Deutsche Kriegserklärung an Russland

Hosenbatz

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Warum m u s s t e auf die russische Generalmobilmachung die deutsche Kriegserklärung an Russland folgen?
Im Osten sollten die Österreicher aktiv werden, die deutschen Truppen blieben, wie geplant, in der Verteidigung.
Die Kriegserklärung an Frankreich mit dem darauf folgenden Angriff hätte meiner Meinung nach doch gereicht.


Hosenbatz
 
Als Hintergrund:
Erster Weltkrieg ? Wikipedia

Warum diese folgen musste?

Vereinfacht: Wegen dem Anschein von Ehre und Integrität
Seit der Französisch-Russischen Allianz von 1894 war für das Aufstrebende Deutsche Kaiserreich klar, dass es sich im Falle eines Krieges mit Russland oder Frankreich mit beiden Feinden auseinander zu setzten hätte. Also wurden bereits Pläne geschmiedet um beide Parteien niederzuwerfen. Günstigerweise ging man davon aus, dass man Frankreich, wie 1870/71 am ehesten überwinden könne und dann seine Kraft gegen Russland setzen könnte. Nach der sog. "Krieg-in-Sicht Krise" von 1875 war jedoch klar, dass Russland und Großbritannien keinesfalls eine erneute Gebietsaudehnung auf Kosten Frankreichs dulden würde. Ergo: Wie schon 1870 muss Frankreich als Aggressor auftreten.
Des weiteren versicherte Berlin Wien die Rückhaltlose Unterstützung des Deutschen Reiches in Nibelungentreue, was als quasi "Blankoscheck" gewertet wird. Man war wegen seiner Glaubwürdigkeit und aufgrund der diplomatisch isolierten Position des Deutschen Reiches auf den Verbundeten Österreich angewiesen.
In der Chronologie der Kriegserklärungen sieht man ganz deutlich, wie das Bündnissystem schlussendlich den beteiligten Mächten gar keine Wahl mehr gelassen hat.

- Nachdem Österreich Serbien das Ultimatum gestellt hatte, welches abgelehnt wurde da Russland seine Schutzmachtrolle gegenüber Serbien bestätigt hatte.
- Russland als Serbiens Schutzmacht macht Mobil.
- Österreich erklärt Serbien den Krieg
- Deutschland versucht Großbritaniens neutralität bei der Durchführung des Schlieffen-Plans zu erwirken und scheitert.
- Jetzt kommt die Crux: Da Russland als Serbiens Schutzmacht mit der Generalmobilmachung vom 30. Juli ja nur gegen Österreich Krieg führen wollen konnte, sah sich Deutschland als Österreichs Garantiemacht gezwungen Russlands Mobilmachung mit einem Ultimatum zu ahnden.
- Das Ultimatum verstreicht, als Bündnispartner und um Glaubwürdigkeit und Macht zu wahren musste Deutschland auf das verstreichen des Ultimatums mit einer Mobilmachung und Kriegserklärung gegen Russland reagieren.
- Frankreich macht Mobil um seinem Bündnispartner Russland beizustehen.
- Deutsche Truppen besetzen Luxemburg und Belgien erhält ein Ultimatum von 12 Stunden um sich Neutral beim Durchmarsch deutscher Truppen zu verhalten.
- Belgien lehnt ab.
- Deutschland erklärt Frankreich wegen angeblicher Grenzverletzungen den Krieg.
- Italien erklärt Neutralität da das Verteidigungsbündis des "Dreibundes" nicht greife, da Österreich und Deutschland die Aggresoren seien.
- Deutschland marschiert in Belgien ein und Versucht sich vor Großbritannien zu rechtfertigen
- Großbritannien erklärt Deutschland den Krieg.
- Österreich erklärt Russland den Krieg

