Elsaß-Lothringen

Die Idee Elsaß-Lothringen unabhängig sein zu lassen wäre keiner der beiden Parteien mit zuspruch begegnet.
Nein, ich meine als Gebiet, dass bei einem Angriff erst durchquert werden muss (dabei evtl Befestigungen zur Defensive) um der Armee Zeit zu geben sich zur Front zu bewegen.
Durch die Spaltung zwischen Französisch- und Deutschsprachigen wäre jeweils eine Partei unterstützend, während die andere die Möglichkeit hat zu warnen, zumindest theoretisch.
 
Nein, ich meine als Gebiet, dass bei einem Angriff erst durchquert werden muss (dabei evtl Befestigungen zur Defensive) um der Armee Zeit zu geben sich zur Front zu bewegen.

Genau das war der Schlieffen-Plan, der (u.a.) deswegen nicht funktionierte, weil man Elsass-Lothringen dann doch grenznah verteidigte, anstatt die Franzosen mehr ins Land hineinzulassen.

Gruss, muheijo
 
...Ich denke, dass die französischer Seite die vorhandenen Reserven im Blick hatte, die später immerhin eine Förderung von bis zu 15 Mio Tonnen pro Jahr ermöglichten.

Davon würde ich mich überzeugen lassen, wenn sich in den frz. Quellen (betr. Kriegsziele) ein Hinweis auf diese Reserven finden ließe. Der Stahl trieb die Diskussionen jedenfalls an. Ich hatte dazu mal einen blauen Band (Kieler Historische Studien?) in der Hand, finde den aber leider nicht wieder.

Die Roheisenproduktion von Lothringen (Vorkriegsniveau) betrug rd. 3,5 Mio. JaTo., gemessen an ca. 13 Mio. JaTo. im Deutschen Reich insgesamt, also > 25% wie in den Vorjahren. Daraus wird die Bedeutung ersichtlich, die auch allgemein bekannt war. Die "Lücke" müßte sich aus einem Einsatzverhältnis von 3-4To. Kohle zur Erzeugung von 1 To. Roheisen ergeben haben (irgendwo hatte ich mal dafür eine Faustformel, die natürlich von den Kohlequalitäten abhängt).
 
Meinst du als neutrale Pufferzone, also eigener Staat?

Gruss, muheijo


Scheint so.

Der Gedanke wurde wohl mal bei irgendeiner "Referenten-Besprechung" kurz gestreift.

Ein defensiver Staatenbund ist zerbrochen, 4 "übriggebliebene" Kleinstaaten schließen sich, aus Angst zwischen den größeren zerrieben zu werden, an einen der größeren an. Was zu einem großen Krieg führt.
Und als Ergebnis des Krieges wieder neue Kleinstaaten bilden, die Angst haben müssen?
Das hat mit Sicherheit keiner ernsthaft ins Auge gefasst.

Forget It
 
Der Gedanke wurde wohl mal bei irgendeiner "Referenten-Besprechung" kurz gestreift.

Referenten und Stäbe scheinen ja Dein Steckenpferd zu sein :D
Man sollte trotzdem richtig verorten, hier konkret siehe #58 ("Das wurde bei dem Kriegsrat mit Bismarck usw. in Herny angesprochen, 14.8.1870", die Teilnehmer findest Du bei Kolb).

Daneben machte sich ein gewisser hochrangiger bayerischer Vertreter dafür stark und intervenierte ua. in Wien und Rom. Petersburg war selber auf den Gedanken gekommen, London ebenso.
 
I. Zum Diskussionsverlauf ab #70 (damit ich mich nicht verirre...)

Ausgangspunkt des Teilaspekts, um den es hier geht, war dieser Beitrag:
Wie groß wäre denn der Wert Elsaß-Lothringens als militärische Pufferzone zwischen Frankreich und Deutschland? Zur Zeit, als den er Versailler Vertrag verfasst wurde sollen vor allem Kohlevorkommen im Land als interessant angesehen worden sein. [Zitat aus Wikibooks:] "Und so kam es, dass es in Artikel 27 des Versailler Vertrages hieß: 'Die Grenze [mit Frankreich] vom 18. Juli 1870 von Luxemburg bis zur Schweiz [...]'. Dort war Elsass-Lothringen nicht mehr mit eingeschlossen, der Zankapfel wechselte abermals den Besitzer - größtenteils wegen des Interesses beider Staaten an den dort existenten Kohlerevieren."
Zu der (von mir) unterstrichenen Passage ging es dann so weiter:
[#71 Repo] Kohle in Elsass-Lothringen? Verwechselst Du da etwas?
[#74 Repo] Wiki schwächelt übrigens bei den Elsass-Lothringer "Kohlenrevieren."
[#75 Dumbaz] D.h. die Information ist nicht zutreffend?
[#76 silesia] Ja, sie ist unzutreffend. Gemeint sind vermutlich die Stahlproduktion und Erzvorkommen Lothringens, die hier mit Kohle verwechselt worden sind.

