Ernst Thälmann – Erinnerung und Verantwortung

hjwien

Aktives Mitglied
Da dieses Thema mehrere Ebenen umfaßt, stelle ich es erstmal unter der Rubrik Sonstiges ab.

Momentan gibt es in Berlin die Diskussion um den Ausbau des Thälmann-Parks im Prenzlauer Berg, wobei es Stimmen gibt, die den Abriß des Denkmals fordern.

Ich bin mir noch nicht sicher, wie meine Meinung dazu ist, und suche deshalb die Möglichkeit, über eine Diskussion an dieser Stelle meine eigenen Gedanken etwas zu schärfen. Meine Unsicherheit resultiert auch daraus, daß ich als Kind mit einem ganz dezidierten Bild Thälmanns aufgewachsen bin, welches nach der Wende dann seine Risse bekam.
Auf der einen Seite war er ganz klar ein Opfer des Nationalsozialismus und als Vorsitzender der Kommunistischen Partei ein Repräsentant einer der bevorzugten Zielgruppen des faschistischen Terrors.
Auf der anderen Seite war er (war er das?) ein Vollstrecker stalinistischer Tendenzen innerhalb des deutschen Kommunismus, ein Gegner der Weimarer Republik und als Chef des Rotfrontkämpferbundes auch mitverantwortlich für den Terror der Straßenschlachten in den späten 20er und frühen 30er Jahren.
Eine sehr ambivalente Persönlichkeit also. Was sagt das aus über die Notwendigkeit oder Berechtigung eines Denkmals? Darf man an ein Opfer des NS nur dann erinnern, wenn es sich selbst korrekt verhalten hat? Oder überwiegen die negativen Tendenzen Thälmanns? Geht es bei einem Denkmal primär um eine Ehrung oder um eine Erinnerung im Sinne einer Auseinandersetzung? Sollten Denkmäler erhalten bleiben mit dem Hinweis darauf, daß eine Stadt natürlich kein geschichtsfreier Ort ist und daß eine „Damnatio Memoriae“ immer ein gewaltsamer Akt der Geschichtsklitterung ist? Oder sollten Denkmäler danach ausgewählt werden, daß sie das Bild repräsentieren, das eine Gesellschaft von sich selber hat?

Bevor nun jemand fragt, ob dieses Thema nicht zu sehr an aktuelle Tagespolitik reicht und daher gar nicht in dieses Forum paßt, will ich gleich sagen, warum ich denke, daß dem nicht so ist. Geschichte ist stets eine Konstruktion, die neben dem Archivieren eines Faktums auch immer dessen Interpretation beinhaltet. Die Diskussion um ein Denkmal ist also immer eine zutiefst historische, da sie die Grundlage der Geschichtsbetrachtung berührt, die Frage nach ihrem Sinn. Warum beschäftigt man sich mit der Vergangenheit, warum will man wissen, was früher geschah? Doch immer daher, weil man ein Verhältnis dazu hat oder entwickeln will. Deshalb bemühe ich mich auch gerade darum, einen Standpunkt zu der Frage nach der Zukunft des Thälmannbildes zu entwickeln.
 
Zu Thälmann fällt mir die unsägliche Haltung der KPD bei der Reichspräsidentenwahl von 1925 ein.

Im ersten Wahldurchgang konnte sich keiner der Kandidaten durchsetzten. Es wurde ein zweiter Durchgang erforderlich. Die linken Parteien, mit Ausnahme der KPD, trotz gegenteiliger Anweisung aus Moskau, einigten sich auf Marx als Kandidat.

Die KPD hielt starr und stur an Thälmann als Zählkandidaten fest.

Das Ergebnis des Wahlgangs sah dann so aus:

Hindenburg: 48, 3%
Marx als Kandidat der Linken: 45,3 %
Thälmann als "Zählkandidat": 6,4 %

Die Wahl Hindenburgs darf wohl als Niederlage der Republik verstanden werden und ein paar Jahre später war es dieser Herr, der Hitler zum Reichskanzler ernannt hat. Wenn die KP ein wenig politischen Verstand gehabt hätte, dann hätte es keinen Hindenburg als Ersatzkaiser gegeben.
 
Ich weiß nicht so recht. Zunächst mal darf man ja das Wahlergebnis nicht von hinten lesen, das heißt, daß der Sieg Hindenburgs 1925 automatisch zu Hitler führen mußte.
Und dann heißt es ja auch nicht, daß die 6 % Thälmanns automatisch bei Marx zu Buche gestanden hätten, denn so wie ich das gesehen habe, scheinen da auch arg konfessionelle Grenzen eine Rolle gespielt zu haben. Insofern würde ich angesichts der vielen Dinge, die in der Weimarer Republik schiefgelaufen sind, noch sagen, daß das Aufstellen eines eigenen Kandidaten ein legitimes Recht der KPD war.
 