Groteskerweise befand sich Deutschland sechs Tage eher im Krieg mit Russland als Österreich.
Du siehst die Kriegserklärung an Russland war eher ein Resultat der verworrenen Bündnissituation und dem deutschen Gefühl des "Eingekreist seins" geschuldet als ernsthaft beabsichtigt. Deutschland sah stehts Frankreich als Hauptrivalen im Zentrum Europas, jedoch war wie vorher erwähnt auch klar, dass Russland zu Frankreich stehen würde. Defacto war auch mit Russland als Feind zu rechnen, dem geschuldet war die russische Mobilmachung eine ernste Bedrohung für die Deutsche Kriegsplanung gegen Frankreich. Mit dem Ultimatum gegen diese Mobilmachung hat sich Berlin selbst in eine Situation gebracht, wo sie gezwungen war noch vor Österreich eine Kriegserklärung gegen Russland auszusprechen wodurch dieser ganze Weltenbrand erst ins Rollen kam.

Ich hoffe ich konnte dir etwas helfen ^^

Gruß
WW
 
Warum m u s s t e auf die russische Generalmobilmachung die deutsche Kriegserklärung an Russland folgen?
Im Osten sollten die Österreicher aktiv werden, die deutschen Truppen blieben, wie geplant, in der Verteidigung.
Die Kriegserklärung an Frankreich mit dem darauf folgenden Angriff hätte meiner Meinung nach doch gereicht.


Hosenbatz

Aus dem Vertragstext des Zweibundvertrages zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn vom 07.Oktober 1879:

"Art. I. Sollte wider Verhoffen und gegen den aufrichtigen Wunsch der beiden Hohen Kontrahenten Eines der beiden Reiche von Seiten Rußlands angegriffen werden, so sind die Hohen Kontrahenten verpflichtet, Einander mit der gesamten Kriegsmacht Ihrer Reiche beizustehen und demgemäß den Frieden nur gemeinsam und übereinstimmend zu schließen."

Das Deutsche Reich hatte aufgrund der russischen Generalmobilmachung gegen Österreich-Ungarn am 31.Juli 1914 ein Ultimatum gerichtet, in dem Russland aufgefordert wurde, die Mobilmachung einzustellen. Die Russen haben nicht reagiert und es erfolgte die Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Russland.

White Wolf schrieb:
Jetzt kommt die Crux: Da Russland als Serbiens Schutzmacht mit der Generalmobilmachung vom 30. Juli ja nur gegen Österreich Krieg führen wollen konnte, sah sich Deutschland als Österreichs Garantiemacht gezwungen Russlands Mobilmachung mit einem Ultimatum zu ahnden.

Genauso wie die Crux, das Russland gegen Österreich-Ungarn mobilisierte, obwohl die Mobilmachung der Doppelmonarchie nur gegen Serbien gerichtet war? Und dass das Deutsche Reich einen entsprechenden Vertrag mit Wien hatte?
 
Zuletzt bearbeitet:
Warum m u s s t e auf die russische Generalmobilmachung die deutsche Kriegserklärung an Russland folgen?
Im Osten sollten die Österreicher aktiv werden, die deutschen Truppen blieben, wie geplant, in der Verteidigung.
Die Kriegserklärung an Frankreich mit dem darauf folgenden Angriff hätte meiner Meinung nach doch gereicht.
Hosenbatz


Ausgangspunkt des deutschen Blankoschecks war es, den von ÖU beabsichtigten Krieg zur Beseitigung Serbiens als Faktor auf dem Balkan gegen russische Unterstützung abzusichern. Der Beistand des Deutschen Reiches bei dieser Risikostrategie sollte
a) Russland abschrecken, in den geplanten Krieg ÖU/Serbien einzugreifen
b) die Mächte Frankreich/Russland (und ggf. Großbritannien) durch die Forcierung der Krise intern/untereinander in eine diplomatische Krise zu verwickeln.

Warum das schief ging, hatte verschiedene Gründe. Ua. lag es an dem erheblichen Zeitverzug bis zum Agieren ÖU durch das abgesprochene Ultimatum.

