Die Dekadenz Italiens

Rovere

Premiummitglied
Ein für mich immer faszinierendes und nicht fassbares Thema ist der politische Abstieg der Apenninenhalbinseln nach 1500.
Italien stand damals an der zivilisatorischen Spitze Europas. Italienische Banken kontrollierten den Geldmarkt, Venedig den Handel, niergendwo sonst hatten die Wissenschaften einen derartigen Vorsprung.
Es ist klar dass die Kleinstaaterei und die dadurch entstehenden permaneten lokalen Konflikte zu einer Bindung der Kräfte in diesem permanenten Kriegszustand führten und es den italienischen Signorien und Staaten nicht gelang sich den Expansionsbestrebungen Frankreichs und Habsburgs zu erwehren.
Dennoch kann Venedig noch im 16. Jhdt. Großmachtspolitik betreiben - man denke nur an den Konflikt mit der Heiligen Liga oder die Seeschlachten gegen die Osmanen.
Im 17. Jhdt. kippt aber auch die Serenissima in die politische Bedeutungslosigkeit - obwohl Italien sich ja an der großen Auseinandersetzung des 30-jährigen Krieges nicht beteiligt. Ganz im Gegenteil, die erste Hälfte des 17. zählt zu den längsten Friedensperioden auf der Halbinsel, während die drei dominierenden Mächte des Kontinents (Spanien, Frankreich und der Kaiser) ihre Kräfte im großen Krieg gebunden haben.

Was ich aber nicht verstehen kann ist dass es zu keiner Erholung der politischen Landschaft kommt. Klar, die Welthandelsströme haben sich verlagert, Italien liegt im Abseits - aber das tut auch das habsburgische Österreich und noch viel mehr das künftige Preussen. Und diese Länder steigen zu neuen Großmächten auf.

Wieso hat es Preussen geschafft und z.B. das Großherzogtum Toskana nicht? Die Toskana war im 17. Jhdt reicher, dichter besiedelt und eindeutig weiter entwickelt als die Mark Brandenburg. Dennoch nur wenige Generationen später spielt Preußen im Konzert der Großmächte, Toskana und Venedig sind quantites negligeable - die Verlagerung der Handelsströme allein kanns also nicht gewesen sein.

Gibt es "Spielregeln" für das Aufsteigen bzw. Abfallen von Mächten? Und wenn ja haben die Italiener diese nach 1500 ignoriert?
 
Rovere schrieb:
Gibt es "Spielregeln" für das Aufsteigen bzw. Abfallen von Mächten?
Wenn man die klar formulieren könnte...

Grundsätzlich lege ich Dir bei Deinem Interesse das Jahrhundertwerk "Aufstieg und Fall der großen Mächte" von Sir Paul Kennedy ans Herz.
Sein Grundtenor ist es, dass der Grundstock jeglicher Macht wirtschaftlicher Erfolg sei, bedingt durch wissenschaftliche Errungenschaften, Kultur und staatliche Lenkung, und über Aufstieg und Fall entscheide, indem er sich (manchmal zeitversetzt) auf den militärischen und politischen Bereich auswirke.
 
Kennedys Buch hab ich mal überflogen, ist aber schon eine Zeit her. Doch bezieht er sich auf Großmächte, das Italien der frühen Neuzeit setzt sich aber aus Klein- und Mittelstaaten zusammen mit - und das ist ja das spannende dran - einem Vorsprung in den Wissenschaften.
Die einzige Erklärung die ich mir für dieses Nichtwiedererstarken der Staaten in einer Zeit des politischen Vakuums - die Kräfte der Großmächte sind auf dem mitteleuropäischen Kriegsgebiet gebunden - ist die veraristokratisierung der Führungsschichten. Statt seine Einnahmen weiter zu investieren baut der venezianische Adel eine prächtige kostspiele Villa nach der anderen auf die Terra ferma - ähnliches passiert in Rom, die Einkünfte des Papstes werden und seiner Nepoten werden fast ausschließlich verbaut und vermalt, Politik a´la Julius II. wird nicht mehr gemacht.

