Arne
Premiummitglied
Am Beispiel einer Straße, mit derer Geschichte ich mich seit einigen Wochen beschäftige, möchte ich den Versuch machen, eine grundsätzliche Diskussion zu eröffnen - sofern Interesse besteht...
Ein Teil des Bismarck-Archipels ist die Insel Neu-Mecklenburg (heute: New Ireland). Als am 30.06.1900 der deutsche Verwaltungsbeamte Franz Boluminski (12.11.1863 - 28.04.1913) mit seiner Frau Frida und einigen Polizeisoldaten zu der Ortschaft Käwieng versetzt wurde, standen dort nur ein paar Hütten. In den folgenden Jahren wurden diverse feste Gebäude errichtet (um die es hier aber nicht geht) und er Ort wuchs. Besonders an der Ostseite der Insel gab es mehrere Pflanzungen, meist mit Kokospalmen zur Kopra-Gewinnung (Getrocknetes Kokosnußfleisch zur Weiterverarbeitung zu Öl).
Boluminski erkannte, daß der Transport mit Segelschiffen schwierig war, weil erstens ein guter Hafen fehlte und zweitens die Küste mit Segelschiffen schlecht schiffbar war. So entschloß er sich eine Küstenstraße als Verbindung der Pflanzungen bauen zu lassen um den Handel zu erleichtern.
Diese Küstenstraße, benannt als "Kaiser-Wilhelm-Straße" verband zu seiner Regierungszeit schließlich Kawieng und das ca.100 km entfernte Fissoa. Nach dem ersten Weltkrieg wurde sie 1921 von den Neuseeländischen Verwaltern in "East-Coast-Highway" und schließlich 1975 von der unabhängigen Regierung von Papua-neu-Guinea (PNG) in "Boluminski-Highway" umbenannt. Die Straße ist heute (inzwischen verlängert) die Hauptverbindungsstraße und Lebensader der Insel.
Gebaut wurde sie von der Bevölkerung der anliegenden Dörfer. Jedes hatte seinen Bereich als Anlieger. Die Arbeitsverpflichtung kann man als Teil des Steuersystems verstehen. In verschiedenen Quellen wird erwähnt, daß Boluminski die Leute zu großer Leistung anspornte indem er "Wettbewerbe" zwischen den verschiedenen Dörfern machte. Das ist wohl so zu verstehen, daß das Dorf, welches die Straße in seinem Gebiet am schnellsten vorranbrachte Auszeichnungen oder/und Belohnungen erhielt. Oder auch Strafen für langsame Baugruppen(?).
In neueren Interviews wird eine "Anekdote" aus der Bauzeit erzählt, die in der Bevölkerung weitererzählt wurde. So hat Boluminski wohl regelmäßig die Straße abgefahren und wenn er irgendwo mit seinem Wagen steckenblieb, weil die Straße nicht gepflegt und ausgebessert wurde (bei den Wetterverhältnissen ein Dauerjob..) , mußte die Dorfbevölkerung seine ganzen Wagen inclusive Pferd und ggfl. Ladung über die Löcher in der Straße tragen. Die Erzähler in den Interviews schmunzelten dann und ergänzten, daß das nicht häufig geschah, weil von da an sehr auf den Zustand der Straße geachtet wurde.
Worum es mir jetzt geht: Wir haben ein Projekt von Kolonialisten, das sicher mit Zwang der einheimischen Bevölkerung errichtet wurde. Ich habe zwar keine besondere Erwähnung von Brutalitäten gefunden, aber man muß davon ausgehen, daß zumindest anfangs mit Prügelstrafe gedroht und sie auch angewendet wurden, wenn nicht auch Waffengewalt angedroht wurde. Die Peitsche war, im Gegensatz zu Afrika, in der Südsee nicht gebräuchlich.
Dieses Projekt ist noch heute sehr wichtig für die Bevölkerung und es scheint, daß sie den Bau im Nachhinein(?) auch als gut und richtig empfinden, sonst wäre wohl diese Straßenbenennung wohl kaum geschehen. Aber ist die Gewaltanwendung im nachhinein dadurch zu rechtfertigen?
Ist das vergleichbar mit den Anliegerkosten, die ein Hausbesitzer heute in Deutschland für die zuführende Straße tragen muß? Oder hinkt der Vergleich völlig?
Im Kern geht es um die Grundsatzfrage: Haben die Kolonisten der Bevölkerung durch Ausbau der Infrastruktur einen Gefallen getan - auch wenn sie Gewalt angewendet haben? Nicht nur in diesem Beispiel. Die Frage ist fast beliebig überall anwendbar.
