Ethnogenese der Deutschen.

Diese möglichen Erklärungen für die Abstufungen des lex salica stehen einer Vorstellung, das sie in jedem Fall eine Ungleichheit vor dem Gesetz, einen geringeren Wert der Leben darstellen, die ethnisch begründet sind, entgegen - einer sozialen Ungleichheit zwischen Freien und Unfreien bzw. Sklaven ausgenommen, die in jeder antiken Gesellschaft existierte.

Das fränkische Herrschaftssystem beruhte nun einmal auf dem Prinzip der Gefolgschaften. Begriffe wie "Nation", "Staat", "Ethnie" waren keine tragenden Elemente dieser Zeit. Je höher in der Gefolgschaftspyramide, desto mehr Prestige, desto mehr Rechte.
 
Ich bin ja schon lange nicht mehr so aktiv hier und freute mich nach meinem Urlaub über den so interessant klingenden Titel und war dann erstmal erschrocken betreffs des Umgangstons; an den Anfang geskrollt aber gleichzeitig enttäuscht: Was hat Genetik mit Ethnogenese zu tun? "Genese" hat mit "Gen" herzlich wenig zu tun, mögen sie auch etymologisch nahe Verwandte sein.
Mich hat der Titel aber auch gleich nachdenklich gemacht, aber will mich gerade auch nicht durch den ganzen Thread quälen; Ab wann wäre eigentlich von so etwas wie der Ethnogenese der Dt. auszugehen? Im frühen neunzehnten Jahrhundert gab es das Konstrukt der Deutschen offensichtlich schon; aber kann man die Ethnogenese der Dt. tatsächlich noch weiter als das ausgehende 18. Jht. vordatieren?
 
Grundsätzlich litt die Diskussion sicher schon von vorneherein einerseits an dieser blödsinnigen Verbindung mit der Genetik angeblicher "Urvölker" (die Blödsinnigkeit hat hatl zuletzt plakativ deutlich gemacht), und dies hat andererseits Witiko als Dooropener für seine These eines ethnischen Zeit-Raumkontinuums von der Eisenzeit bis heute, den Protogermanen bis zur Bundesrepublik genutzt. Auch wenn ich ihn schon zurück bis zur Antike argumentativ "getrieben" hatte, hielt er unbeirrt an seinem Rassegedanken fest, bei den Franken begründet alleine mehr oder weniger aufgrund der unterschiedlichen Höhe des Wergeldes, dies würde ihr "rassisches" Überlegenheitsgefühl, ihr ethnisierendes Abgrenzungsbedürfnis beweisen. Insofern ist das, was du fragst, Muspilli, nur indirekt zum Thema geworden, meiner Ansicht nach.
 
Was hat Genetik mit Ethnogenese zu tun? "Genese" hat mit "Gen" herzlich wenig zu tun, mögen sie auch etymologisch nahe Verwandte sein.
Mich hat der Titel aber auch gleich nachdenklich gemacht, aber will mich gerade auch nicht durch den ganzen Thread quälen; Ab wann wäre eigentlich von so etwas wie der Ethnogenese der Dt. auszugehen? Im frühen neunzehnten Jahrhundert gab es das Konstrukt der Deutschen offensichtlich schon; aber kann man die Ethnogenese der Dt. tatsächlich noch weiter als das ausgehende 18. Jht. vordatieren?

Die Beantwortung der Fragestellung litt von Anfang an dem Problem, dass Muspilli beschreibt. Die Analyse der Ethnogenese von Ethnien wird im wesentlichen im Rahmen der Rekonstruktion sozialer und kultureller Prozesse vorgenommen.

Vor diesem Hintergrund ist sicherlich historisches Wissen zentral, allerdings im Kontext der Prozesse, die auf die Vergesellschaftung abzielen und somit erst "Sozialität" möglich machen.

An den Einträgen bei Wiki wird schnell deutlich, das die "Ethnogenese" ein "schwieriges" theoretisches Feld ist. Und es bedarf eigener Anstrengungen, dieses Defizit zu füllen.