Was mich einfach so wundert ist dass weder Venedig noch das Großherzogtum Toskana trotz des immer noch bestehenden Wohlstands, ausreichend Bevölkerung und wissenschaftlichem Vorsprung nichteinmal mehr als Mittelmächte im 17. Jhdt. zu bezeichnen sind - trotz der Tatsache dass die Großmächte in dieser Zeit durch Krieg gebunden sind.
 
Venedigs Niedergang würde ich erst ins 18. Jhd. legen. Sie nehmen immerhin noch mit einigem Erfolg am Großen Türkenkrieg teil und können damit sogar ihr Territorium wieder ausbauen.

Das Grundproblem war aber wohl eher die völlige politische Zersplitterung Italiens, ohne das überhaupt noch Einigungsansätze vorhanden gewesen wären. Da mögen vielleicht in Kunst und Wissenschaft führende Köpfe vorhanden gewesen sein, nur waren deren mögliche Beschäftigungsfelder in Italien schnell ausgeschöpft. Die besten Köpfe Italiens gehen doch ins Ausland, weil es dort einfach bessere Bedingungen gibt. Die Beispiele sind doch zahlreich:
Tiepolo geht nach Würzburg
da Vinci nach Frankreich
Canaletto nach Dresden
Prinz Eugen nach Wien ....
 
Rovere schrieb:
Kennedys Buch hab ich mal überflogen, ist aber schon eine Zeit her. Doch bezieht er sich auf Großmächte, das Italien der frühen Neuzeit setzt sich aber aus Klein- und Mittelstaaten zusammen
Hast Du denn damit nicht Deine eingangsgestellte Frage beantwortet?
Die italienischen Kleinstaaten verfügten nur über ein relativ geringes Potential (das sie in der frühen Neuzeit allerdings durch starke Rationalisierung höchst effizient nutzten) und erschöpften sich überdies in inneren Zwistigkeiten; während die europäischen Mächte, die später eine gewichtige Rolle spielen sollten, sich in dieser Zeit eine breite Grundlage schafften, welche sie dann teils in der industriellen Revolution, teils davor an die Spitze katapultierte.
Das von Dir angeführte Preußen ist ein gutes Beispiel: 1806 von Napoleon niedergeworfen, über den Wiener Kongress zur ungeliebten "Rhein-Provinz" gekommen und dann 64 Jahre später Sedan.
 
Andronikos schrieb:
Venedigs Niedergang würde ich erst ins 18. Jhd. legen. Sie nehmen immerhin noch mit einigem Erfolg am Großen Türkenkrieg teil und können damit sogar ihr Territorium wieder ausbauen.

Das Grundproblem war aber wohl eher die völlige politische Zersplitterung Italiens, ohne das überhaupt noch Einigungsansätze vorhanden gewesen wären. ....

Schon im frühen 17. Jhr. spielte Venedig eine marginale Rolle in der europ. Politik. Schaut man sich die politischen Konstellationen an, so fällt auf, dass keine Großmacht sich um Venedig riß. Im europ. Mächtekonzert spielte Venedig keine Rolle. An keiner großen Allianz war es wirklich beteiligt, sein Einfluß war kaum wahrnehmbar. Die Türkenkriege sind da auch nur ein partielles Ereignis. Venedig bekam nur die Restkrümel ab.

Italien war praktisch nicht nur zersplittert, sondern unter vier Einflußsphären aufgeteilt: Im Süden Spanien, im Zentrum der Papst, im Osten der Kaiser und im Westen Frankreich. Unter diesen Vorzeichen geschah alles in Italien und wurde kritisch beobachtet von den Großmächten.
 
Andronikos schrieb:
Venedigs Niedergang würde ich erst ins 18. Jhd. legen. Sie nehmen immerhin noch mit einigem Erfolg am Großen Türkenkrieg teil und können damit sogar ihr Territorium wieder ausbauen.

