Die Underground Railroad- Amerikas erste Bürgerrechtsbewegung

Scorpio

Aktives Mitglied
Der Name ging auf Kopfgeld- und Sklavenjäger zurück, die in den 1840er Jahren flüchtige Sklaven bis zum Ohio verfolgten und dann die Erfahrung machten, dass diese plötzlich wie vom Erdboden verschwunden waren, als wenn sie mit einer unterirdischen Eisenbahn den Ohio passiert hätten. Manche weiße und schwarze Abolitionisten, die ein Netzwerk von Quartieren von Maryland, west-Virginia, kentucky über Ohio und Pennsylvania und später bis nach Kanada organisierten und sich in der Underground Railroad engagierten wurden über die Grenzen der USA hinaus bekannt wie William Loyd Garrison, Frederick Douglas, Harriet Tubman oder John Browne, die Mehrzahl der "Schaffner" blieb dagegen anonym.

Es gab spektakuläre Fluchten,die für Furore sorgten und einer der wenigen Sklaven, der tatsächlich mit der Eisenbahn in die Freiheit flüchtete, war der Abolitionist und Schausteller Henry Box Brown, den ein Schuster in einer Kiste verstaute, in die sich Henry Box Brown ein paar Luftlöcher gebohrt hatte und als Expressgut mit der Eisenbahn nach Philadelphia schickte. Henry Box Brown kam nach drei Tagen heil an, bedauerte allerdings dass man ihn auf den Kopf gestellt hatte. Doch die meisten Fluchtversuche scheiterten.

Es wäre auch verkehrt, anzunehmen, dass weiße Agenten und Schaffner der Underground- Railroad den Süden durchstreiften,um schwarzen Sklaven zur Flucht zu verhelfen. Zumal im tiefsten Süden waren entflohene Sklaven zunächst einmal auf sich allein gestellt.

Wie konnte überhaupt ein schwarzer Sklave, der weder Kompass noch Karte hatte, der nicht lesen und schreiben lernen durfte und in den meisten Fällen nur die nähere Umgebung der Plantage kannte Informationen sammeln, wie sich orientieren?

In diesem Punkt waren Sklaven sehr erfindungsreich, Informationen wurden in Flüsterpropaganda weitergegeben, man nutze einen Kulturcode von Zeichen und Zinken an Bäumen, es gab Erkennungscodes wie man sich die Hand gab, an denen man Schaffner oder Quartierleute erkennen konnte, denen man vertrauen durfte.

Ein sehr wirkungsvolles Medium waren Gospels und Spirituals.
So soll das Spiritual "Just follow the Drinking gourd" auf einen schwarzen Schaffner Pet Leg Joe zurückgehen, und der song gibt Informationen, die zur flucht nützlich sind.

Der Drinking Gourd (Flaschenkürbis) ist ein Synonym für das Sternbild des Großen Wagens mit dem polarstern, das in den USA "The Great Dipper" (die schöpfkelle) genannt wird.

Der Songtext bietet eine detaullierte Orientierung von Mobile Alabama, über den Tennesseriver zum Ohio

When the sun come and the quails (wachteln) call
then the time is come

Foller the drinking gourd,
Foller the drinking gourd.

Der Frühling, wenn die Tage länger werden ist die beste Zeit, zur Flucht, orientier dich am Polarstern

2
The River bank am a good road,
The Day trees show the way
Left food, peg wood going on

Just foller the drinking gourd

Halt dich ans Ufer des Tombigbeeriver,
Tagsüber zeigen dir Bäume den Weg, die mit Zinken versehen sind
(ein Fuß, ein Holzbein
3. Just foller the drinking gourd

4. wHa the little river meet a big one
The Ole man waits to carry you to Freédom
Just foller the drinkin´ gourd

Spielt auf den Tenesseeriver an, der bei padukah/ Kentucky in den Ohio mündet. Der Ole man ist ein Synonym für den Riverboatcaptain, der Flüchtlinge übersetzt, falls sie es soweit geschafft haben sollten.




Fortsetzung folgt... rege Beteiligung erwünscht
 
Anscheinend ist dieser Thread dazu verdammt, in die ewigen Jagdgründe einzugehen, schade eigentlich.

Ich musste beim letzten Olmeken/Phönizier/Schwarzafrikaner Thread daran denken, dass ich mehrfach davon hörte, dass schwarze Sklaven zu Indianerstämmen flüchteten und als Stammesmitglieder von diesen adoptiert wurden. Mir war das allerdings nur von den Seminole bekannt, doch im Grunde ist es durchaus logisch, denn geflüchtete schwarze Sklaven kannten die Sprache und die Sitten und Gebräuche des weißen Mannes und konnten daher von Nutzen sein.

