Die sieben Generationen des 20. Jhdts.

El Quijote

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Bild entnommen aus Aleida Assmann: Geschichte im Gedächtnis. München 2007, S. 59.

Aleida Assmann identifiziert für das 20. Jhdt. sieben Generationen.

1. Die 14er Generation
2. Die 33er Generation
3. Die 45er Generation
4. Die Kriegskinder
5. Die 68er
6. Die 78er
7. Die 85er

Um gleich mit einem möglichebn Missverständnis aufzuräumen: "Generationen existieren [...] nie für sich, weshalb es irreführend ist, einzelne Generationen in der Wahrnehmung zu isolieren." (S. 69) Dennoch "verankert" das Geburtsdatum "jeden von uns existentiell in einer bestimmten Epoche..." (S. 31)

Gibt es Generationen? "Jein."

"Familiengenerationen lassen sich aufgrund des biologischen Reproduktionsabstandes trennscharf voneinander unterscheiden. Eine entsprechende naturwüchsige Evidenz kann es für den gesellschaftlichen Generationenbegriff nicht geben, da Menschen ja nicht in Clustern, sondern in einem stetigen Zeitkontinuum auf die Welt kommen. [...] Wer allein auf die empirisch-statistische Grundlage der Jahrgänge starrt, sieht nur das vorbeifließende [...] Und wird das Instrument des Generationenbegriffs ablehnen. Generationen entstehen aber nicht allein durch Geburtsdaten, sondern auch durch gleichartige Erfahrungen und Herausforderungen [...] kollektive Muster der Erfahrungsverarbeitung und retrospektive Identitätskonstruktionen. (S. 33f)
 
Mir scheint das eine sehr deutsche Sicht auf die Generationen. Für andere europäische Länder sieht die Sache ganz anders aus…

Gruss Pelzer
 
Mir scheint das eine sehr deutsche Sicht auf die Generationen. Für andere europäische Länder sieht die Sache ganz anders aus…
Aus diesem Grund steht das auch im Forum zBRD|DDR, obwohl einschränkend zu sagen ist, dass die Generationen für die DDR anders greifen. Das gilt für alle Nachkriegsgenerationen außer vielleicht der skeptischen Geberation (45er). Gerade auch die Generation, die zum Mauerfall im adoleszenten Alter war, unterscheidet sich in Ost und West ganz erheblich, die nachfolgenden Generationen werden durch die Erfahrungen ihrer Eltern und Großeltern zwar noch geprägt, machen aber eben ihre eigenen Erfahrungen, erleben ihre eigenen Herausforderungen, die Unterschiede zwischen Ost und West werden sich angleichen.
Auch die Schweiz wird ihre eigenen Generationen haben, die sich aber natürlich ganz anders konstituieren, als in Dtld., da wird es Gemeinsamkeiten geben (die 68er sind ja eine in der westlichen Welt in vielen Ländern erscheinende Generation - und somit in Ostdtld. eher marginal) aber naturgemäß eben auch Unterschiede. Das Gros der Schweizer Jugend kommt eben aus keinem Land, dass zwei Weltkriege geführt hat, hat vor anderen Herausforderungen gestanden.
 
Gerade auch die Generation, die zum Mauerfall im adoleszenten Alter war, unterscheidet sich in Ost und West ganz erheblich,
Wenn ich das richtig sehe, wird diese Generation (meine Genration) in der obigen Tabelle gar nicht erfasst. Die letzte Generation 85er, die Assmann da nennt, wird um 1985 erwachsen und ist somit in den 60ern geboren. Meine Generation verortet Assmann wahrscheinlich schon im 21. Jahrhundert, obwohl ich in den 90ern volljährig wurde.

Es kann natürlich auch sein, dass ich diese Tabelle total missverstanden habe, aber durch auslassen der sogenannten Generation X werden bei mir eher Fragen aufgeworfen. Die wichtigste ist: Was soll damit ausgesagt werden?
 
Für mich gibt es andere Ansatzpunkte, die deutschen "Generationen" zu unterscheiden, prägend sind ja schon die Jahre, in denen man seine Umwelt bewusst wahrnimmt und erste politische Überlegungen anstellt, also so in etwa ab 10 Jahren.

