Deutsche Option - Defensive gegen Frankreich

Solwac

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Nebenan werden gerade die ersten Grenzgefechte und die Auswirkungen der beiderseitigen Aufmarschpläne diskutiert. Wie im Strang zum Großen Aufmarsch Ost bereits diskutiert, gab es keine aktuellen deutschen Pläne für eine Defensive an der Westfront. Da aber gerade der französische Aufmarsch beschrieben wird, welche Kräfte hätten nach Plan/nach heutigen Erkenntnissen ausgereicht um an der Westfront zu halten?

Und wie stark hätten so die Truppen an der russischen Grenze im Verhältnis zu den Zahlen nach der deutschen Verstärkung, d.h. etwa September 1914 sein können?

Im Vergleich zu den älteren Planungen für den Großen Aufmarsch Ost müsste sich ja die Heeresvermehrung von 1913 deutlich bemerkbar machen.
 
Und wie stark hätten so die Truppen an der russischen Grenze im Verhältnis zu den Zahlen nach der deutschen Verstärkung, d.h. etwa September 1914 sein können?

Wenn man sich der Frage anhand der früheren Aufmarschplanungen, Generalstabsreisen und Kriegsspiele nähert, so ist zunächst festzustellen, dass Moltke d.Ä., Waldersee, Schlieffen und Moltke d.J. solche Überlegungen einer Westdefensive mit einem Kräfteverhältnis von 1:1,5 bis maximal 1:2 unter Abstützung auf die Festungen und Flusslinien für einen begrenzten Zeitraum anstellten (vor Rückverlegungen aus dem Osten).

Damit (mit diesen "Kennzahlen") kann man sich dem Problem der Berücksichtigung der späteren Heeresvermehrungen zumindest einmal etwas annähern. 1914 startete Moltke mit rd. 88 Divisionen inkl. Reserve im Aufmarschverlauf, davon 70 im Westen. Diese trafen auf Frankreichs Armee, plus BEF, im Aufmarschverlauf bis September rd. 90 Divisionen.

Für den Beginn müsste man in einfacher, noch zu hinterfragender Übertragung der älteren Planungen von mindestens 40 Divisionen im Westen für eine Defensive ausgehen, daraus ergeben sich plus 30 für den Osten. Diesem Ergebnis würde eine 50:50-Verteilung des deutschen Aufmarsches West/Ost entsprechen, im Osten käme die öu Armee hinzu. Spekulativ könnte man auch diese Zahl höher ansetzen: keine Gefährdung Frankreichs, kein Durchmarsch Belgiens, eventuell erst späterer Kriegseintritt GB, somit evt. noch ein halbes Dutzend Divisionen mehr im Osten.
 
Nur um diese Zahlen einzuordnen: Damit wäre die Schlacht an der Weichsel mit einer Truppenstärke größer als ein Jahr später bei der Bug-Offensive möglich gewesen.

Eine Verstärkung Russlands durch Truppen aus dem Westen wäre logistisch eine gewaltige Herausforderung gewesen. Den Vorteil, Russland so zu isolieren und alleine die Verteidigung machen zu lassen, hätte man natürlich mit einem sichereren Zweifrontenkrieg erkauft. Die Rolle der Briten wäre politisch genauso wichtig, aber das BEF hätte so nicht oder nur später eingegriffen.
 
Nur um diese Zahlen einzuordnen: Damit wäre die Schlacht an der Weichsel mit einer Truppenstärke größer als ein Jahr später bei der Bug-Offensive möglich gewesen.

Aber nochmal der Hinweis: die Zahlen sind nur grob hochgerechnet, und basieren auf älteren Studien, bei denen man nach 6 oder 10 Wochen Kräfte vom Osten in den Westen rückverlegen wollte.