Das Grundproblem war aber wohl eher die völlige politische Zersplitterung Italiens, ohne das überhaupt noch Einigungsansätze vorhanden gewesen wären. Da mögen vielleicht in Kunst und Wissenschaft führende Köpfe vorhanden gewesen sein, nur waren deren mögliche Beschäftigungsfelder in Italien schnell ausgeschöpft. Die besten Köpfe Italiens gehen doch ins Ausland, weil es dort einfach bessere Bedingungen gibt. Die Beispiele sind doch zahlreich:
Tiepolo geht nach Würzburg
da Vinci nach Frankreich
Canaletto nach Dresden
Prinz Eugen nach Wien ....
Naja, so kann man es auch nicht sehen - ein gleicher Zug von Künstlern und Wissenschaftlern geht von Nord nach Süd (und Eugen ging von Paris nach Wien wenn ich das anmerken darf) und Bernini, Borromini, Carravaggio und tausende mehr schaffen unglaubliche Werke in den Städten Italiens.
Die politische Zersplitterung der italienischen Landschaft war vor 1500 noch ausgeprägter, ganz im Gegenteil, erst im 16. Jhdt bildet sich das Staatensystem heraus dass bis zum Risorgimento Bestand hatte.
Aber vor 1500 mischen die Italiener in der Weltpolitik noch kräftig mit, vor allem Venedig und Mailand sind durchaus starke Mittelmächte.
 
Louis le Grand schrieb:
Schon im frühen 17. Jhr. spielte Venedig eine marginale Rolle in der europ. Politik. Schaut man sich die politischen Konstellationen an, so fällt auf, dass keine Großmacht sich um Venedig riß. Im europ. Mächtekonzert spielte Venedig keine Rolle. An keiner großen Allianz war es wirklich beteiligt, sein Einfluß war kaum wahrnehmbar. Die Türkenkriege sind da auch nur ein partielles Ereignis. Venedig bekam nur die Restkrümel ab.
Man muss bei Venedig aber auch sehen, dass es bei den großen europäischen Konflikten in der Regel strikt neutral blieb. Das war für Venedig einer der Hauptfaktoren, diese Zeit der Expansion der Großmächte überhaupt zu überleben. Dafür war die venezianische Diplomatie in dieser Zeit europaweit berühmt, durch ihre Neutralität waren sie der ideale Vermittler in den europäischen Konflikten.
Louis le Grand schrieb:
Italien war praktisch nicht nur zersplittert, sondern unter vier Einflußsphären aufgeteilt: Im Süden Spanien, im Zentrum der Papst, im Osten der Kaiser und im Westen Frankreich. Unter diesen Vorzeichen geschah alles in Italien und wurde kritisch beobachtet von den Großmächten.
Der Osten war ja venezianisch. Die Lombardei war habsburgisch (bis 1714 spanisch, danach österreichisch). Strittig zwischen dem Reich und Frankreich war im 17. Jhd. eigentlich nur Savoyen/Piemont, das durch seine Nähe zu Frankreich unter dessen Einfluss geriet aber eigentlich immer Teil des HRR blieb und sich durch den Spanischen Erbfolgekrieg auch aus dem französischen Einfluss befreien konnte - und schlussendlich dann ja auch zum Kristallisationspunkt des späteren Königreichs Italien wurde.
 
Naja, Venedig und Habsburg haben aber etliche Sträuße (so unterstützen die Habsburger dalmatinische Piraten, mir ist nur der Name dieser Briganten entfallen) gefochten - und die Serenissima hat sich nicht nur auf die Diplomatie verlassen, sondern sich auch effektiv eingeigelt, man denke nur an Palmanova, diese unglaubliche Festungstadt an der Grenze zwischen Veneto und Friaul.
Da war ja noch einiges an militärischen Knowhow vorhanden, detto Geld und Leute. Waren diese Staaten einfach müde? Ihre historische Aufgabe erfüllt und nur mehr ein gigantischen Ferienparadis der Künste und des Dolce Vita für die neuen Herren des Kontinents?
 
Rovere schrieb:
Naja, so kann man es auch nicht sehen - ein gleicher Zug von Künstlern und Wissenschaftlern geht von Nord nach Süd (und Eugen ging von Paris nach Wien wenn ich das anmerken darf) und Bernini, Borromini, Carravaggio und tausende mehr schaffen unglaubliche Werke in den Städten Italiens.
Die Künstler aus dem Norden gingen aber nach Italien um zu lernen und gingen dann wieder zurück nach Hause. Irgendwann hatte der Norden dann natürlich den Rückstand aufgeholt.
Das nicht alle italienischen Künstler fortgingen ist auch klar.
Eugen ging natürlich von Paris nach Wien, aber nur weil es seine Familie schon vorher aus ihrem kleinen Staat in Italien an den französischen Hof gezogen hat.

