Ein rätselhaftes Bild

Dion

Aktives Mitglied
Bei einem Trödler in Mennaggio, Comer See, haben wir für wenig Geld dieses Bild erstanden. Es ist 15x15 cm groß und lediglich gedruckt. Doch was stellt es dar?

was ist das.jpg
 
"lediglich gedruckt" ist etwas untertrieben: Es ist ein handkolorierter Kupferstich.

Rätselhaft sind vor allem:

1. Die "Blase" um den Mund des Mannes
2. Die Geste (Teufelszeichen) der linken Hand des Mannes
3. Die Reaktion der jungen Frau, die sich den Mund zuhält und Augen niederschlägt

Die Schuhe des Mannes deuten auf 18. Jahrhundert als die Entstehungszeit des Bildes hin.
 
Das Zeichen, welches bei uns allgemein als Teufelszeichen gilt ist in Italien ,laut Wikipedia eine vulgäre Geste. Kann auch für Untreue (gehörnt) stehen. Vielleicht zeigt sich die Dame deshalb beschämt. Die antike Kleidung und der Bretterboden deuten für mich auf eine Theaterszene hin.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die in Schwermetallerkreisen als Pommesgabel mittlerweile global und in allen Gesellschaftsschichten angekommenen bezeichnete Geste - nach oben gereckt - ist ein eher rezentes "Teufelszeichen", als solches vielleicht 40 - 50 Jahre alt. Gesamtgesellschaftlich bekannt wohl eher seit ca. zehn Jahren.

Das italienische cornuto (span. cornudo - wobei ich das in Argentinien häufiger gehört habe, als sonst wo, und Argentinien ist sehr italienisch geprägt) ist ein Partizip und entspricht der deutschen Aussage "seine Frau setzt ihm die Hörner auf".
 
Ich habe eine etwas andere Deutung des Bildes.

Der Mann starrt sehr erschreckt auf das Gebilde vor seinem Gesicht, dessen Natur und Funktion mir im Moment rätselhaft ist. Es fällt auf, dass die Form des Gebildes der Form der dahinterliegenden Kinnpartie ähnelt, was aber nicht unbedingt eine Bedeutung haben muss. Die Geste der linken Hand des Mannes ist sicher eine "mano cornuta", die aber nicht vulgär intendiert ist (sonst wäre der Gesichtsausdruck anders), sondern als ein Mittel zur Abwendung von Unglück (siehe Wiki-Zitat unten). Die Furcht vor einem Unglück gründet natürlich in dem vor dem Gesicht des Mannes schwebenden Objekt. Die Körperspache der linken Frau bezieht sich dementsprechend nicht auf eine vulgäre Geste, sondern ebenfalls auf das Objekt, sie reagiert darauf mit Verwunderung (Hand vor dem Mund) und Angst (Augenschließen). Die Frau ganz rechts trägt das Ganze dagegen mit Fassung. Auffallend sind also drei unterschiedliche Augenhaltungen: (1) aufgerissen, (2) geschlossen, (3) normal. Dass es sich um eine konkrete Theaterszene handelt, bezweifle ich wegen dem ´special effect´ des schwebenden Bandes, der im Theater jener und auch heutiger Zeit kaum machbar wäre, außer ein Bühnenmagier stände zur Verfügung.

Mano cornuta – Wikipedia

Bei der Konfrontation mit unglücklichen Ereignissen, oder wenn diese erwähnt oder angedeutet werden, kann die Person, die das Unglück abwenden möchte, auf die Corna zurückgreifen. Es ist die volkstümliche Variante des „Auf-Holz-Klopfens“. Alternativ kann der Italiener „Eisen berühren“ (tocca ferro). Alle diese Gesten sollen den Ausführenden vor übernatürlichen bösen Kräften beschützen, zum Beispiel, wenn eine schwarze Katze den Weg kreuzt, man einen Leichenwagen sieht oder die Person in irgendeine Situation gerät, von der sie annimmt, dass diese Unglück bringt.
 
