Ethnische Minderheiten bei den Wikingern ?

V

VendelPanzer

Gast
Gab es bei den Wikingern damals Minderheiten ? Sprich auf den Raubzügen oder im Alltagsleben. Die Waräger beispielweise waren ja in Byzanz, Osteuropa oder im Kaukasus. Kann es sein das sich dann einheimische den Warägern angeschlossen haben oder ist das mehr als unrealistisch ?
 
ich glaube nicht, dass die diversen dänischen, schwedischen und norwegischen Wikinger die Muße hatten, nach ethnischen Kriterien des 19. Jhs. akribisch demografisch Buch über ihre Mitwikinger zu führen ;)

was die byz. Warägergarde betrifft: welche Sprache verwendeten die untereinander? Noch irgendwas nordgermanisches oder schon altrussisch?
 
In den Sagas kommen mitunter Personen mit Migrationshintergrund vor. In Zusammenhang mit Vinland z.B. Thirk der Sachse, der den namensgebenden Wein entdeckt haben soll. Während der Sachsenkriege Karls des Großen suchte Widukind und wohl auch andere Sachsen in Dänemark Rückhalt.

Aber: "Wikinger" ist kein Ethnonym. An den Annalen des 8./9. Jahrhunderts kann festgestellt werden, wie zumindest geographisch differenziert wurde, sobald die Herkunft einer Bande Plünderer klar wurde. Und die Einteilung in Norwegen, Schweden und Dänemark wurde erst in der "Wikingerzeit" grundgelegt. Da stellt sich dann auch die Frage, wie man die Ethnizität im Skandinavien dieser Zeit beurteilen soll. Waren es nur Machtbereiche und Personenverbände adliger Gefolgschaftsherrn oder gibt es Hinweise auf ein differenzierteres ethniches Verständnis. Bejaht man letzteres, bleibt fraglich, ob man noch brauchbare Hinweise auf solche Einteilungen hat.

Wie schon von dekumatland gesagt, gab es natürlich die Vorstellungen des 19. Jh. von Nation und Volk noch nicht. Damit war dann, wenn man auf den Rest Europas schaut, eher Fragen, welches Recht angewandt werden soll und ob sich jemand schon genug assimiliert hat, um als xy zu gelten, im Vordergrund und nicht die Frage nach Minderheiten.

Bei dem Thema Außenseiter im Mittelalter geht es meist eher um christliche Kulturen. Aber wenn dazu z.B. Arno Borst konstatiert, dass Außenseiter als außerhalb des normalen Bezugssystems stehend behandelt wurden, mag dies auch für die heidnischen Kulturen Nordeuropas gelten. Natürlich förderte das Christentum in dieser Zeit eine gewisse Internationalität oder Weltbürgertum jenseits von Ethnizität und der Eindruck von den so international denkenden Wikingern mag auf die Quellen oder gar auf die Auswahl uns in Mitteleuropa bequem zugänglicher Quellen zurückgehen. Doch liegt hier sicher ein anderer Umgang mit Ethnizität vor, als es uns das 19. Jahrhundert erklären wollte.

Die rechtsgeschichtliche Gleichsetzung von fremd und feindlich ist auch nicht im wörtlichen Sinn zu verstehen. Feind war, wer nicht zur Familie, nicht zur Sippe gehörte und sich keine Freundschaft oder einen anderen Status erworben hatte, der ihn von den Feinden ausnahm. Ethnizität war dabei weitgehend egal. Zudem wäre heute auch wieder zu überprüfen in wie weit diese allgemeine Annahme bei "den Wikingern" zu aktualisieren ist. Denn die Tendenz, alles 'germanische' im weitesten Sinn gleich zu behandeln, zieht sich teilweise noch bis in heute benutzte Handbücher und Zusammenfassungen.

Wird die Frage wörtlich genommen, muss konstatiert werden, dass Wikinger nur die Mitglieder einer Art Fahrtgemeinschaft meinte und daher die Ethnizität innerhalb der Gemeinschaft keine Rolle spielte. Eine unterschiedliche Sozialisation natürlich schon, da sich dies nun einmal nicht vermeiden lässt.

Langer Rede, kurzer Sinn: Es ist erst einmal zu klären, ob unsere heutigen Begriffe damals anwendbar sind.

