Die Psychohistorie und ihr Begründer Lloyd DeMause

Der Umweg das Tier zu beobachten, um den Menschen zu verstehen, ist mir etwas zu umständlich.
Hast natürlich recht - monogam zu werden/bleiben, nur weil Lorenz' Graugans es ist, kann auf Dauer nicht befriedigen. :winke:

Jenseits solcher Analogien (oder besser: Homologien) wollte ich auf die Erkenntnisse der Humanethologie verweisen: Zu welchem biologischen Typus gehört der menschliche Säugling? Welche sensorischen Leistungen erbringt er? Wie wirkt er auf das mütterliche Verhalten? Welche Signale beiderseits prägen die Kommunikation? Wie kommt "Bindung" zustande? Wie entwickeln sich Emotionen? usw.

Ein kompakter Band mit einer Beschreibung der Kindheitsumstände ohne allzuviel Interpretation würde mir erstmal reichen.
Vermutlich bist Du dann mit einem Lehrbuch der Entwicklungspsychologie am besten bedient. [1]

Schwieriger ist es, das Thema historisch anzugehen. Trotz berechtigter Einwände wäre Philippe Ariès' Geschichte der Kindheit immer noch meine erste Wahl. [2]

Oder schwätze ich hier komplett an Dir vorbei? :S (Vom Thread-Thema deMause führt das ja ziemlich weg.)


[1] z. B. Wege in die Entwicklungspsychologie ... - Google Bücher Kap. 3 und 4; zum theoretischen Hintergrund dort Kap. 1.2.
[2] vgl. auch http://www.geschichtsforum.de/f77/bedeutung-und-bild-von-eltern-im-ma-15057/ und http://www.geschichtsforum.de/f72/kindheiten-14382/
 
DeMause zitiert zahlreiche Beispiele, aus denen hervorgeht, dass Infantizid (direkt oder indirekt) eine über Jahrtausende in großem Ausmaß geübte Praxis war (die Frage, ob all diese Belege wissenschaftlich "wasserdicht" sind, wird weiter oben allerdings angezweifelt). Ein Beispiel : deMause zitiert Elisabeth Badinter "Mother Love : Myth and Reality" und (ebda)
Zitat:
<TABLE border=0 cellSpacing=0 cellPadding=6 width="100%"><TBODY><TR><TD style="BORDER-BOTTOM: 1px inset; BORDER-LEFT: 1px inset; BORDER-TOP: 1px inset; BORDER-RIGHT: 1px inset" class=alt2>Von den 21.000 im Stichprobenjahr 1780 in Paris geborenen Kindern ... wurden 19.000 in entlegene Teile des Landes mit entsetzlichen Zuständen deportiert, weil sie, oftmals aufs Geratewohl, ungebildeten Kinderhändlern ausgehändigt wurden, die sich an Straßenkreuzungen und auf den Marktplätzen der Hauptstadt drängelten. Einmal bei den Pflegeplätzen niedergelassen ... starben über die Hälfte von ihnen vor Erreichen des zweiten Lebensjahres. Und sie starben aus offensichtlicher Gleichgültigkeit der Eltern. </TD></TR></TBODY></TABLE>
und (ebda)
Zitat:
<TABLE border=0 cellSpacing=0 cellPadding=6 width="100%"><TBODY><TR><TD style="BORDER-BOTTOM: 1px inset; BORDER-LEFT: 1px inset; BORDER-TOP: 1px inset; BORDER-RIGHT: 1px inset" class=alt2>Mütter brachten jedes Neugeborene zu einer Amme, trotz der Vernichtung eines nach dem anderen ihrer Kinder ... Mütter , die vom Tod ihres Kindes bei der Amme erfahren, trösten sich, ohne auch nur nach dem Grund zu fragen, indem sie sagen : 'Na gut, noch ein Engel im Himmel' </TD></TR></TBODY></TABLE>

Ich bin erstmal nur über die Zahlen gestolpert, sollen die 21000 alle in dem Jahr geborenen Kinder in Paris sein?
Ich weiß von den Lebensumständen der einfachen Leute im 18. Jhd zu wenig. Wenn ich das aber konsequent zu Ende denke, wären die Menschen, die sich eine Amme leisten konnten, annähernd ausgestorben.
Die Amme und vor allem die Vermittler können nicht umsonst gewesen sein. Zumindest die eigenen Kinder der Ammen auf dem Land sollten dann unsere Vorfahren und damit neurosefrei aufgewachsen sein. :grübel:

:still: Spontane Reaktion :cry: ich muß da noch ein bißchen drüber nachdenken, auch über Madame Élisabeth Badinter ? Wikipedia
Gibt es irgendwelche Einwände gegen den Wikiartikel über sie?
 
Vor einigen Jahren gab es einmal eine Untersuchung über die Begrenzung der Kinderzahl in norddeutschen Bauernfamilien durch absichtliche "Vernachlässigung". Leider habe ich aber keine Namen oder derartiges in Erinnerung, so dass ich im Web suchen könnte. Also Infantizid und ähnliches gab es schon. Ob das aber ein solches Ausmaß hatte wie angeblich in Paris...?
 
Gibt es irgendwelche Einwände gegen den Wikiartikel über sie?
Ich kannte sie noch nicht und habe sie nur aus deMauses Buch zitiert.
In dem Wiki-Artikel bin ich über folgende Aussage gestolpert :
Wiki schrieb:
Mutterliebe ist also kein natürlicher, unabänderlicher Instinkt, kein Bestandteil der weiblichen Natur, sondern ein menschliches Gefühl, das in höchst unterschiedlichen Ausprägungen vorhanden sein kann oder auch nicht. Mutterschaft hat sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten, und der unterschiedliche Umgang der Menschen mit ihren Kindern in verschiedenen Epochen und Gesellschaften zeigt, dass es vielfältige Lösungsmöglichkeiten für das Großziehen das Kinder gibt.
Damit bin ich nicht ganz einverstanden. Es ist wohl so, dass beim ersten Säugen nach der Geburt sowohl bei der Mutter als auch beim Kind das Bindungshormon Oxytocin (Oxytocin ? Wikipedia) ausgeschüttet wird. Erfolgt vorher einer Trennung bw. Aussetzung, kommt diese emotionale Mutter-Kind-Beziehung nicht zu Stande. Sie ist also instinktiv vorhanden, wird aber nicht ausgelöst.

Nicht zur Ausbildung einer Mutter-Kind-Bindung bedarf es also einer "Kulturleistung", sondern zu deren Unterdrückung - über viele Generationen hinweg.

