Die Gentilität der Eroberer des Westgotenstaates nach Ann Christys

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bin ich auf folgendes Werk gestoßen:
Regna and Gentes. The Relationship between Late Antique and Early Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the Roman World, hg. v. Goetz, Hans-Werner/Jarnut, Jörg/Pohl, Walter. Brill, Leiden 2003. IX, 704 S.
aus einer Rezension dieses Werkes von Herwig Wolfram

Isabel Velázquez behandelte die im Reich von Toledo relevante Formel pro patriae gentisque statu (161ff.). Ann Chrystys konnte zeigen, daß sich die Sieger von 711/25 ebenso als Gens verstanden, wie die Besiegten die arabisch-berberischen Neuankömmlinge als eine solche wahrnahmen (219ff.). Letzteres ist zwar nicht weiter verwunderlich, wird aber von den zentraleuropäischen Mediävisten oft zu wenig bedacht. Wenn man Patrick Geary richtig versteht, dürften Angehörige der septimanischen Elite nach 711/25 in kürzester Zeit von Goten zu Sarazenen und nach dem fränkischen Ausgreifen nach Süden und der Anerkennung ihres Rechtes durch Pippin wieder Goten geworden sein (vgl. Geary, Aristocracy in Provence 76, 126-128).
 
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Es war eine ausgesprochen glückliche, allerdings von der innovativen Forschergruppe zu erwartende Entscheidung, diese Fragestellungen nicht bloß auf germanische Wandervölker zu beschränken, sondern auch auf die Araber/Berber in Spanien, [...] Ann Chrystys konnte zeigen, daß sich die Sieger von 711/25 ebenso als Gens verstanden, wie die Besiegten die arabisch-berberischen Neuankömmlinge als eine solche wahrnahmen (219ff.).
Dem möchte ich widersprechen. Sicher die Altbewohner der iberischen Halbinsel nahmen die Araber und Berber nach den ihnen bekannten Mustern war. So wie die Ungarn in Mitteleuropa mit den Hunnen (hungaros) verbunden wurden (eben ein bekanntes Muster) und noch bis heute eher als solche, denn als Magyaren bekannt sind, so nannte man in Spanien, wo man ja in der römischen Kaiserzeit Maureneinfälle erlebt hatte, die Neuankömmlinge Mauren. Gut, die Berber waren natürlich teilidentisch mit jenen Mauren 500 Jahre zuvor, die Araber, selbst "Neubürger" im Maghreb aber eben nicht.
Dass die Araber und die Berber sich aber als gemeinsame Ethnie wahrgenommen hätten mag eher ein Wunsch der Berber gewesen sein, bei den Arabern war dies eher nicht der Fall. So wie die muwalladun nicht als vollwertige Muslime anerkannt wurden, so wurden die Berber ebenfalls lange als zweitklassige Muslime angesehen (im Übrigen entgegen der eigentlichen Lehren). Den Arabern wurde das fruchtbare Land in den Flusstälern zugewiesen, die Berber erhielten ihr Landzuteilungen im Gebirge. Das berichten sowohl die Quellen, als sich das auch durch Namenmaterial auf der iberischen Halbinsel nachweisen lässt. Insofern ist zuzustimmen: Die Außensicht spricht von Mauren, die Innensicht ist differenzierter. Nicht einmal die Araber waren eine homogene Gruppe, neben den Aufständen und Bürgerkriegen von muwalladun und Berbern gab es, zumindest in den ersten Jahrzehnten von al-Andalus, auch noch bewaffnete Auseinadersetzungen zwischen Nordarabern und Südarabern, Stammeskonflikte, die noch aus der vorislamischen Zeit herrührten, und die in al-Andalus wieder aufblühten. Dies sind Sachverhalte, die nicht gerade für die Korrektheit des Urteils von Ann Chrystys sprechen. Aber ich werde mir das bei Gelegenheit mal zu Gemüte führen, vielleicht kann mich Chrystys' Argumentation ja doch überzeugen.
 
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Ich habe mir inzwischen den Beitrag von Ann Christys [nicht Chrystys!] zu Gemüte geführt. Die Aussage von Wolfram

Wolframs Rezension schrieb:
Ann Chrystys konnte zeigen, daß sich die Sieger von 711/25 ebenso als Gens verstanden, wie die Besiegten die arabisch-berberischen Neuankömmlinge als eine solche wahrnahmen (219ff.).

lässt sich so überhaupt nicht aus dem Text von Christys entnehmen.

Sicher, die Altbewohner der iberischen Halbinsel nahmen die Araber und Berber nach den ihnen bekannten Mustern war. [...] so nannte man in Spanien, wo man ja in der römischen Kaiserzeit Maureneinfälle erlebt hatte, die Neuankömmlinge Mauren. Gut, die Berber waren natürlich teilidentisch mit jenen Mauren 500 Jahre zuvor, die Araber, selbst "Neubürger" im Maghreb aber eben nicht.

Genauso führt das auch Christys aus. Sie lässt zwar onomastische Befunde außen vor und stützt sich auf die Quellen, unterscheidet aber zwischen der Chronica Muzarabica und den arabischen Quellen (wobei das Problem ist, dass die Chronica Muzarabica von 754 die einzige halbwegs zeitgenössische Quelle zu den Ereignissen um 711 ist). Aber selbst diese Quelle eines christlichen Verfassers, der sie selbst als Continuatio Hispanica schrieb, weiß zwischen Arabern und Berbern zu unterscheiden:

Christys schrieb:
The new masters of Hispania were clearly recognized as a gens labelled at different points in the chronicle either as Arabs or as Saracens. They were ususally, but not always, distinguished from the Mauri: the Moors [or Berbers] of North Africa, who took part in the conquest, but not in the formation of the regnum as we shall see.

Hauptsächlich basiert der Beitrag von Christys auf der Chronica Muzarabica von 754, aber eben auch auf arabischen Quellen. Hier legt sie an erster Stelle Wert auf das Kitāb at-Tārīḫ (Buch der Geschichte) von Ibn Ḥabīb, welches aber in Kreisen der al-Andalus-Forschung laut Christys nicht sonderlich anerkannt ist. Zu den Problemen der Chronica Muzarabica/Contiuantio Hispanica äußert sich Christys dann auch:

Christys schrieb:
There are few if any references to "strategies of distinction" between the inhabitants of the peninsula and the incomers.

Christys schrieb:
.... by describing the Muslim caliphs as reges and their generals as duces, he dresses a foreign people in term familiar to a reader well versed in the language of latin history.
Dies wird beschrieben als
skirt round the problems caused to a writer of providential Christian history.
 
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