Die Erben von Byzanz heute

ALKIBIADES schrieb:
... Welche Länder die in dem Gebiet des ehemaligen Byzantinischen Reiches heute existieren,können nach eurer Ansicht als "indirekte" oder "direkte" Erben,in kultureller wie auch vielleicht ethnischer Hinsicht des Byzantinischen Reiches gelten?...

Meines Wissens nach, sieht sich die Türkei als Erbe von Byzanz, und nicht nur von Byzanz...!

http://www.turk-yunan.gen.tr/deutsch/relations/ethnic05.html

So wie ich das gelesen habe, versteht sich die Türkei als Nachfolger aller Völker Kleinasiens und, soweit zugehörig, der Völker des Balkans.

Das heisst, alle Einwohner der Türkei, woher auch immer sie kommen, werden als Türken betrachtet. (Es sei denn, sie wären Kurden, Griechen oder gar Armenier :grübel: ).

Hinterlassenschaften all dieser Völker werden folgerichtig als türkisches Eigentum betrachtet, und dessen Entwendung entsprechend verfolgt.
 
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Das Byzantinische Reich hat 2 1/2 Erben - und hinterlies unzählige Legate. Durch die kulturelle Befruchtung im südosteuropäischen und slawischen Kulturkreis genauso wie auch durch die Aufladung der italienischen Renaissance durch byzantinische Exilanten wie z.B. Bessarion deren Einfluss auf die geistige und kulturelle Entwicklung des neuzeitlichen Europas nicht hoch genug bewertet werden darf. Arcimboldo hat diesen Beitrag etwas weiter oben ohnehin exzellent schon beschrieben.

Es gibt aber auch Erben die eine "Reichsidee"-Nachfolge antreten. Dazu müsssen wir uns aber zuerst die byzantinische Reichsidee anschauen. Diese entwickelt sich aus dem römischen Universalitätsanspruch erweitert durch das caesaropapistische Modell der orthodoxen-Kirche. Grenzen, Nationen, Sprachen oder auch territoriale Ausdehnung spielten in diesem Modell überhaupt keine Rolle. Der Kaiser/Basileus ist Herr der Welt und Herr der Christenheit - e basta. Eine Universalitätsanspruch der analog auch im Westen besteht - hier bildet die Kirche mit ihrem eigenen Universalitätsanspruch aber eine permanente Konkurrenz zum kaiserlichen, wie die Geschichte ausging ist bekannt.

Im 15. Jhdt. ist dieser universale Machtanspruch nur mehr ein Schatten seiner selbst - doch der Mythos wirkt nach wie vor - man denke nur an die Byzanz-Rezeption im Zuge des Konzils von Florenz 1439. 1453/61 ist es dann endgültig aus mit byzantinischer Kaiserherrlichkeit. Und zwei Erben beanspruchen das Erbe:
Zum einen ist dies Russland dass sich durch dynastische Verbindung und den Anspruch vom Dritten Rom bewusst in die Tradition setzt. Die Annahme des Zarentitels durch Großfürst Iwan III. ist nichts anderes als die Übernahme des Universalanspruchs. Die Herrscher Russlands sind Kaiser - ihr Machtanspruch ist universell und sie stehen gewiss nicht in der Tradition des karolingischen-lateinischen Reiches so wie das HRR.
Neben der Universalitäsidee ist natürlich der Primat innerhalb der Orthodoxie der zweite wesentliche Erbteil den dass alte Russland von Byzanz übernimmt. Dass Nation & Sprache damals keine Parameter waren wird ohnehin oben schon dargestellt.

Der zweite Erbe ist das osmansiche Reich. Dieses füllt die geopolitische Lücke von Byzanz. Darüberhinaus nehmen gerade die Sultane nach Mehmed II. auch die Titeln der byzantinischen Kaiser an - in Dokumenten an den Westen bezeichnet sowohl Mehmet als auch seine Nachfolger sich als Imperator oder Basileus. Abgesehen davon ist das osmanische Reich fast ein Prototyp eines universalen Reiches dass über Nation und Sprache steht. Spannender ist es nachzuprüfen wie sehr die moderne Türkei mit ihrer Nationalstaatideologie in der Nachfolge des osmanischen Reiches steht dem nicht so egal war wie Nation (die Machthaber, Offiziere und Sultansfrauen kamen von überall her).

Und dann gibts noch einen halben Erben - das HRR (wenn dies auch eher eine kuriose Fußnote ist). Nach dem Fall von Konstantinoper erklärte Friedrich III. sich nun als alleiniger Kaiser der gesamten Christenheit und führte von nun an endgültig den doppelköpfigen Adler aus Byzanz als kaiserliches Wappentier.
 