Deswegen: Die Diskussion im GF sollte sich mit der Fundierung des Konstrukts beschäftigen, da es wohl für "identitäre Kreise" ein extrem wichtiges Vehikel ist, ihre kruden mythischen Vorstellungen zur Ethnogenese eines germanischen Deutschland zu diskutieren.

Nur Pohl als Theoretiker zitiert
https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnogenese

Ein wenig Wolfram, Pohl, Wenskus u.a.
https://en.wikipedia.org/wiki/Ethnogenesis

Inwiefern ist es für segmentäre Stammesgesellschaften, die auf Viehhaltung und einfacher Landwirtschaft beruhen unmöglich, sich als mit (sprachlich, religiös) ähnlichen Gesellschaften verwandt anzusehen?

Bei Witiko findet sich eigentlich nichts brauchbares zur "Ethnogenese". Bestenfalls einzelne historische Versatzstücke, die aneinander gereiht werden. Eine konstruktive Deskription des komplexen Prozesses hat "Witiko" an keinem Punkt geleistet.

Die unterschiedlichen historischen Positionen zur Entwicklung im Frühen Mittelalter in Deutschland hätte er beispielsweise bei Halsall komprimiert referiert vorgefunden.

Halsall: Barbarian Migration ....."The Barbarians role in History
https://books.google.de/books?id=S7ULzYGIj8oC&printsec=frontcover&dq=barbarian+migration+and+the+roman+wst&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwi8quW0l__dAhWMZFAKHV5mBKEQ6AEIKjAA#v=onepage&q=barbarian migration and the roman wst&f=false
 
Zuletzt bearbeitet:
Tja, wie war denn jetzt das Zusammengehörigkeitsgefühl über all die Zeiten ? Regnum Teutonicorum war nur was kümstliches für den Adel ? Alles in Frage zu stellen hilft da sicherlich auch nicht, aber ich hab da auch keine rechte Antwort.
 
Regnum Teutonicorum war nur was kümstliches für den Adel ?
Nein, das kam vom Papst.
Der König bezeichnete sich als Romanorum rex oder ließ ethnische Bezüge lieber gleich ganz weg.

Die Legitimationsterminologie der Diplome mit ihrer bewußten Umehung ethnischer Bezüge zeigt eine Haltung der den "Traditionskern" bildenden Führungsschicht des Reiches, die einer Neuformulierung als "Deutsch" nicht günstig sein konnte. Die ottonische Monarchie war infolgedessen ethnogenetisch unproduktiv und mußte es bleiben, weil karolingische Tradition und Rombezug als politische Integrationsfaktoren nahezu absolut im Vordergrund standen.
Joachim Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches (Enzyklopädie deutscher Geschichte Band 31), München 2012, S. 99
 
Ein Hinweis auf den aktuellen Stand zur Ethnogenese im Mittelalter in Europa.

Tagung: Am Rand der Geschichte? Ethnogenese und kulturelle Identitäten im estnischen Mittelalter

Nachdem EBERHARD WINKLER (Göttingen) das Tagungsthema vorgestellt hatte, hielt MATTHIAS HARDT (Leipzig) das Einführungsreferat „Ethnogenesen im frühmittelalterlichen Europa. Zum gegenwärtigen Stand der Forschung“. Im Verlauf der vergangenen 50 Jahre wurde die Vorstellung von wandernden und dabei doch ihre Identität bewahrenden Völkern (von R. Wenskus und der Wiener Schule unter H. Wolfram und W. Pohl vertreten und von W. Goffart kritisiert) stark erschüttert.