Und wieder bin ich bei meiner Ausgangsfrage (vor Zusammenlegung der Threads) angelangt, ob nicht gerade die repressive Kindererziehung die zur Ausbildung von Hochkulturen notwendige Vorausetzung ist, während das Nachlassen der Repression erst dann möglich ist, wenn eine ganz so starke gesellschaftliche Strukturierung nicht mehr nötig ist.
 
Es ist wohl so, dass beim ersten Säugen nach der Geburt sowohl bei der Mutter als auch beim Kind das Bindungshormon Oxytocin (Oxytocin ? Wikipedia) ausgeschüttet wird. Erfolgt vorher einer Trennung bw. Aussetzung, kommt diese emotionale Mutter-Kind-Beziehung nicht zu Stande. Sie ist also instinktiv vorhanden, wird aber nicht ausgelöst.

Langsam nähern wir uns meinem instinktgesteuerten Faden, den "Mutter Natur" uns zur Orientierung ausgelegt hat, damit wir nicht aussterben. :winke:

Im Ernst, das Oxytocin wird in jedem Fall ausgeschüttet, es leitet nämlich die Geburt ein. Es führt auch dazu, dass sich Mutter und Kind gleich nach der Geburt recht wohlwollend betrachten. Es ist aber nicht der einzige Faktor, der die umgebende Gesellschaft dazu bringt, das Neugeborene anzunehmen, damit schließe ich bewußt die gesamte Umgebung ein. Kleine Kinder sind niedlich, ihr Aussehen appelliert bei allen Menschen an den Fürsorgeinstinkt, der sogar soweit geht, dass wir Tierkinder süß finden.

Nicht zur Ausbildung einer Mutter-Kind-Bindung bedarf es also einer "Kulturleistung", sondern zu deren Unterdrückung - über viele Generationen hinweg.

Ja, wenn du Not, Stress, Zwänge und Einsicht in die Zwangsnotwendigkeit als Kulturleistung bezeichnen willst.

Und wieder bin ich bei meiner Ausgangsfrage (vor Zusammenlegung der Threads) angelangt, ob nicht gerade die repressive Kindererziehung die zur Ausbildung von Hochkulturen notwendige Vorausetzung ist, während das Nachlassen der Repression erst dann möglich ist, wenn eine ganz so starke gesellschaftliche Strukturierung nicht mehr nötig ist.

Inzwischen meine ich zu verstehen, worauf du hinaus willst.
Der Bienen- Ameisen- oder Nacktmullstaat als Prototyp einer gegliederten Gesellschaft, wo jeder seinen Platz kennt und mit der ihm zugewiesenen Aufgabe zufrieden zu sein scheint. Jedes Rädchen im Getriebe funktioniert reibungslos, ohne aufzumucken und ohne eigene Wünsche.

Vor einigen Jahren gab es einmal eine Untersuchung über die Begrenzung der Kinderzahl in norddeutschen Bauernfamilien durch absichtliche "Vernachlässigung". Leider habe ich aber keine Namen oder derartiges in Erinnerung, so dass ich im Web suchen könnte. Also Infantizid und ähnliches gab es schon. Ob das aber ein solches Ausmaß hatte wie angeblich in Paris...?

Sehe ich auch so, überforderte Eltern in schwierigen Situationen oder Bauernfamilien, die den Erbteilungszwist möglichst klein halten möchten, werden unbewußte Entscheidungen getroffen und sich tendenziös verhalten haben.
Trotzdem halte ich noch immer die Vorbeugung für das Mittel der 1. Wahl, auch in pillenlosen Zeiten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Inzwischen meine ich zu verstehen, worauf du hinaus willst.
Der Bienen- Ameisen- oder Nacktmullstaat als Prototyp einer gegliederten Gesellschaft, wo jeder seinen Platz kennt und mit der ihm zugewiesenen Aufgabe zufrieden zu sein scheint. Jedes Rädchen im Getriebe funktioniert reibungslos., ohne aufzumucken und ohne eigene Wünsche.
Vielleicht so:
Walden Two - Wikipedia, the free encyclopedia
Burrhus Frederic Skinner ? Wikipedia
Schöne neue Welt ? Wikipedia
 
Bzgl. Madame Badinter habe ich ehrlich gesagt spontane Bauchschmerzen. Weiß denn jemand wie sie zu arbeiten pflegt, also wie, mit welchen Methoden kommt sie denn zu ihren Erkenntnissen? Wie verifiziert sie ihre Forschungen? Wie werden sie in der Fachwelt gesehen?

Langsam nähern wir uns meinem instinktgesteuerten Faden, den "Mutter Natur" uns zur Orientierung ausgelegt hat, damit wir nicht aussterben. :winke:

Im Ernst, das Oxytocin wird in jedem Fall ausgeschüttet, es leitet nämlich die Geburt ein. Es führt auch dazu, dass sich Mutter und Kind gleich nach der Geburt recht wohlwollend betrachten. Es ist aber nicht der einzige Faktor, der die umgebende Gesellschaft dazu bringt, das Neugeborene anzunehmen, damit schließe ich bewußt die gesamte Umgebung ein. Kleine Kinder sind niedlich, ihr Aussehen appelliert bei allen Menschen an den Fürsorgeinstinkt, der sogar soweit geht, dass wir Tierkinder süß finden.
Ergänzend zu den biologischen Aspekten noch etwas aus sozialpsychologischer Sicht: Fromm: "Die Kunst des Liebens"
 
Es ist wohl so, dass beim ersten Säugen nach der Geburt sowohl bei der Mutter als auch beim Kind das Bindungshormon Oxytocin (Oxytocin ? Wikipedia) ausgeschüttet wird. Erfolgt vorher einer Trennung bw. Aussetzung, kommt diese emotionale Mutter-Kind-Beziehung nicht zu Stande. Sie ist also instinktiv vorhanden, wird aber nicht ausgelöst.
Die Sätze 2 und 3 finden im verlinkten WP-Artikel keine Stütze. Wie rena8 schon erwähnte, beginnt die Hormonausschüttung ja bereits früher.

Langsam nähern wir uns meinem instinktgesteuerten Faden, den "Mutter Natur" uns zur Orientierung ausgelegt hat, damit wir nicht aussterben. ... überforderte Eltern in schwierigen Situationen oder Bauernfamilien, die den Erbteilungszwist möglichst klein halten möchten, werden unbewußte Entscheidungen getroffen und sich tendenziös verhalten haben.
Es schwimmt mir jetzt ein wenig vor Augen::winke:

Besagtes Hormon wird vom Körper selbst ausgeschüttet, es bedarf dazu keines "Instinkts" und schon gar nicht einer Willensentscheidung! Man könnte natürlich sagen: Der Körper schüttet das Hormon instinktiv aus - aber das ist hart am Rande der Tautologie.