Wenn es aber nur um einzelne Außenseiter geht, ist festzustellen, dass es recht sicher ist, dass es Außenseiter in Skandinavien und auch in Skandinavischen Heeren gab. Aber genauso ist sicher, dass es eben Ausnahmen waren. Ein Enkel muss nichts mehr von einem Migrationshintergrund gewusst haben. Dies lässt dann solche Gesellschaften einheitlicher erscheinen, obwohl die Herkunft nicht einheitlich sein muss. Wir wissen heute, dass es keine Ethnien mit einheitlicher Herkunft gibt, wenn man von Ausnahmen wie isolierten Ethnien absieht. Auch gesellschaftlicher Druck kann so etwas nicht durchsetzen: Als es während des 1. Weltkriegs im Ruhrgebiet zu Vorurteilen gegen Polnische "Gastarbeiter" und Herkunft kam, fanden viele kirchliche Eheschließungen heimlich statt. (Dabei wurde eine kirchliche Regelung aus der Zeit des Kulturkampfs ausgenutzt, die in Notzeiten Laien Eheschließungen erlaubt.)
 
was die byz. Warägergarde betrifft: welche Sprache verwendeten die untereinander? Noch irgendwas nordgermanisches oder schon altrussisch?
Harald Hardråde war zeitweise Mitglied der Warägergarde in Byzanz und später norwegischer König. Er fiel 1066 beim Versuch, sich Teile vom angelsächsischen Kuchen zu holen bei Stamford Bridge.
 
Pünktlich zur Diskussion publizieren Forscher der Universität Stockholm Untersuchungen, nach denen die Hälfte der untersuchten Knochenreste aus Gräbern einer Wikinger-Stadt (Sigtuna) offenbar eine Zuwanderung aufweist:

Uni Stockholm
Half the population of the Viking-town Sigtuna were migrants - Stockholm University

Publikation im open access in der CurrentBiology:
https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(18)30844-3
Genomic and Strontium Isotope Variation Reveal Immigration Patterns in a Viking Age Town
 
So kann man das nicht sagen. Sämtliche Ostseeanrainer und sämtliche Bewohner der Regionen an den schiffbaren Flüssen hatten direkt oder indirekt Kontakt mit Skandinaviern. Die Kiewer Rus war ein warägisches Reich. Wie viele der Waräger am Ende von der Herkunft her Skandinavier waren und wie viele Slawen, lässt sich wohl nur sehr schwer eruieren. Also ja, es kam zu (freiwilligen wie unfreiwilligen) sexuellen Kontakten zwischen Skandinaviern und Slawen. Vor der Wikingerzeit, während der Wikingerzeit und nach der Wikingerzeit. Also ja, es wird sicher Russen, Ukrainer und Polen geben, die in ihrer Ahnenreihe einen oder mehrere "Wikinger" haben. Umgekehrt wird es Schweden, Dänen und Norweger geben, die in ihrer Ahnenreihe einen oder mehrere Slawen haben. Darunter vielleicht auch Polanen. Und Griechen, Wolgabulgaren, Hunnen oder Türken. Ethnogenese ist ein Prozess der niemals abgeschlossen ist. Es sei denn, man lebte total isoliert. Also vielleicht auf den Andamanen oder in Australien vor James Cook.
 
...die Polen sollen in ihrer Ethogenese wikingische Ahnen haben...

Und der Sinn der Aussage wird hervorragend hier deutlich:

"We do not find a specific Scandinavian ‘‘Viking’’ population distinct from the rest of Europe; rather, the population was integrated in the northern European gene pool at the time."

Man findet unter dem besagten "Wikinger-Genpool" daher auch Frauen aus Novgorod, anatolische Neolithiker, bronzezeitliche Yamnaja-Steppeinvasoren, usw. usf.

Eben alles, was man finden will.
 
Ethnogenese hat aber mehr mit kulturellen und gesellschaftlichen Bezügen als mit Abstammung zu tun. Darüber hinaus kann man die polnische Ethnogenese nicht nur mit Polanen in Verbindung bringen.

