Die "Illusion des kurzen Krieges" und der deutsche Generalstab vor 1914

Klaus schrieb:
ch sehe es so:
Man zog in den Ersten Weltkrieg mit der Illusion, den schnellen und einfachen Sieg gegen Frankreich von 1870/71 genau so wiederholen zu können. Damals waren jedoch auf deutscher Seite die Errungenschaften der Industriellen Revolution bereits in der Armee angekommen, auf der französischen aber noch nicht. Es wurde daher ein ungleicher Kampf.

Ein ungleicher Kampf? :confused: Die französiche Armee verfügt über das bessere Chassepotgewehr. Die deutschen Truppen bekamen dies deutlich zu spüren, da die Franzosen bereits bei 600m Entfernung das Feuer eröffnen konnten.
 
Ich sehe es so:
Man zog in den Ersten Weltkrieg mit der Illusion, den schnellen und einfachen Sieg gegen Frankreich von 1870/71 genau so wiederholen zu können. Damals waren jedoch auf deutscher Seite die Errungenschaften der Industriellen Revolution bereits in der Armee angekommen, auf der französischen aber noch nicht. Es wurde daher ein ungleicher Kampf.
Die Deutschen haben nicht wegen der Ausrüstung gewonnen (beide Seiten hatte ihre Vor- und Nachteile). Entscheidend waren der gelungene Aufmarsch (Eisenbahn!), der deutlich bessere und auch entschiedener angegangene übergeordnete Schlachtplan und das vorschnelle Vorgehen französischer Kräfte ohne ausreichende Ressourcen. Diese Voraussetzungen konnten für den 1. Weltkrieg nicht als wiederholbar angesehen werden.

1914 war auch die französische Armee auf dem Stand der Technik angekommen und es entstand eine neue Form von Kriegsführung; allerdings mit einer konzeptionellen Lücke - weil ja alles neu war - und so schlitterte man in die Pattsitation von Verdun.
Bei Verdun gab es keine Pattsituation, beide Seiten hätten auf die unsinnigen Angriffe gut verzichten können. Die Verluste wurden später schön geredet und als notwendig beschrieben. Dies ist aber eine nachträgliche Schönfärberei und trifft die ursprünglichen Motive nicht.
 
Turgot, ob du es Kaffeesatzleserei oder Spekulation nennst, es wird durch Wiederholung nicht richtiger. Ich zeigte doch einige der konkreten Ergebnisse des Schlieffen-Plans. Dessen Ziel ist gescheitert, als einen Erfolg werte ich die erreichte Ausgangslange für die Kämpfe nach der Marneschlacht, da es eben keine glaubhafte Auseinandersetzung mit der Frage gibt, was hätte größere Erfolge zeitigen können. Aber wir drehen uns im Kreis, nur die Begriffe ändern sich scheinbar. ;)

@Klaus: Die Kräfeverhältnisse waren 1914 ganz andere. Mal allgemeiner zu der Fragestellung, warum das DR überhaupt vier Jahre durchhalten und 1918 noch die Möglichkeit einer großen Offensive im Westen hatte:

Dupuy, Trevor N.: Der Genius des Krieges. Das deutsche Heer und der Generalstab 1807-1945, Graz 2009.

@flavius-sterius: Beevor beschreibt ja ganz eingänglich, in welchem moralischen Dilemma sich deutsche Soldaten befanden, welche in Stalingrad kämpften, da es immer mehr Abstraktionsvermögen erforderte, in einem Kampf tausende Kilometer fern der Heimat eine Schlacht letztlich zur Verteidigung der Reichsgrenzen zu sehen. Im ersten WK haben wir ja hingegen - wenn man von den peripheren Kriegsschauplätzen absieht- die Konstellation des Krieges auf einem "anderen Planeten" und zugleich vor der Haustür. Wäre Deutschland in den ersten Monaten bis ans rechte Rheinufer geworfen und hätte dort einen Stellungskrieg begonnen , mag ich mir nicht ausmalen, welche Auswirkungen dies v. a. auf die Heimatfront gehabt hätte. Anfangs mag es die patriotischen Geister beschwören, aber Teile des Heimatlandes vier Jahre besetzt zu sehen, dürfte eher zermürben. Immerhin brach auch die französische Angriffsmoral erstmalig im größeren Rahmen noch vor der deutschen zusammen.