Noch ein Nachtrag:
Dieser Universalitätsanspruch der byzantinischen Reichsidee lässt auch - abgesehen von der zeitlichen Distanz - Staaten wie das moderne Griechenland ausscheiden das Erbe von Byzanz angetreten zu haben.
Als Griechenland 1830 entstand war es geradezu ein Musterbeispiel eines Nationalstaates des modernen Typs. Ziel dieses Landes war es immer der Staat aller Griechen zu werden, byzantinische Großmachtsfantasien waren höchsten schwüle Sommerträume diverser Politker ohne jede Chance auf Realisation. Interessant ist ja auch was die Griechen 1920 machen - sie besetzen das griechisch besiedelte Kleinasien und unternehmen eigentlich keine Versuch weiter ins türkische Landesinnere vorzustoßen. Ein moderner Nationalstaat eben.
Selbst in der offiziellen Staatsdekoration - Architektur, Design der Embleme und Symbole, etc. - findet man kaum byzantinisches, ganz im Gegenteil, man greift noch weiter in die Geschichte zurück und durch reichliches Verwenden antiker und klassizistischer Versatzstücke dekoriert sich der junge Staat zum legitimen Nachfolger des klassischen Griechenlands.
Selbst in der Kirchenpolitik werden neue Wege beschritten - die griechische Kirche ist einer der autokephalen, dh. vom Konstantinopler Patriarchat weitgehend unabhängige Insitution.

Meiner Meinung hat das moderne Griechenland ein kulturelles Legat übernommen, aber kein Erbe angetreten.
 
Jürgen schrieb:
Meines Wissens nach, sieht sich die Türkei als Erbe von Byzanz, und nicht nur von Byzanz...!

http://www.turk-yunan.gen.tr/deutsch/relations/ethnic05.html

So wie ich das gelesen habe, versteht sich die Türkei als Nachfolger aller Völker Kleinasiens und, soweit zugehörig, der Völker des Balkans.

Das heisst, alle Einwohner der Türkei, woher auch immer sie kommen, werden als Türken betrachtet. (Es sei denn, sie wären Kurden, Griechen oder gar Armenier :grübel: ).

Hinterlassenschaften all dieser Völker werden folgerichtig als türkisches Eigentum betrachtet, und dessen Entwendung entsprechend verfolgt.

Äääähm....ich find den Link doch sehr problematisch. Das ist m.E. pure Propaganda.
 
Die Dynastie der Komnenen kam aus Thrakien.Der Vater von Isaak Komnenos war ein hellenisierter Valache.Die Palaiologen Dynastie waren Griechen aus Kleinasien(ursprünglich).Ich persönlich würde jeglichen Anspruch der Türkei,als Nachfolger von Byzanz zu gelten zurückweisen.Sie waren lediglich Eroberer,welche die byzantinische Verwaltung(vielleicht auch ein bischen von der Musik...)übernahmen.Sie haben mit der orientalisch geprägten Hellenistisch-Orthodoxen Byzantinischen Kultur nichts gemein.eher würde ich den orthodoxen Ländern des Balkans oder Russland diese Rolle zusprechen,aber dann auch nur in kultureller Hinsicht.Glaube auch dass die Griechen von heute,sich sehr stark mit Byzanz identifizieren.Aber Griechenland orientiert sich dann doch wieder eher an die Antike,obwohl die Orthodoxe Kirche,ganz in Byzantinischer Tradition,überall den doppelköpfigen Adler von Byzanz an ihren Kirchen und Institutionen aufhängt.
 
Wenn hier der Begriff "Erbe" bemüht wird, so muss man hinzufügen, dass im Erbrecht - um bei diesem Vergleich zu bleiben - nur Blutsverwandte Erbe sein können. Worum geht es also, wenn man diese Begrifflichkeit auf Byzanz überträgt? Um ein kulturelles Erbe, ein religiöses Erbe und ein ideelles Erbe.

In keinem dieser Punkte hat das vom Islam geprägte Osmanische Reich jemals ein byzantinisches Erbe angetreten und auch das türkische Staatsvolk als Reichsbegründer stand diesem Erbe von Byzanz verständnislos gegenüber. Das kann man ihm natürlich nicht vorwerfen, denn es waren halbnomadische Hirtenstämme, die etwa um das Jahr 1000 in Kleinasien einwanderten, und um 1300 aus kleinsten Anfängen das expandierende Osmanische Reich errichteten. Sie nahmen jetzt zwar die geografische Position von Byzanz ein und füllten ein Machtvakuum, doch kulturelle oder ideelle Erben waren sie keineswegs.