Die Reaktion Russlands (einen militärischen Angriff ÖU zur Beseitigung Serbiens nicht hinzunehmen) führte zu einer Krise dieser "Risikopolitik" Bethmanns. Die deutsche Reaktion darauf bestand in zwei Strategien, die Bethmann zwischen dem 24.7. und dem 31.7. fuhr:

a) Großbritannien in jedem Fall herauszuhalten
b) Russland für den Fall des Eskalation als Angreifer und Urheber der Krise zu fixieren.

(b) hatte im Wesentlichen innenpolitische Gründe, da mit dem Aufmarschmechanismus (für jeden beliebigen Fall eines Kriegszustandes mit Russland oder Frankreich) ein sofortiger Angriff auf Frankreich verbunden war. Für die innenpolitische Akzeptanz des Krieges (der von Deutschland mit einem schnellen Feldzug gegen Frankreich zu eröffnen war, und der im festen militärischen Kalkül aufgrund der Bündniskonstellationen stets gegen beide Mächte zu führen war) war Russland als Angreifer darzustellen, dies als Rechtfertigung für den Angriff im Westen und die Hinhaltestrategie im Osten.

In der Folge gab es nicht nur das Ultimatum gegenüber Russland, sondern auch ein pro-forma-Ultimatum mit inakzeptablen Bedingungen gegenüber Frankreich (so zB "Abtretung" französischer Festungen für die Dauer eines Krieges mit Russland). Es führte neben diesen innenpolitischen Absichten der Rechtfertigung des Krieges die außenpolitische "Risikostrategie" Bethmanns fort, den fest geplanten Krieg ÖU gegen Serbien "lokalisierbar" zu halten, durch Abschreckung Russlands. In den Krisentagen verschoben sich diese Gewichte der "Risikostrategie", so dass am Ende dieser wenigen Tage die Lokalisierbarkeitsthese kaum Bedeutung hatte (daran glaubte niemand mehr), dafür die Schuldzuweisung an Russland (und das Ziel des Heraushaltens Großbritanniens) um so bedeutender wurde.

Es gibt zwar zu allem und jedem Meinungen, aber die Literaturbeiträge, die den deutschen Blankoscheck und die Hochrisikopolitik Bethmanns unter den Beistandsfall des Zweibundes subsumieren, und nicht als deutsches politisches Agieren ansehen, dürften deutlich in der Minderheit sein. Ebenso wie die Stellen, die allein ÖU als Urheber und Anstifter ansehen, das dusselige Deutsche Reich auf den Weg der Risikopolitik und des Blankoschecks zu "heben".

Von daher: folgen "musste" nichts. Das Scheitern der Risikopolitik und der Lokalisierung des geplanten Krieges gegen Serbien hätte die Konsequenz haben müssen, den Beistand sofort aufzukündigen. Eine vorsichtige Diplomatie hätte das schon bei Formulierung des Blankoschecks einkalkuliert (das eben das Heraushalten Russlands nicht gelingt). Dieser "Plan B", wenn die Wette auf die Hochrisikopolitik Bethmanns nicht funktioniert, fehlte. Ab dem Ultimatum und der russischen Reaktion war man vielmehr in der Krisendynamik und den militärischen Kalkülen des schnellen Angriffs auf Frankreich gefangen.
 
Es gibt zwar zu allem und jedem Meinungen, aber die Literaturbeiträge, die den deutschen Blankoscheck und die Hochrisikopolitik Bethmanns unter den Beistandsfall des Zweibundes subsumieren, und nicht als deutsches politisches Agieren ansehen, dürften deutlich in der Minderheit sein. Ebenso wie die Stellen, die allein ÖU als Urheber und Anstifter ansehen, das dusselige Deutsche Reich auf den Weg der Risikopolitik und des Blankoschecks zu "heben".

Mit wird in der Literatur hingegen die Rolle Russlands und Frankreichs viel zu sehr "verharmlost".