Besonders auffällig ist das für die Generation 1925-1940. Diese Generation kannte nichts anderes als die Nazis, den Krieg bzw. das Nachkriegselend. Das ist, in meinen Augen, die eigentliche "33er"-Generation.

Ein anderes Beidpiel, viel prägender als 1968 war doch eher die Periode "Wiederaufbau und Wirtschaftswunder". Dies wird in der Tabelle als "Zwischengeneration" abgefrühstückt.

In meinen Augen auch wichtiger als 68 waren die wirtschaftlichen Krisenjahre ab 73, die ich, in Ermangelung einer besseren Abgrenzung, bis zur Wiedervereinigung reichen lassen würde.

"Die 68er" waren immer nur eine kleine, lautstarke Minderheit, die nicht in der Breite der Gesellschaft Fuß fassen konnte.

Das es eine "85er" aber keine "89er"-Generation geben soll, finde ich den größten Schwachpunkt in der Darstellung. Es gibt nun mal ein Davor und ein Danach in der deutschen Geschichte. Die Mitte der 80er waren doch eher langweilig.
 
"Die 68er" waren immer nur eine kleine, lautstarke Minderheit, die nicht in der Breite der Gesellschaft Fuß fassen konnte.
Das ist eine sehr enge Sicht, denn die sog. 68er waren nicht nur die rebellierenden Studenten, auf die die Polizei prügelnd mit Pferden und Motorrädern hineinritt bzw. -fuhr, wovon die Bild-Zeitung dann jubelnd berichtete, sondern haben auch die SPD in die Regierung gewählt, die die Gesetze aus dem Kaiser- und Drittenreich abschaffte oder reformierte und die Ostpolitik gegen erhebliche Widerstände der Ewiggestrigen durchsetzte; ohne Unterstützung aus der Breite der Gesellschaft wäre das nicht möglich gewesen.
 
Das ist eine sehr enge Sicht, denn die sog. 68er waren nicht nur die rebellierenden Studenten, auf die die Polizei prügelnd mit Pferden und Motorrädern hineinritt bzw. -fuhr, wovon die Bild-Zeitung dann jubelnd berichtete, sondern haben auch die SPD in die Regierung gewählt, die die Gesetze aus dem Kaiser- und Drittenreich abschaffte oder reformierte und die Ostpolitik gegen erhebliche Widerstände der Ewiggestrigen durchsetzte; ohne Unterstützung aus der Breite der Gesellschaft wäre das nicht möglich gewesen.

Wenn Du Dir die obige Grafik nochmals anschaust, dann stellst Du fest, dass die "68" 1969 nur eine kleiner Teil der Wählerschaft waren (Jahrgänge 1940+). Für die Wahl Brandt und Co entscheidend waren doch eher dir Generationen "Flakhelfer" und "Kriegskinder".

Und es sind genau diese Generationen die als "skeptisch" und "Zwischengeneration" dargestellt wurden. Ich hab das Buch nicht gelesen, aber genau diese m.E. Herabwürdigung finde ich grundfalsch.

Es waren die Jahrgänge von 1918-35/40, die die Nazis nicht gewählt hatten und die zu jung waren, um Führungspositionen zwischen 33 und 45 eingenommen zu haben, aber die ganze Tragik bewusst wahrgenommen bzw. mitgemacht haben oder mussten.

Diese Generationen löste die "schuldbeladene", ältere Generation ab Mitte der 60er ab, diese Generationen führte die erforderlichen Reformen durch, Leute wie Brandt, wie Dahrendorf etc., nicht die paar zehntausend demonstrierenden Studenten.

"Die 68er" wurden erst ab den 80ern wirklich prägend, Stichworte Friedensbewegung, Die Grünen. Die als Lehrer, Anwälte etc. ab Ende der 70er den "Marsch durch die Indtitutionen" antraten. An die "Macht" sind sie, zumindest im Bund", sogar erst mit Schröder 1998 gekommen.
 