Erben in diesem Sinne waren z.B. die süd- und ostslawischen Staaten, ferner Italien sowie auch Mittel- und Westeuropa und - nicht zu vergessen - der christliche Orient.

Die Ausbreitung der byzantinischen Kultur erklärt sich natürlich aus der beherrschenden Stellung, die das Byzantinische Reich und seine Hauptstadt politisch, kirchlich und kulturell während des Mittelalters vor allem in Ost- und Südeuropa einnahmen. So ist z.B. die bulgarische und serbische Kunst in ihrer Ikonografie und den künstlerisch herausragenden Werken völlig byzantinisch, wie ja auch die Herrscher beider Völker den byzantinischen Kaiserornat übernahmen und Anspruch auf die byzantinische Kaiserkrone erhoben. Gleiches gilt für Russland, das religiös und kulturell die byzantinische Traditionslinie fortführte und stärkste Einflüsse aufnahm.

In Italien sind es zwei Hauptzentren, von denen byzantinischer Einfluss ausgeht, nämlich Sizilien und Venedig, die noch unter Justinian zu Byzanz gehörten. Byzantinische Mosaikkunst und Einflüsse byzantinischer Architektur nehmen hier ihren Ausgang und auch die Tafelmalerei (z.B. Duccio) zeigt sich stark byzantinisch beeinflusst.

Die byzantinische Reichskirche schließlich hat sich nahezu unverfälscht fortgesetzt in den orthodoxen Kirchen Griechenlands, Bulgariens, Serbiens, Russlands usw.

An all diesen Stellen - um nur einige zu nennen - finden wir Byzanz als geistigen Erblasser und eine Vielzahl abendländischer Erben. Das muslimische Osmanische Reich hingegen hat kein byzantinisches Erbe angetreten. Es hat sich lediglich durch Eroberung an seine Stelle gesetzt, was substantiell etwas ganz anderes ist.
 
Jürgen schrieb:
Meines Wissens nach, sieht sich die Türkei als Erbe von Byzanz, und nicht nur von Byzanz...!

http://www.turk-yunan.gen.tr/deutsch/relations/ethnic05.html

So wie ich das gelesen habe, versteht sich die Türkei als Nachfolger aller Völker Kleinasiens und, soweit zugehörig, der Völker des Balkans.

Das heisst, alle Einwohner der Türkei, woher auch immer sie kommen, werden als Türken betrachtet. (Es sei denn, sie wären Kurden, Griechen oder gar Armenier :grübel: ).

Hinterlassenschaften all dieser Völker werden folgerichtig als türkisches Eigentum betrachtet, und dessen Entwendung entsprechend verfolgt.

Dann müßten die Russen die Erben der Preußen sein (siehe Königsberg).Deutsche Errungeschaften dieser Gebiete sind Russisches Eigentum.(nach dieser logik).Klingt nicht so überzeugend,oder?
Glaube eher dass die Türkei diese Hinterlassenschaften aus rein nationalistischen Gründen als Türkisches Eigentum bezeichnet...Bedenke nur,es leben nicht nur Türken in der Türkei...
 
Rovere schrieb:
Noch ein Nachtrag:
Dieser Universalitätsanspruch der byzantinischen Reichsidee lässt auch - abgesehen von der zeitlichen Distanz - Staaten wie das moderne Griechenland ausscheiden das Erbe von Byzanz angetreten zu haben.
Als Griechenland 1830 entstand war es geradezu ein Musterbeispiel eines Nationalstaates des modernen Typs. Ziel dieses Landes war es immer der Staat aller Griechen zu werden, byzantinische Großmachtsfantasien waren höchsten schwüle Sommerträume diverser Politker ohne jede Chance auf Realisation. Interessant ist ja auch was die Griechen 1920 machen - sie besetzen das griechisch besiedelte Kleinasien und unternehmen eigentlich keine Versuch weiter ins türkische Landesinnere vorzustoßen. Ein moderner Nationalstaat eben.
Selbst in der offiziellen Staatsdekoration - Architektur, Design der Embleme und Symbole, etc. - findet man kaum byzantinisches, ganz im Gegenteil, man greift noch weiter in die Geschichte zurück und durch reichliches Verwenden antiker und klassizistischer Versatzstücke dekoriert sich der junge Staat zum legitimen Nachfolger des klassischen Griechenlands.
Selbst in der Kirchenpolitik werden neue Wege beschritten - die griechische Kirche ist einer der autokephalen, dh. vom Konstantinopler Patriarchat weitgehend unabhängige Insitution.