Jedenfalls wurde aus verschiedenen Sagen eine Beteiligung von "Wikingern" geschlossen. Da das meines Wissens -meine Unkenntnis der polnischen Sprache lässt es mich vorsichtig formulieren- aber alles nur typische Erklärungen der Völkerverteilung sind, erscheint es mir an den Haaren herbeigezogen. So soll der Urpole Lech mit seinen Brüdern Tschech und Rus in die Gegend gezogen sein. Allerdings aus Pannonien. Die Vandalen werden mit der Königin Wanda in den polnischen Stammbaum einbezogen.

Da wir aber heute Wissen, dass der Handel internationaler war, als einst gedacht und das frühe Reich der Piasten nicht so abgeschlossen, wie oft behauptet, dürften die üblichen Bezüge zu den zeitgenössischen Handelsmächten -im Falle Polens wohl in erster Linie der Nordmänner- bei aller Vorsicht doch gegeben sein.

Als Äußerung der Reichsbildung gilt regelmäßig der in Großpolen festzustellende Burgenbau. Entsprechend sollte bedacht werden, dass Ethnogenese nicht nur in der Bildung von Beziehungen besteht, sondern auch in Abgrenzungen. Im 10. Jahrhundert wird man zwar unwillkürlich an Ungarn, Ottonen und Wikinger denken, doch bliebe dieser 'Anfangsverdacht' zu überprüfen.
 
Jedenfalls wurde aus verschiedenen Sagen eine Beteiligung von "Wikingern" geschlossen. Da das meines Wissens -meine Unkenntnis der polnischen Sprache lässt es mich vorsichtig formulieren- aber alles nur typische Erklärungen der Völkerverteilung sind, erscheint es mir an den Haaren herbeigezogen.
Du meinst wohl eher Erklärungen der Ethnogenese bzw. Herkunft des jeweiligen Volkes. Siehe die Diskussion um die Verbindung zwischen Schweizern und Schweden.
 
Es ging ja auch seit Beitrag #6 von vodnik um die Ethnogenese der Polen.

An der zitierten Stelle beziehe ich mich aber auf Völkerlisten, die deren Verteilungen über Verwandtschaft erklären, wie z.B. die Völkerstammbäume der Bibel. Demnach sind Rus, Tschech und Lech Brüder, da ja ihre 'Nachkommen' beieinander siedeln. Einen wahren Kern in dieser Sage zu suchen, wäre vergebene Liebesmüh. Und dennoch wird es -wie die Diskussion um Schweizer und Schweden zeigt- selbst bei klar erkennbarer unpassender Entstehungszeit und anderen Widersprüchen immer wieder versucht.

Ethnogenese ist ein Terminus bei dem andere Faktoren als Herkunft oder Abstammung, die dabei nur zufällig oft übereinstimmen, im Vordergrund stehen. Ob man dem nun ganz, teilweise, gar nicht oder nur Fallweise folgen will, ist eine andere Frage. Ich bin in solchen Fällen für Einzelfallprüfung. Die strikte Anwendung der Theorie von der Ethnogenese hat mich nie überzeugt, aber für viele Fälle bietet sie eine gute Erklärung. Demgegenüber muss aber auch die Individualität eines jeden historischen Ereignisses berücksichtigt werden, die nicht zulässt dass der Strukturalismus als Argument etwas beweist. Vielmehr kann es nur wahrscheinlich gemacht werden. Peter Heather hat für verschiedene Gotengruppen gezeigt, dass eine Erklärung nicht für alle dokumentierten Erscheinungen reicht, die Theorie also nicht strikt, sondern mit Augenmaß angewandt werden muss. Vielleicht könnte man auch sagen, dass die Theorie, nachdem es seit etwa 40 Jahren die bestimmende Theorie ist, nicht mehr blind angewandt werden sollte, sondern nach -vielleicht regelmäßigen- Ausnahmen oder Modifikationen Aussicht zu halten ist.

Die Sagen kannten heutige Theorien noch nicht, sondern gingen noch von regelrechten Stammbäumen aus, was durch die Lateinische Sprache begünstigt wurde, deren diesbezüglichen Begriffe zudem in der Anwendung nicht eindeutig sind. Je nach Text und Autor kann z.B. gens eine Großfamilie, eine Sippe, einen Volksstamm oder gar ein Volk meinen. Oft wird dann noch ein isolierter Bericht genommen, ohne die Hintergründe zu kennen, was gerade bei Sagen zu falschen Schlüssen führen kann. Was wird nicht alles über Elemente der Nibelungensage und deren Verortung im 13. Jahrhundert geschwafelt, obwohl ein Teil dieser Elemente schon in Dichtungen des 9. oder 10. Jahrhunderts auftauchen? Was war nicht in den letzten Jahren alles über die Herkunft der Franken zu lesen, obwohl die Sagen altbekannt und in ihrer Entstehung untersucht sind? Und die weißen Ritter aus Schweizer Sagen? Die gibt es auch in Westfalen.