@Ingeborg, weißt du vielleicht mehr darüber.
 
Der Fugitive Slave Act von 1850 war für Schwarze und Abolitionisten gleichermaßen eine Katastrophe, und es boten die freien Nordstaaten, die entlaufenen Sklaven einen sicherern Hafen geboten hatten, plötzlich keinen Schutz mehr. Das Gesetz war derart willkürlich, dass es in den Nordstaaten Proteste und passiven Widerstand erregte, und der Staat Wiskonsin erklärte es gar für verfassungswidrig.

Ehemalige Sklaven, aber auch freie Afroamerikaner, die niemals Sklaven gewesen waren, mussten damit rechnen, von Kopfgeldjägern verschleppt und als Sklaven verkauft zu werden. Es stand den Betroffenen weder das Recht zu, einen Rechtsbeistand zu konsultieren oder sich auch nur zur Sache äußern zu können. Es gab in Illinois ganze Countys wo es keine Schwarzen mehr gab, weil Sklaven- und Kopfgeldjäger, aber auch US- Marshalls alle Afroamerikaner, Sklaven oder nicht gefangen und verschleppt hatten. Ein US- Marshall, der einen gefangenen schwarzen einbrachte, kassierte eine Belohnung von 10 Dollar. Falls es tatsächlich mal einer ganz genau wissen wollte, ob der Gefangene tatsächlich ein Entlaufener Sklave war, erforderte das einen enormen bürokratischen Aufwand samt Bearbeitungsgebühren, was in der Natur der Sache dazu führte, dass keine Untersuchungen angestellt wurden.
Da es vereinzelt zu Widerstand auch mit handgreiflichen Mitteln in den Nordstaaten NY, Mi, Ohio kam wurde der Fugitive Slave Act verschärft. US- Marshalls, die keine Gefangenen vorweisen konnten, musste eine 100 $ Geldstrafe bezahlen. Als Rechtsmittel genügte die von einem Zeugen bestätigte Behauptung, es handele sich um einen flüchtigen Sklaven, während diesem jegliche Rechtsmittel versagt blieben.

Wer einem flüchtigen Sklaven Unterkunf oder Nahrung gewährte, musste mit empfindlichen Geld- und Haftstrafen rechnen. Wer zufällig Zeuge wurde, einer Sklavenhatz, bzw einer Hatz auf freie schwarze, konnte per Gesetzt verpflichtet werden, sich zu beteiligen, wollte er nicht mit Geld- oder Gefängnisstrafen bedroht werden.

In Harriet Beecher Stowes Roman "Uncle Toms Cabin" flüchtet die Sklavin Eliza auf triftenden Eisschollen über den Ohio (übrigens ein historischer Fall wie Beecher- Stowe später in ihrem Buch "A Key to Uncle Tom" anführt) und findet im Haus des Senators Byrd Obdach.

Der Senator hat übrigens selbst dem Gesetz zugestimmt, was seine Frau auf die Palme bringt, die ihn dazu bringt, die entlaufene Sklavin bei Quäkern in der Nachbarschaft unterzubringen. Nach dem Gesetz hätten die Byrds mit 6 Monaten Gefängnis und 600 $ Geldstrafe rechnen müssen.
Ein weißer Kapitän, der Sklaven zur Flucht verhalf wurde gebrandmarkt mit einem SS auf der Handfläche für "Slavestealer"

Statt nach Ohio, Pennsylvania Illinois und die Nordatlantischen Staaten, mussten Sklaven jetzt bis Kanada fliehen, und es musste die Underground Railroad ihr Netzwerk ausdehnen. Der Fugitive Slave Act war aus Sicht der Sklavenhalter sehr erfolgreich, eine unbeabsichtigte Folge war, dass Nordstaatler, die die Sklaverei mehr oder weniger ignorieren konnten, damit konfrontiert wurden. Baumwollspinnereien in New York und den Neuenglandstaaten profitierten am Boom von "King Cotton", ebenso wie Banken und Versicherungskonzerne die Kapital orschossen oder Sklaven versichern konnten.

In Syracuse New York halfen empörte Bürger einem gewissen Jerry zur Flucht, der aufgrund des Fugitive slave act festgenommen wurden. Es waren eher wenige amerikaner, die überzeugte Abolitionisten waren und William Loyd Garrisons Magazin "The Liberator" lasen, mit dem ungeheuren Erfolg von Beecher Stowes "Uncle Tom", der eine Fülle von Persiflagen und Plagiaten inspirierte, wendeten sich in den Nordstaaten immer mehr Leute gegen die Sklaverei.