Meiner Meinung hat das moderne Griechenland ein kulturelles Legat übernommen, aber kein Erbe angetreten.


Da stimm ich dir zu.Jedoch darfst du nicht vergessen,dass die Griechen ihre "Grosse Idee" hatten,bis 1923.Diese umfasste eine Art Restaurierung des byzantinischen Reiches mit Konstantinopel als Hauptstadt.es sollte jedoch ein Griechisches Reich sein.Es gab sogar Pläne,dass der damalige Griechische König Konstantin,sich Konstantin der XIII nennen wollte,also Nachfolger des letzten Kaisers von Byzanz.Die Griechen sind weiter bis nach Ankara vorgestoßen(Griechischer Grössenwahn?) und verloren den Krieg.Hätten sie diesen Krieg gewonnen,wäre Konstantinopel jetzt womöglich Griechisch,aber das sind Spekulationen.
Die Griechische Kirche hat sich von Konstantinopel aus anderen Gründen abgekoppelt.In Wirklichkeit sieht sich die Kirche ganz in byzantinischer Tradition.
Ich persönlich gestehe den heutigen Griechen übrigens auch nur ein kulturelles Legat zu,sowie vielleicht ein religiöses.Fast alle Patriarchen waren und sind Griechen.
Übrigens,nach meinem Wissen, bezeichnen die heutigen Türken die Griechen als Rum,und sehen in ihnen die Nachfahren der byzantiner.Das ist übrigens auch ne ganz interessante Geschichte.Was meint ihr dazu?
 
ALKIBIADES schrieb:
Ich persönlich gestehe den heutigen Griechen übrigens auch nur ein kulturelles Legat zu,sowie vielleicht ein religiöses.Fast alle Patriarchen waren und sind Griechen.

Ich habe gehört, es dürften nur noch türkische Staatsbürger Patriarch von Konstantinopel werden. Da der türkische Staat jedoch das Priesterseminar geschlossen hat und mittlerweile kaum noch türkische Staatsbürger griechisch/orthodoxen Glaubens in der Türkei leben, sieht es für die Zukunft des Patriarchats in der Zukunft schlecht aus. Es sei denn es würde sich bald etwas an der Politik der Türkei ändern.
Dies ist jedenfalls ein deutliches Beispiel dafür, dass sich die heutige Türkei als türkischer Nationalstaat versteht und die byzantinische Tradition bewußt verkümmern lässt. Im übrigen steht sie damit in völligem Gegensatz zum Osmanischen Reich (jedenfalls bevor dieses im 19. Jahrhundert nationalistisch, türkisch wurde), welches dem Patriarchat immer Aufmerksamkeit gewidmet hatte.

Im übrigen möchte ich an der Stelle auf diese Diskussion hinweisen, vielleicht ergeben sich hier neue Ansatzpunkte:
http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=1625
 
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Andronikos schrieb:
Ich habe gehört, es dürften nur noch türkische Staatsbürger Patriarch von Konstantinopel werden. Da der türkische Staat jedoch das Priesterseminar geschlossen hat und mittlerweile kaum noch türkische Staatsbürger griechisch/orthodoxen Glaubens in der Türkei leben, sieht es für die Zukunft des Patriarchats in der Zukunft schlecht aus. Es sei denn es würde sich bald etwas an der Politik der Türkei ändern.
Dies ist jedenfalls ein deutliches Beispiel dafür, dass sich die heutige Türkei als türkischer Nationalstaat versteht und die byzantinische Tradition bewußt verkümmern lässt. Im übrigen steht sie damit in völligem Gegensatz zum Osmanischen Reich (jedenfalls bevor dieses im 19. Jahrhundert nationalistisch, türkisch wurde), welches dem Patriarchat immer Aufmerksamkeit gewidmet hatte.

:hoch:
Sehe ich genau so.
 
Dieter schrieb:
In Italien sind es zwei Hauptzentren, von denen byzantinischer Einfluss ausgeht, nämlich Sizilien und Venedig, die noch unter Justinian zu Byzanz gehörten. Byzantinische Mosaikkunst und Einflüsse byzantinischer Architektur nehmen hier ihren Ausgang und auch die Tafelmalerei (z.B. Duccio) zeigt sich stark byzantinisch beeinflusst.


der Vollständigkeit halber nehmen wir hier noch das bedeutende Ravenna hinein, nicht zuletzt Karl der Große war durch San Vitale beeinflußt, welches in seine Aachener Kaiserpfalz einfloß und damit zum Multiplikator einer architektonischen Erscheinungsform im Abendland wurde.

http://12koerbe.de/pan/ravenna.html
 
Um nicht die Magna Graecia in Süditalien zu vergessen, wo nicht zuletzt durch Zuwanderer nach dem Fall Konstantinopels immer noch griechisch sprechende Gemeinden existieren.
 
