deutsche Identität bei den Schweizern

Gänzlich unbegreiflich bleibt mir aber immer noch, warum das für dich einen solchen Aufreger darstellt.
Das habe ich doch, relativ ausführlich sogar, erklärt. Mich ärgert einfach das ganze heutige Nationsverständnis der Bundesrepublik. Einerseits wird Goethe als Teil des deutschen Volkes reklamiert, ohne dass das jemand hinterfragt. Mozart aber wird aus dem deutschen Volk entweder gänzlich ausgeschlossen oder nur unter großen Vorbehalten eingeschlossen, obwohl beide Männer zur gleichen Zeit im gleichen Reich lebten und sich beide als Deutsche/Teutsche bezeichneten. Trotzdem wird da ein Unterschied gemacht, der völlig unlogisch ist, ohne dass irgendjemand darüber nachdenkt. Das ärgert mich einfach.

Könnte wohl damit zusammenhängen, dass im 19. Jahrhundert der Nationalismus entstand und nicht alle mit der politischen Entwicklung in der Schweiz zufrieden waren und sich lieber dem Deutschen Reich angeschlossen hätten.
Und was ist mit den Schweizern, die sich im 16., 17. und 18. Jh. als Deutsche bezeichneten?

1823 schreibt Frédéric-César de La Harpe: "was uns arme Schweizer betrifft, so sind wir keine Nation mehr".
Was Sie schreiben, ist interessant, und ich werde es mir ausführlich zu Gemüte führen, aber ich muss hier noch einhaken: sich als Schweizer und als Deutscher fühlen zu können, ist für Sie offenbar ein Widerspruch. Und ich will hier, seien Sie versichert, nicht behaupten, Frédéric-César de La Harpe hätte sich jemals als Deutscher verstanden. Aber ein Schweizerisches Nationalbewusstsein und ein deutsches Bewusstsein der Deutschschweizer schließen sich keineswegs aus.

Zum weiterlesen: Geschichte der Schweiz und der Schweizer. Chronos Verlag 2004.
Werde ich gerne lesen.

Und somit sind die Bayern Deutsche geblieben, die Schweizer, Luxemburger und Niederländer nicht.
Das ist mir schon klar, aber ich spreche hier ja nicht von der Gegenwart Dieter. Die ganze Diskussion über habe ich das nicht getan. Wenn ich aber heute einen Luxemburger des Jahres 1830 als Deutschen bezeichne, würden mir wohl die meisten über den Mund fahren und sagen, das sei Unsinn, denn Luxemburger seien keine Deutschen. Und jetzt? Luxemburger waren also niemals Deutsche, weil sie heute keine mehr sein wollen? Sachsen waren aber schon vor 180 Jahren Deutsche, weil sie, mehr oder weniger zufällig, auch heute noch welche sind? Ist das Logik?

Übrigens. Was die Entfremdung der Eidgenossen dem Reich gegenüber angeht, habe ich zwei interessante Bücher gefunden, die man sich auch herunterladen kann:

http://books.google.at/books?id=XHBJAAAAcAAJ&printsec=frontcover&dq=Staatsrechtliches+Verh%C3%A4ltnis+der+Schweiz+zu+dem+deutschen+Reiche&hl=de&sa=X&ei=-HsFT6qyCsfZsgby38CBDw&ved=0CDwQ6AEwAw#v=onepage&q=Staatsrechtliches%20Verh%C3%A4ltnis%20der%20Schweiz%20zu%20dem%20deutschen%20Reiche&f=false (den 2. Band findet sicher jeder Interessierte)
 
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Hinweis der Moderation

Mich ärgert einfach das ganze heutige Nationsverständnis der Bundesrepublik. Einerseits wird Goethe als Teil des deutschen Volkes reklamiert, ohne dass das jemand hinterfragt.... Trotzdem wird da ein Unterschied gemacht, der völlig unlogisch ist, ohne dass irgendjemand darüber nachdenkt. Das ärgert mich einfach.

Nachdem das hier eine Weile schon in die weltanschaulichen Äußerungen und die Aktualität hineinschwappt, ein deutlicher Hinweis der Moderation auf die Forenregeln:

Für Diskussionen über aktuelle politische Themen ist das Geschichtsforum nicht der richtige Platz. Ebensowenig ist das Forum eine Plattform für politische, religiöse und sonstige weltanschauliche Glaubensbekenntnisse.
 