Ergänzende Informationen:
Zeitungsbericht einer örtlichen Zeitung, Juni/2000
http://www.postcourier.com.pg/20000630/weekend01.htm
Karte:
http://www.stub.bildarchiv-dkg.uni-...stlicher_Bismarkarchipel_Plantagengebiete.jpg
Ein Teil des Bismarck-Archipels ist die Insel Neu-Mecklenburg (heute: New Ireland). Als am 30.06.1900 der deutsche Verwaltungsbeamte Franz Boluminski (12.11.1863 - 28.04.1913) mit seiner Frau Frida und einigen Polizeisoldaten zu der Ortschaft Käwieng versetzt wurde, standen dort nur ein paar Hütten. In den folgenden Jahren wurden diverse feste Gebäude errichtet (um die es hier aber nicht geht) und er Ort wuchs. Besonders an der Ostseite der Insel gab es mehrere Pflanzungen, meist mit Kokospalmen zur Kopra-Gewinnung (Getrocknetes Kokosnußfleisch zur Weiterverarbeitung zu Öl).
Boluminski erkannte, daß der Transport mit Segelschiffen schwierig war, weil erstens ein guter Hafen fehlte und zweitens die Küste mit Segelschiffen schlecht schiffbar war. So entschloß er sich eine Küstenstraße als Verbindung der Pflanzungen bauen zu lassen um den Handel zu erleichtern.
Diese Küstenstraße, benannt als "Kaiser-Wilhelm-Straße" verband zu seiner Regierungszeit schließlich Kawieng und das ca.100 km entfernte Fissoa. Nach dem ersten Weltkrieg wurde sie 1921 von den Neuseeländischen Verwaltern in "East-Coast-Highway" und schließlich 1975 von der unabhängigen Regierung von Papua-neu-Guinea (PNG) in "Boluminski-Highway" umbenannt. Die Straße ist heute (inzwischen verlängert) die Hauptverbindungsstraße und Lebensader der Insel.
Gebaut wurde sie von der Bevölkerung der anliegenden Dörfer. Jedes hatte seinen Bereich als Anlieger. Die Arbeitsverpflichtung kann man als Teil des Steuersystems verstehen. In verschiedenen Quellen wird erwähnt, daß Boluminski die Leute zu großer Leistung anspornte indem er "Wettbewerbe" zwischen den verschiedenen Dörfern machte. Das ist wohl so zu verstehen, daß das Dorf, welches die Straße in seinem Gebiet am schnellsten vorranbrachte Auszeichnungen oder/und Belohnungen erhielt. Oder auch Strafen für langsame Baugruppen(?).
In neueren Interviews wird eine "Anekdote" aus der Bauzeit erzählt, die in der Bevölkerung weitererzählt wurde. So hat Boluminski wohl regelmäßig die Straße abgefahren und wenn er irgendwo mit seinem Wagen steckenblieb, weil die Straße nicht gepflegt und ausgebessert wurde (bei den Wetterverhältnissen ein Dauerjob..) , mußte die Dorfbevölkerung seine ganzen Wagen inclusive Pferd und ggfl. Ladung über die Löcher in der Straße tragen. Die Erzähler in den Interviews schmunzelten dann und ergänzten, daß das nicht häufig geschah, weil von da an sehr auf den Zustand der Straße geachtet wurde.
Worum es mir jetzt geht: Wir haben ein Projekt von Kolonialisten, das sicher mit Zwang der einheimischen Bevölkerung errichtet wurde. Ich habe zwar keine besondere Erwähnung von Brutalitäten gefunden, aber man muß davon ausgehen, daß zumindest anfangs mit Prügelstrafe gedroht und sie auch angewendet wurden, wenn nicht auch Waffengewalt angedroht wurde. Die Peitsche war, im Gegensatz zu Afrika, in der Südsee nicht gebräuchlich.
Dieses Projekt ist noch heute sehr wichtig für die Bevölkerung und es scheint, daß sie den Bau im Nachhinein(?) auch als gut und richtig empfinden, sonst wäre wohl diese Straßenbenennung wohl kaum geschehen. Aber ist die Gewaltanwendung im nachhinein dadurch zu rechtfertigen?
Ist das vergleichbar mit den Anliegerkosten, die ein Hausbesitzer heute in Deutschland für die zuführende Straße tragen muß? Oder hinkt der Vergleich völlig?
Im Kern geht es um die Grundsatzfrage: Haben die Kolonisten der Bevölkerung durch Ausbau der Infrastruktur einen Gefallen getan - auch wenn sie Gewalt angewendet haben? Nicht nur in diesem Beispiel. Die Frage ist fast beliebig überall anwendbar.
Ergänzende Informationen:
Zeitungsbericht einer örtlichen Zeitung, Juni/2000
http://www.postcourier.com.pg/20000630/weekend01.htm
Karte:
http://www.stub.bildarchiv-dkg.uni-...stlicher_Bismarkarchipel_Plantagengebiete.jpg