Also: Brauchen wir den "Instinkt" eigentlich noch? Kann man "Fürsorgeinstinkt" ersetzen durch das Vorhandensein eines "Fürsorgehormons"? Ist das "Kindchenschema" womöglich auch auf ein entsprechendes Hormon zurückzuführen?

Und was das "Unbewußte" betrifft: Wie passt das ins kategoriale Schema? Sollten wir nicht auch auf diesen Begriff besser verzichten? Das entspräche ganz der Intention Freuds, für den die Triebe "mythische Wesen [waren], großartig in ihrer Unbestimmtheit" [1] - eine Hilfskonstruktion sozusagen, weil ihm moderne biochemische Analysen nicht zur Verfügung standen....

Bitte putzt meine Brille, Kollegen!


[1] Gesammelte Werke, Bd. 15, S. 101 - das mit der Hilfskonstruktion ist meine eigene Interpretation.
 
Es schwimmt mir jetzt ein wenig vor Augen::winke:

Besagtes Hormon wird vom Körper selbst ausgeschüttet, es bedarf dazu keines "Instinkts" und schon gar nicht einer Willensentscheidung! Man könnte natürlich sagen: Der Körper schüttet das Hormon instinktiv aus - aber das ist hart am Rande der Tautologie.

Irgendwie hast du ja recht, ich verspüre da noch ein altmodisches Sträuben, den "instinkt" als ein neurologisches Wirken von Hormonen, Endorphinen und anderen Botenstoffen aufzufassen.
Und außerdem ist das wirklich schon bis ins letzte Detail geklärt?

Also: Brauchen wir den "Instinkt" eigentlich noch? Kann man "Fürsorgeinstinkt" ersetzen durch das Vorhandensein eines "Fürsorgehormons"? Ist das "Kindchenschema" womöglich auch auf ein entsprechendes Hormon zurückzuführen?

Keine Ahnung, über die Wirkung muß es jedoch Untersuchungen geben, ähnlich wie beim universalen Schönheitsideal.

Und was das "Unbewußte" betrifft: Wie passt das ins kategoriale Schema? Sollten wir nicht auch auf diesen Begriff besser verzichten?

Unbedingt.........ich bedecke mein Haupt mit Asche.....und gelobe das angefangene Buch über die Intuiition zu Ende lesen.
Wenn ich unbewußt sage, meine ich eigentlich intuitiv.


Das entspräche ganz der Intention Freuds, für den die Triebe "mythische Wesen [waren], großartig in ihrer Unbestimmtheit" [1] - eine Hilfskonstruktion sozusagen, weil ihm moderne biochemische Analysen nicht zur Verfügung standen....

Die Hilfskonstruktion gefällt mir, können wir die nicht für den verbleibenden Rest des Unerklärlichen stehenlassen.

Bitte putzt meine Brille, Kollegen!

Wenn dein Blick jetzt noch verschwommener ist, liegt das am Eurovision Song Contest. :winke:
 
Die Sätze 2 und 3 finden im verlinkten WP-Artikel keine Stütze.
Dazu ein Bericht aus I. Eibl-Eibesfeldt, "Die Natur des menschlichen Verhaltens"
Bei den Eipo* (* Fußnote : Zum Zeitpunkt der Aufnahme waren die im westlichen Bergland [Neuguineas] lebenden Eipo eben erst kontaktiert worden. Die Mütter handeln bei der Kindstötung aus eigenem freien Entschluss und, wie die Befragungen zeigen, im Wissen um den Ertrag ihrer Süßkartoffelfelder) filmte das Ehepaar Grete und Wulf Schiefenhövel (1978) eine Eipofrau, die erklärt hatte, sie würde ihr Kind töten, wenn es ein Mädchen sei. Sie gebar eine Tochter und bereitete nun alles für die Kindstötung vor. Sie verpackte die Kleine samt Nachgeburt ohne abzunabeln in Farnblätter und legte die Pflanzenrebe bereit, um das Paket zu verschnüren. Aber irgendwie verzögerte die Gegenwart der Filmenden den Vorgang. Man sieht, wie die Mutter nachdenklich vor dem Bündel Farnblätter sitzt, aus dem es schreit und aus dem die rosa Füßchen und Fäuste sich lebenshungrig durchboxen. Die Mutter verlässt die Szene, ohne das ihr offensichtlich schwerfallende Werk zu vollziehen. Nach zwei Stunden kommt sie zurück, durchtrennt die Nabelschnur und nimmt das Baby zu sich. Es wäre ein so kräftiges Kind, erklärt sie, fast wie zur Entschuldigung. <o:p> </o:p>
Es gibt viele Beobachtungen, die belegen, dass Mütter ihre Kinder nur töten können, solange sie keine persönliche Beziehung herstellen. Hat sich eine solche entwickelt, dann gilt die Kindstötung, auch wenn sie sonst praktiziert wird, als Mord, so früher in vielen Gebieten Polynesiens, nachdem die Mutter ihr Kind einmal gestillt hatte.
Im selben Buch wird erwähnt, dass eine Oxytocin-Ausschüttung beim Stillen stattfindet, und auch bereits beim Durchtritt des Babys durch den Gebärmutterhals (Cervix), ist aber bereits nach fünf Minuten wieder verschwunden.

Durch eine künstliche Erweiterung der Cervix kann man nicht-schwangere Ziegen dazu bringen, fremde Junge anzunehmen.

In demselben Buch wird auch M. Morath (1977) zitiert, der fünf verschiedene Lautäußerungen von Neugeborenen beschreibt, darunter auch
Der Schlaflaut wird in Abständen von etwa 15 Minuten während des Schlafens geäußert und signalisiert Wohlbehagen. Jeder Schlaflaut währt etwa 0,3 Sekunden. Er zeigt eine gemischte Frequenz mit einer Grenze von 3 kHz. Man hört den angenehmen Laut vor allem, wenn der Säugling im Schlaf seine Stellung ändert. Unterbleibt er längere Zeit, dann sieht die Mutter nach dem Rechten. Sie handelt so, ohne zu wissen, weshalb.
Zum Thema "Instinkte" zeigen uns diese Beispiele, dass angeborene Handlungsfragmente der Kinderaufzucht sicherlich in uns (m/w) genetisch vorhanden sind. Wenn Kinderbetreuung erst gesellschaftlich hätte entstehen müssen, wäre die Menschheit auch sicherlich bereits vor 150.000 Jahren ausgestorben. Allerdings müssen sie offenbar erst aktiviert werden. Dies geschieht mit Hilfe der Oxytocinausschüttungen, die man aber offenbar auch umgehen kann. Schließlich wird auch bei Geschlechtsverkehr Oxytocin ausgeschüttet, ohne dass dies zwangsläufig zu einer dauerhaften Paarbindung führt.