Natürlich hat das Deutsche Reich agiert; aber es war "nur" ein Big Player in der schweren Krise. Es gab noch andere Akteuere, die ebenfalls agiert haben. Ich bin kein Jurist, aber Russland machte zum Zeitpunkt der Generalmobilmachung gegen Österreich-Ungarn und auch gegen das Deutsche Reich mobil; Poincare sei Dank. Das deutsche Ultimatum wurde erst gar nicht beantwortet. War der Bündnisfall gemäß Artikel 1 des Zweibundvertrages dann nicht gegeben?
Das Ultimatum gegen Frankreich bedarf keiner weiteren Diskussion. Nur: Frankreich sah seine Bündnisverpflichtung wohl zumindest genausp großzügig wie das Deutsche Reich.
 
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Von daher: folgen "musste" nichts. Das Scheitern der Risikopolitik und der Lokalisierung des geplanten Krieges gegen Serbien hätte die Konsequenz haben müssen, den Beistand sofort aufzukündigen. Eine vorsichtige Diplomatie hätte das schon bei Formulierung des Blankoschecks einkalkuliert (das eben das Heraushalten Russlands nicht gelingt). Dieser "Plan B", wenn die Wette auf die Hochrisikopolitik Bethmanns nicht funktioniert, fehlte. Ab dem Ultimatum und der russischen Reaktion war man vielmehr in der Krisendynamik und den militärischen Kalkülen des schnellen Angriffs auf Frankreich gefangen.
(Hervorhebung durch mich)

Seh ich auch so.
Bethmann hätte seine kurzzeitigen erheblichen Friedensbemühungen in der Nacht vom 29. auf den 30 Juli fortsetzen können. Das tat er aber nicht. Er hätte sich in größerem internationalen Rahmen für eine Deeskalation einsetzen können und durfte wahrscheinlich auch auf Erfolg hoffen.
Und selbst wenn danach die russische Generalmobilmachung aufrecht erhalten worden wäre, hätte das DR eine Verteidigungsstrategie improvisieren können.
Und zwar auch ohne einen "Plan B", der auch hier bezeichnenderweise nicht existierte.
Es spricht vieles dafür, dass man den Frieden in diesem Zusammenhang für gefährlicher hielt als einen Frieden.
Clark beschreibt diese Geisteshaltung übrigens so:
.. falls sich herausstellen sollte, dass Russland den Krieg wünschte ....., dann wäre es besser, den von den Russen angebotenen Krieg jetzt zu akzeptieren, als einen Rückzieher zu machen - einmal mehr mehr kam hier Argumentationslinie der abnehmenden Erfolgsaussichten und des Präventivkriegs als eine Art sekundärer Bedingtheit zum Tragen.
(Schlafwandler Seite 537)
Es wäre hier also eine Wette auf das künftige Erstarken Russlands erheblich gewesen. Und es kann auch nicht übersehen werden was hier, für die Protagonisten erkennbar, auf dem Spieltisch lag.

Aber das grausame Glücksspiel hieß auch von russischer Seite "schwarzer Peter". Wenn es gelänge den Gegner als den Übeltäter darzustellen, könnte das DR seine unterstellte ablaufende Zeit nutzen,
.. und Russland auf eine einmalig günstige Bündnissituation wetten.
Dass der Wetteinsatz das Leben der Untertanen ist, findet sich vor dem Hintergrund eines stolzen "Gottesgnadentums" arrogant relativiert.
(Es heißt ja so schön: 'Dummheit und Stolz, wachsen auf demselben Holz'.)

Der Dreh- und Angelpunkt auf deutscher Seite war das engstirnige Beharren auf den aberwitzigen Schlieffenplan.
Welcher Teufel die russischen Entscheidungsträger geritten hatte den großen Krieg bewusst zu provozieren, wenn auch nicht unmittelbar zu beginnen, bleibt mir vorläufig ein Rätsel.
 
hatl schrieb:
Bethmann hätte seine kurzzeitigen erheblichen Friedensbemühungen in der Nacht vom 29. auf den 30 Juli fortsetzen können. Das tat er aber nicht. Er hätte sich in größerem internationalen Rahmen für eine Deeskalation einsetzen können und durfte wahrscheinlich auch auf Erfolg hoffen.
Und selbst wenn danach die russische Generalmobilmachung aufrecht erhalten worden wäre, hätte das DR eine Verteidigungsstrategie improvisieren können.
Und zwar auch ohne einen "Plan B", der auch hier bezeichnenderweise nicht existierte.
Es spricht vieles dafür, dass man den Frieden in diesem Zusammenhang für gefährlicher hielt als einen Frieden.

