Der Shukow/Wassilewski-Plan vom Mai 1941

Wichtige Dokumente wurden von Stalin abgezeichnet und wurden damit verbindlich, häufig mit Bemerkungen bzw. Glossen versehen, selbst "Todeslisten" für Säuberungen, oder eben auch MP41 bzw. DP41.

Das fehlt hier.

Gut. Wenn Stalin tatsächlich durch Kontrasignatur etwas verbindlich machte, dann wird er vermutlich auch die Unverbindlichkeit durch Kontrasignatur zum Ausdruck gebracht haben. Zumindestens seine Registratur hätte Bearbeitungsvermerke angebracht.

Oder aber er bzw. sein Stab (mit Auftrag oder ohne), haben Shukov informell gebeten, das Memo zurück zu ziehen.

Ansonsten bliebe aus ferner Sicht, nur noch das Posteingangsbuch von Stalin und seines persönlichen Stabes, als archivalische Quelle bzw. das Postausgangsbuch von Shukov oder des Militär-Bezirkes.

Fände man dort auch keinen Hinweis, dann wäre das kein amtliches Dokument, sondern hätte die Qualität einer Aktennotiz oder Ideenskizze.

M. :winke:
 
1. Vermutlich habe ich es schon geschrieben. So berichtet Besymanski (Stalin und Hitler, S. 443) von einem Gespräch, das Anfilow (renomierter russischer Militärhistoriker) mit Shukow hatte.

Shukow soll folgendes formuliert haben: "Gut, dass er [Stalin] uns damals nicht zugestimmt hat. Bei dem Zusatnd unserer Truppen hätte das Ganze in einer Katastrope enden können."

2. Zudem weist Besymenski auf die Sitzung der Stavka (Oberkommando der Roten Armee) am 24.05.1941 hin. Der Vorschlag vom 15.05. spielte aber laut Aussagen der Teilnehmer keine Rolle.

Dieser Plan vom 15.05. war eine Skizze, die vor dem Hintergrund der Rede vom 05.05 gesehen werden muss, in der Stalin den politischen Konflikt zum 3. Reich deutlich akzentuiert hatte. Diese Skizze war "spontan" in diesen 10 Tagen entstanden, wenngleich sie die Realität der Planung und der Durchführung des bereits ab Frühjahr 41 laufenden Mobilisierungsprozesses natürlich berücksichtigte.
 
Dieser Plan vom 15.05. war eine Skizze, die vor dem Hintergrund der Rede vom 05.05 gesehen werden muss, in der Stalin den politischen Konflikt zum 3. Reich deutlich akzentuiert hatte. Diese Skizze war "spontan" in diesen 10 Tagen entstanden, wenngleich sie die Realität der Planung und der Durchführung des bereits ab Frühjahr 41 laufenden Mobilisierungsprozesses natürlich berücksichtigte.

Richtig, die Skizze war handgeschrieben und mit der Bezeichnung "predlozhene" (предложение) versehen: Vorschlag.
Glantz, S. 21.
 
Der Artikel zeigt aber auch deutlich die Probleme des Lexikons: gibt es nicht genug Aufmerksamkeit,* kann irgendein Käse (hier erkennt man einige sowjetische Memoiren...

Das hatte mich interessiert. Eher um mal wieder in die entsprechende Literatur reinzuschaun, habe ich die mir vorliegenden Biogrphien der relevanten sowjetischen Generale aus der Zeit angesehen.

1. Merezkow: Im Dienste des Volkes
2. Rokossowski: Soldatenplicht
3. Shukow: Erinnerungen und Gedanken
4. Wassilewski: Sache des Lebens

angesehen und die von Schaposchnikow: Das Hirn der Armee ausgeblendet.

Es sind mir bei der Durchsicht eine Reihe von Punkte aufgefallen zur Glaubwürdigkeit der oben zitierten Literatur.

Unglaubwürdig:
- Sofern exakte Zahlen zur Dislozierung von Truppen für Juni 1941 genannt werden, sind die Zahlen der "Achse"übertrieben und die Zahlen der RKKA untertrieben (vgl. Glantz: Stumbling Colossus, App. D, S. 292)
- Der Mißerfolg der RKKA für 1941 wird fälschlich als das Ergebnis einer numerischen Überlegenheit der WM dargestellt.