@Solwac: Diskussionen entwickeln sich,in diesem Falle daran erkenntlich, dass ich nicht im luftleeren Raum herumschwadroniere, sondern zitierend Bezug nehme auf Autoren, die sich - wie das beim diskutieren nunmal vorkommen mag- von der Eingangsfrage lösen oder sie erweitern?:grübel:
evor N. Dupuy: Der Genius des Krieges. Das deutsche Heer und der Generalstab 1807 - 1945, Graz: Ares Verlag 2009
 
Vielleicht solltest du einma das gewaltige Problem des Schlieffensplans betrachten, anstatt des angeblichen erfolgs. das kernstück war ein rascher und vollständiger Sieg gegen Frankreich, so Moltke im jahre 1911, um dann entsprechende Truppen für den Osten, genauer gegen Russland, freizubekommen. Dieses Unterfangen ist im September 1914 an der Marne gescheitert. Von einem erfolg kann m.E. nach überhaupt nicht die Rede sein, es sei denn du betrachtest den folgenden jahrelangen, verlustreichen Stellungskrieg als solchen.
 
Vielleicht solltest du einma das gewaltige Problem des Schlieffensplans betrachten, anstatt des angeblichen erfolgs. das kernstück war ein rascher und vollständiger Sieg gegen Frankreich, so Moltke im jahre 1911, um dann entsprechende Truppen für den Osten, genauer gegen Russland, freizubekommen. Dieses Unterfangen ist im September 1914 an der Marne gescheitert. Von einem erfolg kann m.E. nach überhaupt nicht die Rede sein, es sei denn du betrachtest den folgenden jahrelangen, verlustreichen Stellungskrieg als solchen.


Mag mich ungern ein drittes Mal wiederholen. Scheinst meine Intention nicht zu erkennen. Schwierig, es noch deutlicher zu formulieren, wobei ich schon im ersten Satz erster Replik darauf verweise, dass der Schlieffen-Plan grandios gescheitert ist. Aber da du jahrelangen Stellungskrieg einbringst, vielleicht mal von der Seite, damit du mein niederes Ansinnen begreifst: Wenn wir es nicht ex-post in dem Sinne begreifen, dass heute wohl gesagt werden würde, es wäre besser, das Reich hätte bereits 1914 verloren, weil dies für die Menschheit weniger Blutzoll impliziert, bei gleichem Endergebnis und etwaig anderen Friedensbedingungen: Welche Konstellation hätte denn das Reich in die Lage versetzt, überhaupt vier Jahre diesen Stellungskrieg zu führen, wenn nicht die geographischen, außenpolitischen(!), materiellen oder moralischen Vorteile, die der gescheiterte Plan dennoch hervorbrachte?
 
Welche Konstellation hätte denn das Reich in die Lage versetzt, überhaupt vier Jahre diesen Stellungskrieg zu führen, wenn nicht die geographischen, außenpolitischen(!), materiellen oder moralischen Vorteile, die der gescheiterte Plan dennoch hervorbrachte?

Ich habe das zwar verstanden, aber:
Wollte man das Ergebnis des Schlieffen-Planes so begreifen, hætte zumindest beim Militær Ende 1914 die Einsicht kommen muessen, dass dieser "Vorteil" nicht unbegrenzt anhalten konnte, und entsprechend fruehzeitig Frieden schliessen muessen, solange die Bedingungen noch guenstig waren.
Diese Einsicht kam aber nicht. Stattdessen wurde die Notbremse erst dann gezogen, als es tatsæchlich zu spæt war.

Gruss, muheijo
 
Mag mich ungern ein drittes Mal wiederholen. Scheinst meine Intention nicht zu erkennen. Schwierig, es noch deutlicher zu formulieren, wobei ich schon im ersten Satz erster Replik darauf verweise, dass der Schlieffen-Plan grandios gescheitert ist.
Der geschwächte Schlieffen-Plan von 1914 ist natürlich grandios gescheitert. Aber er war dennoch ein Erfolg.
Ja was denn nun?

Der Schlieffen-Plan wurde an der Marne gestoppt und ist beim Rennen an die Küste dann endgültig gescheitert.

Damit war der kurze Krieg eine Illusion. Die Frage ist, wie weit war dies absehbar bzw. warum gab es keine Vorkehrung für den Fall eines Falles? Auch sonst werden ja Reserven eingeplant, diese hätten hier in einem Plan 1b anstelle von Truppen eingeplant werden können/sollen/müssen.
 
