Labienus bei Plutarch, der ja wie Cassius Dio ex post schreibt, auch bereits der damnatio memoriae und wird daher verschwiegen?

Die Details erscheinen fragwürdig, aber ich sehe keinen Grund, am Schwimmen an sich zu zweifeln. Immerhin wurde das - noch ganz nüchtern - schon im "Bellum Alexandrinum" erwähnt.

Am Schwimmen selbst zweifelt ja auch keiner. Aber an dem Hergang, wer auch immer ihn nun in die Geschichtsschreibung eingebracht hat, dass Caesar mit einem schweren Mantel bekleidet ins Wasser fällt sich dieses Mantels entledigt und schwimmend unter Beschuss Papyrusrollen in Sicherheit bringt. Jeder, der schon mal vom Beckenrand ins Wasser gefallen ist, weiß, dass man schon dabei untergeht. Vom Schiff zu fallen oder zu springen, dabei geht man noch ein wenig mehr unter.
Jeder, der seinen Rettungsschwimmer gemacht hat weiß, wie schwer die dünnen Leinenhemdchen sind und wie schwer es ist, sie im Wasser auszuziehen - war Caesar unter seinem Mantel nackt? Oder fand das ganze nicht in Alexandria sondern am Toten Meer statt?

Cassius Dio erwähnt immerhin Labienus' Erfolge gegen die Treverer und seine Eroberung von Lutetia, und auch im Konflikt mit Commius kommt er vor.
Über Labienus' Erwähnung bzgl. der Treverer wundert sich Schulz auch ausdrücklich.
 
Was BG II, 24, 2 angeht, da muss ich Schulz entlasten, das führt er durchaus auch mit auf. Das ändert aber nichts daran, dass bei Cassius Dio das Römerlager während der Schlacht erobert wird und Caesar es danach dann zurückerobert etc.
Wo ist da der große Unterschied? Bei beiden Autoren erobern die Nervier das römische Lager. Cassius Dio schreibt ausdrücklich, dass Caesar selbst das Lager zurückeroberte. Caesar selbst schreibt das nicht ganz so ausdrücklich, aber auch nichts Gegenteiliges, außerdem betont auch er seinen persönlichen Einsatz in der Schlacht. Labienus erobert bei Caesar ja nicht das römische Lager, sondern das der Nervier. Cassius Dio erwähnt das zwar nicht, schreibt aber überhaupt nichts über die Eroberung des Nervier-Lagers. Eine bewusste Umkehrung des Sachverhalts kann ich nicht erkennen. Ich weise auch darauf hin, dass Caesar für die Darstellung der gesamten Schlacht 9 Kapitel braucht (und die Eroberung des feindlichen Lagers durch Labienus mit nur 5 Wörtern abhandelt), während Cassius Dio der Schlacht nur 1 - lückenhaft überliefertes - Kapitel widmet. Wieso sollte er da ausgerechnet Labienus groß erwähnen (falls er es nicht ohnehin in der Lücke getan hat)?

Hat Plutarch diesen Sachverhalt auch schon so umgekehrt?
Plutarch schreibt über die Lager überhaupt nichts, sondern betont - mit Caesars eigener Darstellung übereinstimmend - dessen persönlichen Einsatz in der Schlacht.