Dieter schrieb:
Wenn hier der Begriff "Erbe" bemüht wird, so muss man hinzufügen, dass im Erbrecht - um bei diesem Vergleich zu bleiben - nur Blutsverwandte Erbe sein können. Worum geht es also, wenn man diese Begrifflichkeit auf Byzanz überträgt? Um ein kulturelles Erbe, ein religiöses Erbe und ein ideelles Erbe.
Erbe ist diejenige Person auf die im Erbfall die Gesamtheit der rechtlichen Beziehungen übergeht - so die Definition im heutigen Erbrecht. Die Ansicht, dass nur Blutsverwandte Erbe sein können, hat mich sehr amüsiert. Das verwechselst du anscheinend mit der gesetzlichen Erbfolge, aber auch in dieser geht eine aufrechte Ehe den Nachfahren bzw. den Agnaten vor.
Gut, das ist hier kein Rechtswissenschaftsforum, aber dennoch ist es notwendig falsche Analogien aufzuzeigen wenn diese auch in historischer Hinsicht gezogen werden.


Dieter schrieb:
In keinem dieser Punkte hat das vom Islam geprägte Osmanische Reich jemals ein byzantinisches Erbe angetreten und auch das türkische Staatsvolk als Reichsbegründer stand diesem Erbe von Byzanz verständnislos gegenüber. Das kann man ihm natürlich nicht vorwerfen, denn es waren halbnomadische Hirtenstämme, die etwa um das Jahr 1000 in Kleinasien einwanderten, und um 1300 aus kleinsten Anfängen das expandierende Osmanische Reich errichteten. Sie nahmen jetzt zwar die geografische Position von Byzanz ein und füllten ein Machtvakuum, doch kulturelle oder ideelle Erben waren sie keineswegs.
Nun ja - sie übernahmen nur die Architektur (Sinan), die Badekultur, die Verwaltungsstruktur, usw. Und - last but not least - den Titel in ihrer Korrespondenz mit dem Westen.
Ein gutes Beispiel dafür dass sich die Sultane sehr wohl in der Tradition der byzantinischen Kaiser sahen ist die Verwendung ausgesuchter Spolien für die Ausstattung der großen osmanischen Stifutungskomplexe. So wurde die Sultansloge mit antikem Prophyr - einem Stein, der traditionell dem Kaiser vorbehalten war - ausgestattet.
Achja, wer je vor Kacheln aus Iznik, Meisterwerken der Kalligraphie oder den Wundern osmanischer Kunstschmiede oder Juwelieren stand - die wie z.B. in Bursa schon Jahrhunderte vor dem Fall Konstantinopels entstanden, spricht sicher nicht von nalbnomaden mit kleinsten Anfängen. Falls dem so war dann zolle ich diesen noch einen größeren Respekt vor diesem gewaltigen Sprung in die Hochkultur in so kurzer Zeit. Zu einer Zeit, in der Europa noch ein stinkendes Dreckloch war, bot Istanbul eine reiches Angebot an Hammams (die auch heute noch alle Stückerln eines Wellnesstempels spielen).
Dieter schrieb:
An all diesen Stellen - um nur einige zu nennen - finden wir Byzanz als geistigen Erblasser und eine Vielzahl abendländischer Erben. Das muslimische Osmanische Reich hingegen hat kein byzantinisches Erbe angetreten. Es hat sich lediglich durch Eroberung an seine Stelle gesetzt, was substantiell etwas ganz anderes ist.
wie auch immer
 
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ALKIBIADES schrieb:
Jedoch darfst du nicht vergessen,dass die Griechen ihre "Grosse Idee" hatten,bis 1923.Diese umfasste eine Art Restaurierung des byzantinischen Reiches mit Konstantinopel als Hauptstadt.es sollte jedoch ein Griechisches Reich sein.Es gab sogar Pläne,dass der damalige Griechische König Konstantin,sich Konstantin der XIII nennen wollte,also Nachfolger des letzten Kaisers von Byzanz.Die Griechen sind weiter bis nach Ankara vorgestoßen(Griechischer Grössenwahn?) und verloren den Krieg.Hätten sie diesen Krieg gewonnen,wäre Konstantinopel jetzt womöglich Griechisch,aber das sind Spekulationen.
Wow - Danke, wieder was gelernt, hab ich nicht gewusst.
 