Der deutsche Botschafter Pourtales hatte noch am Vormittag des 29.07. Sasonow versucht dazu zu bewegen, keine vorzeitige Mobilmachung in die Wege zu leiten, damit Deutschland seine Bemühungen in Wien ohne Hindernisse fortsetzten könne. Pourtales wurde wohl nvon russischer Seite nicht mehr ernstgenommen, vieleicht weil man meinte, die Dinge seien in Wien zu weit gediehen; jedenfalls geschah nichts.

Nachmittags wurde Pourtales abermals bei Sasnow vorstellig und las ein Telegramm Bethmanns vor, aus dem hervorging, das, wenn Russland seine militärischen Vorbereitungen fortsetzte, sich das Deutsche Reich zur Mobilmachung genötigt sehen könne. Das waren deutlich Versuche und Warnungen, aber die Russen machten unbeirrt weiter. Trotzdem machte Bethmann in der Nacht des gleichen Tages weiter und sandte die Weltbrandtelegrammen nach Wien.
Sicher kann man Bethmann den Vorwurf nicht ersparen, sich weiter zu bemühen, aber hätte dies über eine reale Chance gehabt? Und die militärischen Spitzen des Reiches, auf einen anderen, offensiven, Kurs.

Und die Russen wussten ganz genau um den Zweifrontenkrieg, dem die Deutschen entgegensahen. Sasonow und die miliärische Spitzen des Zarenreiches waren von der Unvermeidlichkeit eines Krieges mit Deutschland überzeugt und bedrängten dementsprechend den Zaren.

Das der deutsche Generalstab sich so sehr auf dem Schlieffenplan fixiert hatte, das muss diesem sicher vorgeworfen werden. Die Planungen für den große Aufmarsch Ost wurde m.W. nach auch erst ein gutes Jahr vorher eingestellt. Diese hätten sicher aktualisiert werden können.
 
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Nachmittags wurde Pourtales abermals bei Sasnow vorstellig und las ein Telegramm Bethmanns vor, aus dem hervorging, das, wenn Russland seine militärischen Vorbereitungen fortsetzte, sich das Deutsche Reich zur Mobilmachung genötigt sehen könne. Das waren deutlich Versuche und Warnungen, aber die Russen machten unbeirrt weiter. Trotzdem machte Bethmann in der Nacht des gleichen Tages weiter und sandte die Weltbrandtelegrammen nach Wien.
Sicher kann man Bethmann den Vorwurf nicht ersparen, sich weiter zu bemühen, aber hätte dies über eine reale Chance gehabt? Und die militärischen Spitzen des Reiches, auf einen anderen, offensiven, Kurs.
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Folgt man Trachtenberg, so resignierte Bethmann wahrscheinlich und gab der Einschätzung der Militärs nach, dass es besser sei jetzt einen großen Krieg zu haben als später. Auffallend ist, dass Bethmann, der vorher alle Friedensbemühungen torpediert (solange eine Eingrenzung des Konflikts wahrscheinlich sein konnte), dann kurzzeitig fast panisch versucht das Schlimmste, nämlich die Zerstörung Europas auf Jahrzehnte, zu verhindern.
Und dann gibt er ebenso plötzlich auf und lässt die Ereignisse ihren Weg gehen.
Die "militärischen Spitzen des Reiches" hatten, wie Du gut bemerkst, einen "offensiven Kurs". Und vielleicht war Bethmann auch müde und depressiv und hatte einfach nicht mehr die Kraft sich gegen das Unheil zu stemmen.
 
silesia schrieb:
b) die Mächte Frankreich/Russland (und ggf. Großbritannien) durch die Forcierung der Krise intern/untereinander in eine diplomatische Krise zu verwickeln.