Glaubwürdig:
- Es werden einzelne Fakten glaubwürdig geschildert, die die Aktivitäten der RKKA beschreiben, wie die Diskussion über die Dislozierung nördlich oder südlich der Sümpfe
- Die Schwerpunkte des Dislozierung wird ebenfalls korrekt dargestellt in Bezug auf die Anteile der einzelnen Waffengattungen.
- Es werden auch einzelne numerische Fakten (beispielsweise der Zulauf an modernen Panzern) geschildert
- Die Darstellungen bei Rokossowski des desolaten Situation im Vorfeld des 22. Juni 1941 werden von R. Woff (in Stalin`s Generals, H. Shukman Ed. S, 182) beispielsweise als realistisch eingeschätzt.

Fazit und These:
Wenn man sich lediglich die oben zitierten Darstellungen in der Gesamtheit ansieht, dann ergibt sich m.E. ein differenziertes Bild für die Memoirenliteratur sowjetischer Generale. Sie haben an manchen Punkten mitgeholfen eine Rechtfertigung für das Versagen der RKKA zu liefern. Sofern Aspekte betroffen waren, die nicht direkt damit im Zusammenhang standen, hat man versucht eine historisch korrekte Darstellung zu liefern.

Wie weiter sollte man diese These zusätzlich differenzieren?
 
Zuletzt bearbeitet:
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Fazit und These:
Wenn man sich lediglich die oben zitierten Darstellungen in der Gesamtheit ansieht, dann ergibt sich m.E. ein differenziertes Bild für die Memoirenliteratur sowjetischer Generale. Sie haben an manchen Punkten mitgeholfen eine Rechtfertigung für das Versagen der RKKA zu liefern. Sofern Aspekte betroffen waren, die nicht direkt damit im Zusammenhang standen, hat man versucht eine historisch korrekte Darstellung zu liefern.

Wie weiter sollte man diese These zusätzlich differenzieren?

@Thane

Das ist nicht simpel.

Von den vier von Dir angeführten Memoiren habe ich nur die von Shukov in deutscher Übersetzung gelesen.

Zu militärhistorischen Fragenstellungen wie Disloziierungen der RKKA etc. kann ich mich mangels Detailkenntnisse nicht äußern.

Bleiben also nur Anmerkungen zur Entstehungszeit und etwaiger Ansatzpunkte zur "Quellenkritik".

Die vier Memoiren sind in relativ schneller Abfolge zwischen 1968 bis 1971 (M., R. und S.) und 1978 (W.) erschienen. Die ersten drei in der sehr frühen Breschnew-Ära. Wie Du m.E. richtig schriebst, sie beinhalten eine "Apologetik des Versagens" der RKKA in 1941. Allerdings spannen sie auch den Bogen zum "Siegesmythos" im Großen Vaterländischen Krieg. Einen Mythos den Breschnew für seine "neostalinistische" Außen- und Innenpolitik benötigte. Du stellst "Unglaubwürdigkeiten" und "Glaubwürdigkeiten" heraus - richtig und betonst richtigerweise bei ersterem Argumentarium "falsche Stärkeangaben" auf Seite der Achse in 1941. Ende der 1960'er, Anfang der 1970 Jahre, hätten es Marschälle besser wissen sollen, inkl. ihrer vermutlichen Berater-Teams aus der Frunse-Akademie, dem Generalstab, dem Verteidigungsministerium, dem KGB und dem ZK.

Dann führst Du die "glaubwürdigen" Argumente an, in dem Du Übereinstimmungen in dem Memoiren herstellen kannst; ich denke, die sind zweifelsohne vollkommen gerechtfertigt und sind bei einer Faktenprüfung valide und militärhistorisch belastbar. Literatur dazu führst Du an.

Was mich dabei interessieren würde, sind es Memoiren in engeren Sinn oder "halboffizielle" individualgeschichtlich formulierte "Bausteine" einer parteioffiziellen Geschichtsschreibung zur Geschichte des II. WK?

Nur so ein Ansatz.


