England 1940

juli-kri

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Da es immer mal wieder geräuschweise zu hören ist:

a) gab es 1940 in der englischen Politik ernsthafte Tendenzen, es sein zu lassen und sich mit Hitler zu arrangieren?
b) Wenn "ja", wie tief gingen diese Tendenzen?

Reine Infofrage, ich will mit Sicherheit nicht auf einen Revisionisus a la ja-hätte-England-mal-dann-hätte-es-sein-Empire-noch hinaus.

ergänzend: Mir liegt gerade Gruchmann, Lothar, Totaler Krieg, München, vor, wo er summarisch p. 78ff festhält, dass der von Hitler ja deutlich ausgesprochene "Verständigungs"vorschlag für London nicht in Frage kam.
 
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Da es immer mal wieder geräuschweise zu hören ist:

a) gab es 1940 in der englischen Politik ernsthafte Tendenzen, es sein zu lassen und sich mit Hitler zu arrangieren?
b) Wenn "ja", wie tief gingen diese Tendenzen?

Als Antwort auf die Rede von Hitler und seinem "Friedensangebot" stellte Churchill fest, dass man am 22. 07. 1940 jegliche Verhandlungen verworfen hatte [1, S. 229/230]. Dieser Haltung waren Ende Mai sehr intensive und sehr emotionale Diskussionen im Kriegs-Kabinett und im Kabinett vorausgegangen [vgl. z.B. 2, S. 25 ff].

Der Diskussion im Mai 1940, die durch den Zusammenbruch Frankreichs und der Vernichtung des BEF um Dünkirchen ausgelöst worden war, ging eine Diskussion über die "guilty men" in der Regierung, also primär die Rolle von Chamberlain voraus.

vgl. z.B. die Diskussion zum Appeasement:
http://www.geschichtsforum.de/f67/a...tand-der-wissenschaftlichen-diskussion-34825/

Neben den patriotischen Appeasern, wie Chamberlain, gab es in England ein buntes Spektrum an "Sympatisianten" für Hitler. Das Spektrum reichte dabei vom britischen Faschistenführer Oswald Mosley bis hin zum Hitlerbewunderer Loyd George. Daneben gab es einflussreiche - aristokratische - Kreise um Lord Londonderry, die sich sehr aktiv für eine enge Zusammenarbeit mit dem 3. Reich und Hitler einsetzten. Neben Londonderry zählten mindestens ein Dutzend Personen aus dem britsichen Hochadel zu dieser Gruppe [3].

In diesem Sinne gab es durchaus einen gewissen Kern in der britischen Gesellschaft, der einer Verständigung aufgeschlossen gegenüberstand [2, S. 40]. Ob diese Sicht mehrheitsfähig in der britsichen Gesellschaft insgesamt war, sei dahingestellt. Dennoch: Die Stimmung im Mai 1940 faßt Kershaw dahingehend zusammen: " Beobachter sprachen von einer Panikstimmung und von Defätismus in der Londoner Oberschicht, und der Generalstabschef Ironside befürchtete dass der deutsche Angriff das Ende des britischen Empire eingeläutet habe." [2, S. 42].

Vor dieser pessimistischen Kulisse Übernahm Churchill den Posten des Premier Minister am 20. 05. 1940. Angetreten als kampflustiger Patriot, der mit seiner negativen und kritischen Einschätzung von Hitler, Recht behalten hatte. Allerdings, zu dem Zeitpunkt war er politisch von der Gunst von Chamberlain abhängig und hatte nur eine relative plitische Handlungsfreiheit. Im wichtigen "Kriegskabinett" (bestehend aus 5 Personen) war Churchill bestenfalls ein "Primus inter Pares" und war auf konsensuale Entscheidungen angewiesen.

In dieser Phase waren zwei Aspekte für die britsiche Regierung zentral. Zum einen die Evakuierung erfolgreich abzuschließen (am 4.6. waren abschließend 224301 britische und 111172 französische und belgische Soldaten evakuiert [2, S. 68]) und die französiche Idee zu bewerten, via Mussolini einen Vermittlungsfrieden für GB auszuhandeln.

Churchill hatte sich deutlich gegen die Vermittlerrolle von Mussonini gewandt und wollte auch keine Verhandlungen mit Hitler. Dieser Position schloss sich Chamberlain zusehens an. Am verhandlungsorientiertesten war Halifax, allerdings auch nur bis zu gewissen Grenzen der Zumutbarkeit. Und auch Halifax betonte, dass die britische Freiheit gewahr bleiben müsse [2, S. 69].

Das gesamte Kabinett sagte Churchill am 28.05. die Unterstützung zu für eine harte und ehrenvolle Position von GB gegenüber dem 3. Reich.

Damit waren die Konservativen und Labour auf die Position von Churchill eingestiegen und somit hatte Churchill die freie Hand, GB auf den Kampf "an den Stränden" etc. einzuschwören.

Das UK war im Mai 1940 seit Jahrhunderten, vermutlich seit der "Großen Armada" von Philipp II, nicht mehr so nahe an den militärischen Zusammenbruch gekommen.

Und es ist m.E. rückwirkend erstaunlich, wie moderat und politisch maßvoll die britische "Zivilgesellschaft" mit der Bedrohung im Jahr 1940 klar kam. Dagegen wirken die Reaktionen von Politikern auf spätere, deutlich geringere - auch "terroristische" - Bedohungen hysterisch und im Umfang völlig überzogen.

1. W. Churchill: The second World War. Vol II, 1976
2. I. Kershaw: Wendepunkte. Schlüsselentscheidungen im Zweiten Weltkrieg. 2010, bes. S. 25 , London Frühjahr 1940
3. I. Kershaw: Hitlers Freunde in England. Lrd Lononderry und der Weg in den Krieg, 2005
 
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Danke. Halifax hatte ich auch so in Erinnerung, wollte aber keine Namen nennen. Übrigens muss man klar sagen: London war 1940 sicherlich darüber informiert, dass AH ein ganz ganz übler Kunde war...über den Holocaust konnte London 1940 natürlich noch nicht informiert gewesen sein. Denn der eigentliche Judenmord startete 1941 mit den Einsatzgruppen.
 
Literarisch Niederschlag fand die damalige englische "Sympathisanten"-Appeasment-Fraktion übrigens in Gestalt des Rex Mottram in E. Waughs Roman "Brideshead revisited" - unbedignt lesenswert.
 
Und es ist m.E. rückwirkend erstaunlich, wie moderat und politisch maßvoll die britische "Zivilgesellschaft" mit der Bedrohung im Jahr 1940 klar kam. Dagegen wirken die Reaktionen von Politikern auf spätere, deutlich geringere - auch "terroristische" - Bedohungen hysterisch und im Umfang völlig überzogen.

Da Beschäftigung mit Geschichte ja nur dann Sinn hat, wenn ich mich heute mithilfe ihrer orientieren kann, sei Dir dafür privatim der Titel "Poster des Monats" verliehen ;-)
 
Beobachter sprachen von einer Panikstimmung und von Defätismus in der Londoner Oberschicht, und der Generalstabschef Ironside befürchtete dass der deutsche Angriff das Ende des britischen Empire eingeläutet habe
Tja England hat Gewonnen, aber das Empire ist als Weltmacht zusammengebrochen.
Ich glaub nicht, dass Hitler damals als er meinte, dass das British Empire im Krieg gegen das Deutsche Reich zerfallen würde das geahnt hat xD
 
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