Das ist mir neu. In welchem Buch findet sich diese These und welche Quelle wird dafür angegeben?

a) Großbritannien in jedem Fall herauszuhalten

Zu Beginn des Juni 1914 hatte sich Bethmann gegenüber den bayrischen Gesandten Lerchenfeld dahingehend geäußert, das er (Bethmann) der Überzeugung sei, "wenn es zum Kriege käme, wir England nicht auf unsere Seite finden würden."

Bayrische Dokumente zum Kriegsaubruch, Nr.1, S.111-113
 
Zuletzt bearbeitet:
silesia schrieb:
die Mächte Frankreich/Russland (und ggf. Großbritannien) durch die Forcierung der Krise intern/untereinander in eine diplomatische Krise zu verwickeln
Das ist mir neu. In welchem Buch findet sich diese These und welche Quelle wird dafür angegeben?
Das findet sich so seit Hillgrubers "Kalkuliertem Risiko" oder Jarauschs "The Illusion of Limited War: Chancellor Bethmann Hollweg's Calculated Risk, July 1914".

Ziel der (Hoch-)Risikopolitik war es, die Entente über die diplomatische Krise zerbrechen zu lassen. Findet sich zB auch bei Riezler unter dem 8.7.

Oder man nimmt einfach Schmidts Worte, der in Deutschlands Juli-Politik grundsätzlich die "gefährliche Herausforderung" des "Fortbestands des Zweiverbandes" und damit die Gefährdung des Fortbestandes der Großmachtstellung Frankreichs sieht.

"In eine diplomatische Krise verwickeln" war daher sogar höflich-diplomatisch ausgedrückt.


Zu Beginn des Juni 1914 hatte sich Bethmann gegenüber den bayrischen Gesandten Lerchenfeld dahingehend geäußert, das er (Bethmann) der Überzeugung sei, "wenn es zum Kriege käme, wir England nicht auf unsere Seite finden würden."
Mal äußerte er sich so, mal anders. Ab Mitte Juli war er in der Mission unterwegs, England neutral zu halten und optimistisch. Nicht ganz zutreffend ging er dabei in der Lageanalyse davon aus, ein Neutral-Halten Englands würde den Europäischen Krieg vermeiden. Wie von Müller berichtet wird, machte er Wilhelm am 29.7. den Vorschlag, mit England zu einem Ausgleich über die Flottenfrage zu kommen, wenn die Krise beendet sein wird (Hoffmann, Sprung ins Dunkle). Für das düstere Juni-Zitat kann man auch auf den Kriegsrat 1912 und Wilhelms Standpunkt zurückgehen, der "kommende Endkampf der Germanen gegen die Slawen" würde "die Angelsachsen auf der Seite der Slawen" sehen. Wie man sieht, kam diese "Prognose" auch ohne düstere Stimmungen über kommende Marinekonventionen etc. aus. Siehe zB auch hier Seite 5/6.

Die "Prognosen" wechselten halt wie der Wind. Für jede Prognoserichtung und jeden Akteur lassen sich situativ Zitate finden, während es seinerzeit an professionellen Lageanalysen, analytischen Stabsarbeiten und strategischen Grundsatzmemoranden mangelt.
 
Das der deutsche Generalstab sich so sehr auf dem Schlieffenplan fixiert hatte, das muss diesem sicher vorgeworfen werden.
Ich finde es trotzdem beeindruckend, dass man trotz weniger Truppen und Nachschub 4 Jahre lang einen 2 Fronten Krieg in Feindesland führen konnte.
 
Ich finde es trotzdem beeindruckend, dass man trotz weniger Truppen und Nachschub 4 Jahre lang einen 2 Fronten Krieg in Feindesland führen konnte.