Einer Anekdote nach soll Abraham Lincoln bei einer Audienz Beecher- Stowes ausgerufen haben:
"So that is the little Lady that started this Great War!"

In der Underground Railroad aber machte vor allem eine ungewöhnliche Frau von sich reden, die die erfolgreichste Schaffnerin auf der Underground Railroa wurde.
Harriet Tubman, die respektvoll "Moses" genannt wurde, wuchs in Maryland auf, wo sie von verschiedenen Masters misshandelt wurde und eine Kopfwunde davontrug, die ihr ein Lebenlang zu schaffen musste. Sie hatte bereits als Teenager zwei Fluchten mit ihren Brüdern riskiert, die scheiterten.
Harriet nahm sich vor, das nächste Mal alleine zu fliehen, was 1849 gelang. Kaum in Philadelphia angekommen, schmiedete sie Pläne, ihre Familie zu befreien, was ihr in vielen Touren gelang. Drohten entmutigte Flüchtlinge in Panik auszubrechen oder zu resignieren, griff Tubman auch schon mal zum Revolver als Motivationshilfe, aber in ihrer ganzen langjährigen Aktivität verlor Tubman nicht einen einzigen Passagier.

Im Bürgerkrieg betätigte sich "Moses" zunächst als Köchin und Krankenschwester, nahm aber bald darauf als Agentin füt die Union an einigen Unternehmen teil.
 
Das Thema möchte ich gern noch einmal aus der Versenkung holen und Scorpio für die interessanten Beiträge danken.

Selber habe ich dazu bislang kaum etwas lesen können. Derzeit bin ich beim Durchblättern von:

Lowell Soike, Necessary courage: Iowa’s Underground Railroad in the struggle against slavery, 2013.

Schildert die Bewegung aus Sicht von Iowa, zu den angrenzenden Staaten.
 
Frederick Douglass äußerte sich in seiner Autobiographie eher skeptisch über die "Underground Railroad". Er lobte den Mut und das Engagement der beteiligten Abolitionisten, kritisierte aber, dass Berichte über geglückte Fluchten und Fluchtrouten die Sklavenhalter wachsamer gemacht hätten. Um so effektiv wie möglich zu sein, müsste über derartige Dinge absolutes Stillschweigen gewahrt werden.

Douglass begrüßte auch, dass die UR das Sicherheitsgefühl der Sklavenhalter ankratzte, dass aber die Angst vor der Rache der Versklavten sie noch grausamer machen würde.

Sklavenaufstände hatte es seit der "Stono Rebellian" in den 1740er Jahren in North Carolina immer wieder gegeben. Nach dieser Erfahrung wurden Gesetze erlassen, dass Sklavenhalter bewaffnet zum Gottesdienst gehen durften.
1831 erschütterte der Aufstand Nat Turners den gesamten Süden. Nat Turner war von seinem Master im Christentum unterwiesen worden und hielt sich ähnlich wie später John Brown für einen Propheten, der berufen war, seine Leidensgenossen aus der Sklaverei zu befreien. Eine Sonnenfinsternis erschien ihm als zeichen des Himmels, und gemeinsam mit anderen Sklaven tötete er seine Besitzer und insgesamt 55 Weiße.

Milizen töteten darauf als Vergeltungsmaßnahme mehr als 100 unschuldige Sklaven, und letzlich trug Turners aufstand eher dazu bei, dass die Slave Codes noch stärker verschärft wurden.

Douglass erwähnt in seiner Autobiographie einige Fälle von Sklavenhaltern, die durch Angst zu brutalen Maßnahmen motiviert wurden.

Douglass wurde als Jugendlicher an ein Ehepaar in Baltimore vermietet, und erlebte ein Wunder: Seine Herrin lächelte ihn an. Sie war die erste weiße Frau, die ihm so etwas wie Freundlichkeit entgegenbrachte, die nicht ausflippte, wenn er ihr ins Gesícht sah. Diese Frau brachte ihm Grundbegriffe des Lesens und schreibens bei, bis ihr Mann es ihr verbot. Allerdings entwickelte sich diese "einfältige Seele" bald zur Despotin.

Douglass Autobiographie kann ich jedem Freund amerikanischer Literatur des 19. Jhds wärmstens empfehlen. Hemingway schrieb einmal Mark Twains Huckleberry Finn sei das erste wirklich gelungene Werk amerikanischer Literatur. Douglass Autobiographie ist den Werken von J. F. Cooper, Nathaniel Hawthorne, Herman Melvilles, Edgar Allan Poe, Walt Whitman und Harriet Beecher Stowe absolut ebenbürtig. Die ironische Distanz mit der Douglass das Alltagsleben eines amerikanischen Sklaven beschreibt, ist weitaus beklemmender,als Beecher Stowes "sentimental novel" Uncle Tom´s Cabin.