Ereignisse können in der Regel nur dann aus Sagen entnommen werden, wenn sie schon bekannt sind. Anders sieht es mit Gewohnheiten und Gebräuchen die entweder aus der Entstehungszeit stammen oder nicht mehr richtig verstanden wurden. Die Geschichte von den Sachsen, die mit dem Sax bei einem Fest ihre Gegener töten (zu 4 verschiedenen Gelegenheiten berichtet), die Einnahme Jerichos und Tötung der Kanaaniter, die Gründungssagen Karthagos und der Raub der Sabinerinnen und einige andere "nette Geschichten" sind für unser Thema relevanter als Reisen und Abenteuer von Einzelpersonen, denn diese symbolisieren die Vereinigungen von Völkern durch die Fiktion, dass ein Volk vernichtet wurde und das neu entstandene siegreich war. Mit dem Hintergrund der Definition eines Volks durch Abstammung war das nicht vereinbar. Für die aktuellen Berichte gilt dann natürlich wieder, dass nur, wo Vorgänge sonst bekannt sind, auf Ereignisse geschlossen werden kann. Wichtiger ist da, dass die Geschichte von fiktiven Massakern in die Geschichte geraten sein können, was sonst kaum nachzuprüfen ist.
 
Ereignisse können in der Regel nur dann aus Sagen entnommen werden, wenn sie schon bekannt sind. Anders sieht es mit Gewohnheiten und Gebräuchen die entweder aus der Entstehungszeit stammen oder nicht mehr richtig verstanden wurden. Die Geschichte von den Sachsen, die mit dem Sax bei einem Fest ihre Gegener töten (zu 4 verschiedenen Gelegenheiten berichtet), die Einnahme Jerichos und Tötung der Kanaaniter, die Gründungssagen Karthagos und der Raub der Sabinerinnen und einige andere "nette Geschichten" sind für unser Thema relevanter als Reisen und Abenteuer von Einzelpersonen, denn diese symbolisieren die Vereinigungen von Völkern durch die Fiktion, dass ein Volk vernichtet wurde und das neu entstandene siegreich war. Mit dem Hintergrund der Definition eines Volks durch Abstammung war das nicht vereinbar. Für die aktuellen Berichte gilt dann natürlich wieder, dass nur, wo Vorgänge sonst bekannt sind, auf Ereignisse geschlossen werden kann. Wichtiger ist da, dass die Geschichte von fiktiven Massakern in die Geschichte geraten sein können, was sonst kaum nachzuprüfen ist.

Danke für den Beitrag. Wie meinst du für das Thema relevanter? Du meinst, dass diese Sagen einen wahren Kern haben? Eher als Berichte über Einzelpersonen? Wenn ja, hängt das sicherlich von der Sage ab. Manchmal, könnte ich mir vorstellen, kann von Einzelpersonen auch auf die Geschichte des Volkes geschlossen werden.

Denn letzten Satz verstehe ich nicht. Wie meinst du das?
 
Ich kann meinen Beitrag leider nicht mehr bearbeiten, daher dieser Doppelpost:
Zu meinem ersten Post: Ist nicht die Rolandsage ein Beispiel für ein Heldenepos mit historischen Hintergrund?

Wenn die von dir beschriebenen Ereignisse, die aus Sagen entnommen werden, Rückschlüsse zulassen, dann widerspricht es doch deiner Aussage, dass Sagen sich auf eine Abstammungsorientierung bezogen. Ich würde nach eingehender Überlegung eher sagen, dass Sagen bei ihrer Entstehung diese Annahmen heranzogen bzw. im Nachhinein in diese diese Annahme hineininterpretiert wird.
 
Ich glaube, ich schreibe den Post nochmal und eröffne damit einen neuen Thread. Denn du verstehst misch da in großen Teilen falsch.

