Die bulé nach Kleisthenes

Hallo liebes Forum!

Es ist vielleicht eine triviale Frage, aber: welches Organ der Isonomie, die Kleisthenes schuf, war das "mächtigste"?

Es scheint mir fast so, dass es der neue "Rat der 500" war, oder?
Aber ich steig noch nicht ganz durch im Unterschied von Solon und Kleisthenes.
Klar, einfach ist, dass der Rat der 400 zum Rat der 500 wurde und somit um 100 Mitglieder gesteigert wurde. Auch klar ist, dass er aus je 50 ausgelosten Mitgliedern der zehn neu geschaffenen Phylen zusammengesetzt war. Damit war er durch alle Regionen und Bevölkerungsschichten gemischt und damit wirklich ein Querschnitt durch den demos und kein Organ spezifischer Einzelinteressen (zumindest idealiter.)

Das also zur Konstitution. Aber wie ist es nun mit den Befugnissen?
1. Was waren denn die Befugnisse des solonischen Rats der 400?

2. Kann man sagen, dass der Rat der 500 deswegen das mächtigste Organ der Verfassung war, weil er die politische Tagesordnung, die Agenda der Volksversammlungen bestimmte? Oder war das bereits in den Händen Prytanie und dann waren diese eigentlich die heimlichen Politikmacher Athens?

Oh, irgendwie bring ich da alles durcheinander, glaub ich...
Übrigens arbeite ich mit diesem Orgagramm: Die Neuordnung des Kleisthenes

und Josef FISCHER schreibt lediglich: "Diese 50 Ratsmitglieder bildeten eine sog. Prytanie, wobei jede Prytanie (...) als geschäftsführender Ausschuss die Ratsgeschäfte wahrnahm." (S.118).


Heißt dass dann im Klartext: Themistokles will Trieren bauen und braucht dafür nach Herodot 60 Talent Silber. Also spricht er bei den Prytanien vor und die hatten die Entscheidungsgewalt: Ja / Nein, wir geben das an den Rat der 500 weiter und die gaben das dann wiederum an die Volksversammlung weiter? Und die Archonten saßen untätig daneben, wußten aber, dass sie dann den Oberbefehl über die Strategen hatten und Aischylos seine Strategie absegneten als er als Stratege mit in die Schlacht bei Salamis fuhr?:weinen:


Ich wär für einen kleinen Kommentar sehr dankbar!
Beste Grüße,
Questionmark
 
Ich muss gestehen, das es Jahre her ist, dass ich mich mit den Details der attischen Verfassung beschäftigt habe. Um aber mit dem Schluss anzufangen:

Heißt dass dann im Klartext: Themistokles will Trieren bauen und braucht dafür nach Herodot 60 Talent Silber. Also spricht er bei den Prytanien vor und die hatten die Entscheidungsgewalt: Ja / Nein, wir geben das an den Rat der 500 weiter und die gaben das dann wiederum an die Volksversammlung weiter? Und die Archonten saßen untätig daneben, wußten aber, dass sie dann den Oberbefehl über die Strategen hatten und Aischylos seine Strategie absegneten als er als Stratege mit in die Schlacht bei Salamis fuhr?:weinen:

So genau werden wir's wohl leider nie wissen. Der Klartext ist leider nicht aufgezeichnet, und wenn ist er verloren. Aber ich würd' mich auch freuen, wenn die mal die Tagesthemen von 456 vor finden; bis dahin kann Dir vielleicht Tukydides helfen, wie das damals ablief, auch wenn es leider entweder konstruiert oder extrem verkürzt ist. :red: ;)

Es ist vielleicht eine triviale Frage, aber: welches Organ der Isonomie, die Kleisthenes schuf, war das "mächtigste"?

Ich würde schon diese Eingangsfrage überdenken. Gab es nach Kleisthenes ein eindeutig "mächtigstes" Gremium überhaupt? Sollte es das geben? In den Augen des Kleisthenes und bzw derjenigen, die die Reformen untersützten? In den Augen anderer Athener Bürger? Oder noch anderer Personen? Was bedeutet eigentlich "Isonomie"?

2. Kann man sagen, dass der Rat der 500 deswegen das mächtigste Organ der Verfassung war, weil er die politische Tagesordnung, die Agenda der Volksversammlungen bestimmte? Oder war das bereits in den Händen Prytanie und dann waren diese eigentlich die heimlichen Politikmacher Athens?