An dieser Stelle, d.h. zur Frage der ökonomischen Begründung des französischen Interesses an Lothringen 1918/19, wollte ich auch mitmischen und verwies auf die Bedeutung der lothringischen Kohlenförderung (#77), die von silesia wiederum stark relativiert wurde (#78).

B. Zur Entscheidungssituation 1919
Die Angliederung von Elsaß-Lothringen zu Frankreich war ein wesentliches Kriegsziel. Wenn man das ökonomisch etwas näher betrachtet, wird klar, dass sich Frankreich damit zugleich ein Importproblem aufladen würde: Elsaß-Lothringen verfügte über eine Stahlindustrie, deren "Kohlebedarf" eine Lücke von ca. 5-7 Mio. Jahrestonnen nach sich zieht. Die Kohle hätte entweder importiert werden müssen, oder die Bedarfsdeckung hätte sich aus einem angegliederten Saargebiet schließen lassen. Das Problem verschärft sich, wenn man die bereits bestehende Kohlelücke aus den Vorkriegsverhältnissen für Frankreich mit in die Überlegungen einbezieht. Meine Frage ist nun, ob diese "Kohlelücke" sich in den französischen politischen und ökonomischen Überlegungen zur Angliederung des Saarlandes (nach dem I. oder Ii. WK) wiederfindet, quasi als Folge zur Rückgliederung von Elsaß-Lothringen? Gibt es dazu Literatur?
Um mit der letzten Frage anzufangen: Es gibt aus neuerer Zeit z.B. die Dissertation von Rolf E. Latz "Die Enwicklung der Schwerindustrie des Saargebietes während des Völkerbundregimes 1920 bis 1935" (GHS Kassel 1978), welche auch die Vorkriegszeit mit einbezieht. [1] Ich versuche mal eine Zusammenfassung, wobei einiges zwangsläufig Wiederholungen sind (Seitenangaben: Diss.). [2]

1. Frankreich war traditionell ein Kohlenimportland. 1913 wurden 22 Mio t Kohle und 3 Mio t Koks importiert (S. 72), die Kohle aus England, Belgien und Deutschland, der für die Roheisenerzeugung benötigte Koks vor allem von der Ruhr; die deutschlothringische und saarländische Kohle war für die Verkokung erheblich weniger geeignet (S. 25,28). Für jede Tonne Roheisen, die in Frankreich (und anderswo) produziert wurde, waren 3 Tonnen Koks erforderlich. (Entsprechend mehr an Kohle, wie silesia schon erwähnte.)

2. Um sich aus dieser Abhängigkeit wenigstens teilweise zu lösen, war französischerseits die Übernahme der deutschlothringischen Kohlenförderung eine pure Selbstverständlichkeit; die Förderkapazität hoffte man rasch steigern zu können, was auch tatsächlich geschah (bis 1926 immerhin schon um mehr als 40%, S. 238)

3. Um die Kohlen-Lücke noch weiter zu schließen, wurde im VV das Eigentum an den staatlich-preußischen Saargruben für die Dauer der "Saargebietszeit" an den französischen Staat übertragen.

4. Gleichzeitig vergrößerte sich die Lücke aber wieder, weil mit dem VV auch die deutschlothringische Eisen- und Stahlerzeugung an Frankreich fiel. "Die Angliederung Elsaß-Lothringens erhöhte das Koksdefizit auf 7 Mio t und das Kohlendefizit auf 30 Mio t." (S. 72). Die Saargruben verminderten "nur" das Kohlendefizit, nicht aber das Koksdefizit. (ebd.)