Die Implikationen des Schlieffenplans waren dafür verantwortlich, das die Militärs, allen voran Falkenhayn und Moltke, so einen erheblichen Druck auf die zivile Reichsleitung in der Endphase der Julikrise ausübten. Und das hatte bekanntermaßen verhängnisvolle Folgen.
 
Ich finde es trotzdem beeindruckend, dass man trotz weniger Truppen und Nachschub 4 Jahre lang einen 2 Fronten Krieg in Feindesland führen konnte.
Sicherlich, genau wie einiges andere genauso beeindruckend ist. Wobei mir die Vokabel beeindruckend in diesem Zusammenhang nicht sehr gefällt.

Wobei die Ressourcen im Feindesland im Angriff immer relativ schwächer sind. Nach den gewonnenen Schlachten 1870 haben die Franzosen trotz innerer Zerrissenheit auch noch lange starken Widerstand bieten können.
 
Die Implikationen des Schlieffenplans waren dafür verantwortlich, das die Militärs, allen voran Falkenhayn und Moltke, so einen erheblichen Druck auf die zivile Reichsleitung in der Endphase der Julikrise ausübten. Und das hatte bekanntermaßen verhängnisvolle Folgen.
Ich sag es mal so,
ich stimme dir zu, sie haben absolut falsch gehandelt.
Aber in ihren eigentlichen Job haben sie gute Arbeit geleistet.

Ich beziehe mich nur auf das militärische.
 
Aber in ihren eigentlichen Job haben sie gute Arbeit geleistet.

Ich beziehe mich nur auf das militärische.

Moltke, der die Nerven dazu nicht hatte, und Falkenhayn, der seine Soldaten bei Verdun verbluten liess?

Die beiden wæren mir fuer die Rubrik "gute Feldherren" eher nicht so eingefallen.

Gruss, muheijo
 
Ja andere Feldherren der Neuzeit waren gewiss besser, aber
es muss doch einen Grund gegeben haben wieso das Reich trotz
feindlicher Übermacht nicht überrannt wurde.

Ich sehe das Problem vorallem in der Einmischung der Militärs in die Politik.
 
Ich sag es mal so,
ich stimme dir zu, sie haben absolut falsch gehandelt.
Aber in ihren eigentlichen Job haben sie gute Arbeit geleistet.

Ich beziehe mich nur auf das militärische.
Nein.

Die Ausbildung der Soldaten im Feld war sehr gut, die an den Stabskarten war zwar gut, aber leider nicht gut genug. Vorteilhaft war die sehr ähnliche Ausbildung, es sprachen alle eine Sprache. Aber notwendige Innovationen konnten sich teilweise nur langsam durchsetzen. Dazu gehören z.B. die Rolle des MGs usw.
Andere Versäumnisse sind stärker durch die Kommunikation zwischen vordersten Reihen und dem Stab erklärlich.
 
Mackensen war sicher ein guter Feldherr, den man nach Bezwingung Rumäniens verschimmeln ließ. Und Seeckt war ein hervorragender Stabschef. Es gibt sicher noch mehr. Moltke und Falkenhayn würde ich hier aber nicht einreihen.

Im deutschen Feldheer galt das Auftragsprinzipg, was ein gegenüber dem Befehlsprinzip eine höhere Verantwortung und entsprechende Ausbildung voraussetzt. Das Auftragsprinzip ermöglicht ein der Situation angepasstes taktisches Handeln, was ein klarer Vorteil gegenüber dem Befehlsprinzip ist.

Martin van Crefeld bemerkte hierzu:" [FONT=&quot]"Im Gegensatz zu den weitverbreiteten Klischees vom „Kadavergehorsam“ und der „preußischen Disziplin“ hatte das deutsche Heer spätestens seit der Zeit des älteren Moltke immer die entscheidende Bedeutung der Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit, selbst auf der untersten Ebene, betont[/FONT][FONT=&quot]."[/FONT]
 
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