M. :winke:
 
Ich kenne ungefähr drei bis vier Dutzend der Darstellungen. So aus der Hand:

Die Darstellung von Thane teile ich. Zusätzlich ist zu beachten, dass es für die Publikationen

- jeweils eine "Freigabe" bzw. Überarbeitung der Darstellung gegeben hat
- die Biographien sich in die amtliche Heroisierung der Darstellung einfügen mußten
- die Orientierung an dem amtlichen Werk "Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges" (bzw. der Entwürfe und Materialien) einer militärhistorischen Kommission, die dem Verteidigungsministerium unterstand, zu erfolgen hatte. Diese 6 Bände plus Kartenband (ich habe die deutsche Ausgabe) sind sozusagen die Grundlagendarstellung. Die darin erfolgten erheblichen Überschätzungen der deutschen Kräfte findet sich allerdings schon in den General Staff Studies des RKKA während des Krieges, wie an den viel späteren Publikationen derselben zB durch Glantz/Orenstein ersichtlich.
 
Ich teile auch Thanes Darstellung, nur habe ich seine Frage anders verstanden -sorry-, und zwar, inwieweit kann militärische Memoirenliteratur sowjetischer Generale jenseits der "Grundriß-Vorgaben" zur detailgeschichtlichen Plausibilisierung genutzt werden und dieses anhand der vier aufgeführten Memoiren.

M.
 
Warum sollte man sie nicht nutzen können?

Problematisch und dabei unabdingbar wäre dann nur die Plausibilisierung (ggf. Falsifizierung oder eben Bestätigung) anhand weiterer Quellen.
 
Die Literatur ist m.E. unter zwei Aspekten interessant.

1. In der Phase post - WW2, während der UdSSR, war diese Literatur eine wichtige Quelle für die Darstellung aus sowjetischer Sicht für die westlichen Militärhistoriker, wie beispielsweise auch bei Seaton. Und es stellte sich für mich die Frage, wie angemessen das Bild war, das man sich auf der Grundlage dieser Memoirenliteratur machen konnte. Was konnte man bei kritischer Sicht der Dinge aus dieser Literatur herausziehen. Mit unserem heutigen Wissen im Hintergrund, wäre es eine durchaus brauchbare Darstellung der Ereignisse in der Frühphase des WW2, mit allen den bisher genannten Einschränkungen.

Interessant ist dabei zusätzlich, dass es von großer Wichtigkeit ist, aus welcher Periode die Literatur stammte. Die Darstellungen, wie Orenstein schreibt (The Evolution of Operational Art, 1927-1991, Vol.1, S. 166) war geprägt durch die Überhöhung der Rolle Stalins und seiner "Veteidigung" bzw. "Umdeutung" seiner Rolle während der ersten Phase in 1941.

Die zweite Phase, während der Chruschtschow-Ära, setzte andere Akzente. Die Rolle der Partei, also die kollektive Sicht, des Militärs und vor allem des sowjetischen Volkes wurden in den Vordergrund gerückt. So wird beispielsweise Stalin in "Die wichtigsten Operationen des Grossen Vaterländischen Krieges", Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung, Berlin, 1958, nicht herausgestellt. Vielmehr erfolgt sogar eine Kritik an der bisherigen Darstellung (S. 16), die von aktiver Verteidigung sprach, anstatt von Verteidigung.

In der Phase von Gorbatschow setzt sich die kritische Aufbereitung der WW2 weiter fort. Und es werden in den späten 80 er Jahren die Teile der Memoiren publiziert, die bisher durch die Zensur, unterdrückt worden sind, wie Woff es für die 3. Auflage der Darstellung von Rokossowski betont (S. 182, in Stalin`s Generals).

2. Der zweite Aspekt ist eher die retrospektive Validierung der Memoiren vor dem Hintergrund der vorhandenen neuen Informationen. Und da ergibt sich in der Tat, Legitmationsbeschaffung einerseits und auch Kritik an der Situation in 1941.

Abschließend fand ich es interessant, das es Parallelen zwischen der Literatur deutscher und sowjetischer Generale gab. Tendenziell weisen beide den Versuch auf, "Hitler/Stalin war es" und das Militär hätte es eigentlich besser machen können.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die zwei Aspekte, rezeptionsgeschichtlich in Bezug auf die Darstellung des Feldzugverlaufes und in Bezug auf die Verantwortlichkeiten von Generalität und Stalin, sehe ich ebenso.

Die kritische Darstellung oben bezog sich auf die rein militärhistorische Darstellung der Abläufe, für die die Memoiren von zweifelhaftem Wert bzw. fehlerbehaftet sind (ebenso wie ein Teil der auf Fehlinformationen beruhenden Darstellung der Stäbe während des Krieges).
 
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