Die resümierenden Feststellungen von Moltke und Co. sahen dabei ein wesentliche Problem: was wäre passiert, wenn sich die russische Armee weiter rückwärts aufgestellt hätte oder bei Kenntnisnahme von der Stärke der Mittelmächte rückwärts konsequent ausgewichen wäre. Alle gingen davon aus, dass dann in ein paar Monaten im Osten keine Entscheidung erzwingbar war (oder umgekehrt: nur bei einer Vernichtungsschlacht im Osten, mit dem Szenario einer vorstoßenden, jedenfalls nicht ausweichenden russischen Armee). Dieses Szenario spielte man in der Großumfassung Polen/Warschau durch, das hier im Forum unter Großer Ostaufmarsch schon einmal angesprochen wurde.
 
Wenn man sich der Frage anhand der früheren Aufmarschplanungen, Generalstabsreisen und Kriegsspiele nähert, so ist zunächst festzustellen, dass Moltke d.Ä., Waldersee, Schlieffen und Moltke d.J. solche Überlegungen einer Westdefensive mit einem Kräfteverhältnis von 1:1,5 bis maximal 1:2 unter Abstützung auf die Festungen und Flusslinien für einen begrenzten Zeitraum anstellten (vor Rückverlegungen aus dem Osten).
aus diesem Grund wurden Germersheim (Rheinübergang) und Neufbrisach (Rheinübergang) mit modernen Panzerbatterien ausgestattet, und insbesondere der Beschluß, um Mainz herum die Selztalstellung*) massiv auszubauen (kurz vorm Krieg), spricht Bände: man betonierte sich damit quasi eine fortifizierte Versicherung, dass im Fall einer Defensive nicht gleich alles den Bach runter geht.

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*) die modernste und wohl auch umfangreichste Festung des deutschen Reichs zu Beginn des Ersten Weltkriegs
 
Aber nochmal der Hinweis: die Zahlen sind nur grob hochgerechnet, und basieren auf älteren Studien, bei denen man nach 6 oder 10 Wochen Kräfte vom Osten in den Westen rückverlegen wollte.

Die resümierenden Feststellungen von Moltke und Co. sahen dabei ein wesentliche Problem: was wäre passiert, wenn sich die russische Armee weiter rückwärts aufgestellt hätte oder bei Kenntnisnahme von der Stärke der Mittelmächte rückwärts konsequent ausgewichen wäre. Alle gingen davon aus, dass dann in ein paar Monaten im Osten keine Entscheidung erzwingbar war (oder umgekehrt: nur bei einer Vernichtungsschlacht im Osten, mit dem Szenario einer vorstoßenden, jedenfalls nicht ausweichenden russischen Armee). Dieses Szenario spielte man in der Großumfassung Polen/Warschau durch, das hier im Forum unter Großer Ostaufmarsch schon einmal angesprochen wurde.
Der Vergleich mit dem Großen Ostaufmarsch ist aber nur teilweise hilfreich: Für einen offensiven Ansatz ist sicher Frankreich das besser greifbare Ziel, dort gibt es die Option des Zurückweichens nicht.
Sollen also beide Gegner "geschlagen" werden, dann ist der Schlieffenplan von den Zielen her richtig aufgestellt (Umsetzung ist eine andere Sache, z.B. wegen Belgien). Aber 2014 war ja zuerst mal nur die Unterstützung Österreichs gefragt (bevor sich die Entwicklung verselbstständigt hat) und da wäre Defensive im Westen und ein Aufmarsch im Osten eine mehr als brauchbare Alternative gewesen. Selbst ohne einen Schuss hätte die russische Armee große Einschränkungen im Vorgehen gegen Österreich gehabt, da sehr viel Logistik und Truppen in Polen nötig gewesen wären. Und wäre es zum Kampf gekommen, dann wäre eine Eroberung Polens natürlich nicht der Sieg über Russland gewesen, aber es hätte für Verhandlungen eine gute Position gegeben und der Diplomatie eine Chance gegeben.

Gerade an letzterem sieht man den verhängnisvollen Fehler, nur eine Planung in der Schublade zu haben.
 
Gerade an letzterem sieht man den verhängnisvollen Fehler, nur eine Planung in der Schublade zu haben.