5. Durch die Übernahme der deutschlothringischen Eisen- und Stahlwerke drohten zugleich Überkapazitäten auf dem (gesamt)französischen Markt. Wichtig: Die Lothringer hatten 1913 70% ihrer Produktion nach Deutschland verkauft und über 80% ihres Kokses von der Ruhr bezogen! (S. 103)

6. Dies erkennend, forderte die altfranzösische Schwerindustrie anläßlich der Formulierung der Kriegsziele vorsorglich die Abtrennung Deutschlothringens durch eine Zollgrenze (!), weil sie zu Recht fürchtete, "daß die leistungsfähigeren und besser organisierten deutsch-lothringischen Werke den französischen Stahlmarkt überfluten und damit förmlich zerstören würden" (S. 70), zumal der Stahl-Absatzmarkt Deutschland ja aus mehreren Gründen wegfiel! [3]

7. Die französischen Politiker wollten sich zu einem derartigen Schritt aber nicht verstehen. "Anstatt eine klare Konzeption vorzulegen, vertrauten sie dem Genie der französischen [Stahl-]Industriellen" (S. 73; der "Genie"-Gedanke wurde schon früh, 1916, lanciert.)

Die Schwerindustrie betreffend, hatten die politischen Entscheidungen des Jahres 1919 in Frankreich also z.T. mit ökonomischer Rationalität weniger zu tun; sie waren überwiegend von der Maxime bestimmt, Deutschland ökonomisch zu schwächen. - Soweit mein Zwischenbericht.


[1] Teile davon später auch als Buch u.d.T. "Die saarländische Schwerindustrie und ihre Nachbarreviere (1878-1938)", Saarbrücken 1985.
[2] Siehe auch das Zahlenwerk in http://www.geschichtsforum.de/342752-post14.html, welches ich nicht mit den Latzschen Angaben abgeglichen habe.:rotwerd:
[3] Jenes Zollgebiet wäre beinahe so etwas wie ein "ökonomisches Glacis" gewesen...:)
 
6. Dies erkennend, forderte die altfranzösische Schwerindustrie anläßlich der Formulierung der Kriegsziele vorsorglich die Abtrennung Deutschlothringens durch eine Zollgrenze (!), weil sie zu Recht fürchtete, "daß die leistungsfähigeren und besser organisierten deutsch-lothringischen Werke den französischen Stahlmarkt überfluten und damit förmlich zerstören würden" (S. 70), zumal der Stahl-Absatzmarkt Deutschland ja aus mehreren Gründen wegfiel! [3]

7. Die französischen Politiker wollten sich zu einem derartigen Schritt aber nicht verstehen. "Anstatt eine klare Konzeption vorzulegen, vertrauten sie dem Genie der französischen [Stahl-]Industriellen" (S. 73; der "Genie"-Gedanke wurde schon früh, 1916, lanciert.)




[1] Teile davon später auch als Buch u.d.T. "Die saarländische Schwerindustrie und ihre Nachbarreviere (1878-1938)", Saarbrücken 1985.
[2] Siehe auch das Zahlenwerk in http://www.geschichtsforum.de/342752-post14.html, welches ich nicht mit den Latzschen Angaben abgeglichen habe.:rotwerd:
[3] Jenes Zollgebiet wäre beinahe so etwas wie ein "ökonomisches Glacis" gewesen...:)


Die lothringische Kohle war mir tatsächlich neu. Danke für die Infos.

Zu beachten ist aber, das einzige politische Kontinuum Frankreichs seit 1871, war die Revanche an Deutschland und die Wiedergewinnung Elsass-Lothringens.
(Allein während der russ.-britischen Flottenverhandlungen April-Juni 1914 gab es 2 Regierungswechsel, also 3 Regierungen)
Ich glaube nicht, dass eine franz. Regierung in der Lage gewesen wäre, auf eine Wiederangliederung von E-L ohne "wenn und aber" hätte verzichten können. Und wenn noch so große Sachzwänge dagegen gestanden hätten. Da gab es mMn keinen Spielraum in irgend einer Art und Weise.


Die Schwerindustrie betreffend, hatten die politischen Entscheidungen des Jahres 1919 in Frankreich also z.T. mit ökonomischer Rationalität weniger zu tun; sie waren überwiegend von der Maxime bestimmt, Deutschland ökonomisch zu schwächen. - Soweit mein Zwischenbericht.

Das ist klar.
Ich behaupte aber mal, das ist eine andere Kiste, variabel, verhandelbar, durchaus mit "wenn und aber".
Was für E-L eben nicht galt.
 