Hallo miteinander,

ich habe jetzt einige Zeit hier mitgelesen und kann mich weder auf die eine noch auf die andere Seite schlagen... :grübel:

Warum? Meiner Meinung nach habt Ihr in allen Euren Aussagen zugleich Recht und Unrecht :fs:

Im einzelnen: das Osmanische Reich hat durchaus sehr viele kulturelle und strukturelle Dinge des Byzantinischen Reiches übernommen, u.a. waren viele Großwesire slawischer oder griechischer Abstammung - sprich: sie übten ein Amt analog zu dem aus, welches sie auch im Byzantinischen Reich ausgeübt hätten. Unbegabt in Handel und Gewerbe überließen die Türken derartige Berufe (Händler, Seeleute, Verwaltungsgehilfen, Dolmetscher) Armeniern und Griechen, die also dort auch wie zuvor im Kaiserreich tätig waren.
Bis in die 2. Hälfte des 19. Jh. zeichnete sich das Osmanische Reich dementsprechend natürlich durch eine religiöse und ethnische Toleranz aus, die aber seitdem rapide abnahm und im Jahre 1915 einen ersten traurigen Höhepunkt erreichte (Stichwort: Armenier - Anm.: Bitte jetzt aber keine Diskussion darüber!!!).
Sichtbares Zeichen in kultureller Hinsicht ist natürlich die größte Moschee in Istanbul - eben die frühere griech.-orthodoxe Kathedrale Hagia Sophia von Konstantinopel.
Zum Rechtsanspruch der Sultane noch folgendes: natürlich führten sie den imperialen Titel weiter - ebenso wie übrigens auch den islamischen Khalifentitel samt damit verbundener Ämter und Privilegien. Suleiman II. nennt sich eben u.a. auch "Kaiser des Ostens und des Westens" (Quelle E. Bradford "Der Schild Europas. Kampf der Malteserritter gegen die Türken 1565"). Aber ebenso wie die arabischen Muslime de facto nie den osmanischen Sultan als Khalifen anerkannten, so hat das christliche Europa auch nie selbigen als Kaiser anerkannt!

Das russische Zarenreich übernahm - wie in vorhergehenden Beiträgen richtig herausgearbeitet - das imperiale Erbe von Byzanz ("Drittes Rom"): autokrater Staatsaufbau, Dopeladler, Hofzeremoniell seien nochmals als Stichworte genannt. Als rechtlicher Erbanspruch konnte Ivan III. natürlich die Ehe mit der byzantinischen Prinzessin Zoe beste Dienste leisten - ebenso wie das Umfeld der Christianisierung der Slawen in Rußland, Weißrußland und der Ukraine (eben nach griech.-orthodoxer Tradition). Hier aber gibt es eine entscheidende historische Zäsur: im Jahre 1653 reformierte Patriarch Nikon die orthodoxe Kirche des Zarenreiches, wodurch sich die russische von der griechischen Orthodoxie löste(mit Verfolgung der sog. "Altgläubigen")!
Es gibt hier für die Erbschaft auch noch ein viel elementareres Beispiel: die kyrillische Schrift wäre ohne die griechische undenkbar!

Religiös-kulturell erhebt Griechenland (in gewisser Weise verbunden mit und unterstützt durch Zypern) nicht ganz zu Unrecht "seine" Ansprüche: hier ist quasi das "Refugium" im Ethnischen (Volk des byzantinischen "Kernlandes"), Sprachlichen (byzantinische "Amtssprache") und Religiösen (die traditionelle und "unverfälschte" griechische Orthodoxie). Kleine persönliche Anmerkung: Griechen und greichische Zyprioten reagieren bis heute mitunter ziemlich sauer darauf, daß eine bestimmte große Stadt Istanbul statt Konstantinopel genannt wird :cool:

Zu den byzantinischen Erben im westlichen Europa wurde auch schon genügend geschrieben; für das HRR bzw. das spätere Deutschland sollte man nicht vergessen, daß die Höfische Kultur des Hochmittelalters ohne die Gemahlin Kaiser Ottos II., Theophanu, in dieser Form nicht möglich gewesen wäre. Die zweite wichtige historische Zäsur für das westliche Europa hinsichtlich byzantinischer Erbschaften ist weniger angenehm und mit dem Jahr 1204 verbunden: im Verlauf des 4. Kreuzzuges wird nämlich Byzanz nicht nur finanziell, sondern auch kulturell ausgeplündert, so daß ohne dieses eher traurige Ereignis auch viel weniger nach Eurpa gekommen wäre.