Die zentrale Institution war die Volksversammlung, die Gesetze beschloss, über Krieg und Frieden entschied und andere Dinge tat, die in unserem heutigem Verständnis "dem Souverän" zukamen.

Der Rat der 500 besaß als Institution, die die Volksversammlung einberief, vorbereitete un leitete, darum natürlich auch einen erheblichen Einfluss. Welche Folgen werden dabei wohl folgende Tatsachen gehabt haben: Durch Kleisthenes wurde der Rat der breiten Masse der polis-Bürger zugänglich. Die Posten im Rat wurden (nach einer Vorauswahl) verlost. Die Zuständigkeit für die laufenden Angelegenheiten rotierten im schnellen Wechseln unter den Prytanien.

Wenn also die Volksversammlung eine Entscheidung herbei führen sollte, zB Geld für eine Flotte bewilligen, war der vermutlich klügste Weg, sich mit den Prytanien zu verständigen und diese zu überzeugen, es der Volksversammlung vorzutragen. Die Umsetzung eines solchen Beschlusses ist dann noch mal was anderes. Für unsere Vorstellung kommt hier auch zum tragen, dass die Antike die Unterscheidung zwischen Legislative, Exekutive uned Judikative nicht kannte, bzw anders organisierte. Nebenbei, warum gibt's diese Trennung heute, und kannte Athen etwas ähnliches?

Zur Wirkung bzw Einschätzung der kleisthenischen Reformen ist auch bedeutsam, welchen althergebrachten Insitutionen Befugnisse genommen wurden (bzw nach der Tyrannei der Peisistratiden nicht wieder zuerkannt wurden): Die Archonten und der Areopag. Diese gab es zwar noch bzw wieder, aber ihre Bedeutung und ihr politischer Einfluss nahm kontinuierlich ab.

Mann kann aber mE sagen, dass die "Politikmacher" nicht in den Institutionen der attischen Demokratie vorkamen. Dass waren Einzelpersonen, politische Bünde oder Interessenvertretungen, die entlang sozialer, familiärer oder persönlicher Gegebenheiten entstanden. Interessant wäre, wenn Du erklären könntest, für welche soziale Schicht bzw politische "Partei" die Reformen des Kleisthenes vorteilhaft waren, und für welche eher nicht. Dann erklären sich auch eine Reihe Details dieses komplexen Aufbaus wie von selbst. ;)

P.S.: Zu Bule (Rat), Volksversammlung, Strategos, Archon, Areopag und Isonomie gibt es auch Wikipedia-Artikel. ;)
 
Erstmal Dank für die Antwort!

Interessant wäre, wenn Du erklären könntest, für welche soziale Schicht bzw politische "Partei" die Reformen des Kleisthenes vorteilhaft waren, und für welche eher nicht. Dann erklären sich auch eine Reihe Details dieses komplexen Aufbaus wie von selbst.

Ich denke doch erstmal für die "Mittelschicht", die ohne adelige Herkunft, trotzdem durch Handel und geschicktes Wirtschaften - ich denke an Grundstückskäufe, etc. - an Besitz kam. Dass die verwandschaftliche Organisation des Staates und die damit verbundene Exklusivität aufgelöst und in eine timokratische, dem Leistungsprinzip unterworfene Organisation wurde ist das Hauptaugenmerk der Kleisthenischen Reform...
Und - idealiter - gibt es dann auch keine personellen Bindungen mehr, wie in den alten Phylen und Phratnien. (Hier bin ich etwas skeptisch, weil personelle Verbäne und Sympathien auch in einem nicht persönlich organisierten System eine Rolle spielen könnten. Ich und meine Kumpels in der Schule wurden auch auseinandergesetzt und haben trotzdem zusammengehalten :devil:)
Aber ich glaub, ich verstehe, worauf du hinauswillst: Im Grunde genommen profitierte das gesamte Gemeinwesen von der Neuordnung, da die Interessen aller Bürger vertreten waren und sich kein Exklusivklub mehr, der die Mehrheit im Archontenapparat besaß, die "Staatsinteressen" mit den eigenen Interessen gleichsetzten konnte.
So genau werden wir's wohl leider nie wissen. Der Klartext ist leider nicht aufgezeichnet, und wenn ist er verloren. Aber ich würd' mich auch freuen, wenn die mal die Tagesthemen von 456 vor finden; bis dahin kann Dir vielleicht Tukydides helfen, wie das damals ablief, auch wenn es leider entweder konstruiert oder extrem verkürzt ist. :red: ;)
Haha - na, man könnte mal eine drehen.
"Themistokles wird vorgeworfen, sich zwei Talent Silber in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. Die Athener sind entsetzt."
oder:
"Und wieder haben die Truppen Achidamos die Felder vor Athen verwüstet."