Diesen gravierenden Fehler, keine Option geboten zu haben und damit sowohl Zeitfenster drastisch verengt als auch Kriseneskalation in eine Einbahnstraße* gelenkt** zu haben, kritisieren viele. Beispielhaft Mombauer in Moltke und die Kriegsursachen.

* Interessanterweise rollte der Feldzug gegen Frankreich faktisch seit dem 1.8. bildlich wie ein nicht bremsbarer Güterzug, da man den laufenden Aufmarsch wegen des "Problems Lüttich" als nicht mehr abstoppbar ansah (ein Stillstand zu Verhandlungen hätte den Handstreich gefährdet), während die deutsche Kriegserklärung an Frankreich am 3.8. erfolgte (an das unbeteiligte Luxemburg übrigens am 2.8., während man bei Belgien den Einmarsch 4.8. abwartete).

Ohne viel Phantasie kann man bei der von Dir angesprochenen Variante "Ost" von einem größeren Zeitfenster für Gespräche oder Überlegungen ausgehen. Man könnte auch mit guten Gründen annehmen, dass die Ausgangslage nicht viel schlechter gewesen wäre, denkt man sich zB die öu-Katastrophe in Galizien wegen der anderen deutschen Aufmarschlage und einer erheblicher Zersplitterung der russischen Armee weg.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir ist das im alten Strang über den Großen Aufmarsch Ost gar nicht so bewusst geworden: Die Heeresvermehrung wurde ja dazu genutzt, dass die "Westtruppen" im Schlieffenplan verstärkt wurden (wenn auch nicht im ursprünglichen Verhältnis zwischen den Flügeln). Und zwar nur dafür, denn zeitgleich wurden Alternativen nicht mehr ausgearbeitet.

War der Schlieffenplan bei den Sandkastenspielen so überzeugend, dass er mit den Verstärkungen als einzig verbleibend eingestuft wurde? Doch wohl kaum, es war eine eher politische Entscheidung.

Zurück zur Aufstellung im Falle der Defensive West, hätten sich große Änderungen bei Reserven für die Nordseeküste bzw. Dänemark und bei der Bildung neuer Einheiten jenseits der Fronten ergeben?
 
Was mich an dem Schlieffenplan befremdet, ist,das er ein kontinentaler Plan ist, obwohl zuletzt durchaus von der Gegnerschaft England ausgegangen wurde. Dementsprechend hätte man doch eigentlich auch die britische Flotte und die damit für das Deutsche Reich verbundenen Gefahren in Rechnung stellen müssen.

Der Schlieffenplan galt wohl als das einzig mögliche Patentrezept um Frankreich und Russland schnell niederzuwerfen. Auch war Moltke sich durchaus darüber bewußt, das der moderne Krieg kein soo kurzer sein würde und sah zutreffend die wirtschaftlichen Problem voraus. Entsprechend hat er sich schon 1907 an die zuständigen zivilen Stellen gewendet, allerdings ohne verwertbare Ergebnisse.
 
Was mich an dem Schlieffenplan befremdet, ist,das er ein kontinentaler Plan ist, obwohl zuletzt durchaus von der Gegnerschaft England ausgegangen wurde. Dementsprechend hätte man doch eigentlich auch die britische Flotte und die damit für das Deutsche Reich verbundenen Gefahren in Rechnung stellen müssen.
Allerdings hätten dazu Heer und Marine eine gemeinsame Linie verfolgen müssen. Es wurden aber eifersüchtig eigene Süppchen gekocht...
 
Zurück zur Aufstellung im Falle der Defensive West, hätten sich große Änderungen bei Reserven für die Nordseeküste bzw. Dänemark und bei der Bildung neuer Einheiten jenseits der Fronten ergeben?

Hierzu noch ein Gedanke. Man könnte die früheren Stabsreisen mit den entsprechenden Übungen und Aufmarschskizzen darauf abgleichen, welche Vorstellungen über die Defensive im Westen bestanden. In dem Zusammenhang ist auch interessant, wie die Pläne zu den Festungen im Westen darauf abgestimmt waren.
 
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