Ich glaube nicht, dass eine franz. Regierung in der Lage gewesen wäre, auf eine Wiederangliederung von E-L ohne "wenn und aber" hätte verzichten können.
Das glaube ich auch nicht.

Vorwerfbar ist nur - so meine Deutung -, dass die Regierung nicht imstande war, eine Struktur- und Industriepolitik zu konzipieren, die die offenkundigen Widersprüche wenigstens zum Teil reguliert hätte. Die Politik wollte sich nicht mit der Wirtschaft anlegen, die Wirtschaft wiederum war in sich zerstritten, wie sich bei vielen Gelegenheiten zeigte. Dazu kamen ja noch andere Querelen: das Desaster bei den Kohle-"Reparationen" (siehe silesias Daten), die Inflation in Deutschland, die Zollpolitik, die Preis- und Lohnpolitik der staatlichen Kohlegruben, das innerfranzösische Kontingentierungssystem usw. usw.

Ich lege das nicht weiter dar, weil es noch viel weiter von der Eingangsfrage wegführt, die ja ursprünglich auf den Vormärz (!) abzielte.
 
Die Schwerindustrie betreffend, hatten die politischen Entscheidungen des Jahres 1919 in Frankreich also z.T. mit ökonomischer Rationalität weniger zu tun; sie waren überwiegend von der Maxime bestimmt, Deutschland ökonomisch zu schwächen. - Soweit mein Zwischenbericht.

Schöne Zusammenfassung.

Da Du mich oben auch zitiert hast, einige Anmerkungen. Vorab: Mir ging es bzgl. der Wirtschaftsziele um die Priorität, mMn also um die Stahlindustrie (die in der Vorkriegsphase den besagten Anteil an der deutschen Gesamtproduktion hatte und entsprechende Bedeutung für Frankreich besaß, um die "Tonnagen" zu verschieben).

Bzgl. der Koksproduktion habe ich aufgeschnappt, dass die verwendeten Steinkohlen unterschiedliche Qualitäten und damit Eignung bzw. Effizienz besaßen.

Schließlich würde ich folgenden Aspekt hinzufügen: das "Kriegsziel" Lothringen war jahrzehntelanger, politischer Konsens in Frankreich (natürlich für den Kriegsfall). Das Kriegsziel fehlte in keiner der fünf Regierungserklärungen. Ich würde davon ausgehen, dass der wirtschaftliche Faktor - Stahl, ggf. auch Kohle - dabei keine ausschlaggebende bzw. zusätzliche Bedeutung hatte.


Der wirtschaftliche Faktor wird interessant, sobald die Alliierten ins Spiel kommen (hier: Großbritannien). Die britische Regierung hat das Kriegsziel nie bestritten, Balfour unterstützte den Anspruch 1917 explizit. Einen Tag später folgte Wilson. Vorgeschoben wurden dabei politische Erwägungen, hintergründig spielten wirtschaftliche Faktoren die entscheidende Rolle ("Haskins-Gutachten"): Das künftige wirtschaftliche und machtpolitische Gleichgewicht in Europa sei nur gewährleistet, wenn die Bodenschätze Lothringens und des Elsaß an Frankreich fallen würden. Folge: Diese Frage "von europäischer Bedeutung" dürfe nicht von einer Volksabstimmung abhängig gemacht werden.

Für Frankreich rechnete man als Ergebnis mit einer Verdoppelung der erz-, Eisen- und Stahlproduktion, der Basis auch militärischer Leistungsstärke. Bei den Jubel-Additionen kam man auf 41 Mio. JaTo Eisenerz (obwohl Frankreich 1913 nur 10 Mio. JaTo verbrauchen konnte). Umgekehrt würde es gelingen, den deutschen JaTo-vorkriegsverbrauch um ein Drittel zu reduzieren.

Bedenken kamen dann übrigens aus der Schwerindustrie Ostfrankreichs, die Konkurrenz sowie die "Kohlelücke" befürchtete (ebenso für das Elsaß aus Kreisen der Textilkindustrie).


Wieder aufgefunden: Steinmeyer, Gitta, Die Grundlagen der französischen Deutschlandpolitik 1917-1919, Geschichte und Theorie der Politik 3.
 