Vergessen wurde - und darüber bin ich fast etwas enttäuscht - allerdings das, was bezüglich der Heilkunde und Medizin von Byzanz nach Europa kam bzw. auf welchem Weg dies geschah. Das erste Johanniterhospital, auf welches später alle folgenden Hospitäler des Ordens aufbauten, war nach dem Vorbild des Pankratorhospitals von Konstantinopel errichtet worden. Letztlich ist damit die heutige Medizin der westlichen Welt ebenso Erbe von Byzanz!

Noch eine kurze Anmerkung zum ebenso erwähnten Balkanraum: auch die Kultur dieser Staaten wäre - ähnlich wie im Falle Rußland - ohne "griechischen" Einfluß (i.S.v. Byzanz) - in dieser Form nicht existent. Und einige slawische Balkanstaaten haben ja ebenso wie das Russische eine kyrillische Schrift, deren bezug ich bereits oben angesprochen habe.
Im Zuge des Vordringens der Türken löst sich aber auch hier die lokale Orthodoxie vom griechischen Patriarchat (1219 Serbien, 1235 Bulgarien), was unbedingt mit zu beachten ist!

So - ehe der Beitrag noch länger wird, belasse ich es an der Stelle, wenngleich ich vieles hätte weiter ausführen müssen...

Fazit: Leute, eine Streitdiskussion bringt uns hier nicht weiter, denn wenn Ihr mal alle Fakten "auf den Tisch packt", werdet Ihr sehen, daß man es folgendermaßen beantworten muß (wie Arcimboldo es bereits getan hat):

Welche Länder sind "Erben von Byzanz"? - ALLE!!!

In diesem Sinne

Timo
 
@Dieter und Alkibiades

Ich kann euch nur zustimmen.:hoch:


Hierbei sollte auch das Selbstverständnis der " beteiligten " Nationen Beachtung finden. Kein Türke würde sich selbst mit Byzanz oder einem Byzantiner identifizieren. Als Türke ( zu osmanischen Zeit eher herablassend für "Hinterweltler") identifiziert man sich mit der Vergangeheit der Osmanlis. Yunan ( vom persischen " Yauna " = Ionier), oder eben Rum ( Römer ) sind die " türkischen " Bezeichnungen für die Griechen.

Vielleicht auch das Beispiel der Bulgaren, welche in Ablehnung gegen Griechen, vor allem aber gegen griechische Geistlichkeit und Kirche, vom " Griechen " immer vom hinterhältigen Byzantiner reden, in Anlehnung an die " perfidia Graecorum " des Westens.

Der Grieche selbst bezeichnet sich als Hellene (´Ελληνας ) sowie auch als Rhomaios ( Ρωμιος ). Das Griechentum als " Hellenismos " und das zum Synonym gewordene " Romiosyne " ( Römertum ).

Die Orthodoxie, einer der Hauptfaktoren zur Kennung byzantinischer Kultur, ist per Gesetz in Art. 3 als Staatsreligion deklariert. Die Orthodoxie ist aus griechischer Sicht ein dem Griechentum symbiotischer Teil, der nicht wegzudenken ist.


Als Griechenland 1830 entstand war es geradezu ein Musterbeispiel eines Nationalstaates des modernen Typs.

So richteten die damaligen Großmächte es ein, genau.


Ziel dieses Landes war es immer der Staat aller Griechen zu werden,

Nicht ganz, den die venizelistische Vision des " Griechenland der zwei Kontinente und der fünf Meere ", der " megali idea ", der Idee der Wiederherstellung griechischer Antike und der Rekonstruktion des Byzantinischen Reiches unter griechischer Führung, in Anlehnung an das Rhigas Feraios´Manifest, war sehr populär und nicht so unmöglich wie es heute den Anschein macht.


Interessant ist ja auch was die Griechen 1920 machen - sie besetzen das griechisch besiedelte Kleinasien und unternehmen eigentlich keine Versuch weiter ins türkische Landesinnere vorzustoßen.


Nicht ganz richtig, denn u.a. auch die " Megali idea " im Hintergrund, rückten griechische Verbände bis ca. 50 km an Ankara vor. Die entscheidente Schlacht fand im August 1921 am Sakarya- Fluß statt- der Anfang der griechischen " Kleinasien- Katastrophe ".