Bei Instinkten handelt es sich also nicht um fest programmierte Handlungsanweisungen, die stur abgearbeitet werden, sondern um eine Anzahl von angeborenen biochemischen Reaktionen auf Umweltreize, die emotionale Impulse auslösen können.

Die Kulturleistung besteht nun darin, Mittel zu finden, diese von ihrem eigentlichen biologischen Zweck zu entkoppeln und für kulturelle Zwecke zu instrumentalisieren.
 
die Grundidee [...], gesellschaftliche Entwicklungen im Zusammenhang mit der Kindererziehung - und deren Änderungen - in der entsprechenden historischen Periode zu betrachten
In der Tat, eine äußerst interessante Fragestellung; Und je interessanter die Fragestellung, um so seltsam mutet denn auch die die schlußfolgernde These von L. de Mause an:
die These [...], dass die Kindererziehung im Laufe der zunehmenden Entwicklung der Gesellschaft immer "besser" wird, nämlich weniger brutal, strafend, angsterzeugend, traumatisierend, dafür mehr mitfühlend, unterstützend und liebevoll, was die Entwicklung der Individualität der Kinder unterstützt.
Deine Skepsis ist daher auch sehr angebracht. Ich will mir einmal deine eigene (Gegen-) These anschauen:
]1. Es besteht in der Tat ein enger Zusammenhang zwischen Gesellschaftsform und Kindererziehung.
2. Der Zusammenhang ist rekursiv : Die Art der Kindererziehung beeinflusst die daraus erwachsende Gesellschaft UND in einer sich ändernden Gesellschaft ändert sich die Kindererziehung, die wiederum ...usw. (Henne-Ei-Prinzip).

3. Jede Gesellschaftsform - und die zu ihrer Aufrechterhaltung praktizierte Kindererziehung - stellt das zum Überleben unter den gerade gegebenen Randbedingungen kollektiv gefundene Optimum dar.

4. Bei Veränderungsprozessen kann sich durchaus eine gewisse Trägheit in der Anpassungsgeschwindigkeit des Erziehungspraxis-Gesellschaftsform-Zyklus' bemerkbar machen, was zu gewissen Spannungen führen kann.
5. Der Übergang von nomadischen Ziegenhirten zu den ersten Hochkulturen musste vermutlich erkauft werden mit einer enormen Repressivität in der Kindererziehung. Eine Hochkultur zu erreichen erfordert die Implantation eines einheitliche Rasters an Neurosen und Ängsten bei den Kindern, die wiederum zu einem System von Glaubenselementen, Tabus und moralischen Werten (= Ängsten) bei den Erwachsenen führt, denn nur so lässt sich ein "Funktionieren" jedes Individuums in der anspruchvollen neuen gesellschaftlichen Struktur gewährleisten.
Angenommen ist gibt tatsächlich einen "engen Zusammenhang", möchte ich fragen, inwieweit sich dieser auf irgendeine Weise präzise fassen läßt:
In These 2 sprichst du von einem Einfluß der Kindererziehung auf die Gesellschaft, deren Änderung auf jene Praxis zurückwirkt. Damit deutest du eine konsequente Gegenthese zu De Mause an, die du gleichzeitig aber relativierst, wenn du ergänzend das Henne-Ei-Prinzip einwirfst, denn damit willst du anscheinend einer (auch im späteren Beitrag explizit verworfenen) Determinismus-These entgegentreten.
Im Kontext von De Mause psychogenetischer Theoriediskussion konkret formuliert: Du relativierst also - möglicherweise z. T. wenigstens zu recht - die meiner Ansicht nach eigentlich interessante Gegenthese, daß der soziale Wandel eben nicht durch Anderung der Erziehungspraxis, sondern umgekehrt, daß die Änderung der Erziehungspraxis durch den sozialen Wandel selbst erst hervorgebracht wird.
Mit These 3 bleibst du offensichtlich im von Lloyd de Mause gesetzten Bezugsrahmen der Evolutionstheorie, wobei meine kritische Frage wäre: Kann die Evolutionstheorie überhaupt adäquat sozialen Wandel erklären? Unabhängig davon aber wäre eine plausible Annahme, daß sich eine Gesellschaft in der Tat auf ein Sozialisationsmodell einpendeln kann.
In These 4 muß man dann diesen Evolutionismus nicht unbedingt reinlesen. In meinen Kommentar dazu möchte erklären, warum ich dir oben zur 2. These nur mit Einschränkung recht gebe möchte: Ich würde in Anlehnung an Ariès einen unterschied zwischen traditionalen und modernen Gesellschaften machen. Letztere wären durch höhere Komplexität gekennzeichnet und erst zeigen sich entsprechend Spannungen und im öffentlichen Diskurs ausgehandelt werden. Bei weniger komplexen Gesellschaften würde ich solche Spannungen für weniger relevant bis nicht existent vermuten, daher die Einschränkung.
Was du nun als Hochkulturen bezeichnest, würde ich als "moderne Gesellschaft" ansehen wollen, wobei ich bei These 5 ergänzen möchte, daß der Übergang mehere - aber mindestens in zwei - Schritte zerfällt. Repression in der Erziehung wird möglicherweise dann wichtig, wenn sich die Gesellschaft meiner Ansicht ausreichend differenziert hat, daß die Kinder des eigenen Standes auch die Tradition aufrecht zu erhalten haben, vor allem aber, wenn Sozialisationsmodellen von anderen Schichten übernommen werden (hiermit beziehe ich mich implizit auf die Zivilisationstheorie von Norbert Elias).
6. Ich stimme nicht zu, dass sich die Gesellschaften zu immer "höheren" Formen entwickelt hätten. Zwar ist unsere heutige westliche Gesellschaft technisch so hoch entwickelt wie nie eine andere vor ihr. Aber : Die Interaktion und die Interdependenz zwischen den Individuen hat stark abgenommen, ebenso die gesellschaftliche Struktur in dem Sinne, dass jeder einen bestimmten Platz - gestaffelt nach Familie, Alter, Geschlecht oder Verwandtschaftsgrad,... - einnehmen muss. Auch die religiösen und moralischen Imperative sind schwächer geworden.