Wenn Du Dir die obige Grafik nochmals anschaust, dann stellst Du fest, dass die "68" 1969 nur eine kleiner Teil der Wählerschaft waren (Jahrgänge 1940+). Für die Wahl Brandt und Co entscheidend waren doch eher dir Generationen "Flakhelfer" und "Kriegskinder".
Nein, die in den 20er Jahren geborenen und in der Grafik als „45er-, Flakhelfer- oder Skeptische Generation“ bezeichneten wurden in der 12 Jahre dauernden Hitlerzeit verdorben, waren gegen Ende des Krieges oft fanatische Freiwillige. Wenn sie den Krieg überlebten, wurde sie danach nicht vom Nazigedankengut befreit, sondern stürzten sich – vielleicht schuldbewusst? – in den Wiederaufbau. Sie waren es, die, selbst immer noch wie in der Nazizeit kurz geschoren, den nach dem Krieg geborenen ihre langen Haare und Miniröcke verbieten wollten und es richtig fanden, dass der Staat hart gegen die nichtarbeitenden, sondern studierenden jungen Menschen vorging – dies vielleicht auch, weil sie neidisch waren, schließlich wurde ihnen ihre Jugend von den Nazis gestohlen.

Diese Langhaarigen haben aber durch ihre Ausbildung die Fähigkeit erworben, mit Geschichte zu argumentieren, und so den sog. Konservativen, in Wirklichkeit aber nach wie vor in Kategorien wie „unter Adolf hätte es das nicht gegeben“ oder „geht doch nach drüben“ denkend, gezwungen in den Spiegel zu schauen, worauf diese verstummten, ja verstummen mussten – von wenigen Ausnahmen mal abgesehen.

Revolutionen brauchen Vordenker, denn das Volk ist träge, will nicht gestört werden in seiner Selbstzufriedenheit, was, um zum Argument zurückzukommen, vor allem für jene galt, die das Wirtschaftswunder vollbracht haben und die Früchte ihrer Arbeit nun genießen wollten.

Ich habe schon einmal geschrieben: Der Satz aus der Verfassung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ konnte erst mit Leben erfüllt werden, nachdem dies auf den Straßen gefordert worden ist – und die Ewiggestrigen keine Argumente dagegen mehr gefunden haben, denn alles, was sie dagegen sagen konnten, klang nach dem 19. Jahrhundert oder dem III. Reich.
Oder nach Kirche. :D
 
Nein, die in den 20er Jahren geborenen und in der Grafik als „45er-, Flakhelfer- oder Skeptische Generation“ bezeichneten wurden in der 12 Jahre dauernden Hitlerzeit verdorben, waren gegen Ende des Krieges oft fanatische Freiwillige. [...]

Mag ja sein, nur hat sich das offensichtlich in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg geändert.

Der Einwand, dass die sozialliberale Koalition nur zu einem geringen Teil von der Jugend und den protestierenden Studenten mit auf den Weg gebracht wurde, war schon durchaus nicht unberechtigt.

1969 lag das Mindestalter für das aktive Wahlrecht noch bei 21 Jahren, d.h. das bei der Wahl 1969 überhaupt nur wahlberechtigt war, wer spätestens 1948 geboren worden war.
Das waren gerade einmal 3 Nachkriegsjahrgänge und an die 15 Jahrgänge nach der "Flakhelfer-Generation", die hatten überhaupt nicht das politische Gewicht eine Bundestagswahl gegen die vorherigen Generationen im Alleingang entscheiden zu können.
Für die politisch entscheidenden Ämter, von denen aus sich die Liberalisierung und Modernisierung der gesetzlichen Grundlagen durchsetzen lies, kamen die Nachkriegsgenerationen von ihrem Alter her noch nicht infrage.

Insofern kann deine Erzählung, dass mehr oder weniger alles, was vor Kriegsende geboren und sozialisiert wurde dauerhaft verstockte Fortschrittsverweigerer gewesen wären, die es geistig nie geschafft hätten NS-Zeit oder Kaiserreich hinter sich zu lassen, so nicht hinkommen.


Was du jetzt mit "langhaarigen" hast, verstehe ich auch nicht so ganz, vor allem nicht, warum du ausgerechnet diese Moderscheinung als besonders fortschrittlich betrachte möchtest.
Lange Haare waren ja durchaus auch im 19. Jahrhundert bei der aufkommenden deutschen Nationalbewegung (Stichwort "altdeutsche Tracht") schonmal in Mode.

Ist jetzt nichts, was die Studentenbewegung in den 1960er Jahren erfunden hätte, auch nicht als Symbol gegen eine als repressiv empfundene Obrigkeit, so liefen schon die radikalen Studenten 100 Jahre vorher herum.
Also diejenigen, die mit genau der nationalistischen Agenda herumliefen, von der ihre Nachfolger in den 1960er Jahren wegkommen wollten.