Vielmehr sei deutlich geworden, dass sich die frühmittelalterlichen „gentes“ immer wieder neu erfanden. Dabei integrierten sie ständig Menschen fremder Herkunft, Sprache und Kultur und wurden so zu polyethnischen Verbänden. Aufgrund dieses permanenten Wandels lassen sich die „gentes“ auch kaum archäologisch sicher bestimmen, wie S. Brather gezeigt hat.[1]

Die angeblich identitätsstiftenden Herkunftsmythen haben sich als gelehrte Konstrukte erwiesen, die allenfalls kurz ihren interessengeleiteten Zweck erfüllt haben. Nach der Darstellung dieser Dekonstruktion stellte Hardt die Frage nach neuen Perspektiven, und verwies dabei auf M. Borgoltes Hoffnung, dass die Globalgeschichte und die Transkulturalität nach Jerry H. Bentley hier neue Wege aufzeichnen würden.[2]

https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-3752

http://hsozkult.geschichte.hu-berli...w=pdf&pn=tagungsberichte&type=tagungsberichte
 
Im Verlauf der vergangenen 50 Jahre wurde die Vorstellung von wandernden und dabei doch ihre Identität bewahrenden Völkern (von R. Wenskus und der Wiener Schule unter H. Wolfram und W. Pohl vertreten und von W. Goffart kritisiert) stark erschüttert.

Diese Vorstellung wurde ab 1961 insbesondere von Wenskus (und der Wiener Schule) erschüttert. Die Zusammenfassung ist hier irreführend.
 
Diese Vorstellung wurde ab 1961 insbesondere von Wenskus (und der Wiener Schule) erschüttert. Die Zusammenfassung ist hier irreführend.

Kein Problem, dann schreib doch einfach eine Zusammenfassung zum aktuellen Stand, die angemessen ist. Ich hatte ja in #118 auf Halsall hingewiesen, der seinerseits eine umfassendere Zusammenfassung vornimmt, die den internationalen Stand referiert. Ich referiere gerne seine Sicht.
 
Das sind aber schon wieder die Konservativen. Wie ich so oft betone: Die reine Lehre muss im Einzelnen korrigiert werden.
 
Kein Problem, dann schreib doch einfach eine Zusammenfassung zum aktuellen Stand, die angemessen ist.

Warum sollte ich? Die Zusammenfassung hat doch Matthias Hardt geliefert; die Druckfassung seines Referats ist hier nachzulesen:
Estnisches Mittelalter

Zur ersten Erschütterung der Vorstellung von wandernden und dabei ihre Identität bewahrenden Völkern (50 Jahre vor dem Referat) durch Wenskus schreibt Matthias Hardt:

"Zwar machte er [Wenskus] deutlich, dass es im Zuge der weitreichenden Wanderungen der einzelnen gentilen Gruppen immer wieder zu neuen Ethnogenesen kommen konnte und dass sich hinter den sogenannten Großstämmen zahlreiche, auch häufig wechselnde ethnische Einheiten und Charaktere befinden konnten. [...]"

Zur Wiener Schule (Herwig Wolfram, Walter Pohl, Patrick Geary):

"Die Wiener Vorstellungen von Ethnogenesen sehen aktuell so aus, dass sich zwischen dem 1. und dem 6. nachchristlichen Jahrhundert im Barbarikum immer wieder neue Gruppen von Kriegern bildeten, die unter Verwendung von ebensolchen Namen die Auseinandersetzung mit dem römischen Imperium oder benachbarten gentilen Gruppen suchten. Die Führungsschichten dieser Gentes, ihre Eliten, strebten nach wenig anderem, als im Anschluss an die Erringung der politischen Herrschaft in den römischen Provinzen
etwas zu beginnen, das in der Forschung als 'Imitatio Imperii' bezeichnet wird und als Übernahme römischer Formen von Prestige, Habitus, Sprache, insgesamt der Lebensweise provinzialrömischer Bevölkerung durch die germanisch-reiternomadischen Zuwanderer zusammenzufassen ist.[...]"

Und zur Kritik durch Goffart:

"Sollte man angesichts solcher Vorstellungen von Ethnogenese, welche die 'Völkerwanderungszeit' durch die Infragestellung der wandernden Völker in einem Prozess der 'Transformation of the Roman World' aufgehen lassen, vermuten, dass Kritik daran vor allem von Traditionalisten geäußert worden wäre, die an der biologistischen Sicht auf die frühen Völker hätten festhalten wollen, so sieht man sich getäuscht. Harscher Widerspruch kam vielmehr von dem kanadischen Forscher Walter Goffart, der den origines gentium den ihnen von der Wiener Schule aufgrund des in den Ursprungserzählungen verwendeten Namenmaterials belassenen letzten Rest von Authentizität absprechen wollte. [...]"