7. Den Megatrend der Gesellschaftsentwicklung sehe ich daher in Richtung eines ständig abnehmenden Organisationsgrades.
Es bedarf einer wesentlich stärker strukturierten Gesellschaft mit stärkerem Gruppenzwang und stärkerer Delegation von Individualität an die Gruppe, wenn man zum Überleben das Mammut jagen muss, als wenn man zum Abendessen eine Dose Ravioli an der Tanke holt.

8. Da die stattgefundene Aufeinanderfolge von Gesellschaftsformen in den westlichen Staaten zu zunehmendem Wohlstand geführt hat, können wir uns einen geringeren Organisationsgrad leisten, und daher können wir uns auch eine stärkere Individualität leisten, und damit wiederum eine liberalere Kindererziehung.
Deine letzten Thesen klingen ja sehr kulturpessimistisch, was gewissermaßen sympathisch ist, aber gleichzeitig schon in Zeitgeschichte mündet. Nichts desto weniger wird hier ein Determinismus impliziert: daß nämlich die Gesellschaftsform - hier sprichst du vom Organisationsgrad - sozusagen die Erziehungspraxis bestimmt! Was auch immer die Gründe sind für Kulturkritik, läßt sich die pädagogische Praxis als "liberal" bezeichnen? Hier wären erst einmal systematischen Untersuchungen zu fordern, um überhaupt darüber diskutieren zu können. Da es sich aber wirklich um Zeitgeschichte handelt, erscheint mir das letztendlich aber zu schwierig. Die These einer liberaleren Erziehung erinnert mich ein wenig an De MAuses sozialromantische Behauptung einer zeitgenössischen unterstützenden Erziehungstendenz.
Ich hingegen würde lieber über die Frage diskutieren : Hat sich die menschliche Gesellschaft in den letzten 5.000 Jahren in Richtung auf eine höhere oder in Richtung auf eine niedrigere Form von Interaktion entwickelt ?
Bedenke ich diese zielsetzung, ist der Anschluß an den Thread über Lloyd de Mause zu bedauern. In dieser knappen Version formuliert, finde ich die Frage gar nicht beantwortbar; man müßte sehr präzise zu fassen versuchen, was mit "Interaktion" gemeint ist und diese historisch kategoriesieren, vergleichen und prüfen, ob es Zuwächse oder Verminderungen solcher Interaktionsformen gibt.
Ich werde also meine Frage neu stellen und dabei versuchen, sie brutalstmöglich zu vereinfachen. [...]
Die Frage lautet also :
Hat unsere heutige Gesellschaft einen höheren oder einen niedrigeren Entwicklungsgrad als frühere Gesellschaftsformen ?
These 1 (-> höher) : Unsere westliche Gesellschaft hat ein technisches Niveau und einen Wohlstand erreicht wie nie eine andere zuvor. Dies ist gegenüber dem 19. Jahrhundert oder den Germanen allein auf die gesellschaftliche Entwicklung zurückzuführen (der Mensch als solcher ist sicherlich nicht klüger geworden). Unsere Gesellschaft kann deshalb als hoch entwickelt angesehen werden.
These 2 (-> niedriger) : Ein heutiger Mensch ist weniger abhängig von seinen Mitbürgern als vor 200(0) Jahren, braucht nicht mit ihnen zu interagieren, muss sich kaum in eine gesellschaftliche Hierarchie einfügen und braucht an keinen Gott zu glauben, muss nur wenig von seiner individuellen Freiheit an die Gesellschaft abgeben, damit diese funktioniert. Unsere Gesellschaft kann deshalb als niedrig entwickelt angesehen werden.
Frage also : Was stimmt nun ?
Auch diese Frage insofern schwierig zu beantworten, als fraglich ist, wer hier bewertet; was soll Maßstab der Beurteilung werden: die Moralien der gegenwärtigen Gesellschaften und/ oder ihrer praktischen Widersprüche?
Eigentlich komme ich nur zu dem Schluß, daß die Fortschrittsidee so lange problematisch bleibt, als sie gesellschaftlich-ideologisch bedeutsam ist.
 