Diese Langhaarigen haben aber durch ihre Ausbildung die Fähigkeit erworben, mit Geschichte zu argumentieren, und so den sog. Konservativen, in Wirklichkeit aber nach wie vor in Kategorien wie „unter Adolf hätte es das nicht gegeben“ oder „geht doch nach drüben“ denkend, gezwungen in den Spiegel zu schauen, worauf diese verstummten, ja verstummen mussten – von wenigen Ausnahmen mal abgesehen.

Was haben die zitierten Stammtischparolen mit Ausbildung oder historischer Argumentation zu tun?

Mit Geschichte argumentieren, tut im Prinzip jeder, der behauptet "früher war das so und so und dieser Zustand war gut/schlecht/was auch immer", dazu braucht man keine Ausbildung.
Ob die Argumentation sinnvoll ist, ist dann eine andere Frage.

Revolutionen brauchen Vordenker, denn das Volk ist träge, will nicht gestört werden in seiner Selbstzufriedenheit, was, um zum Argument zurückzukommen, vor allem für jene galt, die das Wirtschaftswunder vollbracht haben und die Früchte ihrer Arbeit nun genießen wollten.

Revolutionen pflegen im Normalfall nicht stattzufinden, wenn das "träge" Volk zufrieden ist, auch wenn es sich bei dieser Zufriedenheit nur um Selbstzufriedenheit handeln sollte.
Was genau haben die denn die protestierenden Studenten vorgedacht, dass sie als geistige Anführer einer gesellschaftlichen Revolution unverzichtbar gemacht hätte?

Einen großteil dessen, was sich änderte mussten sie überhaupt nicht erfinden, da es die Weimarer Republik schon erfunden hatte und als Möglichkeit bei denen, die vor dem NS sozialisiert wurden im Bewusstsein schon vorhanden waren.

Das ist dann auch schon eher die Generation, die in den späten 1960er Jahren die Generation der Entscheidungsträger stellt.
Personen, die in den 1900er und 1910er Jahren geboren wurden und in der Weimarer Republik in ihrer Jugend mit einer Gesellschaft konfrontiert waren, die zwar instabil, gesellschaftlich aber teilweise liberaler war, als die frühe Bonner Republik.
Diese Leute brauchten keine Studenten um sie auf Ideen zu bringen, die sie bereits aus der gesellschaftlichen Realität ihrer Jugend kannten.

Ich habe schon einmal geschrieben: Der Satz aus der Verfassung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ konnte erst mit Leben erfüllt werden, nachdem dies auf den Straßen gefordert worden ist – und die Ewiggestrigen keine Argumente dagegen mehr gefunden haben, denn alles, was sie dagegen sagen konnten, klang nach dem 19. Jahrhundert oder dem III. Reich.

Äääähhhhhhhhhh dass die Gleichberechtigung der Frau aber bereits im Kaiserreich und in den 1920er Jahren politisches Thema ist, ist dir aber klar?

Mal abgesehen davon, das der Satz selbst an und für sich insofern ewiggestrig ist, als dass er die Rechte von Personen, die auch physisch weder eindeutig als männlich oder weiblich klassifiziert werden können, mit keinem Wort erwähnt.

Wenn wir tatsächlich Geschlechter-Diskurse zum Maßsstab dafür machen, wo Demokratie anfängt, dann fürchte ich wird man gemessen daran, was sich da in den vergangene Jahrzehnten getan hat, auch den 68er Studenten in der Regel kein besonders modernes Weltbild attestieren können.
Und wenn die Gleichberechtigung der Geschlechter und zwar nicht nur Papier, sondern in Realität (das beeinhaltet Lohnunterschiede, Alltagsdiskriminierungen, etc. etc.) zum Maßstab für den Beginn der Demokratie erhebt (als formalen Rechtsgrundsatz gibt es die Gleichberechtigung ja schon länger), dann fürchte ich werden wir auf den Beginn der Demokratie noch ein paar Dekaden warten müssen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und welche Generation war 1968 volljährig und aufmüpfig?
Die im und kurz nach dem II. Weltkrieg geborenen: 1968 – 1940 oder 1950 = 28 oder 18. Die Bezeichnung 68er ist nur eine Marke, denn die Revolution ging ja schon ab ca. 1965 los und bis ca. 1975 weiter. 1962 wurde z.B. Minirock kreiert und war 3 Jahre später schon überall zu sehen. Und Beatles schafften auch erst 1963/64 den Durchbruch und etablierten nach und nach lange Haare auch für Jungs.
 