Also vielen Dank für die Erläuterungen.

Für unsere Vorstellung kommt hier auch zum tragen, dass die Antike die Unterscheidung zwischen Legislative, Exekutive uned Judikative nicht kannte, bzw anders organisierte. Nebenbei, warum gibt's diese Trennung heute, und kannte Athen etwas ähnliches?

Äh - warum? Um eine Machtbündelung zu unterbinden. Und - wenn ich, was ich gelesen habe, richtig verstehe: Dann ja: auf Gemeindebene, also in den Demen durch Demengerichte, durch das Volksgericht und den Aeropag mit seiner Zuständigkeit für Schwerverbrechen. Ich hab auch gelesen, dass der Aeropag noch bei Kultverbrechen herangezogen wurde - aber seit / bei Kleisthenes scheint sich hier ja auch sehr vieles in Richtung Volksversammlung verschoben zu haben...wenn man an den Hermenfrevel denkt oder daran, dass Nikias Angst hatte, von der Siziliansichen Expedition heimzukehren, ohne ausdrückliche Genehmigung der Volksversammlung.

Ich persönlich finde es beachtlich, dass die Athener bereits verstanden, dass der Mensch als Individuum anders handelt, als in Gruppen. (Nachdem ich heute das Stück "Der Volksfeind" von Ibsen im Theater gesehen habe, verstehe ich den gravierenden Unterschied zwischen privatem und öffentlichen Urteilen mal wieder sehr viel mehr...): Sie hatten ja anscheinden schon Abstimmboxen (The Ancient Greeks - Tribes and Peoples in History

Also nochmals danke für die Antwort und korrigier mich, wenn ich was falsch gschrieben hab.
Gute Nacht,
Questionmarque
 
Oh - und da geht's weiter mit politischen Grundwissenslücken ;)


a) nahmen die Mitglieder der bulé auch an Entscheidungen teil? Also hatten auch sie Stimmen zum abgeben für / gegen Krieg? Schon, oder? Und wie ist dass dann heute im Bundestag/Bundesrat? Hat der BuTa / BuRa-Vorsitzende auch Stimmrecht?
 
Aber ich glaub, ich verstehe, worauf du hinauswillst: Im Grunde genommen profitierte das gesamte Gemeinwesen von der Neuordnung, da die Interessen aller Bürger vertreten waren und sich kein Exklusivklub mehr, der die Mehrheit im Archontenapparat besaß, die "Staatsinteressen" mit den eigenen Interessen gleichsetzten konnte.

Das ist der Kerngedanke der Isonomie; es wurde eine Gleichverteilung der Macht unter allen Bürgern angestrebt. Auch wenn Du sicher Recht hast, dass zunächst, nach der Reform 508/507, va die aufstrebende Mittelschicht an Einfluss gewann, zugunsten des "alten Adels". Langfristig waren die Reformen des Kleisthenes aber eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass auch die freie Unterschicht eine immer größere politische Rolle spielte. Aber das ist dann eine Entwicklung des 5. Jh..

Bei der Neuordnung der Bürgerschaft ging es wohl wirklich um ein Aufbrechen alter Strukturen. Hätte man Deinen Schulfreund und Dich in zwei unterschiedliche Klassen oder sogar Schulen gesteckt, hätte das vielleicht auch anders ausgesehen. ;)

Ich hab irgendwie auch im Hinterkopf, dass die Größenverhältnisse der alten Körperschaften ziemlich ungleich gewesen waren, während die neuen Phylen alle annähernd gleich groß waren (bei der Festlegung); aber da bin ich mir nicht sicher.

Zu Thukydides: Ich hatte da va die Geschehenisse um Mytilene im Sinn; ich kann aber auch nicht mehr wirklich sagen, wie ausführlich da die Institutionen geschildert werden. Für die Funktion der Volksversammlung ist es ein nettes, aber natürlich aussergewöhnliches, ja dramatisches Beispiel.

Attischer Seebund ? Wikipedia

Ich hab auch gelesen, dass der Aeropag noch bei Kultverbrechen herangezogen wurde - aber seit / bei Kleisthenes scheint sich hier ja auch sehr vieles in Richtung Volksversammlung verschoben zu haben...