Für Frankreich rechnete man als Ergebnis mit einer Verdoppelung der erz-, Eisen- und Stahlproduktion, der Basis auch militärischer Leistungsstärke. Bei den Jubel-Additionen kam man auf 41 Mio. JaTo Eisenerz (obwohl Frankreich 1913 nur 10 Mio. JaTo verbrauchen konnte). Umgekehrt würde es gelingen, den deutschen JaTo-vorkriegsverbrauch um ein Drittel zu reduzieren.

Ja, das war sicher der Kern der Argumentation: den Feind schädigen, auch wenn es einem selbst - jedenfalls teilweise - gar nichts nützt.

...wenn die Bodenschätze Lothringens und des Elsaß an Frankreich fallen würden. Folge: Diese Frage "von europäischer Bedeutung" dürfe nicht von einer Volksabstimmung abhängig gemacht werden.
Das waren halt die "Feinheiten" der Wilsonschen Politik...

... die wiederum ein deutsches Vorbild hatten: Während des Krieges forderten die deutsche Stahlindustriellen bekanntlich die Annexion von Longwy und Briey, u.a. mit der Begründung: "Wir wollen den Besitz, den wir haben, ungehindert ausbeuten können", und Röchling hielt Bedenken entgegen, dass man dabei ja nur "einen ganz minimalen Teil der französischen Bevölkerung mit hinein bekommen würde". [1]


[1] Zit. b. Latz, S. 69; der - einzige? - Bedenkenträger war der frühere Chef der Saarbrücker Bergwerksdirektion, Hilgers.
 
Zuletzt bearbeitet:
Speziell zur Lage der Bevölkerung im Elsaß gab es vor Jahren im TV eine Familiensaga "Die Elsässer", die die Lage einer Familie zwischen 1870 und 1945 schildert, als mehrfach die Nationalität wechselte und jedes Mal von der Bevölkerung sich anpassen mußte.

Diese Familiensaga wird ab Anfang Oktober auf arte wiederholt.
 
Zitat:
Dumbaz
Nein, ich meine als Gebiet, dass bei einem Angriff erst durchquert werden muss (dabei evtl Befestigungen zur Defensive) um der Armee Zeit zu geben sich zur Front zu bewegen.

Genau das war der Schlieffen-Plan, der (u.a.) deswegen nicht funktionierte, weil man Elsass-Lothringen dann doch grenznah verteidigte, anstatt die Franzosen mehr ins Land hineinzulassen.

Gruss, muheijo
Der Schlieffen-Plan sah wohl vor die Franzosen bis nach Straßburg und Metz vordringen zu lassen. Beide Städte waren von Ringen aus Forts umgeben, die jedoch oft schlagartig mit der Erfindung neuer Sprengstoffe und Geschütze veralteten (-> Brisanzgranatenkrise). Noch 1893 bis 1914 wurde bei Mutzig die Feste Kaiser Wilhelm II. gebaut. Eine riesige Anlage, zur damaligen Zeit auf dem neuesten Stand der Technik aus Beton gebaut, mit eigener Stromversorgung, elektrischer Belüftung und Panzerkuppeln. Im 1. Weltkrieg gelangten diese Festungen jedoch kaum zum Einsatz, da die Französische Armee schon im Vorfeld gestoppt wurde.
Mein Großvater, 1894-96 Soldat in Straßburg, hat ähnliches berichtet.
(vielleicht haben ihn aber seine Erfahrungen aus den Vogesenkämpfen 15-18, wo er etliches über die "Wackes" zu berichten wusste, rückschauend beeinflusst)
Die Wahlergebnisse sprechen aber eine andere "Sprache". Ab ca. 1890 zunehmend "deutschfreundlich". Was vermutlich mit dem starken Wirtschaftsaufschwung zusammenhängt.
Allerdings kam es kurz vor dem 1. Weltkrieg zu Skandalen mit elsäßischen Rekruten, die sogenannte Zabernkrise (übrigens spielte der Gebrauch des Wortes Wackes durch einen Offizier dort eine Hauptrolle). Die Affäre führte zu einem Umschwung in der bis dahin wachsenden "deutschfreundlichkeit" der Elsäßer, bedingt durch den Aufschwung. Sie sorgte sogar im Rest des Reiches für eine Solidarisierung mit den Elsäßern gegenüber der Militärwillkür.
 