Und unterliegt Labienus bei Plutarch, der ja wie Cassius Dio ex post schreibt, auch bereits der damnatio memoriae und wird daher verschwiegen?
Plutarch erwähnt den Labienus im Zusammenhang mit dem Gallischen Krieg nur einmal, nämlich im Krieg gegen die Helvetier - und zwar schreibt er ihm dabei interessanterweise einen Sieg zu, den Caesar nicht erwähnt: Er schreibt nämlich (Kap. 18), dass nicht Caesar selbst, sondern Labienus die Tiguriner am Arar besiegt habe. In BG I, 12 hingegen ist es Caesar selbst, der die Tiguriner angreift und niedermacht. (Das muss natürlich kein direkter Widerspruch sein, denn Caesar war wohl als Oberkommandierender mit vor Ort und gab den Angriffsbefehl, den dann vielleicht Labienus als sein Legat ausführte.)
Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass Plutarch in seiner Caesar-Biographie den gesamten Gallischen Krieg in 9 Kapiteln abhandelt, während Caesar dafür 7 Bücher braucht und die letzten beiden Jahre im Ergänzungsband von Aulus Hirtius behandelt werden. Dass Labienus in 9 Kapiteln nicht so oft erwähnt werden kann wie in 8 Büchern, ist wohl klar und somit kein Beleg für eine damnatio memoriae. Und dass Plutarch dem Labienus sogar einen Sieg zuschreibt, den Caesar selbst nicht erwähnt, spricht erst recht dagegen.

Über Labienus' Erwähnung bzgl. der Treverer wundert sich Schulz auch ausdrücklich.
Warum? Weil es nicht in die "damnatio memoriae"-These passt?
Vielleicht sollte man lieber Thesen auf Grundlage des vorhandenen Quellenmaterials aufbauen statt zuerst eine These zu konstruieren und sich dann zu wundern, wenn in der Quelle etwas nicht zur These passt.
 
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salve,

kann man das jetzt so sagen dass Cassius Dio wohl bezüglich seiner Quellen zu leichgläubig war er aber selbst nichts dazugedichtet hat?
Man kann ihm also mangelnde Quellenkritik anlasten, ansonsten hat er sich aber an seine verwendeten Quellen gehalten?

Hier kommt mir noch ein Gedanke: Für welchen Leserkreis hat er geschrieben? Immerhin schrieb er griechisch.
Auch wenn zu der Zeit auch Lucius-Normalverbraucher lesen und schreiben konnte, konnten die auch griechisch?
Zumindest in den westlichen und nördlichen Provinzen dürfte das den Leserkreis im Wesentlichen auf die gebildete Elite eingeschränkt haben.
Konnte er es sich erlauben, diesen ein Geschichtsbuch vorzulegen in dem er irgendwelche Episoden erfunden hat?

Gruß
Segimerus
 
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Ich habe schon woanders geschrieben, dass man die Eigenart der antiken Geschichtsschreibung berücksichtigen muss.

Reden z.B. wurden so geschrieben, wie die Autoren sie selbst gehalten hätten.

Einzelheiten von Schlachten, Stürmen und Volksbeschreibungen wurden mit Motiven angereichert, die eben zu Schlachten, Stürmen und Barbarenvölkern gehörten. (Schwertgeklirr, herabfallende Baumwipfel, eine niedrige Entwicklungsstufe)

Quellen wurden nicht gegeneinander betrachtet, um sie zu überprüfen. Statt dessen suchte man sie in Einklang zu bringen. Dabei war man nicht unbedingt zimperlich.

Oft ist auch ein großes Problem, dass aus dem Kopf zitiert wurde. Wer erinnert sich schon immer richtig?
 
kann man das jetzt so sagen dass Cassius Dio wohl bezüglich seiner Quellen zu leichgläubig war er aber selbst nichts dazugedichtet hat?
Man kann ihm also mangelnde Quellenkritik anlasten, ansonsten hat er sich aber an seine verwendeten Quellen gehalten?
Würde ich so sagen, ja. Nach eigenen Angaben studierte er über 20 Jahre lang die Quellen und las praktisch alles, was verfügbar war. Diese Mühe hätte er sich sparen können, wenn er ohnehin nur ein Märchenbuch mit Selbsterfundenem hätte schreiben wollen.

Hier kommt mir noch ein Gedanke: Für welchen Leserkreis hat er geschrieben? Immerhin schrieb er griechisch.
Er schrieb sowohl für Römer als auch für Nichtrömer. Ursprünglich plante er nur eine Darstellung der von ihm selbst miterlebten Zeitgeschichte.