In Richtung Volksversammlung bzw bulé, und in Richtung Volksgerichte, was das Justizwesen anging. Der Aeropag nur behielt die "Blutgerichtsbarkeit" als seine wichtigste Funktion, und noch einige mE eher nebensächliche Felder.

Ich persönlich finde es beachtlich, dass die Athener bereits verstanden, dass der Mensch als Individuum anders handelt, als in Gruppen.

Das müssen sie. Eine attische Volksversammlung bestand aus tausenden Teilnehmern (sonst war sie nicht beschlussfähig). Mit einer solchen Menschenmenge irgend eine geregelte Debatte und Entscheidung hinzukriegen, ist eine nicht zu unterschätzende kulturelle Leistung.

Dein Link zu der "Abstimmbox" funzt bei mir nicht richtig. Handelt es sich vielleicht um Kleroterion? Diese wurden für Auslosungen genutzt, zB der bulé.

Rekonstruktion:
http://zahovistika2.blog.mk/files/2010/03/kleroterion.jpg

Kleroterion ? Wikipedia

P.S.:

Haha - na, man könnte mal eine drehen.


So, wie historische Dokumentationen heutzutage gemacht werden, ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit...
 
Herr Reinecke,

besten Dank für die ausgefuchste Antwort!

Bei der Neuordnung der Bürgerschaft ging es wohl wirklich um ein Aufbrechen alter Strukturen. Hätte man Deinen Schulfreund und Dich in zwei unterschiedliche Klassen oder sogar Schulen gesteckt, hätte das vielleicht auch anders ausgesehen. ;)-> ham sie aber nicht, hehe!

Danke für das Beispiel mit Mytilene und auch für die andern Ausführungen.

Dein Link zu der "Abstimmbox" funzt bei mir nicht richtig. Handelt es sich vielleicht um Kleroterion? Diese wurden für Auslosungen genutzt, zB der bulé.
Dei M... funzt nicht richtig ;) Tschuldige, der grassiert grad wieder bei mir und meinen Kumpels. Nein, nicht die aus der Schule...hehe.
Also bei mir geht er grad. Dauert nur ewig zu Laden und auf den ersten Blick ist da nur Werbung zu sehen. Aber genau, so eine Box meinte ich. Muss ich mir mal im Detail anschauen, wenn ich mehr Zeit habe. Griechenland liegt grad leider wieder unten im Stapel, dafür lern ich über bayerische Raupenhelme und die preußische Pickelhaube und bayerischen Protest dagegen, 1886.

Allerdings - geklärt ist es jetzt immer noch nicht :

Durften die Archonten, die Strategen und die Bulé-Mitglieder selbst mitabstimmen? Oder waren sie nur Exekutive (Archonten und Strategen) und Moderatoren (Bulé-Mitglieder)?

Beste Grüße!
 
Durften die Archonten, die Strategen und die Bulé-Mitglieder selbst mitabstimmen? Oder waren sie nur Exekutive (Archonten und Strategen) und Moderatoren (Bulé-Mitglieder)?

Beste Grüße!

Die Volksversammlung galt als Versammlung aller athenischen Bürger. Beamte und Ratsmitglieder verloren ja nicht ihr Bürgerrecht und waren somit auch stimmberechtigte Mitglieder der Volksversammlung. Der (täglich wechselnde) Vorsteher des Rats hatte sogar den Vorsitz der Versammlung inne.
(vgl. Bleicken, Die athenische Demokratie)

Angesichts der Zahlenverhältnisse (500 Ratsmitglieder gegenüber mehreren Tausend Ekklesiasten, 6000 galten als typische Anzahl) fiel das nicht stark ins Gewicht.

Zur Gerichtsbarkeit: Seit den Reformen des Ephialtes 462 wurden dem Areopag fast alle Kompetenzen entzogen, er behielt nur die Blutgerichtsbarkeit bei Mord. Statt dessen wurde eine Art Geschworenengerichte eingerichtet, die in summa 6000 Bürger (jährlich neu erlost) umfassten. Die Gerichte und die Volksversammlung wurden manchmal auch nur als "Volk von Athenm" bezeichnet und waren niemandem rechenschaftspflichtig (im Gegensatz zum Rat und den Gerichten).

Als Literatur empfehle ich genannten Bleicken und die "Verfassung der Athener" von Aristoteles.
 
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