Aber schon mal kürzer:

Es ist z.B. nicht die Frage, ob Sagen Rückschlüsse zulassen, sondern welche und wozu. Und auch, welcher Typ Sage vorliegt ist wichtig.

Die Rolandssage hat natürlich einen historischen Hintergrund, wie auch ein Großteil der Nibelungensage. Doch wäre über Karls Unternehmungen auf der iberischen Halbinsel sonst nichts überliefert, könnten wir daraus keinerlei Schlüsse ziehen. Wir können ihr für das aktuelle Ereignis nur entnehmen, was wir aus anderen Quellen kennen. Wir wissen einfach nicht, was an einer Sage schon verändert ist. In der Dietrichsepik ist Ermanrich sein Gegner, im Hildebrandslied noch Odoaker. Aus der Historie wissen wir, dass Odoaker korrekt ist.

Etwas anderes sind Berichte über Bräuche, Gewohnheiten, Zustände. Bei ihnen ist aber die Frage, welcher Zeit sie zuzurechnen sind. Die Ritter und Knechte des Nibelungenlieds haben nichts mit der Entstehungszeit der Sage zu tun, sondern mit der Entstehungszeit des Liedes. Aus dem Hildebrandslied wissen wir, dass die Verbindung von Dietrich mit Ermanrich nichts mit dem Selbstverständnis der Ostgoten zu tun hatte, wie schon mal gemutmaßt wurde, da dort eben noch Odoaker erwähnt ist. In der Ilias werden teils Dinge beschrieben, die eher für die archaische Zeit zutreffen, teils aber auch Dinge, die es tatsächlich in der mykenischen Kultur gab (Eberzahnhelme). Manches ist auch hier nur durch andere Quellen zuzuordnen, aber vieles kann doch mit strukturalistischen Erwägungen zugeordnet werden. Zudem ergeben sich hier Aussagemöglichkeiten, die andere Quellen nicht bieten.

Sagen zur Namenserklärung und Sagen mit Herkunftsbeschreibungen können in verschiedene Typen eingeteilt werden. Schon da zeigt sich oft, ob aus einer Sage mehr als das Selbstverständnis der Zeit der Erzähler herauszulesen ist. Die Erwähnung von Völkerverwandtschaften über Personen wie in der Bibel, der Mannus-Sage und der erwähnten Polnischen Sage geschehen regelmäßig über Nachbarschaft, Pseudoethymologien oder auch eingebildeter oder tatsächlicher Ähnlichkeiten, z.B. in der Sprache. Bei letzterem ist natürlich wieder zu bedenken, dass die Kenntnis von Sprachfamilien erst aus der Zeit um 1800 stammt. Die Geschichte der wissenschaftlichen Sprachforschung, bei der man lange aus der Zahl an Unterschieden berechnen wollte, wann sich ein Volk vom Anderen (und nicht etwa eine Sprache von der Anderen!) getrennt hat, dürfte endgültig zeigen, wie untauglich Sagen, die aufgrund zufälliger Ähnlichkeiten entstanden, sind, um Aussagen über eine ferne Vergangenheit zu gewinnen.

Die Sache mit dem relevanter hätte ich deutlicher Beschreiben müssen. Es gibt Sagen, Bräuche, Traditionen und Tabus, die bei verschiedensten Ethnien ohne erkennbaren Zusammenhang wiederkehren. Der Strukturalismus geht nun davon aus, dass es eben Verhaltensweisen gibt, die dem Menschen näher liegen als andere und sich dadurch eben häufiger finden, ohne dass es einen Zusammenhang geben muss. Im Prinzip ist das ja auch für die Theorie von der Ethnogenese grundlegend. Und wie meiner Ansicht nach bei der Ethnogenese braucht es auch beim Strukturalismus insgesamt Augenmaß und Vorsicht. Nun berichten Sagen von Handlungsweisen, die wir mit unserem heutigen westeuropäisch-christlichem Hintergrund als äußerst unwahrscheinlich betrachten. Doch können solche Handlungsweisen mitunter durch den Strukturalismus als wahrscheinlicher aufgezeigt werden, als angenommen. Dabei ist natürlich zu unterscheiden, ob nur die entsprechenden Schilderungen häufig auftreten oder tatsächlich eine solche Handlung oder ein solcher Brauch glaubhaft gemacht werden können. Oft als Topos abgetan wurde z.B. die Erziehung von Königssöhnen durch Hirten, für die schon die antiken Sagen vielfältige Erklärungen suchten. Es gibt aber eine Reihe von Völkern, bei denen dies aufgrund der Wichtigkeit des Viehbesitzes nicht ungewöhnlich erscheint, sondern einfach so, wie die Frankenkönige ihre Söhne bei Grafen (oder offiziell als Grafen, aber sicher erst einmal unter Anleitung) die Verwaltung kennen lernen ließen. Wenn nun geklärt werden kann, ob ein später Topos oder eine alte Tradition vorliegt, kann evt. eine Aussage zur Wirtschaft getroffen werden.

