Ich las gerade in der NZZ den folgenden, interessanten Artikel über das Model und die amerikanische Kriegsreporterin Lee Miller, die weitgehend vergessen war. Ihre Schwiegertochter fand ihren Nachlass auf dem Dachboden und dieser wird jetzt wohl in zwei Ausstellungen in Zürich und Erfurt der Öffentlichkeit vorgelegt.
Der Artikel zitiert einige harsche Urteile Millers über die Deutschen, aber diese stammen aus dem Frühjahr/Sommer 1945 und aus der damaligen Situation voll verständlich, weil Miller eine Situation erlebt, dass sie einerseits die Gräuel der Konzentrationslager und die Verstrickung der Privatwirtschaft in die
Verbrechen sieht, andererseits aber auch ein Deutschland erlebt, in dem niemand Nazi gewesen sein will und alle sich den Amerikanern anbiedern. Plötzlich gibt es nur noch Opfer und keine Täter mehr...
Aber dann fällt ein Satz - und das ist nicht mehr Lee Miller, sondern der Autor des Artikels, Daniele Muscionico - in dem es heißt:
Ich will ja nicht behaupten, dass bei uns alles toll wäre, wir haben sicherlich 10 % in der Bevölkerung, die mit völkischen Ideen liebäugeln und der Antisemitismus, den ich vor einigen Jahren für so gut wie ausgestorben hielt, der kriecht plötzlich aus ganz unerwarteten Löchern wieder hervor. Man kann sich zu Recht darüber aufregen, dass alte Kriegerdenkmäler immer noch unkommentiert im Raum stehen und dennoch, insbesondere der Zweite Weltkrieg und damit untrennbar verbunden auch die Shoah sind doch absolut präsent. Das fängt doch an in der Schule, wo mindestens im Deutsch- und Geschichtsunterricht diese Thematik behandelt wird, teilweise auch in weiteren Fächern (Religion/Ethik/Philosophie). Die Thematik ist präsent in Stolpersteinen, in Museen und Gedenkstätten, in Fernsehprogrammen, Zeitungen und Zeitschriften.
Folgender Dialog z.B. wäre völlig unwitzig, wenn nicht im Spiegel als einer der meistverkauftesten deutschen Zeitschriften der Nazi-Zeit/Zweiter Weltkrieg Dauer-Titelthema wäre:
Es ist natürlich klar, dass die Veröffentlichte Meinung, also das, was medial präsentiert wird und das staatsoffizielle Gedenken, welches sich in Gedenktagen und Veranstaltungen äußert, wo dann der Bundespräsident oder herausgehobene Politiker oder Leute mit gesellschaftlichen Funktionen auftreten, nicht die ganze Bevölkerung erreicht und auch nicht alle interessiert. Aber ich würde doch meinen, das es den größeren Teil erreicht.
Was haltet ihr nun von Daniele Muscionicos Äußerung:
Der Artikel zitiert einige harsche Urteile Millers über die Deutschen, aber diese stammen aus dem Frühjahr/Sommer 1945 und aus der damaligen Situation voll verständlich, weil Miller eine Situation erlebt, dass sie einerseits die Gräuel der Konzentrationslager und die Verstrickung der Privatwirtschaft in die
Verbrechen sieht, andererseits aber auch ein Deutschland erlebt, in dem niemand Nazi gewesen sein will und alle sich den Amerikanern anbiedern. Plötzlich gibt es nur noch Opfer und keine Täter mehr...
Aber dann fällt ein Satz - und das ist nicht mehr Lee Miller, sondern der Autor des Artikels, Daniele Muscionico - in dem es heißt:
Die Kriegsreporterin und Starjournalistin Lee Miller ist bis heute der Stachel im deutschen Bewusstsein, das der Kriegsvergessenheit huldigt.
Und hier habe ich gedacht: Bitte was?!?