Der Zusammenhang ist fast zwingend, da die Kindererziehung innerhalb der Gesellschaft stattfindet. Es gibt zwar eine Vielzahl von theoretischen, wissenschaftlichen Erziehungsansätzen, im wirklichen Leben wird der früheste Teil der Erziehung aber meist von Laien praktiziert, mit dem eher unbewußten Grundsatz, den Kindern die Eingliederung in ihre Umgebung möglichst leicht zu machen, sie zu nützlichen Mitgliedern der Gemeinschaft zu erziehen d.h den Erziehenden von Nutzen zu sein.
Es kann mehrere bis viele Gemeinschaften geben, die Urprungsfamilie ist nur eine davon.
Da möchte ich dir teilweise widersprechen oder dich vielleicht bitten, zu präzisieren. Es wäre denbar, daß die häusliche Frühaufzucht von Kindern die Norm ist, aber historisch vielleicht nicht einwandfrei bewiesen (daß du von Laien sprichst, finde ich ja gewissermaßen sympathisch); vor allem störe ich mich aber an dem Adjektiv "unbewußt"; in einem psychoanalytischen Sinne (wenn auch nicht unbedingt streng im Freudschen - meint psychosexuellen - Sinne), kann das Unbewußte dem von dir benannten Grundsatz nämlich allzu häufig entgegenarbeiten! Wie dem auch sei, in einem späteren Beitrag hast du ja klargestellt, an eine Art Intuition denkst. Dein letzter Satz ergibt für mich übrigens irgendwie keinen Sinn für den Zusammenhang (ach doch - siehe unten)
Ich würde den Einfluss des Erziehungsprinzips auf das Ergebnis nicht überschätzen. Kinder sind Menschen und lernen auch durch Nachahmung, d.h. wenn das (unbewußte) Erziehungskonzept nicht zu den Modellen in der Umgebung paßt, kann das Ergebnis = der erwachsene Mensch ganz anders ausfallen und nicht nur dann.
Ein weiteres Korrektiv sind Phasen in der Entwicklung (Trotzalter, Pubertät), die die Heranwachsenden fast automatisch zum eigenen Hinterfragen von vorgelebten Modellen und Erziehungsprinzipien bringen. Dadurch werden Muster von der nächsten Generation überprüft
Obzwar Klaus bereits anmerkt, daß es nicht um Charakterdetermination gehen würde, würde ich dagegen halten: das ist gerade das Problem, das die Neurobiologie heutzutage auch gut erkannt hat. Das früheste, insonders emotionale Lernen erfolgt unbewußt (z. B. schön nachzulesen bei Gerhard Roth: Verstand und Gefühle ), wobei das eigentlich den Vorgang nicht präzise ausgedrückt, da es beim Säugling (meiner Ansicht nach) kein System "Ubw" gibt, sondern erst im Laufe der Entwicklung entsteht, mutmaßlich der Komplexität des Gedächtnisses qua Identifikation und Abspaltung - ich müßte nachlesen, wie sich der Begriff der Nachahmung hierzu theoretisch verhalten könnte; aber gerade weil sich am Ende der frühesten Lebensphase eine ganze Menge an Erfahrungen im Unbewußten abgelagert hat, ist es besonders wirksam; du nennst an wichtigen Phasen
1. das Trotzalter und 2. die Pubertät, die man quasi als zweite und genauso bedeutsame Trotzphase bezeichnen könnte; beide sind sehr wichtig für die Ich-Entwicklung, während der Unterschied darin besteht, daß es in der ersten Phase erst entsteht, in der zweiten das Ich erweitert und potentiell modifiziert wird. Aber was theoretisch eine Chance ist, muß nicht gleich eine praktische Sein: Ich kann mir ideale Vorstellungen davon machen, was ich selbst als Mutter oder Vater oder ErzieherIn will, aber in ganz bestimmten Situationen aktualisiere ich plötzlich bestimmte, die ich ablehene und kann trotzdem nicht anders handeln. Bei Lloyd de Mause liest man daher, daß das Problem der Psychoanalyse darin bestehe, daß der Wiederholungszwang den sozialen Wandel nicht erklären könne. Eben aufgrund des Wiederholungszwanges möchte ich aber in Frage stellen, daß durch das "angesprochene biologische Korrektiv [...] die nächste Generation genausogut Treiber von Veränderungen sein [kann], also eher das Gegenteil von Trägheit." Ich bin mir nicht sicher, inwieweit Klaus seine implizite Determinismusthese vertreten mag, aber ich denke, daß der soziale Wandel nicht ausgelöst wird durch veränderte Erziehungsprakztiken, sondern daß die Erziehungspraxis eben durch den sozialen Wandel (durch veränderte soziale Anforderungen) erst verändert.

Je mehr Menschen es auf der Welt gibt desto größer ist die Anzahl der möglichen Plätze in der Gesellschaftsstruktur. In einer Stammesgesellschaft (Jäger- und Sammler) wird ein Kind in eine Stammesgruppe hineingeboren, die von der Struktur ungefähr einer erweiterten Großfamilie entspricht. Der Einzelne musste sich mit einer maximal 2 Gesellschaften arrangieren.
Irgendwann, wahrscheinlich im Laufe der Entwicklung der Landwirtschaft, kam als weitere Gesellschaftsebene die Nachbarschaft hinzu, in die sich der Einzelne zusätzlich zu seiner Familie eingliedern musste. Die städtische Zunftgesellschaft des Mittelalters ist ein Beispiel für eine weitere, nämlich die berufsständische Ebene.
Von diesen Ausführungen her verstehe ich, was du da mit den "bis vielen Gemeinschaften" meinst. Worin liegt aber genau dein Einwand Klaus gegenüber - in der impliziten Behauptung, daß heutige Gesellschaften also nicht weniger, sondern eben stärker strukturiert sind? Anscheind:
Der Megatrend führt mMn zu einer unterschiedlichen Anzahl von Plätzen, die der Einzelne in der Gesellschaft einnehmen kann.
Dass der angeborene Familienplatz an Bedeutung verliert, dafür die Eingliederung in die Hierarchien am Arbeitsplatz, im Verein oder sonstwo wichtiger wird, ist Ausdruck einer stark gegliederten Gesellschaft.
Dabei ist allerdings auch zu bedenken, daß aus diesem gesellschaftlichen Raster wiederum zahlreiche Menschen herausfallen, die nicht oder nicht ständig integriert sind. Nichts desto weniger würde ich dir eher zustimmen als Klaus:
Warum bezeichnest du den Organisationsgrad als geringer, ich finde den hochkomplex?

Wenn die liberale Kindererziehung den Einzelnen am besten darauf vorbereitet, sich in einer sowohl horizontal als auch vertikal gegliederten Gesellschaft zurechtzufinden.
Jetzt fällt mir dazu noch ein, daß man eine Art liberale Erziehung natürlich als ein durchaus bürgerliches Erziehungsideal betrachten könnte, an dem sich ja auch Schulen abarbeiten.
... Auf den Rest dieses Beitrages, will ich noch später eingehen, auch auf die bisher noch nicht von mir berücksichtigte Diskussion!
 
...... aber mindestens in zwei - Schritte zerfällt. Repression in der Erziehung wird möglicherweise dann wichtig, wenn sich die Gesellschaft meiner Ansicht ausreichend differenziert hat, daß die Kinder des eigenen Standes auch die Tradition aufrecht zu erhalten haben, vor allem aber, wenn Sozialisationsmodellen von anderen Schichten übernommen werden (hiermit beziehe ich mich implizit auf die Zivilisationstheorie von Norbert Elias).

Vorläufig möchte ich nur Zwischenfragen stellen und dich bitten zu erklären, inwieweit Über den Prozeß der Zivilisation ? Wikipedia Elias richtig wiedergibt und welche Antworten du für die Threadfragen hierin findest.
Ich neige dazu über solche geschichtsphilosophischen Fragen erstmal allein nachzudenken, ohne die Bücher großer Vordenker und aktuelle Erklärungstheorien wie deMause oder Diamond zu lesen.
Vielleicht muß das Threadthema nach der Zusammenlegung erneut definiert werden.
Für mich geht es noch immer um die Bedingungen von Kinderaufzucht/
-erziehung in Bezug auf Gesellschaftsstruktur und Zivilisation, der letztgenannte Begriff hat mich beim Elias-Wiki-Artikel angesprochen.