Schweizerisches Nationalbewusstsein und ein deutsches Bewusstsein der Deutschschweizer schließen sich keineswegs aus.

Woher willst du das denn so genau wissen? Hast du Schweizer schon danach befragt?

Das ist mir schon klar, aber ich spreche hier ja nicht von der Gegenwart Dieter. Die ganze Diskussion über habe ich das nicht getan. Wenn ich aber heute einen Luxemburger des Jahres 1830 als Deutschen bezeichne, würden mir wohl die meisten über den Mund fahren und sagen, das sei Unsinn, denn Luxemburger seien keine Deutschen. Und jetzt? Luxemburger waren also niemals Deutsche, weil sie heute keine mehr sein wollen? Sachsen waren aber schon vor 180 Jahren Deutsche, weil sie, mehr oder weniger zufällig, auch heute noch welche sind? Ist das Logik?

Die Ausdifferenzierung der Schweizer, Luxemburger und Niederländer als eigenständige Völker ist ein langer Prozess, der sich über Jahrhunderte hinzog und irgendwann seinen Abschluss fand. Dass es zu so einer Entwicklung kommt, hat politische, kulturelle, religiöse, gesellschaftliche, soziale und vielleicht auch mentale Ursachen, die im Einzelnen nicht immer nachvollziehbar sind. Erheblich jüngeren Datums ist z.B. die Ausgliederung der Österreicher als eigenständiges Volk und obwohl sie "deutsch" sprechen, werden sich Österreicher nicht als "Deutsche" bezeichnen.

Das alles ist keine Hexerei, sondern es handelt sich um komplizierte Abspaltungs- und Segregationsprozesse von Bevölkerungsgruppen, die - aus unterschiedlichen Gründen - zu neuen Identitäten gefunden haben.
 
Dieter, das kenne ich von Österreichern anders. Es gibt da durchaus auch wohl heute noch etliche, die sich als Deutsche bezeichnen. Vor 30 Jahren waren es ganz grob 40%.
Hat aber nix mit der alemannischen Identität der Deutsch-Schweizer zu tun.

Und die "Sachsen" sind Deutsche, weil sich Ihre Vorfahren , Salzburger , Niedersachsen und andere als Deutsche bezeichnet haben, als Gegenpol zu den Sorben, die sich aber auch in mehrern Abstimmngen für die Deutsche Nationalität entschieden haben.
 
Woher willst du das denn so genau wissen? Hast du Schweizer schon danach befragt?

Ich hatte Simplicius' Aussage eher theoretisch verstanden, nach dem Motto "Selbst wenn sich ein Schweizer als solcher bezeichnet hatte, heißt das im Umkehrschluss nicht, dass er sich nicht auch gleichzeitig als Deutscher verstehen könnte."

Die Frage, ob, und in welchem Umfang so ein Selbstverständnis bei Schweizern jemals vorgeherrscht hat, ist für mein Empfinden noch nicht zur Gänze geklärt, da wir mittlerweile ja schon ein paar solcher Aussagen gehört haben.

Eine Frage, die ich mir in dem Zusammenhang stelle, ist die, ob sich die Schweizer unterschiedlicher Muttersprachen nicht auch untereinander abgrenzen, und die Deutschschweizer in dieser Sprachenabgrenzung auch ihre Nähe zu deutschsprachigen Bevölkerungen anderer Länder sehen...
 
Ich hatte Simplicius' Aussage eher theoretisch verstanden, nach dem Motto "Selbst wenn sich ein Schweizer als solcher bezeichnet hatte, heißt das im Umkehrschluss nicht, dass er sich nicht auch gleichzeitig als Deutscher verstehen könnte."

Es gibt die Moderatorin ursi im GF - die kann dir gern sagen, ob sie sich "theoretisch" als "Deutsche" fühlt.

Eine Frage, die ich mir in dem Zusammenhang stelle, ist die, ob sich die Schweizer unterschiedlicher Muttersprachen nicht auch untereinander abgrenzen, und die Deutschschweizer in dieser Sprachenabgrenzung auch ihre Nähe zu deutschsprachigen Bevölkerungen anderer Länder sehen...

Die regionale Identität als Graubündener, Aargauer oder Berner wird keinen Eidgenossen daran hindern, sich als Schweizer zu fühlen.
 
Es gibt die Moderatorin ursi im GF - die kann dir gern sagen, ob sie sich "theoretisch" als "Deutsche" fühlt.