Selbst in der offiziellen Staatsdekoration - Architektur, Design der Embleme und Symbole, etc. - findet man kaum byzantinisches, ganz im Gegenteil, man greift noch weiter in die Geschichte zurück und durch reichliches Verwenden antiker und klassizistischer Versatzstücke dekoriert sich der junge Staat zum legitimen Nachfolger des klassischen Griechenlands.

Byzanz wird als Bindeglied zur Antike gesehen, d.h. das Erbe der Antike wie auch Byzanz´spielen im Verständnis der heutigen Griechen eine große Rolle.
Das man kaum Byzantinisches findet, ist einfach nicht richtig. Sorry, aber bei Bedarf kann ich Embleme, Dekorationen usw nachreichen.



Selbst in der Kirchenpolitik werden neue Wege beschritten - die griechische Kirche ist einer der autokephalen, dh. vom Konstantinopler Patriarchat weitgehend unabhängige Insitution.

Das ist ein Thema, dass gesondert betrachtet werden muss, da z.B. weite Teile Griechenlands ( Diozösen ) immer noch unter der " Judikative " des Patriarchats stehen. Das Patriarchat:
http://www.ec-patr.gr/athp/index.php?lang=en

Zum sogenannten "Cäsaropapismus" wäre auch noch einiges zu sagen, scheint mir aber hier nicht der Ort zu sein.

Gruß
 
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Geographisch war das Osmanische Reich, also die heutigen Türken der Nachfolger, aber nicht der Erbe! Denn es wurde schon richtigerweise betont, dass die Osmanen religiös, kulturell, administrativ und vom Selbstverständnis her nichts mit Byzanz gemein hatten. Es ist generell schwer, bei dieser Thematik einen Erben auszumachen, am ehesten tatsächlich noch das orthodoxe russische Zarenreich, wobei man hier vielleicht eher von dem Versuch einer Transformation und nicht von einem Erbe sprechen sollte.
Ethnisch gibt es wohl noch weniger Erben, denn Byzanz war von je her ein Vielvölkerstaat!
 
Beim Stöbern im Forums-Archiv findet man immer wieder sehr gute Beiträge - so wurdes dieses Thema vor einem 3/4 Jahr schon mal diskutiert und Freund Andronikos hat hier ein Zitat von Liva reingestellt dass sehr gut den byzantisch-römischen Herrschaftsanspruch der osmanische Sultane erläutert und diesen neben seine türkisch-mongolischen und islamischen Wurzeln stellt:
Zum Thema "Mächtigster Herrscher des Mittelalters" könnte sich der Aufsatz von Peter Thorau in der neuen HZ lohnen:

Peter Thorau
Von Karl dem Großen zum Frieden von Zsitva Torok. Zum Weltherrschaftsanspruch Sultan Mehmeds II. und dem Wiederaufleben des Zweikaiserproblems nach der Eroberung Konstantinopels

Während nach gängiger Forschungsmeinung das Zweikaiserproblem lediglich einen Konflikt des Früh- und Hochmittelalters darstellte, der 1204 mit der Errichtung des lateinischen Kaiserreichs durch die Kreuzfahrer sein Ende fand, wurde bisher übersehen, daß es nach der Einnahme Konstantinopels durch Mehmed den Eroberer wiederauflebte und dann bis in die Neuzeit hinein fortdauerte. Indem sich der türkische Sultan künftig bewußt in byzantinische Traditionen stellte, machte er deutlich, daß nach seiner Auffassung am 29. Mai 1453 das Oströmische Reich nicht unter-, sondern im Osmanischen Reich aufgegangen war. In drei voneinander unabhängigen Traditionen - islamischen Prophezeiungen, türkisch-mongolischen Überlieferungen und byzantinisch-römischem Gedankengut - wurzelte sein Weltherrschaftsanspruch, der neben sich kein konkurrierendes Kaisertum, auch nicht das abendländische, anerkennen konnte und wollte. Der Angriff der Osmanen auf Unteritalien 1480/81, der erst durch den überraschenden Tod des Sultans abgebrochen wurde, ist vor diesem Hintergrund als der Versuch Mehmeds des Eroberers zu verstehen, sich auch Roms als der wichtigsten sedes imperii zu bemächtigen. Die Ansprüche Mehmeds und seiner Nachfolger aber bedeuteten letztlich ein Wiederaufleben des alten Zweikaiserproblems, das erst 1606 im Frieden von Zsitva Torok mit der Anerkennung des westlichen Kaisertums durch Sultan Ahmed I. beigelegt wurde - wenn auch unter dem Vorbehalt, daß dem osmanischen Herrscher eine Vorrangstellung zustehe.

(http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/zeitschriften/id=25&ausgabe=1647)
 
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