Da möchte ich dir teilweise widersprechen oder dich vielleicht bitten, zu präzisieren. Es wäre denbar, daß die häusliche Frühaufzucht von Kindern die Norm ist, aber historisch vielleicht nicht einwandfrei bewiesen (daß du von Laien sprichst, finde ich ja gewissermaßen sympathisch); vor allem störe ich mich aber an dem Adjektiv "unbewußt"; in einem psychoanalytischen Sinne (wenn auch nicht unbedingt streng im Freudschen - meint psychosexuellen - Sinne), kann das Unbewußte dem von dir benannten Grundsatz nämlich allzu häufig entgegenarbeiten! Wie dem auch sei, in einem späteren Beitrag hast du ja klargestellt, an eine Art Intuition denkst. Dein letzter Satz ergibt für mich übrigens irgendwie keinen Sinn für den Zusammenhang (ach doch - siehe unten)

Ja, unbewußt meine ich nicht im Freudschen Sinne, sondern eher als intuitiv/spontan. Ich kann das nur aus der heutigen Praxis erklären und rückschließen.
Laien, damit meine ich Familie und Umgebung von kleinen Kindern, formulieren idR wenige bis keine Erziehungsziele, sondern behandeln Kinder so, dass sie sich in die vorhandene Gruppenstruktur einfügen, im besten Falle bei weitmöglichster Schonung der Persönlichkeit des Kindes.
Dabei wiederholen sie im Alltag oft die Muster, die sie selbst in ihrer Kindheit erlebt haben.
Es mag aber daneben Erziehungsziele und -methoden geben, die noch als negativ erinnert werden oder die aus anderen Gründen ausdrücklich nicht wiederholt werden. Ich denke da z.B. an die Methode körperliche Gewalt. Der Bewertungswandel, den diese Methode in der jüngsten Zeit erfuhr, wirkte bis in die häusliche Laienerziehung.
Das gebräuchlichste Erziehungsziel war wahrscheinlich die Heranziehung eines Nachfolgers, der den erreichten Besitzstand erbte und die Traditionslinie fortsetzte. Bei einer sich schnell wandelnden Gesellschaft oder in Umbruchphasen könnte dieses Ziel schon innerhalb eines Menschenlebens korrigiert worden sein.
 
Angenommen ist gibt tatsächlich einen "engen Zusammenhang", möchte ich fragen, inwieweit sich dieser auf irgendeine Weise präzise fassen läßt
deMause sieht jede gesellschaftliche Veränderung "psychogen", also z. B. erst haben fortschrittliche Mütter in England das Selbst-Stillen in Mode gebracht, dann ist daraus eine fortschrittlichere Gesellschaft entstanden, dadurch hatte England bei der Industriellen Revolution einen Vorsprug vor Deutschland und Frankreich.

Mir ist eine solche Interpretation zu eindimensional, ich bevorzuge die Sichtweise einer wechselseitigen Ursache-Wirkungs-Beziehung (weil die Kindererziehung sich ändert, ändert sich die Gesellschaft und umgekehrt) . Damit widerspreche ich auch jedem Determinismus in Psychologie oder Geschichte.

Kann die Evolutionstheorie überhaupt adäquat sozialen Wandel erklären?
Die Darwinsche Evolutionstheorie ist für gesellschaftliche Prozesse völlig fehl am Platze. Die genetische Evolution läuft auf einer viel längeren Zeitskala ab als die paar tausend Jahre seit den ersten Hochkulturen. Auch meine ich, dass man nur in sehr begrenztem Ausmaß die Vererbbarkeit von "Verhalten" annehmen darf.

Ich möchte noch einmal hervorheben, dass es hier nicht darum geht, durch welchem Erziehungsstil welche Art von Persönlichkeit begünstigt wird (das wäre ja "nur" Psychologie), sondern darum, was passiert, wenn derselbe Erziehungsstil massenhaft in einem Land zu einer Zeit angewandt wird und somit die Befindlichkeit eines ganzen Volkes prägt. Aus dieser hohen Synchronität ergibt sich die neue Qualität der Psychohistorie gegenüber der Psychologie des Individuums.
 
Ich möchte noch einmal hervorheben, dass es hier nicht darum geht, durch welchem Erziehungsstil welche Art von Persönlichkeit begünstigt wird (das wäre ja "nur" Psychologie),
das ist nicht "nur" Psychologie, sondern auch Soziologie und Sozialpsychologie.

...sondern darum, was passiert, wenn derselbe Erziehungsstil massenhaft in einem Land zu einer Zeit angewandt wird und somit die Befindlichkeit eines ganzen Volkes prägt.
Aus dieser hohen Synchronität ergibt sich die neue Qualität der Psychohistorie gegenüber der Psychologie des Individuums.
Welche "Qualität"? :devil: Nein, ernsthaft, die Psychohistorie beschäftigt sich damit im wissenschaftlichen Sinne nicht. Was du meinst ist Soziologie, Sozialisationsforschung und Sozialpsychologie.
 
Was bliebe dann noch als Unterschied zwischen Psychohistorie und Sozialpsychologie übrig ? Es geht doch wohl darum, dass geschichtliche Enwicklungen über die kollektive Psychologie der Indviduen einer Gesellschaft im geschichtlichen Verlauf interpretiert werden. Hat die Sozialpsychologie ebenfalls eine geschichtliche Perspektive ? Wenn ja, ist einer der beiden Begriffe überflüssig.
 
Was bliebe dann noch als Unterschied zwischen Psychohistorie und Sozialpsychologie übrig ? Es geht doch wohl darum, dass geschichtliche Enwicklungen über die kollektive Psychologie der Indviduen einer Gesellschaft im geschichtlichen Verlauf interpretiert werden. Hat die Sozialpsychologie ebenfalls eine geschichtliche Perspektive ? Wenn ja, ist einer der beiden Begriffe überflüssig.
Abgesehen von angeborenem Verhaltenskomponenten, die wie du richtig bemerkst, nur sehr spärlich gesäht sind, ist das Einbeziehen einer historischen Perspektive so gut wie nicht möglich, da die Vpn tot sind. Lebende Vpn bzw. sehr detailierte Aufzeichnungen (zu) einer Person sind, insbesondere dann, wenn es um die Erforschung von Denken und Handeln geht - sei es nun individuell oder kollektiv - absolut unabdingbar. Die Psychohistorie arbeitet nicht wissenschaftlich, das sind reinste Spekulationen, die im wissenschaftlichen Sinne nicht belegt werden können.
 
deMause sieht jede gesellschaftliche Veränderung "psychogen", also z. B. erst haben fortschrittliche Mütter in England das Selbst-Stillen in Mode gebracht, dann ist daraus eine fortschrittlichere Gesellschaft entstanden, dadurch hatte England bei der Industriellen Revolution einen Vorsprug vor Deutschland und Frankreich.