Ich weiß nicht so recht. Zunächst mal darf man ja das Wahlergebnis nicht von hinten lesen, das heißt, daß der Sieg Hindenburgs 1925 automatisch zu Hitler führen mußte.
Und dann heißt es ja auch nicht, daß die 6 % Thälmanns automatisch bei Marx zu Buche gestanden hätten, denn so wie ich das gesehen habe, scheinen da auch arg konfessionelle Grenzen eine Rolle gespielt zu haben. Insofern würde ich angesichts der vielen Dinge, die in der Weimarer Republik schiefgelaufen sind, noch sagen, daß das Aufstellen eines eigenen Kandidaten ein legitimes Recht der KPD war.

Ein Automatismus gab es selbstverständlich nicht, da stimme ich dir durchaus zu. Aber die sehr reale Chance, das Hindenburg verhindert worden wäre, die war doch sehr hoch, denn das linke Wähler, insbesondere die von der KPD auf einmal rechts wählen, ist wohl doch weniger unwahrscheinlich.
Selbst Moskau hatte das begriffen, nur die KPD eben nicht.
 
Anstelle eines Abrisses des Denkmals wäre eher eine kritische Auseinandersetzung mit dem Denkmal und der Haltung seiner Errichter für sinnvoll. Etwas anderes ist es mit Straßennamen oder expliziten Zeichen etc.
Man könnte in einer Platte Thälmann als Täter und Opfer darstellen.
 
Schauen wir mal aus der Perspektive des Jahres 1925. Ich stimme Dir vollkommen zu, daß die KPD ihre Eigeninteressen über die des Landes gestellt hat und vor allem gegen die Republik agierte. Das ist aus heutiger Sicht negativ zu werten, denn zum Wohle des Landes wäre es besser gewesen, sie hätte sich an der Gestaltung der republik mit friedlichen MItteln beteiligt. Aus Sicht der KPD ist es aber sogar verständlich, denn es war ja eben nicht ihre Republik, sondern die aus der mit führender Beteiligung der SPD-Spitze niedergeschlagenen Revolution heraus entstandene.
Und warum hätte es denn das Ziel der KPD sein sollen, Hindenburg zu verhindern? Ein alter Mann von 77 Jahren, von dem keiner weiß, wie lange er noch lebt, der nur ein Kompromißkandidat ist und eigentlich gar nicht wollte.

Daß die KPD-Wähler nun plötzlich rechts wählen, ist vielleicht wirklich unwahrscheinlich, aber das waren ja auch nicht so viele. Ich las aber, daß sogar viele SPD-Wähler lieber Hindenburg wählten als den Katholiken Marx.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein interessanter Vorschlag. Was aber würde auf der Täterseite stehen? Dinge, die man ihm persönlich vorwirft, oder stünde er stellvertretend für die Verbrechen des Kommunismus?
Letzteres wäre nicht sinnvoll. Allenfalls wenn es Belege gäbe, aus denen klar hervorgeht, dass er diese Verbrechen befürwortet und über kleinbürgerliche Sensibilität geschimpft hätte. Was man ihm vorwerfen kann ist der Stalinisierungskurs seiner Partei.
 
Mir geht es wie hjwien. Die historische Person "Ernst Thälmann" ist hoch ambivalent, einerseits Opfer der ns Herrschaft, andererseits das sog. "Thälmannsche ZK", welches die Stalinisierung der KPD manifestierte, die "Sozialfaschismusthese", die eine Einheitsfront gegen die NSDAP obsolet werden ließ, gipfelend in der Zusammenarbeit mit der NSBO 1932 ("BVG-Streik").

Über die Haltung zur Demokratie, wurde w.o. schon geschrieben.

Ein Teilumwidmung eines Denkmals, wie w.o. diskutiert, finde ich insoweit suboptimal, weil m.E. ein Denkmal auch Zeitzeugenschaft über die Erinnerungskultur zur Zeit seiner Errichtung gibt.

Das wäre aus meiner Sicht die historische Ambivalenz des Denkmals und der Person der gedacht wird, bliebe der kunsthistorische und ästhetische Aspekt.

Das ist ein weites Feld ;) Auf alle Fälle ist es ein Zeugnis des sozialistischen Realismus in der Spätphase der DDR, das den Machtanspruch "der Partei" ausdrückt, vllt. ist es schon deshalb erhaltenswert.