Auch wenn zu der Zeit auch Lucius-Normalverbraucher lesen und schreiben konnte, konnten die auch griechisch?
Die gebildete Oberschicht, also die primäre Leserschaft von Geschichtswerken, auf jeden Fall. Griechisch war für gebildete Römer der späten Republik und der Kaiserzeit ein Muss.

Zumindest in den westlichen und nördlichen Provinzen dürfte das den Leserkreis im Wesentlichen auf die gebildete Elite eingeschränkt haben.
Konnte er es sich erlauben, diesen ein Geschichtsbuch vorzulegen in dem er irgendwelche Episoden erfunden hat?
Nicht wenn er ernst genommen werden und einen positiven Nachruhm ernten wollte. Bereits den antiken Lesern fiel es auf, wenn Autoren herumfabulierten. Solche gab es zwar auch, z. B. Ktesias von Knidos und Valerius von Antium, aber sie hatten einen entsprechend miesen Nachruf. (Plutarch fühlte sich in seiner Biographie über den Perserkönig Artaxerxes II. - dessen Leibarzt Ktesias war - sogar bemüßigt, ausführlich darzulegen, wieso er bei einem Detail, zu dem er in den Quellen abweichende Angaben vorfand, ausnahmsweise der Darstellung des Ktesias folgte, trotz dessen bekannter Unzuverlässigkeit.) Da Cassius' Leserschaft mit der römischen Geschichte im Großen und Ganzen vertraut gewesen sein wird, wäre es ihnen auch aufgefallen, wenn er Dinge einfach erfunden hätte.

Man hat den Eindruck, dass Cassius insbesondere den späteren Caesar, den Diktator der Jahre 46 (auf zehn Jahre) oder 44 (auf Lebenszeit) kritisiert.
Grob gesprochen vielleicht. Aber Cassius steht Caesar während dessen ganzer Karriere recht ambivalent gegenüber*. Andererseits aber vertritt er die Ansicht, dass das Römische Reich nur noch durch einen Alleinherrscher regierbar sei, und verurteilt Caesars Ermordung.
* Ein Beispiel: Als Cicero aus Rom verbannt werden sollte, bot Caesar ihm an, ihn als Legat nach Gallien zu begleiten, um ihm so ein gesichtswahrendes freiwilliges Verlassen der Stadt zu ermöglichen. Cassius aber unterstellt, dass das nur Teil eines miesen Plans war, den Caesar und Pompeius gegen Cicero geschmiedet hätten.
 
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kann man das jetzt so sagen dass Cassius Dio wohl bezüglich seiner Quellen zu leichgläubig war er aber selbst nichts dazugedichtet hat?
Man kann ihm also mangelnde Quellenkritik anlasten, ansonsten hat er sich aber an seine verwendeten Quellen gehalten

Etwas, dass auch moderne Historiker gerne tun. Wolfgang Will bspw. "zitiert" die Piratenepisode in seiner Caesarbiographie weder aus Plutarch noch dem von ihm abweichenden Sueton, sondern aus mehreren modernen Biographien.

Z.T. wird auch einfach etwas dazuerfunden: Luciano Canfora will zum Beispiel wissen, dass Caesars Stimme in besagter Episode "mörderisch" geklungen haben soll.
 
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Würde ich so sagen, ja. Nach eigenen Angaben studierte er über 20 Jahre lang die Quellen und las praktisch alles, was verfügbar war. Diese Mühe hätte er sich sparen können, wenn er ohnehin nur ein Märchenbuch mit Selbsterfundenem hätte schreiben wollen.

Das ist eine Überspitzung, das wirft Cassius niemand vor.