Ich finde das Italien gut vergleichbar mit dem großen kleinstaatlichen Rest Deutschlands ist(abgesehen von Preußen und Östereich). Einige der Staaten hatten im 16. und 17. Jahrhundert noch bedeutenden Einfluss. Gute Beispiele sind da die vergleichsweise großen Sachsen und Bayern. Im 18. Jhd. sinkt ihr Einfluß dann in beinahe Bedeutungslosigkeit, nur das "Gleichgewicht der Mächte" bewahrt sie in ihren Nachbarstaaten aufzugehen. Bayern ist von 1705-1715 von Österreich besetzt, Sachsen wird im Siebenjährigen Krieg von Friedrich II. erobert - faktisch sind sie als Mächte schon damals ausgeschaltet.
Im 18. Jhd. konnte man nur als Großmacht oder durch geschickte Diplomatie überleben, das mag im 15. Jhd. noch völlig anders gewesen sein.
 
Andronikos schrieb:
Die Künstler aus dem Norden gingen aber nach Italien um zu lernen und gingen dann wieder zurück nach Hause. Irgendwann hatte der Norden dann natürlich den Rückstand aufgeholt.
Bis heute hat der Norden den Rückstand nicht aufgeholt....wenn du mir nicht glauben solltest dann setzt dich mal für eine halbe Stunde in ein Cafe vors Pantheon ;)
Man darf ja nicht ausser Acht lassen dass zwar die politische Bedeutung futsch war - gleichzeitig entwickelt sich die Region aber zum Land der Sehnsucht schlechthin, Ursache und Ziel jeder Grand Tour.
 
Andronikos schrieb:
Man muss bei Venedig aber auch sehen, dass es bei den großen europäischen Konflikten in der Regel strikt neutral blieb. Das war für Venedig einer der Hauptfaktoren, diese Zeit der Expansion der Großmächte überhaupt zu überleben. Dafür war die venezianische Diplomatie in dieser Zeit europaweit berühmt, durch ihre Neutralität waren sie der ideale Vermittler in den europäischen Konflikten.

Zum Teil hast du sicher Recht, allerdings würde ich diese Neutralität nicht als stärke, sondern als Anzeichen für politische und ganz besonders militärische Schwäche ansehen. Eine Überlebensstrategie um einen eventuellen tödlichen Konflikt zu umgehen. Hätte eine Großmacht einen Grund gehabt Venedig zu treffen, es hätte wohl alt ausgesehen. Daher die aktive Diplomatie. Aber als Vermittler in euopäischen Konflikten ist mir Venedig bisher nicht sonderlich im 17. Jhr. aufgefallen. :)
 
Rovere schrieb:
Ein für mich immer faszinierendes und nicht fassbares Thema ist der politische Abstieg der Apenninenhalbinseln nach 1500.
Italien stand damals an der zivilisatorischen Spitze Europas. Italienische Banken kontrollierten den Geldmarkt, Venedig den Handel, niergendwo sonst hatten die Wissenschaften einen derartigen Vorsprung.
Es ist klar dass die Kleinstaaterei und die dadurch entstehenden permaneten lokalen Konflikte zu einer Bindung der Kräfte in diesem permanenten Kriegszustand führten und es den italienischen Signorien und Staaten nicht gelang sich den Expansionsbestrebungen Frankreichs und Habsburgs zu erwehren.
Dennoch kann Venedig noch im 16. Jhdt. Großmachtspolitik betreiben - man denke nur an den Konflikt mit der Heiligen Liga oder die Seeschlachten gegen die Osmanen.
Im 17. Jhdt. kippt aber auch die Serenissima in die politische Bedeutungslosigkeit - obwohl Italien sich ja an der großen Auseinandersetzung des 30-jährigen Krieges nicht beteiligt. Ganz im Gegenteil, die erste Hälfte des 17. zählt zu den längsten Friedensperioden auf der Halbinsel, während die drei dominierenden Mächte des Kontinents (Spanien, Frankreich und der Kaiser) ihre Kräfte im großen Krieg gebunden haben.