In diesem Zusammenhang meinte ich mit relevanter, dass es auch Schilderungen von Ethnogenese gibt, die eben solchen Strukturen folgen, zudem später nicht mehr verstanden wurden und daher nicht verändert werden konnten.

Dabei gibt es zwei Probleme. Einerseits ist zu schauen, ob sich daraus ein Topos gebildet hat. Andererseits wurden Sagen an der Grenze der Überlieferung auch schon mal in die Geschichtsschreibung aufgenommen und ein unverstandener Brauch kann dann als etwas völlig anderes erscheinen. Darauf bezog ich mich in dem fraglichen letzten Satz.

Wenn nun immer die Topos-Frage gestellt werden muss, was ist dann gewonnen? Dank der Literaturgeschichte sind diese Fragen oft einfach zu beantworten und eine vergleichsweise junge Sage wie die römische Gründungssage, die viele ältere Elemente aufnimmt, was teils gut zu beobachten ist, ist eben ein recht untaugliches Objekt. Oft ist auch der Ursprung eines Topos festzustellen. Interessant ist es, wenn eine Schilderung in einen Zeitraum passt, aber nicht davor oder danach verortet werden kann, also unabhängig von der Literaturgeschichte glaubhaft gemacht werden kann, dass nicht einfach ein Topos vorliegt.

Damit es nicht zu lang wird, folgt ein weiterer Post mit einem Beispiel.
 
Es ist z.B. nicht die Frage, ob Sagen Rückschlüsse zulassen, sondern welche und wozu. Und auch, welcher Typ Sage vorliegt ist wichtig

Die Rolandssage hat natürlich einen historischen Hintergrund, wie auch ein Großteil der Nibelungensage. Doch wäre über Karls Unternehmungen auf der iberischen Halbinsel sonst nichts überliefert, könnten wir daraus keinerlei Schlüsse ziehen. Wir können ihr für das aktuelle Ereignis nur entnehmen, was wir aus anderen Quellen kennen. Wir wissen einfach nicht, was an einer Sage schon verändert ist. In der Dietrichsepik ist Ermanrich sein Gegner, im Hildebrandslied noch Odoaker. Aus der Historie wissen wir, dass Odoaker korrekt ist.

Etwas anderes sind Berichte über Bräuche, Gewohnheiten, Zustände. Bei ihnen ist aber die Frage, welcher Zeit sie zuzurechnen sind. Die Ritter und Knechte des Nibelungenlieds haben nichts mit der Entstehungszeit der Sage zu tun, sondern mit der Entstehungszeit des Liedes. Aus dem Hildebrandslied wissen wir, dass die Verbindung von Dietrich mit Ermanrich nichts mit dem Selbstverständnis der Ostgoten zu tun hatte, wie schon mal gemutmaßt wurde, da dort eben noch Odoaker erwähnt ist. In der Ilias werden teils Dinge beschrieben, die eher für die archaische Zeit zutreffen, teils aber auch Dinge, die es tatsächlich in der mykenischen Kultur gab (Eberzahnhelme). Manches ist auch hier nur durch andere Quellen zuzuordnen, aber vieles kann doch mit strukturalistischen Erwägungen zugeordnet werden. Zudem ergeben sich hier Aussagemöglichkeiten, die andere Quellen nicht bieten.

Danke. Ich habe verstanden. Zum Strukturalismus generell: Letztendlich ist zwar ja jede Ethnogenese individuell, aber meiner Meinung nach wird sie durch strukturalistische Bedingungen verglichbar gemacht bzw. bedingt. Siehst du das ähnlich?