Vergegenwärtigt man sich, wie und unter welchen Voraussetzungen Douglass sich die Kenntnisse der Schriftsprache aneignete, wird man ihn unbedingt zu den Größten nicht nur der amerikanischen, sondern der Weltliteratur zählen müssen.
 

Der Artikel ist eine Rezession eines neu erschienen Buches von Eric Foner: Gateway to Freedom- The Secret History of the Underground Railroad. Foner hat vor ein paar Jahren für ein Buch über Lincoln und seine Einstellung zur Sklaberei u.a. den Pulitzerpreis erhalten. Laut Rezensent sind historische Werke zu dem Thema seltener als man glaubt. So kann Foner einige Dinge neu oder in neuem Licht darstellen.

Foner beschreibt die Railroad als sehr flexibles, wenig organisiertes Netzwerk, Die Zahl der Passagiere wird wohl generell überschätzt, die moralische Wirkung auf Sklavenhalter und Sklavenbefreier war aber sehr hoch. Das deckt sich ja in etwa mit den von Scorpio zitierten Aussagen von Frederik Douglass. Insbesondere bezüglich der steigenden Brutalität der Sklavenhalter.

Dargestestellt wird auch die weitgehend verdrängte Rolle von New York im Sklavengeschäft: so waren 1790 immerhin 40% der Einwohner Brooklyns Sklaven. Auch nach Abschaffung der Sklaverei 1827 lebte die Stadt gut vom Handel mit Tabak, Zucker, Baumwolle. Aber auch von der Auslieferung von Flüchtlingen und dem illegalen Fang und Verkauf von freien Schwarzen in den Strassen der Stadt.

Daneben einiges anekdotisches: etwa Dr. Samuel Adolphus Cartwrights Beschreibung typischer Negerkrankheiten: Faulheit und Tanzsucht, eine übertriebene Abneigung gegenüber der Auspeitschung (Schwarze hätten eine Babyhaut) und, schlimmste von allen, die Drapetomania - die krankhafte Neigung, aus der Sklaverei zu entfliehen. So kann man es natürlich auch sehen.

Vielleicht nicht ganz ernst gemeint: die Fundraiser zur Finanzierung der Railroad, die vor allem vor den Winterfeiertagen abgehalten wurden, hätten dazu beigetragen, die Christmas Shopping Season in den Staaten zu etablieren
 
Ich lese gerade den mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman "Undergrpund Railroad" von
Colson Whitehead. Ich hatte gehofft näheres über das Funktionieren der Undergrpund Railroad zu erfahren. Allerdings ist die Beschreibung Whiteheads etwas bizarr. Er beschreibt das Hilfsnetzwerk so, wie ich es mir als Kind vorgestellt habe: Als unterirdisches Tunnelnetzwerk, auf dem die Entflohenen mit Zügen transportiert werden.

Das ist doch wohl nur als (merkwürdige) Metapher gemeint sein. Es gab doch nicht wirklich unterirdische Fluchtstrecken von Staat zu Staat.
 
Ich lese gerade den mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman "Undergrpund Railroad" von
Colson Whitehead. Ich hatte gehofft näheres über das Funktionieren der Undergrpund Railroad zu erfahren. Allerdings ist die Beschreibung Whiteheads etwas bizarr. Er beschreibt das Hilfsnetzwerk so, wie ich es mir als Kind vorgestellt habe: Als unterirdisches Tunnelnetzwerk, auf dem die Entflohenen mit Zügen transportiert werden.

Das ist doch wohl nur als (merkwürdige) Metapher gemeint sein. Es gab doch nicht wirklich unterirdische Fluchtstrecken von Staat zu Staat.

Die Chancen, für eine erfolgreiche Flucht waren sicher weitaus größer von einem der Grenzstaaten aus, etwa Maryland, Delaware, Missouri, Virginia und Kentucky. Eine Flucht aus South Carolina, Georgia, Louisiana oder Mississippi dürfte weitaus schwerer und weniger erfolgversprechend gewesen sein. Entlaufene Sklaven und Abolitionisten, die bereit waren, ihnen aktiv zu helfen, mussten sich ja erst einmal finden. Es ist auch die Frage, wie dicht das Netzwerk der Underground Railroad im tiefsten Süden war oder sein konnte. In dem Artikel, den Steffen 04 verlinkt hat, steht, dass die Mitgliedschaft in der Underground Railroad keineswegs anonym und bekannt war und einige Persönlichkeiten sich ganz offen dazu outeten, Abolitionisten oder gar "Schaffner" (Conductor) der Railroad zu sein.