Schwierig, es noch deutlicher zu formulieren, wobei ich schon im ersten Satz erster Replik darauf verweise, dass der Schlieffen-Plan grandios gescheitert ist. [...] Welche Konstellation hätte denn das Reich in die Lage versetzt, überhaupt vier Jahre diesen Stellungskrieg zu führen, wenn nicht die geographischen, außenpolitischen(!), materiellen oder moralischen Vorteile, die der gescheiterte Plan dennoch hervorbrachte?
Na, ja, das ist wohl nicht mehr als aus einer Not eine Tugend machen wollen.
Und diese Art der Argumentation scheint Mode zu werden:
In seinem Buch [1] versucht der Autor dies auch am Beispiel des gescheiterten Spanienfeldzuges von Napoleon:

"Das Festfahren des Krieges in Spanien war nicht das Ergebnis der Sturheit eines größenwahnsinnig gewordenen Kaisers, der sich den Realitäten verschlossen hätte. Die dauerhafte Präsenz Wellingtons auf der Pyrenäenhalbinsel brachte N. strategische Vorteile. Sie trug dazu bei, britische Truppen und Schiffe von anderen Punkten abzuziehen und dort franz. Landungsoperationen zu erleichtern. Auch verringerte die Bindung brit. Streitkräfte in Spanien und Portugal die Erfolgschancen brit. Operationen gegen die spektalutär anwachsenden franz. Seestreitkräfte." [1]

So kann man natürlich einen letztlich gescheiterten Feldzug als Erfolg aufwerten.

Es bleibt, dass der Schlieffenplan gescheitert ist und alles folgende eine nicht geplante Reaktion auf eine nicht erwartete Situation darstellt.

Grüße
excideuil

[1] Todorov, Nicola Peter: 1812 - Moskau oder London? Napoleons Landungsprojekte auf den britischen Inseln nach Trafalgar von 1806 bis 1813, tredition GmbH, Hamburg, 1813, Seite 221
 
Genau wie geschrieben, dass dies paradox klingt, war beabsichtigt in der Annahme, man würde unterscheiden können zwischen gescheiterter Zielsetzung und unter den Umständen der Kräfteverhältnisse günstigen Ausgangsposition für eine Fortführung des Krieges. ;)
Hm, ohne Durchmarsch durch Belgien mit einem defensiven Auftritt im Westen und dafür entschiedenerem Aufmarsch im Osten hätte der Angriff von ÖU gegen Serbien mehr Chancen gehabt.

Ich halte das schon für eine bessere Ausgangssituation für den weiteren Kriegsverlauf als den tatsächlichen Verlauf.
 
Hm, ohne Durchmarsch durch Belgien mit einem defensiven Auftritt im Westen und dafür entschiedenerem Aufmarsch im Osten hätte der Angriff von ÖU gegen Serbien mehr Chancen gehabt.

Ich halte das schon für eine bessere Ausgangssituation für den weiteren Kriegsverlauf als den tatsächlichen Verlauf.


Hmmh, und was ist mit Frankreich und Großbritannien? Hätten die die Hände in den Schoß gelegt?
 
Wollte man das Ergebnis des Schlieffen-Planes so begreifen, hætte zumindest beim Militær Ende 1914 die Einsicht kommen muessen, dass dieser "Vorteil" nicht unbegrenzt anhalten konnte, und entsprechend fruehzeitig Frieden schliessen muessen, solange die Bedingungen noch guenstig waren.
Gerade da sehe ich den Hasen im Pfeffer begraben. Man hat nicht auf Verhandlungen setzen wollen, wenn die Bedingungen für einen selbst militärisch günstig waren. Ganz im Gegenteil, man begann gerade dann zu eskalieren, weil man glaubte, aus einer Position der Stärke heraus agieren zu müssen.
Vielleicht muss man auch so die Verträge von Versailles und Brest-Litowsk verstehen. Beide darf man nicht als Friedensverträge sondern als gewollte Fortsetzungen der Feindsehligkeiten betrachten.
 