M.
 
Ein Teilumwidmung eines Denkmals, wie w.o. diskutiert, finde ich insoweit suboptimal, weil m.E. ein Denkmal auch Zeitzeugenschaft über die Erinnerungskultur zur Zeit seiner Errichtung gibt.

Ich meinte keine Umgestaltung des Denkmals sondern etwas, was das Denkmal kommentiert, eine historische Kontextualisierung, keine "Interpolation", die irgendwie schamhaft ist.
 
Ich meinte keine Umgestaltung des Denkmals sondern etwas, was das Denkmal kommentiert, eine historische Kontextualisierung, keine "Interpolation", die irgendwie schamhaft ist.


Ein Frage kommt mir zuerst in den Kopf.
Steht das Denkmal im Zusammenhang zur Ehrung Thälmanns aus unser heutigen demokratischen Sicht im direkten Kontext als Nazi-Widerständler, oder ist es nur eine der vielen vom DDR Regime stilisierten kommunistischen "Ikonen".

Welchen Stellenwert hat Thälmann denn nach heutigen Maßstäben deutscher Geschichtsschreibung?
 
Für diejenigen, die das konkrete Denkmal nicht kennen, stelle ich mal ein Bild hier rein, obwohl sich die Frage natürlich um mehr dreht als nur um ein einzelnes Objekt.

Ernst_Thaelmann_Berlin.JPEG

@Köbis.Das Denkmal ist natürlich erst mal aus dem Hintergrund der DDR-Ikonographie zu sehen. Es zeigt ja Thälmann als Arbeiterführer und nicht als Häftling.
Deine Frage ist aber zentral: Als was sieht man es denn heute an? Natürlich ist es ein vielschichtiges Bild, die einen sehen als Provokation und Verherrlichung der DDR, die anderen als Mahnmal gegen den Faschismus, die Dritten als Zeitzeugnis. Man könnte ähnliche Fragen an die Siegessäule stellen, finde ich.
 
„Ein Denkmal vom Sockel holen“, ist sprichwörtlich in der deutschen Sprache. Es heißt, die Glorifizierung eines verehrten Helden zu beenden, eine hoch angesehene Persönlichkeit kritisch zu betrachten. An diesem Punkt, der kritischen Betrachtung, ist die Geschichtswissenschaft und die Mehrheit der Öffentlichkeit im Fall von Thälmann schon längst. Bis 1990 gab es eine geteilte Betrachtungsweise, im Osten Glorifizierung, im Westen eine möglicherweise objektivere Einschätzung der Person Thälmanns.
Ich erinnere mich z.B., wie uns in der ersten Schulklasse (DDR) die Geschichte von Thälmann erzählt wurde, wie er sein Pausenbrot an seine hungernden Klassenkameraden verteilte.

Bei der Diskussion um das Denkmal sollte keinesfalls vergessen werden, die Rolle des Andenkens an Thälmann in der DDR zu werten. Ich meine, das Nachleben Thälmanns in der DDR ist mindestens ebenso wichtig für die Beurteilung des Denkmals wie sein Wirken zu Lebzeiten. Zu dieser Zeit ist das Denkmal ja auch entstanden und erfüllte einen politischen Zweck in der sozialistischen Gesellschaft.

Es ist eben nicht nur das Denkmal eines Dichters oder Komponisten. Aber selbst diese können das Nachwirken von Person und Werk widerspiegeln, wie z.B. das neue Wagner-Denkmal in Leipzig. Ich kenne das Denkmal im Thälmann-Park nicht, aber ich gehe davon aus, dass sich bereits eine wertende Anmerkung am Denkmal befindet. Alles andere wäre befremdlich ebenso wie die Ernst-Thälmann-Straßen, die es in einigen Orten noch gibt.
 
@Köbis.Das Denkmal ist natürlich erst mal aus dem Hintergrund der DDR-Ikonographie zu sehen. Es zeigt ja Thälmann als Arbeiterführer und nicht als Häftling.
Deine Frage ist aber zentral: Als was sieht man es denn heute an? Natürlich ist es ein vielschichtiges Bild, die einen sehen als Provokation und Verherrlichung der DDR, die anderen als Mahnmal gegen den Faschismus, die Dritten als Zeitzeugnis. Man könnte ähnliche Fragen an die Siegessäule stellen, finde ich.

Ich kenne die Geschichte um Thälmann, wurde sie doch jedem pubertierendem Jugendlichen in der DDR vorgekaut. Was daran wahr oder hinzugedichtet war, will jetzt mal außen vor lassen.