Sagen zur Namenserklärung und Sagen mit Herkunftsbeschreibungen können in verschiedene Typen eingeteilt werden. Schon da zeigt sich oft, ob aus einer Sage mehr als das Selbstverständnis der Zeit der Erzähler herauszulesen ist. Die Erwähnung von Völkerverwandtschaften über Personen wie in der Bibel, der Mannus-Sage und der erwähnten Polnischen Sage geschehen regelmäßig über Nachbarschaft, Pseudoethymologien oder auch eingebildeter oder tatsächlicher Ähnlichkeiten, z.B. in der Sprache. Bei letzterem ist natürlich wieder zu bedenken, dass die Kenntnis von Sprachfamilien erst aus der Zeit um 1800 stammt. Die Geschichte der wissenschaftlichen Sprachforschung, bei der man lange aus der Zahl an Unterschieden berechnen wollte, wann sich ein Volk vom Anderen (und nicht etwa eine Sprache von der Anderen!) getrennt hat, dürfte endgültig zeigen, wie untauglich Sagen, die aufgrund zufälliger Ähnlichkeiten entstanden, sind, um Aussagen über eine ferne Vergangenheit zu gewinnen.

Welche Typen meinst du?

Die Sache mit dem relevanter hätte ich deutlicher Beschreiben müssen. Es gibt Sagen, Bräuche, Traditionen und Tabus, die bei verschiedensten Ethnien ohne erkennbaren Zusammenhang wiederkehren. Der Strukturalismus geht nun davon aus, dass es eben Verhaltensweisen gibt, die dem Menschen näher liegen als andere und sich dadurch eben häufiger finden, ohne dass es einen Zusammenhang geben muss. Im Prinzip ist das ja auch für die Theorie von der Ethnogenese grundlegend. Und wie meiner Ansicht nach bei der Ethnogenese braucht es auch beim Strukturalismus insgesamt Augenmaß und Vorsicht. Nun berichten Sagen von Handlungsweisen, die wir mit unserem heutigen westeuropäisch-christlichem Hintergrund als äußerst unwahrscheinlich betrachten. Doch können solche Handlungsweisen mitunter durch den Strukturalismus als wahrscheinlicher aufgezeigt werden, als angenommen. Dabei ist natürlich zu unterscheiden, ob nur die entsprechenden Schilderungen häufig auftreten oder tatsächlich eine solche Handlung oder ein solcher Brauch glaubhaft gemacht werden können. Oft als Topos abgetan wurde z.B. die Erziehung von Königssöhnen durch Hirten, für die schon die antiken Sagen vielfältige Erklärungen suchten. Es gibt aber eine Reihe von Völkern, bei denen dies aufgrund der Wichtigkeit des Viehbesitzes nicht ungewöhnlich erscheint, sondern einfach so, wie die Frankenkönige ihre Söhne bei Grafen (oder offiziell als Grafen, aber sicher erst einmal unter Anleitung) die Verwaltung kennen lernen ließen. Wenn nun geklärt werden kann, ob ein später Topos oder eine alte Tradition vorliegt, kann evt. eine Aussage zur Wirtschaft getroffen werden.

Letztendlich meinst du, dass aufgrund des Strukturalismus Rückschlüsse gezogen werden können, ob gewisse Aspekte in Sagen "wahr" sein können?
In diesem Zusammenhang meinte ich mit relevanter, dass es auch Schilderungen von Ethnogenese gibt, die eben solchen Strukturen folgen, zudem später nicht mehr verstanden wurden und daher nicht verändert werden konnten.


Das fettgedruckte verstehe ich nicht. Wie meinst du das?
Dabei gibt es zwei Probleme. Einerseits ist zu schauen, ob sich daraus ein Topos gebildet hat. Andererseits wurden Sagen an der Grenze der Überlieferung auch schon mal in die Geschichtsschreibung aufgenommen und ein unverstandener Brauch kann dann als etwas völlig anderes erscheinen. Darauf bezog ich mich in dem fraglichen letzten Satz.

Tut mir leid dass verstehe ich nicht. Wie meinst du das mit Topos? Und meinst du mit letzterem, dass ein Brauch aus einer Sage in die Geschichtsschreibung aufgenommen wird, obwohl es nicht der Wahrheit entspricht? Wenn ja, wie meinst du das mit dem Brauch? Ich habe gerade ein Brett vor dem Kopf.
 