Ich glaube, ich hab mittlerweile deutlich gemacht, dass es mir um die ältere Geschichte geht. Und bitte nicht meine Worte verdrehen bzgl "theoretisch".

Die regionale Identität als Graubündener, Aargauer oder Berner wird keinen Eidgenossen daran hindern, sich als Schweizer zu fühlen.

Und auch hier habe ich sehr deutlich die Muttersprachen, nicht die Regionen angesprochen, und auch keineswegs die Identität als Schweizer in Frage gestellt.
 
In Bayern findest du sehr häufig (scherzhafte) Forderungen nach der Wiedererichtung des Königreichs und der Abspaltung von Restdeutschland.

Au ja, am besten die erweiterte Forderung "in den Grenzen von 1180"...

Im Ernst: Der Hintergrund für diese besonders starke Identifizierung der Bayern mit ihrem Land (bzw. auch für die besonders stark verwurzelten Traditionen) düfte darin zu suchen sein, dass Bayern einfach mal fast 800 Jahre lang die gleiche Dynastie hatte und auch seit dem 13.Jh. ein mow geschlossener Territorialstaat war (abgesehen von den Teilungen, die erst 1506 endgültig abgeschlossen waren; dafür war dann (Alt-)Bayern für die folgenden 506 Jahre ein wirklich einheitlicher, geschlossener Staat, der 1806ff. noch einmal entscheidend erweitert wurde). Eine derartige Kontinuität findest du in Europa nicht so schnell wieder...

Ähnliches könnte man allerdings auch für die Schweizer Landschaften erwarten, eher noch stärker, weil dort die Identifikation ja ebenso lang lief wie in Bayern, aber nicht nur über ein Herrschergeschlecht, sondern über Eigenbeteiligung der Bevölkerung und den gemeinsamen Kampf um Selbstbestimmung, Expansion/Abwehr von Feinden, etc....


Friedi
 
...Und was ist mit den Schweizern, die sich im 16., 17. und 18. Jh. als Deutsche bezeichneten?
Wenn es sie gegeben hat, dann ist es immer noch die Frage, ob sie zur Meinungsmehrheit zählten oder ob sie nur eine Minderheit darstellten. Überhaupt scheint es mir ein schwieriges Unterfangen zu sein, festzustellen, als was sich die überwiegende Bevölkerung der Schweiz zu welcher Zeit verstand, denn die Bevölkerung wurde sicher nicht in regelmäßigen Abständen darüber repräsentativ befragt.

...ich muss hier noch einhaken: sich als Schweizer und als Deutscher fühlen zu können, ist für Sie offenbar ein Widerspruch. Und ich will hier, seien Sie versichert, nicht behaupten, Frédéric-César de La Harpe hätte sich jemals als Deutscher verstanden. Aber ein Schweizerisches Nationalbewusstsein und ein deutsches Bewusstsein der Deutschschweizer schließen sich keineswegs aus...
Natürlich nicht. Man könnte theoretisch auch Bürger der Schweiz und Mitglied der deutschen Kulturnation sein. Das ist genau das, was für die Russlanddeutschen zutrifft, die zur Zeit Katharinas der Großen nach Russland ausgewandert sind. Sie gehören bis heute zur deutschen Kulturnaton. Sie können auch jederzeit zurückkehren, ohne sich einem Einbürgerungsverfahren in Deutschland stellen zu müssen. Das rührt aber daher, weil sie sich ganz überwiegend als Deutsche verstehen. Das nur mal so zum Vergleich und deshalb auch mein kleiner Exkurs in das deutsche Recht vor ein paar Tagen.
;)
 
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Ja Nationalitätsbildung oder nationale Identität ist eine vielschichtige Angelegenheit. Zum gleichen Punkten ist inzwischen auch der Thread um "Friesen und Sorben" vorgedrungen. Gerade in meinem letzten Beitrag dort habe ich auch auf die Schweiz bezug genommen. (Beitrag #25)

http://www.geschichtsforum.de/f60/f...enes-territorium-39644/index2.html#post622419

Besonders schön zum Thema passt auch ein sehr schöner Blog von unserem hochgeschätzten Forenmitglied Saint- Simone, das ich hier wieder verlinke. Sie macht sich sehr schöne Gedanken!

Hochdeutsch, Bier und fesche Jungs: Grenzregionen und Nationen Teil 2 - Geschichtsforum.de - Forum für Geschichte
 
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