Dieses deMause-Beispiel ist mir genauso suspekt wie die massenhaft auf´s Land zu Ammen verbrachten Säuglinge aus Paris.
Gibt es überhaupt verläßliche Quellen wie breite Bevölkerungsschichten in jenen Zeiten Kinder aufzogen.
Man weiß einiges über Bekleidung, Wickeltechnik und Unterbringung, jedenfalls sieht man in vielen Heimatmuseen Wiegen. Ältere Kinder gingen ins Gemeinschaftsbett.
Das Pariser Beispiel klingt nach Oberschicht oder wohlhabender Stadtbevölkerung, also Menschen die eine Wahl hatten, wie sie ihre Säuglinge versorgen wollten. Das gleiche gilt für die fortschrittlichen englischen Mütter, die ihre Säuglinge auf einmal wieder selbst stillten und damit die industrielle Revolution ermöglicht haben sollen.
In einem anderen von El Q. verlinkten Artikel Kartoffeln: Die Knollen des Wandels ? Seite 4 | Lebensart | ZEIT ONLINE wurde die englische industrielle Revolution z.T. der Kartoffel zugeschrieben.
Da paßt was nicht zusammen, da muß von verschiedenen Gesellschaftsschichten die Rede sein.

Ich möchte noch einmal hervorheben, dass es hier nicht darum geht, durch welchem Erziehungsstil welche Art von Persönlichkeit begünstigt wird (das wäre ja "nur" Psychologie), sondern darum, was passiert, wenn derselbe Erziehungsstil massenhaft in einem Land zu einer Zeit angewandt wird und somit die Befindlichkeit eines ganzen Volkes prägt. Aus dieser hohen Synchronität ergibt sich die neue Qualität der Psychohistorie gegenüber der Psychologie des Individuums.

Fällt dir ein Beispiel für massenhaft synchronen Erziehungsstil in der Geschichte ein? Oder meinst du massenhaft synchron nur auf die Oberschicht bezogen?
 
Fällt dir ein Beispiel für massenhaft synchronen Erziehungsstil in der Geschichte ein?
Natürlich, es geht darum, in welchem Maß und bis zu welcher Härte die körperliche Züchtigung üblich ist und als angebracht empfunden wird, ob und in welchem Alter Kinder die Familie verlassen (müssen), wie viel oder wenig die Bewegungsfreiheit von Säuglingen eingeschränkt wird (bis hin zum Fixieren auf einem Brett), ob (massenhaft) Infantizid praktiziert wird, ob/wie lange Kinder gestillt und wie ausreichend sie ernährt werden, ob es "in" ist, mit ihnen zu sprechen und ob sexueller Ge-/Missbrauch von Kindern häufig/üblich ist.

Ich bin allerdings der Meinung, dass man sich nicht so sehr auf Grausamkeiten und daraus resultierende Neurosen fixieren sollte. Deshalb suchte ich auch in einem früheren Beitrag nach einem "wertneutralen" Begriff für Neurose. Schließlich tradieren sich auch grundlegende emotionale Impulse, ohne dass dies als krankhaft bezeichnet werden kann. Ob nun das Leeressen des Tellers mit Prügeln oder mit Schuldgefühlen ("denk an die armen Kinder in Afrika") behaftet ist, ändert doch nichts am Vorhandensein solcher Neurosen/Glaubenssätze/Werte.

Wissen wir, was die flächendeckend einheitliche Anwendung von medizinischen Behandlungsmethoden bei der Geburt im Krankenhaus bewirkt ? I. Eibl-Eibesfeldt berichtete z. B. über die standardmäßige Desinfektion der Augen von Neugeborenen mit Silbernitrat, die den Blickkontakt zwischen Mutter & Kind bei einer ganzen Generation von Kindern in den ersten Stunden nach der Geburt von Kindern behinderte. Ergibt sich hier die Grundlage für einen kulturellen Unterschied zum Nachbarland, in dem das nicht praktiziert wird ?
 
@ rena8
Was die "Zwischenfrage betrifft: meinen Hinweis auf Elias wollte ich zunächst auf den letzten Halbsatz verstanden wissen - die Parenthese hätte ich mal besser bleiben lassen! Möglicherweise hatte solch einen Satz im Hinterkopf wie: "Die Kontraste des Verhaltens zwischen den jeweiligen oberen und unteren Gruppen verringern sich mit der Ausbreitung der Zivilisation" (Elias, Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation); ich dachte vor allem aber an eine wohl mal irgendwo gelesene Behauptung oder von mir selbst aufgestellte These, daß untere Schichten sich an den höheren orientieren.
In Bezug auf das Erziehungsthema etwa würde durch eine solche Übernahme bestimmter Maßnahmen etwa das vormals möglicherweise implizite Wissen über die Genese nicht mehr mit tradierbar, wodurch mehr Rigidität hinzukäme und Infragestellung schwieriger. Was den Wikipedia-Artikel betrifft, würde ich sagen, daß die Zivilisationstheorie dort ganz aufgearbeitet wurde.
Was ich mir überhaupt von einer Bezugnahme auf eine Zivilisationstheorie fürs Thema verspreche, ist mein Eindruck, daß sie generell besser bestimmte Kulturphänomene erklären können sollte, als etwa eine Evolutionstheorie.
Für mich geht es noch immer um die Bedingungen von Kinderaufzucht/ -erziehung in Bezug auf Gesellschaftsstruktur und Zivilisation
Bezüglich der Beziehung Kinderaufzucht <-> Gesellschaftsstruktur würde ich den Primat eben bei letzterem sehen: Wie du selbst feststellst, kann man davon ausgehen, daß Erziehung zuallererst und minimal intentional der Integration in eine Gruppe dienen würde. Eine Idee von "weitmöglichster Schonung der Persönlichkeit des Kindes" ist allerdings schon ein Kulturprodukt, entspricht einer bestimmten zeitgenössischen Wertvorstellung, der gewisse psychotechnische Wissentechniken im 20. Jahrhundert zugearbeitet haben. Wenn du "z. B. an die Methoden körperlicher Gewalt" denkst und den
Bewertungswandel, den diese Methode in der jüngsten Zeit erfuhr, wirkte bis in die häusliche Laienerziehung
würde ich diese Wirkung etwa noch weiter als kulturelle Entwicklung ansehen. Der Bewertungswandel ist in hohem Maße aus öffentlichen Diskursen hervorgegangen. Zur Gesetzlichen Entwicklung siehe: NOVO 49 : Ministerielle Familienstörung
 
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