Was BG II, 24, 2 angeht, da muss ich Schulz entlasten, das führt er durchaus auch mit auf. Das ändert aber nichts daran, dass bei Cassius Dio das Römerlager während der Schlacht erobert wird und Caesar es danach dann zurückerobert etc.
Wo ist da der große Unterschied? Bei beiden Autoren erobern die Nervier das römische Lager. Cassius Dio schreibt ausdrücklich, dass Caesar selbst das Lager zurückeroberte. Caesar selbst schreibt das nicht ganz so ausdrücklich, aber auch nichts Gegenteiliges, außerdem betont auch er seinen persönlichen Einsatz in der Schlacht. Labienus erobert bei Caesar ja nicht das römische Lager, sondern das der Nervier. Cassius Dio erwähnt das zwar nicht, schreibt aber überhaupt nichts über die Eroberung des Nervier-Lagers. Eine bewusste Umkehrung des Sachverhalts kann ich nicht erkennen. Ich weise auch darauf hin, dass Caesar für die Darstellung der gesamten Schlacht 9 Kapitel braucht (und die Eroberung des feindlichen Lagers durch Labienus mit nur 5 Wörtern abhandelt), während Cassius Dio der Schlacht nur 1 - lückenhaft überliefertes - Kapitel widmet. Wieso sollte er da ausgerechnet Labienus groß erwähnen (falls er es nicht ohnehin in der Lücke getan hat)?

Der große Unterschied liegt in der Veränderung der chronologischen Abläufe und der Auslassung der Eroberung des Lagers der Nervier durch Labienus. Dadurch wird der gesamte Sachverhalt durcheinandergeworfen.

Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass Plutarch in seiner Caesar-Biographie den gesamten Gallischen Krieg in 9 Kapiteln abhandelt, während Caesar dafür 7 Bücher braucht und die letzten beiden Jahre im Ergänzungsband von Aulus Hirtius behandelt werden. Dass Labienus in 9 Kapiteln nicht so oft erwähnt werden kann wie in 8 Büchern, ist wohl klar und somit kein Beleg für eine damnatio memoriae. Und dass Plutarch dem Labienus sogar einen Sieg zuschreibt, den Caesar selbst nicht erwähnt, spricht erst recht dagegen.
Auch Plutarch hat niemand eine damnatio vorgeworfen.


Über Labienus' Erwähnung bzgl. der Treverer wundert sich Schulz auch ausdrücklich.
Warum? Weil es nicht in die "damnatio memoriae"-These passt?
Vielleicht sollte man lieber Thesen auf Grundlage des vorhandenen Quellenmaterials aufbauen statt zuerst eine These zu konstruieren und sich dann zu wundern, wenn in der Quelle etwas nicht zur These passt.

Ich gebe mal Schulz, 365 f., gekürzt wieder:
Dem bisher weitgehend verschwiegenen Labienus widmet Dio überraschend einen längeren Abschnitt [...] Während Caesar nun im Norden herum marschiert, stürzen sich die Treverer auf das von Labienus gehaltene Lager und werden von ihm, der sich nicht an die Order hält, im Lager zu bleiben, mit List, Mut und Strategie geschlagen; das hat Dio wohl so imponiert, dass er es fast ein ganzes Kapitel lang behandelt:
[...]
Es bestehen aber auch Unterschiede zu Caesars Version: Während dieser seinen Stellvertreter mit zwei Legionen im rückwärtigen Lager stationiert, lässt Dio ihn im Trevererland einarschieren [kursive Hervorhebung durch Schulz], um die Feldschlacht zu wagen. [...] Insgesamt gesehen ist die für Dios Verhältnisse breite Darstellung von Labienus' bisher größtem Sieg als Anerkennung seines Feldherrengenies zu sehen; umso größer sollte das Erstaunen aber sein, dass er die bisherigen Erfolge des Labienus entweder gar nicht erwähnt (bes. Nervier-Schlacht) oder sie klein redet (erste Treverer-Schlacht): Entweder ist Dios Darstellungsweise uneinheitlich, oder aber er will mit dem Glanz, den er (nur hier!) auf Labienus fallen lässt, die derzeitige Erfolglosigkeit Caesars umso deutlicher herausarbeiten; diese Deutung legt auch die unten folgende Deutung der Eburonen nahe....
 