Ich habe das zwar verstanden, aber:
Wollte man das Ergebnis des Schlieffen-Planes so begreifen, hætte zumindest beim Militær Ende 1914 die Einsicht kommen muessen, dass dieser "Vorteil" nicht unbegrenzt anhalten konnte, und entsprechend fruehzeitig Frieden schliessen muessen, solange die Bedingungen noch guenstig waren.
Diese Einsicht kam aber nicht. Stattdessen wurde die Notbremse erst dann gezogen, als es tatsæchlich zu spæt war.

Gruss, muheijo

Das ist so nicht korrekt. Falkenhayn hatte erkannt, das der Krieg nicht mehr zu gewinnen war und den Reichskanzler Bethmann-Hollweg aufgefordert einen Separatfriedne mit Russland, am Besten auch noch mit Frankreich auszuhandeln. "Nur" der Krieg gegen Großbritannien sollte fortgesetzt werden, denn die Briten müssten gemäß Falkenhayn zur künftigen Friedenssicherung niedergeworfen werden. Falkenhayn meinte mehrfach sinngemäß, wenn der Krieg nicht verloren geht, dann haben wir ihn gewonnen. Von einem Siegfrieden kein Wort mehr. Was für ei Unterschied zu den Herrschaften der 3.OHL!
Bethmann war jedenfalls von Falkenhayns erfrischenden offnen Beurteilung der Lage völlig überascht. Falkenhayn wollte auch keine großen Annnexionen, es war die vom deutschen Militär im Ersten Weltkrieg wohl realistischte Beschränkung der Kriegsziele. Der Kanzler jedenfalls hatte zu jener zeit gänzlich andere Vorstellungen und so verlief die Sache im Sande.

Afflerbach, Falkenhayn, S.198ff
 
Ich sollte noch erwähnen, das Falkenhayn Ende des Jahres 1914 auf Bethmann-Hollweg mit seinen Gedanken vorstellig wurde.
 
Hmmh, und was ist mit Frankreich und Großbritannien? Hätten die die Hände in den Schoß gelegt?
Frankreich hätten ja immer noch entsprechende Truppen gegenüber gestanden und die Kriegserklärung wäre deutlich aus Paris gekommen.

Großbritannien hätte das deutsche Verhalten vielleicht nicht gut geheißen, aber ein Anlass zu handeln hätte es nicht wirklich gegeben. Kriegsbefürworter hätten es daher wesentlich schwerer gehabt.
 
Tatsächlich glaube ich - nach allem was ich so dazu gelesen habe - dass der deutschen Militärführung, insbesondere hier Moltke, aber auch anderen wie von der Goltz, es durchaus klar war, wie der nächste Krieg aussehen wird. ..
Danke für diesen, im folgenden sehr gut begründeten, Einwand.

Ausgerechnet Moltke, der ja den Kaiser zu einem schnellen offensiven Handeln im Sinne des Schlieffenplans drängte, ja sogar gegenüber einer vom Kaiser vorgeschlagenen Alternative mit offener Befehlsverweigerung reagierte,
schrieb am 28. Juli 1914 an den Reichskanzler Bethmann Hollweg es stünde ein Weltkrieg bevor, der die eropäische Zivilisation auf Jahrzehnte zerstören würde.
- Wolfram Wette - Militarismus in Deutschland - Seite 104
Der zitierte Autor hebt auch hervor, dass Moltke intern zu erkennen gab, dass ein kurzer Krieg unwahrscheinlich sei, es sogar so gewesen sei, dass die militärische Führung sich insgesamt dessen bewusst war.
Es sei zudem so gewesen, dass Moltke hierüber die Öffentlichkeit "wider besseres Wissen täuschte".

Wenn man also von einer "Illusion des kurzen Krieges" spricht, kommt man nicht umhin zu fragen wessen Illusion das war.
Denn, wie DerGreif recht schlüssig darlegt, hatte der oberste Militär des DR diese "Illusion" über einen längeren Zeitraum wohl eben nicht, ..und auch nicht in der Julikrise.

Er hatte wohl gehofft, dass es anders kommen würde als es seinen Befürchtungen entsprach.
Als er alsbald erkennen konnte, dass seine Hoffnung trog, erlitt er einen Nervenzusammenbruch. (Ich würde mal annehmen, dass dieser so erklärt werden kann)
 
Es sei zudem so gewesen, dass Moltke hierüber die Öffentlichkeit "wider besseres Wissen täuschte".

Hast du dafür eine Quelle?