Doch welche Rolle spielte Thälmann in der deutschen Geschichte, daß so ein Personenkult Denkmal bestand haben sollte?
Dient es etwas als Pilgerstätte für denjenigen, der im ideologischen Betrug der Geschichte der DDR hängen geblieben sind?

Wir wollen mit der diktatorischen dt. Geschichte reinen Tisch machen, egal ob jetzt ideologisch Rechts oder der Betrug an dem Linken Spektrum?
Die Menschen, die mit Ihrer kommunistischen Ideologie, die Saat für Ostdeutschland nach dem Stalinistischen Vorbild legten und dies auch mit dem selben Terror im Wahlkampf der 20iger und 30iger Jahre durchsetzten wollten, wie die braune Brut, und nach dem Krieg als Konsequenz Deutsche auf Deutsche schießen ließen, in mitten des Friedens, sollten keiner Ehrung bedürfen und schon gleichmal nicht, als Pilgerstätte für die ewig gestrigen!
 
bedürfen und schon gleichmal nicht, als Pilgerstätte für die ewig gestrigen!
Unser großer Marx-Kopf ist nicht zur Pilgerstätte geworden. Touristen fotografieren sich gern davor und ab und zu gibt es kleinere Kundgebungen davor, mehr aber nicht.
Ich finde aber auch, dass Thälmann 40 Jahre lang, über Gebühr glorifiziert worden ist und es keinen Verlust darstellt, wenn er verschwindet. Für die Zerstörung wäre ich allerdings nicht. Man könnte die Skulptur ja auch auf einer gesonderten Ausstellungsfläche für sozialistische Kunst der DDR zeigen. Schließlich sind diese 40 Jahre ein Teil deutscher Geschichte, egal ob er uns gefällt oder nicht.
 
Unser großer Marx-Kopf ist nicht zur Pilgerstätte geworden. Touristen fotografieren sich gern davor und ab und zu gibt es kleinere Kundgebungen davor, mehr aber nicht.
Ich finde aber auch, dass Thälmann 40 Jahre lang, über Gebühr glorifiziert worden ist und es keinen Verlust darstellt, wenn er verschwindet. Für die Zerstörung wäre ich allerdings nicht. Man könnte die Skulptur ja auch auf einer gesonderten Ausstellungsfläche für sozialistische Kunst der DDR zeigen. Schließlich sind diese 40 Jahre ein Teil deutscher Geschichte, egal ob er uns gefällt oder nicht.

Ein maßvoller und sinnvoller Vorschlag, wie ich persönlich finde. :winke:
 
Ich weiß nicht so recht. Zunächst mal darf man ja das Wahlergebnis nicht von hinten lesen, das heißt, daß der Sieg Hindenburgs 1925 automatisch zu Hitler führen mußte.
Die Kommunisten hatten mit ihrem damaligen Werbeslogan: "Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt wählt den Krieg " zumindest auf diese Möglichkeit hingewiesen. Leider führte diese wahrgewordene Prophezeiung dazu, dass die Kommunisten sich darauf verstiegen die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. "Die Partei die hat immer recht" war dann das Ergebnis davon.
 
Unser großer Marx-Kopf ist nicht zur Pilgerstätte geworden. Touristen fotografieren sich gern davor und ab und zu gibt es kleinere Kundgebungen davor, mehr aber nicht.
Ich finde aber auch, dass Thälmann 40 Jahre lang, über Gebühr glorifiziert worden ist und es keinen Verlust darstellt, wenn er verschwindet. Für die Zerstörung wäre ich allerdings nicht. Man könnte die Skulptur ja auch auf einer gesonderten Ausstellungsfläche für sozialistische Kunst der DDR zeigen. Schließlich sind diese 40 Jahre ein Teil deutscher Geschichte, egal ob er uns gefällt oder nicht.

Im Ergebnis sehe ich das auch so, auch wenn mir der letzte Satz etwas weitgehend erscheint, aber so weitgehend wohl nicht gemeint ist.

Wenn man mal den Aspekt der "doppelten Erinnerungskultur", sozusagen die Perzeption der DDR-Rezeptionsgeschichte zur KPD der Weimarer Republik ausblendet: wie geht man mit dem KPD-Widerstand zum NS um?

Einerseits war es Widerstand gegen die verbrecherische Diktatur, inkl. massive Opferrolle in der Phase der Machtergreifung und während der Regimezeit, andererseits hat die KPD beträchtlichen Anteil ab der auch gewalttätigen Destabilisierung von Weimar, am Untergang der Demokratie zwischen den extremen Polen.
 
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