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Also mir scheint dieser Schulz ein grosses Trara um wenig Stoff zu machen. Es ist doch klar, dass Dio nach 200 Jahren nicht mehr jedes Detail in einem grossen Zusammenhang darstellen will und kann.

Labienus war in zur Zeit des Bellum Gallicum wichtig doch einfach nur als der erste Offizier Caesars und damit sein Befehlsausführer und Caesar war in seinen Augen lange nicht so prägend wie Augustus.

Man nennt das Zusammenfassung.

Die französische Revolution und die napoleonische Zeit werden heute vielfach ohne auch nur die Nennung von Joseph Fouché oder Teillerand beschrieben.
 
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Aber mit sehr, sehr kleinen Lichtblicken. Kennt jemand Schulz Aufsatz von 2009 über die Germanen oder steht der irgendwo als link?
 
Du meinst die Dissertation? Ja, die habe ich schon mal in der Hand gehabt, mag ein oder zwei Jahre her sein.
 
Dern Aufsatz kenne ich nicht. Die Diss. ist Caesar zu Pferde. Ross und Reiter in Caesars Kommentarien und in der Germania des Tacitus, Hildesheim 2009.
 
Martin Hose: Die Erneuerung der Vergangenheit. Die Historiker im Imperium Romanum von Florus bis Cassius Dio. Stuttgart Leipzig 1994, S. 384:
"Wenn Dio z.B. annalistische Quellen des Livius heranzog (was er […] in beträchtlichem Umfang tat), gestaltete er das dort vorgefundene in einem bedeutenden Maß um, um seine 'amoralische' Sehweise einbringen zu können – auch dies führt zur […] Selbständigkeit Dios."
S. 440:
"Was aber Dio – wenn wir Xiphilinos' Epitome trauen dürfen – in dieser Schilderung [Brand Roms unter Nero] aufgibt, sind eigentlich historische Informationen, Angaben über den Ort des Ausbruchs des Brandes, die Dauer, das Ausmaß der Zerstörungen […]. Tacitus […] bietet diese Angaben. Für den Althistoriker wird Dios Text hierin problematisch, literaturhistorisch bedeutet dies, dass in einer für die Gattung Historiographie einzigartigen Weise eine stilistisch-darstellerische Vorlage [gemeint ist Thukydides' Schilderung der Pest in Attika] neben die Vorlage, die die Sachinformation bietet, tritt und sie bisweilen sogar überlagert."
Problematisch ist mit einer Fußnote versehen, in der aus dem Cassius Dio-Artikel der RE von Schwartz und aus einem Artikel über Cassius Dio von Flach zitiert wird:
Schwartz: "rhetorische Schildereien ohne jeden Wert"
Flach: "historisch wertlose u. das Verständnis erschwerende Zutaten", "von rhetorisch aufgeputzten Katastrophenschilderungen". (Dios Platz in der kaiserzeitl. Geschichtsschreibung. In A&A 18 (1973))
 
Martin Hose: Die Erneuerung der Vergangenheit. Die Historiker im Imperium Romanum von Florus bis Cassius Dio. Stuttgart Leipzig 1994, S. 384:
"Wenn Dio z.B. annalistische Quellen des Livius heranzog (was er […] in beträchtlichem Umfang tat), gestaltete er das dort vorgefundene in einem bedeutenden Maß um, um seine 'amoralische' Sehweise einbringen zu können – auch dies führt zur […] Selbständigkeit Dios."​

Schon merkwürdig: Der erhaltene Teil von Livius bricht kurz nach dem 3. Makedonischen Krieg ab (wobei bekanntlich auch ein Großteil des 3. Jhdts. fehlt). Für die Zeit danach sind nur die Epitome, knappe Inhaltsangaben, erhalten. Bei Cassius Dio beginnt der weitgehend erhaltene Teil erst im 3. Mithridatischen Krieg; für die Zeit davor sind nur dürftige Fragmente erhalten.
Wie will man da so tiefschürfende Vergleiche anstellen können? Das klingt schon ein bisschen gewagt, vage und fragwürdig.
 
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