Das war freilich nur in den freien Staaten möglich. Sich im tiefsten Süden zum Abolitionismus zu bekennen, hätte das gesellschaftliche Aus bedeutet, wenn nicht gar Abolitionisten oder Fluchthelfer riskieren wollten, von einem wütenden Mob gelyncht zu werden. Mit dem Fugitive Slave Act wurden auch im Norden die Schrauben enger gezogen.

In Harriet Beecher-Stowes ist eine Episode beschrieben. Der Senator Byrd aus Ohio erzählt seiner Frau, dass er in Washington für dieses Gesetz, eben den Fugitive Slave Act gestimmt hat. Als dann aber die entflohene Sklavin Eliza mit ihrem kleinen Sohn bei Byrds vor der Haustür steht, verstößt er gegen das Gesetz, für das er selbst gestimmt hat und hilft mit Kleidung und Lebensmitteln aus und bringt die Entflohenen in einer Quäkersiedlung unter, die dann die weitere Flucht bis nach Kanada organisieren (Mit dem Fugitive Slave Act hatten die freien Staaten aufgehört, ein sicherer Hafen zu sein). Senator Byrd hätte in der Realität das Ende seiner politischen Karriere und mindestens eine Geldstrafe von 5000 $ gedroht. Die Quäker Simeon Halliday und Phineas Fletcher, die den Entflohenen helfen und sich mit Sklavenfängern einen Kampf liefern hätten lange Haftstrafen gedroht.

Sklaven, die aus Grenzstaaten flüchteten, konnten über freie Schwarze eher an Adressen kommen, wo ihnen mit Kleidung, Nahrung, Obdach geholfen wurde. Aus den Grenzstaaten nach Ohio oder New York oder Pennsylvania schien zumindest nicht völlig aussichtslos. Die Underground Railroad war dann sicher eine Hilfe, um dann auch dauerhaft frei bleiben zu können.

Frederick Douglass floh von Maryland nach New York, er hatte mit einem Seemann den Pass getauscht, und er hatte in Maryland, in der Stadt Baltimore relativ große Bewegungsfreiheit genossen. Sein Eigentümer, oder besser gesagt dessen Bruder hatte ihn als Kalfaterer vermietet und Douglass konnte in Baltimore auf reiche soziale Kontakte, etwa freie Schwarze zurückgreifen- und wichtiger noch: Douglass hatte sich selbst lesen und schreiben beigebracht. In New York warnten ihn freie Schwarze vor Sklavenfängern und rieten ihm, nach Massachusetts zu gehen, wo er als Kalfaterer Arbeit in New Bedford fand. New Bedford war damals Zentrum des amerikanischen Walfangs und als Quäker-Hochburg auch ein Zentrum des Abolitionismus. Bei einer Versammlung von Abolitionisten sollte Douglass ein paar Worte sagen, und er beeindruckte das Publikum mit seinen Erlebnissen. Er veröffentlichte dann die erste von insgesamt drei Autobiographien The Narrative of Frederick Doulass, an American Slave, My Bondage and my Freedom, The Life and Times of Frederick Douglass. Mit Spenden von Bewunderern und den Tantiemen seiner Bücher kaufte sich Douglass nachträglich frei. Seine Freiheit wäre nach dem Fugitive Slave Act in ständiger Gefahr gewesen, und es lebte Douglass einige Jahre in GB.

Sklaven, die aus dem tiefsten Süden flohen hatten weit weniger Chancen. Um auf die Hilfe eines guten Netzwerks zurückgreifen zu können, musste ein Sklave erst einmal den Schutz der freien Staaten erreichen. Ohne Landkarte, ohne Fluchthelfer, die Nahrung, Kleidung und Obdach gewähren, zu Fuß und nur mit dem Nordstern als Wegweiser, verfolgt von berittenen Sklavenfängern, von Hunden verfolgt, waren Sklaven für die längste und gefährlichste Wegstrecke fast ausschließlich auf sich selbst angewiesen, und die weitaus überwältigende Mehrheit der Sklaven, die eine Flucht riskierten, wurden wieder eingefangen.

Die Underground Railroad konnte eigentlich erst dann eine Sklavenflucht unterstützen, wenn ein Sklave bereits den gefährlichsten Teil der Flucht geschafft hatte. Sie war aber schon eine unschätzbare Hilfe für entflohene Sklaven, um dauerhaft auf freiem Fuß zu bleiben, um Start- und Lebenshilfe für eine neue Existenz in Pennsylvania oder Massachusetts zu erhalten oder um die weitere Flucht bis nach Kanada zu organisieren.

