Die Vorfahren der "Russen"

Oder vielleicht, jemand füttern uns die falschen Informationen, um unsere Wurzeln abzuschneiden :autsch:

Natürlich kenne ich Deinen familiären Hintergrund nicht, aber die wenigsten Menschen dürften ihre Wurzeln bis ins frühe Mittelalter zurückverfolgen können. Mir wäre auch noch nie aufgefallen, dass man die Wikinger besonders mit der heutigen Zeit verbunden hätte? Das betrifft meinem Eindruck nach meist eher die Römer und Germanen. Ich komme allerdings auch aus Süddeutschland, vielleicht ist das in anderen Gegenden komplexer.

Mir ist aber ohnehin unklar, wie die Beschäftigung mit historischen Themen einen Menschen von seinen Wurzeln abschneiden soll? Wir reden hier ja über wissenschaftlich fundierte Ausstellungen. Natürlich werden dabei bestimmte Sachverhalte auch verkürzt oder vereinfacht dargestellt, aber in der Regel wissen auch interessierte Laien nach dem Besuch einer solchen Ausstellung deutlich mehr als zuvor. Fachleute eines bestimmten Themengebietes dagegen werden sich kaum von Fehlern beeindrucken lassen.

Oder habe ich Dich missverstanden?
 
Eine Gruppe von Afrikanern, die vor ca. 60.000 Jahren Afrika verließ und damit den Grundstock für alle Menschen außerhalb Afrikas legte. Was hat das mit der Fragestellung "Was raubten die Wikinger?" zu tun?
 
Sie haben natürlich recht. Übrigens, wer ist Vorfahr der Russen, zum Beispiel?

Jeder Mensch hat viele Vorfahren.
Bei mir sind es, zum Beispiel:
2 Eltern
4 Großeltern
8 Urgroßeltern
16 Ururgroßeltern...

Bei den meisten Russen wird es auch so ähnlich sein.

Es gibt viele Russen, daher haben die Russen auch viele Vorfahren.
 
Lassen wir es mal mit dem Doofstellen, da diese Beiträge ursprünglich aus dem Thread "Was raubten die Wikinger?" stammt, ist die Richtung von IrvaIva natürlich klar.

In Sowjetzeiten und - nach einer Phase der Öffnung in den 90er Jahren unter dem immer autokratischer werdenden Putin-Regime sind wir damit leider wieder in der Gegenwart angelangt - war warägische Archäologie ein Tabu. Es war ein Tabu in der SU (und in Putins Russland ist es das mittlerweile leider wieder) zu sagen, dass der Begriff Russland von der Kiewer Rus kam, einem von Warägern, also Skandinaviern gegründeten Reich. Auch dass die Rurikiden in ihrem Ursprung ein warägisches Geschlecht waren, ist tabuisiert. Unter Putin wird alles getan, um die russische Geschichte zu russifizieren (so ähnlich wie bei uns damals unter Hitler alles getan wurde, um möglichst überall alles als germanisch zu erklären und alles andere wegzuerklären).

Wer waren die Vorfahren der Russen? In der Summe wohl Ostslawen mit samischen, magyarischen, hunnischen, skandinavischen, türkischen und im HochMA auch ein wenig deutschem Beigemenge, je nachdem in welche Ecke Russlands man schaut. Und in der Neuzeit kam mit den russischen Eroberungen ja noch eine ganze Menge dazu.
 
Bisher wird je immer die Herleitung vom nordischen "roðr" bemüht, was Ruderer bedeutet.

Hier sind mal einige Thesen: ... [MOD: Impressum-loser link gelöscht]

An diesen Thesen sieht man auch, dass wohl die "roðr"-These nicht haltbar ist. Einen nordischen Hintergrund sehe ich aber trotzdem als wahrscheinlich an. Ich denke dabei an ein Buch über Uschakow, wo der Süden Russlands mit der Krim von den Osmanen abgerungen wurde. Potemkin reiste mit Katharina dem Dnepr hinunter um die damals berühmten "Potemkinschen Fake Dörfer" zu bewundern. Die waren anfangs unbewohnt und die Bewohner spielenden Russen mussten auf Pferden nachts das Schiff überholen und gauckelten am Tag wieder die Bewohner vor. Viele berittene Bewohner werden sicher auch die Waräger gesehen haben, weswegen sich das Rus vom altnordischen hross (germ. hrussa) ableiten könnte.
 
Was hat nun die vermeintliche sprachliche Wurzel der heutigen Bezeichnung des Landes mit der Zusammensetzung seiner Urbevölkerung (wobei ich schon die Frage im Sinne konstruierter Abstammungslinien für wenig sinn- und gehaltvoll halte) zu tun?
Letztendlich nichts. Es sagt uns, sofern es sich um eine Eigenbezeichnung handelt allenfalls etwas darüber aus, wer zur Zeit der Entstehung des Begriffs die herrschende Schicht der Region darstellte und dementsprechend in der Lage war dem Gebiet seine eigene Bezeichnung aufzuprägen.
 
Den Volksnamen muss man nun mal als erstes hinterfragen, wenn man ihre Vorfahren recherchiert.
Zu welchem zweck genau? Wie gesagt, gibt uns die Selbstbezeichnung allenfalls eine Information darüber, welche Teilgruppen zur zeit der Begriffsentstehung und Festsetzung innerhalb des gesammten Gebildes die tonangebenden waren, keinesfalls aber darüber, wer alles dazu gehörte.
In dieser Hinsicht ist ein Blick auf die materielle Kultur der einzelnen zu dem Verband gehörenden Gruppen und Regionen, um ein Vielfaches gewinnbringender.
 