Vielleicht Spätfolgen der Renaissance ?
Muß hier nicht auch eine Kehrseite des Begriffs :“Renaissance“ in seiner hist. Realität seiner Zeit und der einfachen Leute gesehen werden ?
Glanzvolle Kunstwerke,der Reichtum des Papsttums, die goldenen Jahre Venedigs...
gehörten zu einen durch und durch aristokratischen Kulturgebilde,das auf dem Rücken von hart arbeitenden Menschen errichtet worden ist.Fürsten und Tyrannen lebten auf Kosten ihres Volkes in unsinnigem Luxus. Die sprichwörtliche moralische Zügellosigkeit der Renaissance
war der Preis für die geistige Befreiung des Bürgertums.
Als die Franzosen, dann die brutale Soldateska der deutsch-span. Heere in Italien einfielen,
hatten die sich in endlosen Stadt und Dynastiefehden ausgelaugten Regionen nichts Wehrhaftes entgegenzu setzten, wo nur gemeinsames Handeln Erfolg gehabt hätte. Tribut eines auf die Spitze getriebenen Individualismus der Renaissance, dessen Erfolg und Niedergang gleichsam Ursache und Auswirkung darstellt ?
Die Freveltaten der Visconti, Malatesta und anderer Despoten reizten deas Volk zur Nachahmung.
In den frühen Zeiten der Renaissance galt ein lebend Gefangener der Schlachten mehr als ein Toter, da dieser vielleicht Lösegeld einbrachte. Als die Condottieri mächtiger wurden,ließ man die Soldaten, anstatt Sold auszubezahlen,die Städte Plündern.
Generäle verkauften ihre Dienste an den Meistbietenden, verhandelten womöglich noch währen der Schlacht mit dem Feind, ob der nicht eine höhere Summefür seine Dienste böte.
Päpste und Fürsten verletzten Schutz-und Geleitbriefe, Verräter befanden sich in allen Lagern, das Gefühl für Recht und Unrecht wich blankem Opportunismus. Korruption durchdrang alle Schichten der Verwaltung...etc.
Da hatte die ordnende Macht der spanischen Besetzer durchaus einen gewissen befriedenden Zwang ausgeübt.
Mein Eindruck daher, in dem von Rovere angegebenen Zeiträumen zeigt sich der Niedergang
der gesamten Geschichte der Halbinsel nicht zuletzt als Spätfolge der Kehrseite der Renaissance abseits ihrer Ideale und künstlerischen Einmaligkeit .
 
Zuletzt bearbeitet:
Rovere schrieb:
Ein für mich immer faszinierendes und nicht fassbares Thema ist der politische Abstieg der Apenninenhalbinseln nach 1500.
Italien stand damals an der zivilisatorischen Spitze Europas. Italienische Banken kontrollierten den Geldmarkt, Venedig den Handel, niergendwo sonst hatten die Wissenschaften einen derartigen Vorsprung.
Es ist klar dass die Kleinstaaterei und die dadurch entstehenden permaneten lokalen Konflikte zu einer Bindung der Kräfte in diesem permanenten Kriegszustand führten und es den italienischen Signorien und Staaten nicht gelang sich den Expansionsbestrebungen Frankreichs und Habsburgs zu erwehren.
Dennoch kann Venedig noch im 16. Jhdt. Großmachtspolitik betreiben - man denke nur an den Konflikt mit der Heiligen Liga oder die Seeschlachten gegen die Osmanen.
Im 17. Jhdt. kippt aber auch die Serenissima in die politische Bedeutungslosigkeit - obwohl Italien sich ja an der großen Auseinandersetzung des 30-jährigen Krieges nicht beteiligt. Ganz im Gegenteil, die erste Hälfte des 17. zählt zu den längsten Friedensperioden auf der Halbinsel, während die drei dominierenden Mächte des Kontinents (Spanien, Frankreich und der Kaiser) ihre Kräfte im großen Krieg gebunden haben.

Was ich aber nicht verstehen kann ist dass es zu keiner Erholung der politischen Landschaft kommt. Klar, die Welthandelsströme haben sich verlagert, Italien liegt im Abseits - aber das tut auch das habsburgische Österreich und noch viel mehr das künftige Preussen. Und diese Länder steigen zu neuen Großmächten auf.