Wie gesagt, mit dem Fugitive Slave Act von 1851 hörten die Nordstaaten auf, ein sicherer Hafen zu sein. Das Schicksal, was dem Protagonisten in 12 Years a Slave droht, basiert auf einer wahren Geschichte. Aus den Nordstaaten wurden Tausende von Schwarzen in die Sklaverei verschleppt, ohne die Möglichkeit, ein Gericht anzurufen. Es genügte eine eidesstattliche Erklärung eines Sklavenjägers, dass dieser Sklave ihm entlaufen ist. Es wurden zahlreiche Schwarze verschleppt, die niemals Sklaven gewesen waren. In letzter Konsequenz steigerte dieses brutale Vorgehen die Akzeptanz für den Abolitionismus in den USA. In Beecher Stowe Romans werden zwei Sklavenschicksale beschrieben. Der Protagonist Uncle Tom wird von Kentucky nach Louisiana verkauft und stirbt an den Misshandlungen seines Eigentümers, des Yankee Simon Legree, während die Sklavin Eliza mit ihrem Sohn und ihrem Ehemann nach Kanada flieht und am Ende nach Liberia geht.

Liberia war sozusagen eine Abolitionistenkolonie, gegründet von ehemaligen Sklaven aus den USA.
 
Ich sehe mir gerade auf Youtube einen Film an, Freedom von 2014. In dem Streifen geht es um zwei parallele Schicksale: Die Flucht einer Familie von Sklaven aus Virginia zur Zeit der Antebellum Ära im Süden und die Reise eines Sklaven-Vorfahren, der im 18. Jahrhundert auf einem britischen Sklavenschiff nach South Carolina verschleppt wird.

Die Flucht der Sklaven wird in dem Film recht authentisch dargestellt. Die fliehenden Sklaven werden von Mitgliedern der Underground Railroad befreit, sind aber auf dem 1. Teil der Reise weitgehend auf sich selbst und auf sogenannte Zinken angewiesen, graphische Zeichen, ähnlich den Bettler- und Gaunerzinken der rotwelschen Subkultur, die anzeigen, in welche Richtung man gehen muss, wer schon voran gegangen ist. Einer der Flüchtenden, ein Mann namens Big Hand wird von Sklavenfängern erwischt, die anderen erreichen einen Treffpunkt und bekommen von einem Conductor, ein Quäker, einen Kompass und Adressen für die Weiterreise. Mit dem Wagen des Quäkers und in dessen Begleitung entgehen die Flüchtigen Sklavenfängern, die eine Straßensperre errichtet haben. Im weiteren Verlauf der Flucht bekommen sie Hilfe von dem Abolitionisten Fred Douglass.
Der Film wirkt streckenweise fast wie ein Dokumentarfilm, und die Macher haben anscheinend sorgfältig recherchiert. Im Großen und Ganzen wird man dem Streifen recht große Authentizität zugestehen.
 
Die Anfänge von Fluchthelfer-Netzwerken gehen zurück bis ins 18. Jahrhundert, noch vor Gründung der USA gab es Abolitionisten, die entflohenen Sklaven halfen mit Know How, Kleidung, Nahrung und Obdach. In diesen frühen Tagen war das Ziel entlaufener Sklaven in der Regel nicht der Norden. Ende des 18. Jahrhunderts gab es noch in New York und Massachusetts Sklaven, Erst Ende der 1790er Jahre, bzw. zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Sklaverei in den Nordstaaten abgeschafft. Sklaven aus Louisiana, South Carolina und Georgia versuchten eher, nach Florida oder in andere spanische Kolonien zu flüchten, wo allen die Freiheit zugesagt wurde, der zum Katholizismus konvertierte. Thomas Jefferson übte massiven Druck auf spanische Behörden aus, die Fluchthilfe zu unterbinden und entflohene Sklaven zurückzuschicken.