Bei Bismarck taucht die Annexionsfrage unmittelbar nach den Siegen bei Wörth und Saarbrücken auf, am 7. August 1870, sodann in mehreren Quellen über den ganzen August 1870. Hier wurde die Perspektive des militärischen Sieges greifbar, somit die des "Siegespreises". Mit unterschiedlichen Formulierungen kündigte Bismarck insbesondere am folgenden 10., 11., 13. und 15. August Forderungen nach Gebietsabtretungen an, daneben gegenüber der englischen Presse am 21.8.1870.
[siehe oben, S. 113-167]

Ähem, Saarbrücken war die einzige "Schlacht" die die Franzosen gewonnen haben. Kann es sein, das du die Schlacht von den Spicheren Höhen (06.August) oder Weißenburg (04.August) meinst?

Bismarck befand sich von Mittel Juli an von Varzin auf dem Weg zur Front. Am 11.August überquerte er die Grenze.

Am 04.August schrieb er Eulenburg, das ihm das Aufwerfen der Frage des Kaiserreich gar nicht recht sei, weil damit die süddeutsche Bundesgenossenschaft gestört werden konnte.

Am 14.August erhielt er vom Kronprinzen die "Kurze Denkschrift für den Fall des Friedens", in der u.a. auch der Erwerb des Elsass genannt wird. Bismarck reagierte darauf mit unverkennbaren Unwillen, wie aus der Korrespondenz mit seiner Gattin deutlich wird.
 
1866 haben 500.000 Hannoveraner (von insgesamt 800.000) eine Petition an die Großmächte unterschrieben, indem das Unrecht der preußischen Annexion gebrandmarkt wurde.
Wen hat es interessiert?

Nicht einmal der englischen Regierung. Lord Stanley hat Bismarck wissen lassen, er solle mal machen. Einzig Victoria interessierte sich für Schicksal des Königreichs Hannover.
 
Am 14.August erhielt er vom Kronprinzen die "Kurze Denkschrift für den Fall des Friedens", in der u.a. auch der Erwerb des Elsass genannt wird. Bismarck reagierte darauf mit unverkennbaren Unwillen, wie aus der Korrespondenz mit seiner Gattin deutlich wird.

Der unverkennbare Unwille, der ebenso bei der qualifizierten Mehrheit der Einwohner des Elass gegen eine Abtrennung von Frankreich und Angliederung an ein preussisch-deutsches Reich vorhanden war.

Der halbkoloniale, mindere Status des Elsass u. seiner Einwohner im neuen Deutschen Reich bestätigte die Befürchtungen.
 
1870/71 waren es vorrangig militärstrategische Überlegungen zur Grenzsicherung gegenüber Frankreich sowie nationale Forderungen der deutschen Bevölkerung , die zur Rückeingliederung der ehemals deutschen Gebiete eine zentrale Rolle spielten.

Als diese ehemals deutschen Gebiete von Frankreich annektiert worden waren, war die damalige Bevölkerung sicher auch nicht begeistert, dass das Gebiet, in dem sie lebte, nunmehr zu Frankreich gehörte.

Aber in der Summe war es ein fataler Fehler Elsass und Lothringen zu annektieren; allein schon die Tatsache, wie unerhört schlecht man die Provinzen und die dortige Bevölkerung behandelt worden waren. Gortschakow hatte Bismarck mehrfach gewarnt, das er bei der Annexion keinen wirklichen Frieden erhalten würde, sondern der Nachbar nur auf Revanche sinnen würde. Vielleicht hätte man es bei der Schleifung der Festungen einfachen belassen sollen und dann auf eine Versöhnung hinarbeiten sollen. Ist ja schließlich auch mit Österreich gelungen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ah, wunderbar, neuer Stoff zum Streiten. ^^

Im Hinblick darauf, dass die innenpolitische Behandlung ein Fehler war, zumal man mit dieser Frankreich auch ein Argument an die Hand gab, sich diese Gebiete zurück zu holen, damit bin ich d'accord.

Aber:

Gortschakow hatte Bismarck mehrfach gewarnt, das er bei der Annexion keinen wirklichen Frieden erhalten würde, sondern der Nachbar nur auf Revanche sinnen würde.