Wieso hat es Preussen geschafft und z.B. das Großherzogtum Toskana nicht? Die Toskana war im 17. Jhdt reicher, dichter besiedelt und eindeutig weiter entwickelt als die Mark Brandenburg. Dennoch nur wenige Generationen später spielt Preußen im Konzert der Großmächte, Toskana und Venedig sind quantites negligeable - die Verlagerung der Handelsströme allein kanns also nicht gewesen sein.

Gibt es "Spielregeln" für das Aufsteigen bzw. Abfallen von Mächten? Und wenn ja haben die Italiener diese nach 1500 ignoriert?

Tja, ich muss korregieren - von einer Dekadenz Italiens keine Spur! Nach der Lektüre Fernande Braudels "Modell Italien 1450-1650" muss ich mein obiges Statement vollkommen revidieren. Von einem Abstieg nach 1500 keine Spur, auch die "neuen Welthandelsströme" beeinflussen die Handelshegemonie Italiens erst ab der Mitte des 17. Jhdts.!
Braudel schildert faszinierend wie Genua zur Dominante des europäischen Geldmarktes wird, fast das gesamte Gold und Silber aus der neuen Welt läuft durch die Hände der ligurischen Bankiers.

Ich kann dieses Buch sehr empfehlen, eines der besten und kurzweiligsten Werke die ich in letzter Zeit gelesen habe:
Modell Italien 1450-1650

(wobei natürlich wiederum zu bedenken ist dass der eine Historiker so schreibt und der nächste wieder ganz anders :D )
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Rovere schrieb:
Tja, ich muss korregieren - von einer Dekadenz Italiens keine Spur! Nach der Lektüre Fernande Braudels "Modell Italien 1450-1650" muss ich mein obiges Statement vollkommen revidieren. Von einem Abstieg nach 1500 keine Spur, auch die "neuen Welthandelsströme" beeinflussen die Handelshegemonie Italiens erst ab der Mitte des 17. Jhdts.!
Braudel schildert faszinierend wie Genua zur Dominante des europäischen Geldmarktes wird, fast das gesamte Gold und Silber aus der neuen Welt läuft durch die Hände der ligurischen Bankiers.

Ich kann dieses Buch sehr empfehlen, eines der besten und kurzweiligsten Werke die ich in letzter Zeit gelesen habe:
Fernade Braudel "Modell Italien 1450-1650"

Aber warum entstand kein ital. Nationalgefühl, welches den eigenen Boden gegen die Eindringlinge verteidigt hätte. Die span. Vizekönige und Der Kirchenstatt belegte das Volk mit hohen Steuern, die Machtebene darunter erhöhte diese noch um machtpolitisch handeln zu können. Die Genuesen mögen profitiert haben, die Venezianer noch ene Weile, aber die anderen Italiener ?? :grübel:
 
Aber warum entstand kein ital. Nationalgefühl, welches den eigenen Boden gegen die Eindringlinge verteidigt hätte. Die span. Vizekönige und Der Kirchenstatt belegte das Volk mit hohen Steuern, die Machtebene darunter erhöhte diese noch um machtpolitisch handeln zu können. Die Genuesen mögen profitiert haben, die Venezianer noch ene Weile, aber die anderen Italiener ?? :grübel:

Die Lombardei zählte im 18. Jahrhundert zu den reichsten Gegenden Europas, das Pro-Kopf-Einkommen war nur noch in den Niederlanden höher.


(Ausserdem wollte ich diesen Thread wieder beleben)
 
Ich habe das hier vor kurzem zitiert gefunden:
Die Wirtschaft der Lombardei als ... - Google Bücher

Ist das bekannt bzw. empfehlenswert?

Dieses Buch kenn ich leider nicht. Ich hab mich auf ein anderes bezogen das ich aus vielerlei Gründen nur empfehlen kann:
Andreas Fahrmeier, Revolutionen und Reformen, Europa 1789 - 1850 aus der Beckschen Reihe.
Fahrmeier stellt eine Analyse der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Situation Europas vor 1789 seinem Werk voran. Und dort hab ich das gelesen.
 
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