Es gab keine "Revolution" von 1965-75 in Deutschland, nicht mal annäherungsweise wie in Frankreich.

Und der kulturelle Wandel begann nicht erst mit den Beatles und dem Minirock, sondern 10 Jahre früher mit Elvis und Jeans (oder mit Jazz und Nylons nach dem Krieg???).

Kultureller Wandel geht, fast immer, von den jüngeren Generationen aus. Gesellschaftlicher und politischer, auch fast immer, von der Generation 40+ (zunehmend älter werdend, demografischer Wandel).

Weil diese 40+ an den entscheidenden Positionen sitzen, Veränderungen durchsetzen zu können. Nicht nur in der Politik, auch in der Wirtschaft oder den Schulen. Darum wirkten "die 68er" auch erst 10, 20 Jahre später.

Aber 1965-75, und später, waren die "bestimmenden" Jahrgänge, die, die den Krieg bewusst erlebt und mitgemacht haben. Vielleicht sogar überzeugte junge Nazis waren. Die aber schon 1945, und nicht erst 1968, gesagt haben "Nie wieder". Gerade weil sie alles mitgemacht haben In einem Interview nannte Helmut Schmidt das mal, sinngemäß, die Regentschaft der (ehemaligen) Oberleutnants.

Neben dem Wiederaufbau (nicht aus Schuld sondern purer Notwendigkeit) und der Integration der Millionen von Vertriebenen, ist die vielleicht größte Leistung der Generation von 1920-1935 die, trotz Nazi-Indoktrination, gefestigte Demokraten geworden zu sein (ich sag nicht, was ich von heute denke).
 
Kultureller Wandel geht, fast immer, von den jüngeren Generationen aus.
Eben. Und wenn dieser kulturelle Wandel von den jungen Leuten entsprechend vertreten wird, dann müssen die Älteren, also die an Schalthebeln der Macht sitzenden, handeln. Das ging auch in der Phase so, von der wir sprechen.

Aber auch diese jungen Leute wurden älter, gingen geregelter Arbeit nach und gründete Familien. Und damit war auch Schluss mit Veränderungen, sie wählten konservativer und konsequenterweise kam dann Kohl mit seinem Slogan von der geistig-moralische Wende an die Macht.

Diese geistig-moralische Wende war nichts anderes als einer Reaktion auf die in den 1970er Jahren erreichten Freiheiten: Sie wurden nach und nach eingedämmt, aber auch BAföG wurde reduziert bzw. rückzahlungspflichtig gemacht, um die weniger privilegierte Bevölkerungsschichten aus den Universitäten zu drängen, man führte Privatfernsehen ein als Gegengewicht des zu kritischen öffentlich-rechtlichen (schon Adenauer wollte ein vom Staat abhängiges Fernsehen, und mit Privatfernsehen hat man jetzt eines geschaffen, der von der Wirtschaft, also vom Kapital abhängig war und zugleich der Verblödung der Massen diente, denn wer Nachmittags-"Talkshows" mit Bärbel Schäfer etc. schaut, demonstriert nicht), und nicht zuletzt Strafgesetze, u.a. auch Sexualität betreffend, wurden wieder verschärft.

Die Reaktionäre regierten 16 Jahre, dann kam das 7-jährige Intermezzo mit Schröder und Fischer, die einiges (z.B. BAföG) wieder zurechtrückten, um dann wieder der 16-jährigen Reaktion Merkels Platz zu machen.

Das alles ist keine Kritik, das sind Gesetzmäßigkeiten, die man in der Historie beobachten kann; es scheint, dass Gesellschaften nach turbulenten Veränderungen wieder das Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung haben – bis wieder eine Generation nachwächst, die mit dieser Ruhe und Ordnung nicht zufrieden ist.
 