Ich will ja nicht behaupten, dass bei uns alles toll wäre, wir haben sicherlich 10 % in der Bevölkerung, die mit völkischen Ideen liebäugeln und der Antisemitismus, den ich vor einigen Jahren für so gut wie ausgestorben hielt, der kriecht plötzlich aus ganz unerwarteten Löchern wieder hervor. Man kann sich zu Recht darüber aufregen, dass alte Kriegerdenkmäler immer noch unkommentiert im Raum stehen und dennoch, insbesondere der Zweite Weltkrieg und damit untrennbar verbunden auch die Shoah sind doch absolut präsent. Das fängt doch an in der Schule, wo mindestens im Deutsch- und Geschichtsunterricht diese Thematik behandelt wird, teilweise auch in weiteren Fächern (Religion/Ethik/Philosophie). Die Thematik ist präsent in Stolpersteinen, in Museen und Gedenkstätten, in Fernsehprogrammen, Zeitungen und Zeitschriften.
Folgender Dialog z.B. wäre völlig unwitzig, wenn nicht im Spiegel als einer der meistverkauftesten deutschen Zeitschriften der Nazi-Zeit/Zweiter Weltkrieg Dauer-Titelthema wäre:
"Ja", sagt das Känguru. "Wie wär's mit 'Hitler, Terror, ficken'?"
Ich blinzle.
"Hm."
"Ich bin mal die Spiegel-Bestsellerliste durchgegangen und das war die Essenz", sagt das Känguru.
"Gewagt", sage ich. [...] "Aber das mit Hitler, das mach ja schon der Spiegel. Dann sagen die Feuilletons, ich habe das nur geklaut. Weißte, da gibt's ja die große Spiegel-Serie 'Neues von Hitler'."
"Immer abwechselnd mit 'Neues von der RAF'."
"Aber man muss fair bleiben", sage ich. "Manchmal geht's auch um den Zweiten Weltkrieg."
"Oder um den deutschen Herbst", sagt das Känguru. [...] "Vor kurzem hatte ich 'nen Spiegel in der Hand, da war sogar 'ne DVD bei", sagt das Känguru.
"Was war da drauf?", frage ich. "Hitler - Seine größten Erfolge?"
[Aus: Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken: Ansichten eines vorlauten Beuteltiers. Berlin 2009.]
Ich blinzle.
"Hm."
"Ich bin mal die Spiegel-Bestsellerliste durchgegangen und das war die Essenz", sagt das Känguru.
"Gewagt", sage ich. [...] "Aber das mit Hitler, das mach ja schon der Spiegel. Dann sagen die Feuilletons, ich habe das nur geklaut. Weißte, da gibt's ja die große Spiegel-Serie 'Neues von Hitler'."
"Immer abwechselnd mit 'Neues von der RAF'."
"Aber man muss fair bleiben", sage ich. "Manchmal geht's auch um den Zweiten Weltkrieg."
"Oder um den deutschen Herbst", sagt das Känguru. [...] "Vor kurzem hatte ich 'nen Spiegel in der Hand, da war sogar 'ne DVD bei", sagt das Känguru.
"Was war da drauf?", frage ich. "Hitler - Seine größten Erfolge?"
[Aus: Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken: Ansichten eines vorlauten Beuteltiers. Berlin 2009.]
Es ist natürlich klar, dass die Veröffentlichte Meinung, also das, was medial präsentiert wird und das staatsoffizielle Gedenken, welches sich in Gedenktagen und Veranstaltungen äußert, wo dann der Bundespräsident oder herausgehobene Politiker oder Leute mit gesellschaftlichen Funktionen auftreten, nicht die ganze Bevölkerung erreicht und auch nicht alle interessiert. Aber ich würde doch meinen, das es den größeren Teil erreicht.
Was haltet ihr nun von Daniele Muscionicos Äußerung:
Die Kriegsreporterin und Starjournalistin Lee Miller ist bis heute der Stachel im deutschen Bewusstsein, das der Kriegsvergessenheit huldigt.
Hat er Recht? Liegt er falsch? Warum hat er Un/Recht? Liegt hier die Diskrepanz in der Selbst- und Fremdwahrnehmung?