Das kannst du gern machen. Für mich stellt sich das als überlieferte und übernommene Fremdbezeichnung dar. Bedeutet dabei Rus „Pferdeland“, muss man nach den tatsächlichen Stammesnamen rund um Känugard (Kiew) suchen.
 
Das Narrativ über den Ursprung „Russlands“ ist in der Literatur nicht einheitlich. Die Quellenlage ist dabei ein Problem und die rivalisierenden Interpretationsmuster (Normanist Controversy) (vgl. Martin 2009, S. 36 und 2007) beziehen ihre Sichten teilweise auf die gleichen Quellen.

https://www.encyclopedia.com/histor...cs-transcripts-and-maps/normanist-controversy

https://en.wikipedia.org/wiki/Rus'_people

Im Kern geht es um die Frage, welche Rolle skandinavische Stämme bei der Staatsgründung der „Kiever Rus“ gespielt haben. Ob bereits eine staatsähnliche Struktur z.B. bei den "Poliane" vorhanden bevor "Riuk bzw. "Oleg" (Martin, 2009, S. 36) mit ihren nordischen Gefolgsleuten im Raum um Kiew eintrafen.

Geht man vom 9. Jahrhundert in der Zeit zurück, dann kann man einen sich bewegenden „Flickenteppich“ unterschiedlicher Stämme erkennen (vgl. Karten in Gilbert, S. 1-13)

Bereits der historische Narrativ aus dem Mittelalter, der sich primär auf die Stämme im Norden bezog, war einseitig. Diese Situation skizziert Barford dahingehend: „…these two zones [im Norden die Viatichi, Kryvichi und die Slovienie und im Süden die Poliane, Severiane, Derevlane und Volyniane] of what was later to become the Kievan state had separate ethnic, linguistic, and cultural history in the centuries leading to its creation.“ (Barford, S. 18)

Und somit ist die Frage des Ursprungs sicherlich nicht einfach zumal sich aus dem Flickenteppich der unterschiedlichen Stämme ein ebenso heterogenes Staatsgebilde entstand: „the Kievan state had the character of a multi-ethnic, if not multicultural polity linked mainly by a strong dynastic elite.“ (Barford, S. 18)

Deswegen sind diese laienhaften „sprachlichen Ableitungsversuche“ einfach nur Unsinn und man wird ich bei der Frage nach dem „Ursprung“ schon etwas tiefer mit der Materie beschäftigen müssen. Jenseits der Trivialisierung und der Funktionalisierung des Themas durch nationalistischem Chauvinismus.

Barford, P. M. (2009): From "Proto-Slavs" to Proto-State. In: Abbott Gleason (Hg.): A companion to Russian history. Chichester, U.K., Malden, MA: Wiley-Blackwell, S. 17–33.
Gilbert, Martin (2008): The Routledge atlas of Russian history. London, New York: Routledge.
Martin, Janet (2007): Medieval Russia. 980-1584. Cambridge, UK, New York: Cambridge University Press (Cambridge medieval textbooks).
Martin, Janet (2009): The First East Slavic State. In: Abbott Gleason (Hg.): A companion to Russian history. Chichester, U.K., Malden, MA: Wiley-Blackwell , S. 34–50.
 
Jenseits der jeweiligen Einzelargument:

Wäre es hier nicht angebracht von Ursprüngen statt von Ursprung zu sprechen? Zumindest ist ja sicher, dass Elemente verschiedener Ethnien eine Rolle spielen. Das schließt eine eindimensionale Erklärung ja aus. Die Rede von einem Ursprung ist damit, wie wohl bei so ziemlich jeder Ethnie nicht möglich.
 
An diesen Thesen sieht man auch, dass wohl die "roðr"-These nicht haltbar ist.

In diesem Artikel werden mehrere unhaltbare Thesen vorgestellt. Inwiefern sich daraus ergibt, dass gerade die "roðr"-These nicht haltbar sein soll, erschließt sich mir nicht.

Einen nordischen Hintergrund sehe ich aber trotzdem als wahrscheinlich an.
Dieser ist sogar sprachlich beweisbar:

"Kurz nach 950 hat Kaiser Konstantin Porphyrogenitus bekanntlich festgehalten, wie sieben Dneprschnellen hießen: jeweils auf russisch (rhōsisti) und auf slavisch (sklavēnisti). Die russischen Formen sind, von niemandem mehr bezweifelt, altnordisch. Sie wurden also von Leuten gebraucht, die sich sprachlich gerade von den Slaven abhoben, statt einen ihrer Teilstämme darzustellen" (Gottfried Schramm)
Viel Lärm um vier Buchstaben. Der Name Rus' als Beispiel für die Rückständigkeit einer historischen Hilfswissenschaft on JSTOR

Das bedeutet aber nicht zwingend, dass der Rus-Name nordischer Herkunft sein muss! Er leitet sich sehr wahrscheinlich von der (ostsee)-finnischen Bezeichnung rōtsi für die Schweden ab. Diese kann auf eine schwedische Eigenbezeichnung (etwa "roðr") zurückgehen - oder auch nicht.
 
Es geht nicht immer darum, wer den Längsten hat, sondern darum, Quellen abzugleichen...Rus kommt von Roslagen, einer nicht klar abgegrenzten Region in Schweden, das habe ich im Buch mit Titel "Die Nordgermanen" von Eric Graf Oxenstierna gelesen, da stand Ros=Rus, Roslagen lag nördlich von Stockholm, es war das Land der Svear, Provinz Uppland. "Roslagen leitet sich aus dem schwedischen Wort für „Rudern“ her. In dieser Region waren Bootsleute und Fischer zuhause – und das gilt ja auch zum Teil noch heute." Quelle: [Kommerzieller Link entfernt]
 
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