Für mich ist das ein Theaterstück. Der Mann starrt nicht auf das Ding vor seinem Mund, sondern spricht zu einem Publikum über die Frau, die er mit der abwertenden Geste bedenkt. Möglicherweise symbolisiert die leere Blalase ein Gerücht ( leere Worte), welches er streut. Kann aber auch völlig anders sein o_O
 
Ja, Galeotto, durch die Annahme, dass das eine Theaterszene ist, wird das Dargestellte verständlich: Der Mann spricht zum Publikum über die junge Frau, auf die er mit dem cornuto-Zeichen zeigt. Offenbar sagt er die Wahrheit, sonst würde sie sich nicht schämen. Die Frau hinter ihr stützt sie und will sie womöglich aus der Szene führen.

Die Blase vor dem Mund des Mannes ist vielleicht eine der frühen bildlichen Darstellung von jemand, der spricht. Daraus entwickelten sich später vermutlich die heute aus den Comics bekannten Sprechblasen mit dem Text darin, allerdings außerhalb des Sprechers, um sein Gesicht nicht zu verdecken.
 
Die Blase vor dem Mund des Mannes ist vielleicht eine der frühen bildlichen Darstellung von jemand, der spricht. Daraus entwickelten sich später vermutlich die heute aus den Comics bekannten Sprechblasen mit dem Text darin, allerdings außerhalb des Sprechers, um sein Gesicht nicht zu verdecken.
Die Sprechblase mit Text ist keine Erfindung des Comics sondern findet sich bereits auf Karikaturen des 18. und 19. Jh. Category:Speech balloons – Wikimedia Commons .
Category:Speech balloons – Wikimedia Commons
 
Eine Gemeinsamkeit zwischen dem Bild und unserer Zeit könnte sein, dass man leeres Gerede auch im heutigen Comic mit einer textlosen Sprechblase (manchmal auch mit "blabla") darstellt.
 
Ich halte die Sprechblasen-Deutung für völlig verfehlt. Welchen Sinn soll es machen, sie ohne Text vor dem Mund zu platzieren? Kein zeitgenössischer Betrachter könnte damit etwas anfangen.

Da erscheint mir die Deutung schon interessanter, dass es sich um eine Decamerone-Szene von Boccaccio handelt, in der Lydias Geliebter Pyrrhus sie auffordert, von ihrem Ehemann Nikostratus drei Dinge zu bringen, darunter einen gesunden Zahn. An diesen Zahn gelangt Lydia, indem sie Nikostratus davon überzeugt, dass er einen üblen Atem hat und sich deswegen einer Zahnoperation unterziehen sollte. Den eingebildeten "üblen Atem" könnte die Blase vor dem Mund des Mannes darstellen. Die Körpersprache der linken Frau (in dieser Deutung Lydia) würde ihre (vorgetäuschte) Abscheu vor dem Atem signalisieren. Die andere Frau könnte Lydias Dienerin Lusca sein, die in der Szene anwesend ist.

Boccaccio, Giovanni, Novellensammlung, Das Dekameron, Siebenter Tag, Neunte Geschichte

Damit führte sie ihn an ein Fenster, ließ ihn den Mund aufmachen, und nachdem sie auf beiden Seiten nachgesehen hatte, rief sie aus: »O Nikostratus, wie hast du das nur so lange ausgehalten! Hier auf dieser Seite hast du einen Zahn, der, wie mir scheint, nicht nur schadhaft, sondern ganz faul ist. Wenn du ihn länger im Munde behältst, verdirbt er gewiß die, welche ihm zur Seite stehen. Darum rate ich dir, tue ihn heraus, bevor die Sache schlimmer wird.«

Was gegen die Deutung spricht, ist die Bartlosigkeit des Mannes auf dem Kupferstich (während Nikostratus einen Bart hat) und die mano cornuta, die im Decamerone nicht erwähnt wird.

Ich will damit all dem nur sagen, dass man eher nach einer Deutung suchen sollte, die einen geschlossenen Sinn ergibt, statt sich in Deutungen zu ergehen, die hinten und vorne in der Luft hängen.
 
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Deine Version, chan, ist auch interessant, aber das Wesentliche, die mano cornuta und die (schamhafte) Reaktion der Frau, erklärt sie nicht. Außerdem ist der Mann zu jung und hat auch keinen Bart, d.h. den zweiten Wunsch des Geliebten, ihm eine Locke aus dem Bart ihres Mannes zu bringen, hätte sie nicht erfüllen können, obwohl sie ihn laut Erzählung erfüllt hatte.
 
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