Außer den spanischen Kolonien boten sich entlaufenen Sklaven das Gebiet der Indianer als Refugium an, und mancher Sklave fand bei den Cherokee oder den Seminolen Asyl. Das geschah nicht nur aus humanitären Motiven, entflohene Sklaven beherrschten die Sprache, sie waren mit der Kultur und Lebensart der Weißen vertraut, konnten Auskunft über deren Verhalten und Absichten geben, und es gab für sie kein Zurück. Der Abolitionismus wurde vor allem von Quäkern geprägt. Es gab relativ früh in den USA Organisationen, die die Sklaverei ablehnten, 1838 hatte die Anti-Slavery League bereits mehr als 250.000 Mitglieder, von denen einige bereit waren, hohe Risiken einzugehen bis zur aktiven Fluchthilfe. William Lloyd Garrison gründete 1831 in Boston die Zeitschrift Liberator.

seit den 1840er Jahren wurde ein Großteil der USA durch den Eisenbahnbau erschlossen, und Begriffe und Metaphern aus dem Eisenbahnbau wurde von Aktivisten des Abolitionismus übernommen. Conductor (Schaffner) oder Stationmaster nannte man aktive Fluchthelfer, die die Flucht organisierten, Passengers waren die Flüchtigen, ein Train war eine Gruppe von Flüchtlingen, die sich einem Schaffner anvertrauten, Engines waren passive Unterstützer und Stations oder Terminals hießen Unterkünfte, wo Geflohene Schutz fanden.

Der Begriff "Underground Railroad" geht vermutlich auf William Still zurück, der als Vater der UR gilt und der 1872 eine Geschichte seiner eigenen Flucht veröffentlichte mit dem Titel Underground Railroad. Still konnte im Lauf der 1850er Jahre 800 Sklaven zur Flucht verhelfen. Still legte für jeden Flüchtling ein Dossier an, um Familien, die geflüchtet waren zu helfen, sich wiederzufinden.

John Rankin war presbyterianischer Geistlicher. Gegner des Abolitionismus arrangierten 1846 seine Ablösung als Geistlicher, worauf mehr als ein Drittel der Gemeindemitglieder Rankin folgten und die Free Presbyterian Church gründeten.

Durch Zeitschriften wie Garrisons Liberator wurden Abolitionisten aus verschiedenen Bundesstaaten miteinander bekannt, und es gab mehrfach Spendenaufrufe, bei denen mehrere 100.000 Dollar gesammelt wurden.

Dennoch waren die Abolitionisten bis in die 1850er Jahre eine Minderheit, und für viele Amerikaner war Abolitionist ein Synonym für Unruhestifter. Das sollte sich ändern durch die Folgen des Fugitive Slave Acts. Dieses Gesetz verpflichtete jeden, Sklavenfänger aktiv zu unterstützen, und im Laufe der 1850er Jahre wurden Zehntausende von Afro-Amerikanern in den Süden verschleppt. Etliche davon waren freie Bürger, einige von ihnen waren niemals Sklaven gewesen. Afro-Amerikaner wurden in aller Öffentlichkeit gewaltsam nach Süden verschleppt, ohne die geringste Möglichkeit, Behörden um Schutz anzurufen oder ihre Sache vor Gericht zu verhandeln. Etliche Amerikaner, von denen viele sich nie Gedanken über die Sklaverei gemacht hatten, wurden Zeugen solcher Szenen, und das trug dazu bei, dass Abolitionismus mehr Akzeptanz bekam und zahlreiche Nordstaatler waren nicht länger bereit Erfüllungsgehilfen der Sklavenhalter zu sein.
 
Die erfolgreichste Schaffnerin der UR war vermutlich Harriet Tubman, auf jeden Fall war sie die bekannteste. Sie reiste mindestens 18 Mal in den Süden, und niemals verlor sie dabei einen Passagier. Sie erhielt im Laufe der Zeit den Decknamen Moses, und Sklavenhalter setzten eine Belohnung zur Ergreifung von Moses aus, die zuletzt 10.000 $ betrug. Anfangs ging man davon aus, dass es sich bei Moses um einen Mann, um einen weißen Abolitionisten aus den Nordstaaten handelte.

Eine bekannte Abolitionistin und Feministin schrieb Harriet Tubmans Biographie. Tubman selbst hatte nicht lesen und schreiben gelernt. Harriet gab Auskunft über Equipment und nützliche Werkzeuge und Accessoires, die sie bei ihren Fahrten immer dabei hatte. Ein Kompass, Streichhölzer/Zunder, Lebensmittel die kalorisch waren und sich leicht aufbewahren ließen, ein Gewehr, um sich unterwegs Wild zu schießen, eine Pistole oder einen Revolver zur Selbstverteidigung, Medikamente, vor allem Laudanum und oder Paregoric und ein oder mehrere Hühner. Paregoric war ein opiumhaltiges Allround-Medikament, das einen 10 mal niedrigeren Morphingehalt hatte, als Laudanum. Bei ihren Fahrten waren oft sehr kleine Kinder, manchmal sogar Babys dabei, und Paregoric war enorm hilfreich, Kleinkinder davon abzuhalten, zu schreien, und die Gefahr einer Überdosierung war geringer, als bei Laudanum. In dem Roman Uncle Tom`s Cabin erzählt die Sklavin Cassy dem Titelhelden, dass sie ihr Baby mit einer Überdosis Laudanum tötete, um ihm das Schicksal der Sklaverei zu ersparen.