Ansonsten: Ja, Moltke und auch andere Militärs, beispielsweise Tirpitz, waren sich durchaus darüber im Klaren, das der kommende Krieg ganz sicher keine kurzer sein würde.
 
Hast du dafür eine Quelle?
....

- Wolfram Wette - Militarismus in Deutschland - Seite 104:
Wie die Forschung gezeigt hat, hielt der jüngere Moltke.... die deutsche Öffentlichkeit wider besseres Wissen in dem Glauben, dass es einen kurzen siegreichen Krieg Krieg geben würde. Intern gab er etwas ganz anderes zu erkennen: Dass er nämlich nicht an einen kurzen Krieg glaube und auch nicht an den Erfolg des Schlieffenplans.
Wette bezieht sich dabei auf: Förster - Krieg der Willensmenschen (1999)
 
Mombauer spitzt diesen Vorwurf darauf zu, dass es Aufgabe und Verantwortlichkeit von Moltke gewesen wäre, seine Zweifel über die Erfolgschancen (der Operationsplanung) der Politik deutlich zu kommunizieren, sowohl vor als auch während des Risikokurses von Bethmann. Auch in der Abwesenheit der Militärs zu Beginn war man über den politischen Verlauf der Julikrise nach der Quellenlage stets informiert. Stattdessen stand das "Erfolgsrezept" im Raum.

Diametral entgegen gesetzt stieg der Wille zur Entscheidung mit dem Zweifeln bei Moltke, was Mombauer auch als Persönlichkeitsstudie abhandelt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist nicht so, dass man überhaupt kein Geld gehabt hätte, um hier entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Leider war es aber so, dass man insbesondere im Kriegsministerium der Flottenrüstung mehr oder weniger bereitwillig den Vorrang einräumte und entsprechend bereit war selber auf Rüstungswünsche aus Gründen der Budgeträson zu verzichten. Die Finanzlage des Deutschen Reiches war alles andere als entspannt und ja auch Grund für die Reichsfinanzreform von 1909. Wermuth hatte ein rigoroses Sparprogramm durchgesetzt, nach dem neue Militärvorlagen nur noch eingeführt werden durften, wenn auch neue Einnahmen zu ihrer Deckung geschaffen wurden. Hieran hatte sich das Kriegsministerium (auch zugunsten der Flotte) zunächst gehalten. Das war also ein innenpolitischer Verteilungskampf knapper Geldmittel, der noch durch die gesellschaftspolitische Brisanz der Frage, welche Steuern zu erheben seien, um neue Einnahmequellen für das Reich zu erschließen, verschärft wurde.



Ein paar Wort zu Wermuth. Der Mann hat sich redlich bemüht, die Reichsfinanzen in Ordnung zu bringen. Nach dem Motto Keine Ausgabe ohne Deckung sollte künftig ein Rückfall in die finanz- wie volkswirtschaftliche bedenkliche Defizitwirtschaft in der Ära Bülow ausgeschlossen werden.
Neben der Schaffung ausgeglichener Haushalte war die Reduzierung der Verschuldung des Reichs ein zentrales Anliegen Wermuths. Wermuths Sanierungskonzept zielte auf eine durchgreifende Erholung des Anleihemarktes ab, der als Folge des konjunkturell und staatsfinanziell bedingten Anstieg des Zinsniveaus in Mitleidenschaft gezogen worden war. An diesem Punkt verbanden sich außen- mit finanzpolitischen Zielsetzungen, denn bei der stetig nach unten gerichteten Kursentwicklung der Reichsanleihen drohte dem Ansehen der deutschen Finanzkraft und damit der Einschätzung der finanziellen Kriegsbereitschaft des Deutschen Reiches im Ausland schwerer Schaden zugefügt zu werden - zum Nachteil der deutschen Diplomatie.
Jedenfalls ist es auf Grundlage der Steuerreform von 1909 die Haushalte zu konsolidieren und den Reichsetat wieder ins Gleichgewicht zu bringen und zum Teil Budgetüberschüsse zu erzielen. Auf dem Gebiete der Verschuldung gab es aber nur Teilerfolge. Die Reichsverschuldung betrug 1909 5 Milliarden Reichsmark. Die Abbau der Reichsschuld wurde primär zugunsten der Rüstung unterlassen.
 
Zurück
Oben