Zuletzt bearbeitet:
...weiter oben sind Norwegen, Schweden & Dänemark als Herkunftsländer der Wikinger aufgelistet. Die Jomswikinger erweitern das das Gebiet & beziehen auch noch die Ostsee mit den dort ansässigen Balten & Slawen mit ein. Neben den Dänen sind auch noch die Jüten zu erwähnen...
 
Lafayette II., ich schreie später oder morgen noch dazu. Ich liege krank darnieder und nachmittags macht mir das Fieber mehr zu schaffen. Vielleicht schon ein Beispiel: Im Widsith wird das Repertoire eines Sängers aufgezählt. "Finn, Sohn des Folcwald, König der Friesen" würde uns nichts sagen, wenn nicht im Beowulf den Sageninhalt zusammengefasst würde und ein Fragment einer anderen Version erhalten wäre. Dennoch können wir nichts dazu sagen, wo die Geschichte seinen Ursprung hat. Aber die goldenen Ringe, die der Sänger als seine Belohnung aufzählt, sind als Zeichen einer Gefolgschaftszugehörigkeit bekannt. Daher wissen wir, dass Sänger in Gefolgschaften aufgenommen und so versorgt werden konnten und dies offensichtlich ein Ziel darstellte.

vodnik, wenn es die Jomswikinger gab, was umstritten ist, bestanden sie -vereinfacht gesagt- aus der Gefolgschaft König Haralds, die mit ihm aus Dänemark vertrieben wurde und in Pommern eine Burg zur Sicherung des Handels anlegen oder beziehen durfte oder sich auf eine dortige Handelsniederlassung zurückziehen konnte, was Mieszko I. wohl nicht ungern sah, der die Pomoranen noch nicht so lange unterworfen hatte. Alternativ mögen die Jomswikinger auch vor Harald ausgewichen sein, um sich ihm später anzuschließen. Die besonderen Regeln, die die Sagas referieren sind einfach die Bestimmungen einer Gefolgschaft oder Fahrtgemeinschaft. So verführerisch es ist, können wir nicht einmal sagen, ob sich hier eventuell eine typische Satzung von eigentlichen Wikingern erhalten hat.

Die heute Jüten genannten Bewohner Jütlands sind Dänen. Die eigentlichen Jüten sind während der Völkerwanderung aus Jütland abgewandert, von den Dänen verdrängt oder -zumindest teilweise- diesen assimiliert. Wieder vereinfacht gesagt. (Es scheint sogar umstritten, ob die Jüten eine nordgermanische, eine ostgermanische oder eine ingväonische Sprache (altsächsisch, friesisch) hatten.) Die Jüten sind ein gutes Beispiel dafür, wie wenig man von einer Sage versteht, wenn der Hintergrund nicht mehr bekannt ist, da ihre Schicksale im Beowulf, der Finnsburgsage und einigen anderen Texten angesprochen oder geschildert werden, ohne dass man wesentlich mehr damit anfangen kann, als mit den Schultern zu zucken.
 
Lafayette II., ich schreie später oder morgen noch dazu. Ich liege krank darnieder und nachmittags macht mir das Fieber mehr zu schaffen. Vielleicht schon ein Beispiel: Im Widsith wird das Repertoire eines Sängers aufgezählt. "Finn, Sohn des Folcwald, König der Friesen" würde uns nichts sagen, wenn nicht im Beowulf den Sageninhalt zusammengefasst würde und ein Fragment einer anderen Version erhalten wäre. Dennoch können wir nichts dazu sagen, wo die Geschichte seinen Ursprung hat. Aber die goldenen Ringe, die der Sänger als seine Belohnung aufzählt, sind als Zeichen einer Gefolgschaftszugehörigkeit bekannt. Daher wissen wir, dass Sänger in Gefolgschaften aufgenommen und so versorgt werden konnten und dies offensichtlich ein Ziel darstellte.

Gute Besserung!

Du meinst die Ringe, die der Sänger von "Finn" erhalten hat? Inwiefern ein Ziel? Den Zusammenhang verstehe ich nicht ganz.
 
Glücklich, wer nicht verstehen muss, dass Versorgung ein Ziel sein kann.

Und von Finn hat er die Ringe nicht. Hier eine nicht ganz so tolle englische Übersetzung des Widsith.
 
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