Dem habe ich nichts hinzuzufügen, außer dem Hinweis, dass die verlinkte Zusammenfassung von Hardts Zusammenfassung hinsichtlich Wenskus und der Wiener Schule irreführend ist.
 
Die von Tacitus und auch in anderen Quellen überlieferte Mannus-Sage wird als Beispiel einer typischen Vereinigungssage mehrerer Völker betrachtet. Sie bezeugt zweifellos eine germanische Identität.

Unstreitig ist eigentlich nur, dass Mannus auf ein germanisches Substantiv *mann- 'Mensch, Mann' zurückgeht. Das spricht eher dafür, dass Mannus ursprünglich als Stammvater der gesamten Menschheit gedacht wurde - ähnlich dem biblischen Adam (adam bedeutet ebenfalls 'Mensch').

Welche und wieviele Söhne diesem Mannus zugeschrieben wurden und welche Völker davon abstammen sollen, steht auf einem anderen Blatt. Schon Tacitus berichtet von mehreren widersprüchlichen Versionen. In einer völkerwanderungszeitlichen Variante werden dem Istio sogar romanische und keltische Nachkommen zugeschrieben.
 
Das Maß in dem die durch den gallischen Krieg verursachte Migration zur Ethnogenese der Deutschen beigetragen hat darf nicht unterschätzt werden.
 
Welcher Umfang (ich denke, „Deutsche“ ist ein Schreibfehler) wird denn dazu eingeschätzt?

Ein immenser. Total viele Gallier hatten keine Lust von den Römern umgebracht zu werden und haben nübergemacht, in dem Fall über den Rhein. Für das Dekumatland sogar von Tacitus bestätigt: "Nicht unter die Völker Germaniens möchte ich die Leute rechnen, die die agri decumates bearbeiten, obwohl sie sich jenseits von Rhein und Donau niedergelassen haben. Die abenteuerlustigsten Gallier, die die Not kühn gemacht hat, haben den Boden, dessen Besitz umstritten war, besetzt." Natürlich waren die Flüchtlingsströme nicht auf die Gebiete südlich des Mains beschränkt. Das Ergebnis war in den Gebieten östlich des Rhein eine Kultur die sowohl gallische als auch germanische Elemente enthielt, guckst du hier:

"... Was die Namenträgerinnen angeht, so ist festzuhalten, daß nach Ausweis dieser beider Namen, in älterer Zeit in der Germania Frauen mit keltischen Namen bei germanischen Stämmen als Seherinnen wirkten."

Roland Schuhmann, Aurinia und Veleda - zwei germanische Seherinnen? In: Beiträge zur Namenforschung Band 34 Heft 2 (1999), S.131-143
 
Tacitus schreibt aber nicht, wann diese Gallier eingewandert seien.
(Die von Dir zitierte Übersetzung kann zu Missverständnissen führen: Für "Not" steht im lateinischen Text "inopia"=Armut, Mangel. Die "Not" war also keine kriegsbedingte Gefahr, sondern sie zogen der Bedürftigkeit wegen ins Dekumatland.)
 
Ein immenser. Total viele Gallier hatten keine Lust von den Römern umgebracht zu werden und haben nübergemacht, in dem Fall über den Rhein. Für das Dekumatland sogar von Tacitus bestätigt:
Die Nachfahren dieser Gallier (die dann wohl eher als Galloromanen, sprich: als "Römer" zu bezeichnen sind) haben dann allerdings im 3. Jahrhundert in Scharen in die andere Richtung rübergemacht.

(Ebensowenig wie @Ravenik kann ich hier einen Hinweis erkennen, dass es Kriegsflüchtlinge aus dem Gallischen Krieg waren.)
 
Vergessen wir nicht den Anteil aus dem Erbgut der europäischen Ureinwohner, den Neanderthalern.
Etwa drei bis vier Prozent am gesamten Genpool ist hier Standard.
Das sind vorwiegend vorteilhafte Eigenschaften, die aus diesem Erbe stammen.
 
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