Das hier halte ich mit Verweis darauf, dass man es mit einem Frankreich zu tun hatte, dessen maßgebliche politische Kräfte sich nicht darauf beschränkten eigene Niederlagen zu rächen, sondern sich gar dazu verstiegen auch die Österreichischen, die ihnen gar nicht selbst zugefügt wurden, rächen zu wollen, für eine Fehleinschätzung, jedenfalls wenn Gortschakow davon ausging, dass Frankreich ohne diese Annexionen ohne weiteres zur dauerhaften Versöhung bereit gewesen wäre.

Vielleicht hätte man es bei der Schleifung der Festungen einfachen belassen sollen

Die wären von französischer Seite sicherlich binnen 10 Jahren neu errichtet gewesen (ein dauerhaftes Fortifikationsverbot wäre in Paris sicherlich ebenfalls als ungehörige Demütigung und Anmaßung aufgefasst worden), mit dem Unterschied, dass das Schleifen der alten Festungen denn auch gleich Platz geschaffen hätte um modernere Anlagen aufzubauen.

st ja schließlich auch mit Österreich gelungen.

Das vor allem aber auch deswegen, weil Österreich zum einen eine Macht brauchte, die bereit war, mindestens teilweise die Wiener Balkaninteressen zu stützen und zum anderen auch, weil Österreich, wenn es hier revanche angestrebt hätte auch gleich Italien, dass dann gleiches zu fürchten gehabt hätte, mit auf den Plan gerufen hätte.



Im Hinblick auf die Absicherung gegen franzsösische Revanchebestrebungen, die da meiner Ansicht nach so oder so gekommen wären, würde ich zwei alternative Mittel zur Annexion Elsass-Lothringens sehen wollen:

1. Ein Pufferstaat auf dem Gebiet des Elsass und idealer Weise ganz Lothringens, wobei natürlich die Frage gewesen wäre ob die dortige Bevölkerung diesen Zustand auf Dauer akzeptiert hätte.

2. Selbst auf französische Territorien verzichten, dafür aber Belgien zu vergrößern und zu versuchen es über damit verbundene Revanchebestrebungen von französischer Seite aus der Neutralität heraus in ein eigenes Defensivbündnis zu ziehen, während man gleichzeitig den Rhein mit Festungen zupflastert, so dass sich dort kein Zugriff ergibt.
Das hätte aber natürlich vorausgesetzt, dass Brüssel bereit gewesen wäre tatsächlich französische Territorien zu annektieren und seine neutrale Position zu Gunsten einer Anlehnung an Deutschland aufzugeben.

Außerdem wäre da natürlich auch fraglich gewesen, wie London darauf reagiert hätte.
 
Ein Pufferstaat auf dem Gebiet des Elsass und idealer Weise ganz Lothringens, wobei natürlich die Frage gewesen wäre ob die dortige Bevölkerung diesen Zustand auf Dauer akzeptiert hätte.


Zur Frage, ob die Annexion sinnvoll ist, gibt es doch irgendwo eine Rede von Bismarck. Aus dem Gedächtnis heraus meine ich, dass er gesagt hat, dass die Errichtung eines Pufferstaats nicht sinnvoll wäre, da die dortige Bevölkerung im Zweifel Frankreich zugeneigt sei. Desweiteren wurde auch nach den historischen Erfahrungen mit Frankreich in den zurückliegenden Jahrhunderten auch Elsaß-Lothringen als Sicherheitsgarantie gegen weitere französische Expansionsbestrebungen Richtung Westen angesehen. Nur wenige Jahre oder Jahrzehnte gab es doch auch noch Bestrebungen Frankreichs, die Rheingrenze (also die linksrheinischen Gebiete des heutigen Rheinland-Pfalz/Nordrhein-Westfalen) wieder zu erlangen. Das müßte so in den 1850er Jahren (unter Napoléon III.) gewesen sein.

Aber in der Summe war es ein fataler Fehler Elsass und Lothringen zu annektieren; allein schon die Tatsache, wie unerhört schlecht man die Provinzen und die dortige Bevölkerung behandelt worden waren.