Neben dem Wiederaufbau (nicht aus Schuld sondern purer Notwendigkeit) und der Integration der Millionen von Vertriebenen, ist die vielleicht größte Leistung der Generation von 1920-1935 die, trotz Nazi-Indoktrination, gefestigte Demokraten geworden zu sein (ich sag nicht, was ich von heute denke).

Das sehe ich genauso, und jetzt, wo ich selbst in das Alter komme, in dem die Alten damals waren, wo die alle der grüne Rasen deckt, komme ich zu der Überzeugung, dass die Lebens-Leistung dieser Kriegsgeneration von denen viele bei Null wieder anfangen mussten, der Wiederaufbau und die Orientierung in der sehr jungen Demokratie durchaus eine große war. Die meisten, die überwältigende Mehrheit ist doch im Laufe der Zeit in der Demokratie angekommen und wusste deren Vorzüge zu schätzen.

Ich bin heute der Ansicht, dass mehr an Aufarbeitung der Geschichte von dieser Kriegsgeneration vernünftiger Weise nicht mehr erwartet werden konnte, und das, was diese Generation in dieser Beziehung geleistet hat, durchaus eine Menge war.

Viele von ihnen haben sich die Serie Holocaust angesehen, und die meisten, die Allermeisten waren davon ehrlich erschüttert und nur sehr wenige zweifelten das an.

Die meisten mochten auch den Showmaster Hans Rosenthal, es ist ja irgendwie auch bezeichnend dass ein praktizierender Jude wie Hans Rosenthal in der BR es zum wohl beliebtesten Showmaster der Republik bringen konnte, und Rosenthal benötigte niemals Polizeischutz wie heute Hamed Abdel Samad oder Michel Friedmann.

Vieles was die Alten sagten, war politisch furchtbar unkorrekt. Als Väter waren sie oft sehr autoritär. Als Großväter aber waren viele erstaunlich nachsichtig, und im Laufe der Jahre haben die Alten doch auch so Manches erzählt, was nicht gerade zum nostalgischen Schwelgen passte.

Ich bedaure, dass ich meine Großeltern nicht mehr befragen kann. Da wäre noch so vieles, was ich sie gerne fragen würde, und ich bin davon überzeugt, dass ich sie zuletzt auch so weit hatte, dass sie über den Holocaust gesprochen hätten.

Ich glaube, dass mein Opa Anfang bis Mitte 1942 Irgendetwas erlebt hat, das ihn unglaublich traumatisiert haben muss, und das es etwas gewesen sein muss, das die unglaublich grausame Realität an der Ostfront noch bei weitem übertraf.
Ich glaube auch, dass mein Opa darüber mit meiner Oma gesprochen hat und ihr gleichzeitig so etwas wie ein Schweigegelübde abnahm und ihr einschärfte, dass sie darüber niemals mit jemanden darüber sprechen darf.
 
Ich glaube, dass mein Opa Anfang bis Mitte 1942 Irgendetwas erlebt hat, das ihn unglaublich traumatisiert haben muss, und das es etwas gewesen sein muss, das die unglaublich grausame Realität an der Ostfront noch bei weitem übertraf.
Ich glaube auch, dass mein Opa darüber mit meiner Oma gesprochen hat und ihr gleichzeitig so etwas wie ein Schweigegelübde abnahm und ihr einschärfte, dass sie darüber niemals mit jemanden darüber sprechen darf.
Der älteste Bruder meines Vaters, vor etwa 25 Jahren verstorben, war im Krieg, mein Vater wurde erst während des Krieges geboren (10/11). Ich habe meinen Onkel nie nach dem Krieg gefragt und mein Vater erzählte mehrfach, dass sein Bruder sich nach seiner Rückkehr aus dem Krieg (ich weiß weder, ob er in Gefangenschaft war, oder ob er verletzungsbedingt bereits vor Kriegsende zuhause war, ich weiß, dass er sich Verletzungen zugezogen hatte, aber nicht wann) wohl einmal die Erlebnisse von der Seele geredet hat und danach dieses Thema nie wieder thematisiert hat/thematisiert wissen wollte. Ich weiß also nicht, ob mein Onkel an Verbrechen beteiligt war, oder sie zumindest direkt mitbekommen hat (mitbekommen haben sie sie alle). Über meine Großeltern sagt mein Vater, dass sie nach dem Krieg offen davon gesprochen haben, dass sie gewusst hätten, dass die Juden im Osten verschwänden, mein Großvater starb allerdings vor meiner Geburt und meine Großmutter, als ich noch sehr klein war. Ich weiß hier allerdings nicht, ob meine Großeltern nicht eher von T4 gesprochen haben, als vom Holocaust. Mein Vater war ja nach dem Krieg noch klein.
 
