(Nachtrag zu meinem vorhergehenden Beitrag: Nicht laut "Thora-Chronologie", sondern laut
biblischer Chronologie lebte Abraham 2200 Jahre "vor Christus".)
++++
Ich betone zunächst, dass ich geschrieben habe:
Die Gestalten Moses, Abraham und David, so wie sie in den jüdischen Texten geschildert werden, dürfen als rein fiktional eingestuft werden.
Ich habe nicht geschrieben: sie
müssen.
In welchem Werk kann ich die Nachweise dazu lesen? In der modernen Theologie hat man versucht, den Pentateuch auch komplett auseinander zu nehmen, hat ihm so und soviele Autoren und Redakteure zugeschrieben und gedeutet und gemacht und so weiter.
Das hat man, und zwar mit großer Berechtigung.
Im übrigen darfst du auch gerne selbst dazu recherchieren. Von mir für den Moment so viel:
Die Forschungslage gibt reichlich Anlass zur Annahme, dass die Figuren fiktional sind, aber keinen konkreten Anlass dafür, die Fiktionalität zu bezweifeln. Da wäre z.B. die Tatsache, dass viele Jahrhunderte zwischen den angeblichen Ereignissen und der textlichen Fixierung liegen (über anderthalb Jahrtausende bzw. ein dreiviertel Jahrtausend). Da kann kein Mensch ernsthaft in Erwägung ziehen, dass auch nur 1 % eines hypothetisch authentischen Originalmaterials in das Endresultat einer langen oralen (!!) Überlieferungskette eingegangen wäre.
Die Forschung ist sich einig darin, dass die Endredaktion des Pentateuch frühestens im 6. Jh., eher noch im 5. und 4. Jh. BCE stattfand und im wesentlichen vor dem Hintergrund der babylonischen Exilserfahrung und der vorausgehenden Zerstörung Jerusalems und des Tempels konzipiert wurde. Darauf deuten a) die vielen Verarbeitungen babylonischer Motive hin, welche die Priesterautoren erst in Babylon kennenlernten (z.B. Menschenerschaffung aus rotem Lehm, erster Mensch = androgyn (auch Adam !!!), Sintflut, ´Turm von Babel´, Garten Eden, Baum des Lebens, Schlange), und b) noch wichtiger, die im Pentateuch vermittelte Auffassung der Israeliten als eines von Jahwe (via Abraham und Moses) erwählten Volkes mit einer präzisen Genealogie, die auf den ersten Menschen Adam zurückgeht. Eine ´historische´ Chronologie der Israeliten vom Beginn der Welt bis zur angeblichen Landnahme macht nur Sinn vor dem Hintergrund des Verlustes der nationalen Identität der Israeliten, woraus folgt, dass alle darin geschilderten wesentlichen Ereignisse und Gestalten vor dem Hintergrund der exilischen Situation konzipiert sein müssen.
Die Figur Abraham, wenn auch möglicherweise schon vorher ein folkloristisches Motiv, erhielt also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erst im 6. Jh. BCE ihre Funktion als Stammvater der Israeliten - und damit genau das, was ihn überhaupt erst zu dem ´Abraham´ macht, über den wir hier reden.
Hier auf die Schnelle ein paar Zitate, die ich nicht extra abtippen muss:
https://en.wikipedia.org/wiki/Joseph_(patriarch)#Historicity
Modern day scholars believe the historicity of the events in the Joseph narrative cannot be demonstrated. Hermann Gunkel, Hugo Gressmann and Gerhard von Rad identified the story of Joseph as a literary composition, in the genre of romance, or the novella. As a novella, it is read as reworking legends and myths, in particular the motifs of his reburial in Canaan, associated with the Egyptian god Osiris. Others compare the burial of his bones at Shechem, with the disposal of Dionysus’s bones at Delphi.
https://en.wikipedia.org/wiki/Abraham#Historicity_and_composition_of_the_Abraham_narrative
According to archeologist William Dever, by the last quarter of the 20th century, ‘respectable archaeologists [had] given up hope of recovering any context that would make Abraham, Isaac or Jacob credible “historical figures”‘.
The Tel Dan Inscription: The First Historical Evidence of King David from the Bible - Biblical Archaeology Society
Umstritten ist allerdings die Bedeutung der Formel ´Haus von David´. Finkelstein/Silbermann denken, dass sie sich nur auf Juda oder auf die Stadt Jerusalem bezieht. Auch der jüdische Alttestamentler George Athas hält dafür, dass mit ´Bayt-Dawid´ die Stadt Jerusalem gemeint ist. Für ihn ist die Inschrift kein Beweis für einen König David, sondern nur ein unsicheres Indiz.
Mehr zum Thema hier:
https://www.bibelwissenschaft.de/wi...-tel-dan/ch/666519cb6cfb2f4624cf077064658bf5/
4. Die Tel Dan Inschrift im wissenschaftlichen Diskurs
Der wissenschaftliche Diskurs um die Inschrift von Tel Dan gestaltete sich nach der Veröffentlichung der beiden Fragmente sehr hitzig, gerade in Bezug auf hermeneutische Fragen zur Rekonstruktion der Geschichte Israels und Judas. Schon bei der Erstveröffentlichung von Fragment A erhoben Vertreter der sog. „Kopenhagener Schule“ Einspruch gegen die Art und Weise der Veröffentlichung sowie gegen die Interpretation der Inschrift, gerade in Bezug auf die von den Herausgebern gebotene Deutung des Ausdrucks „Haus Davids“ (vgl. Cryer, 1994, 1995, 1996; Davies, 1994; Lemche / Thompson, 1994; Thompson 1995a und 1995b). Ihrer Meinung nach kann die Bedeutung von ביתדוד bjtdwd (was normalerweise als „Haus Davids“ übersetzt wird) nicht als davidische Dynastie verstanden werden, sondern muss geographisch (Cryer, 1994) oder symbolisch gedeutet werden (Thompson, 1995b, meint, dass der Titel „Haus Dods [anstatt David]“ den Gott Israels und Judas als Eponym verstehe; die Existenz eines Gottes Dod sowie des Namens Dod für eine Gottheit wird aber inzwischen komplett abgelehnt, vgl. Barstad). Den Herausgebern der Inschrift wurde vorgeworfen, vorschnell eine Verbindung zu Figuren und Episoden, die aus der Bibel bekannt sind, zu ziehen. Ein solches Vorgehen sei komplett illegitim. Während die Kritik manchmal starke, fast polemische Töne annahm, wurde manches davon akzeptiert und führte das Gespräch um die Bedeutung der Tel Dan Inschrift weiter, z.B. ein Verständnis des „Hauses Davids“ auch als eine geographische – und nicht bloß dynastische – Bezeichnung. Auf der anderen Seite verstärkte dieser epigraphische Beleg des Namens David die Positionen, die nicht die komplette Davidtradition für unhistorisch halten.
Auf weitere Antworten gehe ich aus Zeitgründen ein andermal ein.