hmmm ja und nein - die Bevölkerung in den Gebieten war in ihrer großen Mehrheit (fast schon Gesamtheit) gegen die Abtretung. Sezessionsbestrebungen oder gar Autonomiebewegungen waren Berlin suspekt. Im Gegensatz zu den Bundesstaaten im DR war der Status von Elsaß-Lothringen so ausgestaltet, dass es direkt vom Reich verwaltet wurde (deswegen Reichsland). Eine Verfassung mit Parlament gab es erst Jahrzehnte später (1911 damit 40 Jahre nach der Abtretung). Gleichzeitig waren aber auch die Elsässer und Lothringer genauso Bürger des Reiches wie alle anderen. Frei gewählte Abgeordnete des Reichslandes saßen gleichberechtigt im Reichstag. In den französischsprachigen Gebieten von Elsaß-Lothringen wurde keine sprachliche Assimilierungspolitik durchgeführt. Auch wenn durch den Zuzug von Militärs und Verwaltungspersonal eine bedeutende deutschsprachige Gemeinschaft in Metz sich bildete, wurde auch dort weiterhin Französisch gesprochen.
 
Ah, wunderbar, neuer Stoff zum Streiten. ^^

:D

Das hier halte ich mit Verweis darauf, dass man es mit einem Frankreich zu tun hatte, dessen maßgebliche politische Kräfte sich nicht darauf beschränkten eigene Niederlagen zu rächen, sondern sich gar dazu verstiegen auch die Österreichischen, die ihnen gar nicht selbst zugefügt wurden, rächen zu wollen, für eine Fehleinschätzung, jedenfalls wenn Gortschakow davon ausging, dass Frankreich ohne diese Annexionen ohne weiteres zur dauerhaften Versöhung bereit gewesen wäre.

Frankreich sah sich nach 1866, wohl nicht ganz zu Unrecht, in seiner Rolle als europäische Hegemonialmacht zumindest gefährdet. Es war auch Frankreich klar, das die Vereinigung mit den Süden kommen würde; es galt natürlich diese so lange als irgend möglich zu verzögern. Des Weiteren sah sich Frankreich um sein Kompensationen "geprellt" und dass das eigene Staatsoberhaupt Napoleon III. die preußischen Erfolge nicht verhindert hatte. Das Parlament und Öffentlichkeit waren sehr aufgebracht.

Gortschakow wollte Frankreich 1870/71 territorial, gegen eine "saftige" Reparation hatte er nichts einzuwenden, geschont wissen. Wir wissen letzten Endes nicht, wie sich die Beziehungen zwischen Paris und Berlin entwickelt hätten, wenn es keine Annexion gegeben hätte. Unter Jules Ferry gab es kurzzeitig verhältnismäßig gute Beziehungen; auch nach der 2.Marokkokrise. Das änderte sich erst wieder, als Poincare ins Amt kam.

Das vor allem aber auch deswegen, weil Österreich zum einen eine Macht brauchte, die bereit war, mindestens teilweise die Wiener Balkaninteressen zu stützen und zum anderen auch, weil Österreich, wenn es hier revanche angestrebt hätte auch gleich Italien, dass dann gleiches zu fürchten gehabt hätte, mit auf den Plan gerufen hätte.

Österreich suchte, eben wegen seiner Balkaninteressen, nachdem man aus Deutschland und Italien ja verabschiedet worden war, Unterstützung und Deckung gegen Russland. Andrassy wäre in der Orientkrise 1876/1877 sehr gerne im Verbunden mit London gegen die Russen militärisch vorgegangen. Erst am 07.10.1879 kam es dann zum Zweibund. Praktischerweise wurden schon am 13.April 1878 der Artikel V des Prager Friedens aufgehoben. Darüber war man in Petersburg nicht begeistert.

Bezüglich einer Gegnerschaft Italiens 1871 habe ich Zweifel. Immerhin verhandelt man ja am Vorabend des deutsch-französischen Krieges mit Frankreich und Österreich über ein Militärbündnis gegen Preußen. Italien hatte den Krieg dann genutzt, um in Rom die Verhältnisse im eigenen Sinne umzugestalten, will heissen, Rom wurde "endlich" wieder die Hauptstadt Italiens. Das Trention stand 1871 noch nicht auf der Tagesordnung. Und die Beziehungen zu Frankreich verschlechterten sich kontinuierlich.

Ein Pufferstaat auf dem Gebiet des Elsass und idealer Weise ganz Lothringens, wobei natürlich die Frage gewesen wäre ob die dortige Bevölkerung diesen Zustand auf Dauer akzeptiert hätte.

Das wäre durchaus eine Möglichkeit. Was ich jetzt nicht weiß, ist, ob die beiden Provinzen denn alleine wirtschaftlich lebensfähig gewesen wären.
 
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