Der älteste Bruder meines Vaters, vor etwa 25 Jahren verstorben, war im Krieg, mein Vater wurde erst während des Krieges geboren (10/11). Ich habe meinen Onkel nie nach dem Krieg gefragt und mein Vater erzählte mehrfach, dass sein Bruder sich nach seiner Rückkehr aus dem Krieg (ich weiß weder, ob er in Gefangenschaft war, oder ob er verletzungsbedingt bereits vor Kriegsende zuhause war, ich weiß, dass er sich Verletzungen zugezogen hatte, aber nicht wann) wohl einmal die Erlebnisse von der Seele geredet hat und danach dieses Thema nie wieder thematisiert hat/thematisiert wissen wollte. Ich weiß also nicht, ob mein Onkel an Verbrechen beteiligt war, oder sie zumindest direkt mitbekommen hat (mitbekommen haben sie sie alle). Über meine Großeltern sagt mein Vater, dass sie nach dem Krieg offen davon gesprochen haben, dass sie gewusst hätten, dass die Juden im Osten verschwänden, mein Großvater starb allerdings vor meiner Geburt und meine Großmutter, als ich noch sehr klein war. Ich weiß hier allerdings nicht, ob meine Großeltern nicht eher von T4 gesprochen haben, als vom Holocaust. Mein Vater war ja nach dem Krieg noch klein.

Ich glaube nicht, dass mein Großvater Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen Zivilisten begangen hat, halte es aber für sehr wahrscheinlich, dass er auf diese oder jene Art Zeuge davon wurde. In der Gegend um Reschew im frontnahen Bereich gab es viele Massaker und Juden-Razzien.

Ich vermute dass da Frauen oder Kinder im Spiel waren, und dass das Erlebnis zu einem ernsthaften Loyalitäts-Konflikt geführt hat. Mein Opa war eigentlich gelernter Stellmacher, hatte sich aber 1936 zur Wehrmacht gemeldet und war Berufssoldat und Oberfeldwebel. Er war kein Parteimitglied, er wäre auch nicht der Typ gewesen, der Soldaten gemeldet hätte, die sich Erfrierungen beibrachten oder "Selbstverstümmelungen", er stand aber mit Sicherheit noch bis 1944 loyal zum Staat.

Meine Großeltern sprachen offen darüber, wo Juden wohnten, wie die hießen, wie die so drauf waren, auch dass ihnen dieses oder jenes Unrecht angetan wurde, und dann waren sie auf einmal alle weg die Wallachs, Spiegels, Höxters, Mendelsohns und wie sie alle hießen.

Wenn man nachfragte, was aus ihnen geworden sei, hieß es, diese oder jene Familie sei nach Amerika ausgewandert.
Zwei Schwestern schickten meiner Urgroßmutter tatsächlich noch jahrelang Care-Pakete.

Über das Schicksal von Juden in den besetzten Gebieten oder im Hinterland der Ostfront haben meine Großeltern nicht viel berichtet oder zu berichten gewusst. Ich habe aber auch nie gezielt danach gefragt.

Als Kind fiel mir auf, dass eine winzige Anspielung, eine zufällig hingeworfene Bemerkung oft genügten, und es verbreitete sich ein eisiges Schweigen, als gäbe es eine Vereinbarung bestimmte Themen auszublenden.

Meist kam dann eine harmlose Anekdote, wie man an der Ostfront mitten im Zusammenbruch Benzin organisierte oder 1940 die Eroberung von Paris feierte und Mouton de Rothschild aus der Feldflasche trank.

Vordergründig war da überhaupt nicht erkennbar, dass von Kriegsverbrechen die Rede war. Die Älteren aber verstanden die Anspielungen sofort, schalteten sofort, konnten in Zusammenhängen denken.

Ich erinnere mich nur an eine einzige Anspielung meiner Oma, wir waren damals noch Kinder, erst nachträglich, viel später konnte ich das einordnen.
 
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