Tubman sagte, dass sie niemals hätte gezielt auf Verfolger schießen musste, dass ihr einige Male ein paar Schüsse geholfen hätten, einen Vorsprung zu gewinnen. Tubman klärte vor jeder Fahrt ihre Passagiere über Gefahren auf, die drohten und fragte dann, ob sie immer noch die Flucht riskieren wollten. Oft war das für die Passagiere das erste Mal, dass sie eine eigene Entscheidung treffen durften. Manchmal musste Harriet der Motivation ihrer Schützlinge mit dem Revolver auf die Sprünge helfen. Es kam vor, dass total verängstigte Sklaven sagten, ihnen ist kalt, sie haben Angst, sie haben Hunger, sie wollen zurück zu Massa. Hätte Tubman nachgegeben, wäre ihr eigenes Leben und das der anderen Passagiere gefährdet gewesen. Man hätte die Rückkehrer gefoltert und zum sprechen gebracht. Nicht jeder verfügte über Tubmans Courage und Gottvertrauen. Nie aber verlor sie einen Passagier, niemals kam jemand zu schaden.

Manches Mal geriet Tubman in äußerst gefährliche Situationen. Bei einer Episode waren es aber nicht Waffen, sondern Hühner, die sie retteten. Als Tubmans Identität schon bekannt war und ein hohes Preisgeld auf ihren Kopf ausgesetzt war, kam sie einmal in ein Dorf, in dem mehrere Steckbriefe von Tubman hingen, und mehrere Sklavenfänger hatten eine Straßensperre errichtet. Tubman hatte natürlich auch keinen (gefälschten) Pass. Sie hatte aber zwei lebende Hühner als Notproviant dabei. Tubman ließ die Hühner frei und tat so, als seien sie ihr entlaufen, rief Oh Gott, Massas Hühner, wo sind Massas Hühner!"

Alle lachten über die Schwarze, die versuchte, Massas Hühner einzufangen, und niemand kam auf die Idee, sie nach einem Pass zu fragen. Nach dieser Episode nahm Tubman gerne ein Huhn auf ihre Fahrten mit.
 
Etwas wichtiges im "Fluchthilfe-Kit" habe ich glatt vergessen: Pfeffer, Chili oder Tabasco. Flüchtige Sklaven schmierten sich Lösungen von scharfen Gewürzen unter die Sohlen. Das half in gewissem Maße gegen Hunde, die zur Verfolgung losgelassen wurden. Gauner des 18. und frühen 19. Jahrhundert wendeten ähnliche Tricks an, sie verwendeten dazu ganz gerne hochprozentigen Schnaps. Für Schwarze war allerdings Alkohol schwer erhältlich. Es war verboten, an schwarze Sklaven Schnaps zu verkaufen.

Reichlich wurde dagegen Schnaps zu Weihnachten an Sklaven ausgeschenkt. Fred Douglass schreibt in seinen Autobiographien, das Sklaven, die an Weihnachten nicht besoffen waren, ihrer Herrschaft höchst verdächtig waren. Manche Sklaven wurden von ihren Herren zu Weihnachten geradezu "abgefüllt". Manche Masters veranstalteten Wettsaufen und schlossen Wetten darauf ab, wer am meisten vertragen konnte.
 
Dennoch waren die Abolitionisten bis in die 1850er Jahre eine Minderheit, und für viele Amerikaner war Abolitionist ein Synonym für Unruhestifter.
Aus der zeitlichen Distanz der 1885er Jahre flicht Mark Twain für die erzählte Zeit seines epochalen Romans "Huckleberry Finn" (unbestimmt zw 1835-45) exakt diese Haltung bei seinen kleinstädtisch-provinziellen Nebenfiguren ein, ergänzt um eine gehörige Portion rassistischer Ressentiments derselben, ein - an dieser Stelle bestätigt also die "Weltliteratur" deine unbedingt lesenswerte Darstellung @Scorpio
(das Kapitel, in welchem der sturztrunkene Vater von Huck eine Rede wider den Abolitionismus trompetet - der erschütternde Erzählertrick Twains besteht darin, dass aus Kinder/Jugendlichenperspektive erzählt wird, und zwar eines Jugendlichen, der in genau solchen Verhältnissen aufwachsen und das für normal/alltäglich halten musste)
 
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