Flottenwettrüsten - Motive Kaiserreich

Das Buch blendet die politische Situation nicht aus, sondern betrachtet die Lage von einem militärischen Standpunkt (Potters Beruf wurde angesprochen, Niemitz's als bekannt vorausgesetzt).

Genau das meinte ich; die Betrachtung vom militärischen Standpunkt aus ist ungenügend, auch bei Mitwirkung von Nimitz.
 
Der Hinweis bezog sich hierauf:

Ja, das Buch bestätigt aber auch die Thesen von Tirpitz. Nicht die Flottenrüstung, sondern die Bündnispolitik (Einkreisung) war das Problem.

+

Die Meinung der Verfasser zur Flottenfrage in ihrer Zusammenfassung will ich wörtlich wiedergeben:
„Die Flottenfrage wäre zwischen Deutschland und England jedoch wohl kaum zu einem derart entscheidenden Problem geworden, wenn sich nicht ab 1902/1905 die Bündnissysteme Europa grundlegend gewandelt hätten. Sie führten Deutschland zunehmend in eine Isolierung….“

Das ist weniger die Frage von Huhn und Ei, sondern von Ursache und Wirkung. Für eine solche Aussage reicht mE die dünne Decke des Buches nicht, bei allem Respekt vor Nimitz und Co.
 
Ich verstehe es immer noch nicht. Was bedeutet, die "dünne Decke des Buches" reicht "nicht"?

Meine Zusammenfassung des Buches von Potter/Nimitz in #102 - mehr habe ich nicht getan - bezieht sich auf die erstaunliche Bemerkung in #72, die Flottenrüstung sei nach Auffassung fast aller Historiker - außer Niall Ferguseon - Kriegsgrund gewesen. Willst Du einfach mitteilen, dass Du die Auffassung der Autoren nicht teilst?
 
Erstaunliche Bemerkung?:(

Deine Behauptung:

Der englische Historiker Oxfordprofessor Niall Ferguson bezeichnet die Argumente gegen die deutsche Flotte als "entsetzlicher Unsinn" (Der falsche Krieg, S. 126). Nach meiner Einschätzung waren die Engländer einfach von fiskalischen Erwägungen getrieben. Die Sache war entsetzlich teuer.

Meine Antwort ist dann also deines Erachtens nach"eine erstaunliche Bemerkung. So, so.

Mit dieser These steht Nial Ferguson sind in der Historikerzunft meines Wissen nach auch allein dar; mir ist jedenfalls kein Historiker bekannt, der diese Thesen unterstützt.

Die Flotte hat ganz sicher nicht zu einer Verbesserung der deutsch-britischen Beziehungen beigetragen.

Ich habe nun doch schon mittlerweile in so einigen Beiträgen ausführlich den Zusammenhang zwischen den Anspruch des Deutschen Reichs Weltmacht sein zu wollen bzw. anerkannt zu werden und der Flotte entsprechend dargelegt.
 
Es geht um folgende Thesen (vgl. #69):

- England hat die mit Abstand mächtigste Flotte
- Deutschlands Flotte hat kaum eine Chance
- Daher zieht England gegen Deutschland in den Krieg

Die passen nicht zusammen, die Thesen kann man nicht kombinieren. Irgendeine Annahme muss hier falsch sein. Das ist auch die Aussage von Ferguseon.
 
- England hat die mit Abstand mächtigste Flotte
Das dieser Umstand verloren ist, hatte man in Großbritannien schon ab 1900 erkannt und arbeitete daran zumindest den qualitativen Vorsprung zu halten, dadurch auch der Bau von Großlinienschiffen ab 1906. Leider ging dass für die britische Seemacht "nach hinten los", da nun ein "Neustart" für den Flottenbau gegeben wurde, womit der Vorsprung nun ganz und gar verloren war. Das führte wiederum dazu, dass man in Großbritannien gezwungen war, Bündnisse mit anderen Nationen eingehen zu müssen, um der deutschen Herrausforderung ab 1908 entgegen zutreten.
- Deutschlands Flotte hat kaum eine Chance
Vor dem Krieg reichte der Risikogedanke für Deutschland aus, es musste keine quantitative Mehrheit an Schiffen vorhanden sein.
In einer Seeschlacht wurde dann das Gegenteil bewiesen, allerdings hatte die all so sehr überbewertete "große Seeschlacht" nicht den gewünschten Erfolg. Eine große Kriegssflotte diente in Friedenszeiten mehr, als in Kriegszeiten.
- Daher zieht England gegen Deutschland in den Krieg
Das ist sicherlich nicht der einzige Grund, aber die Flottenrevalität zwischen diesen beiden Ländern ließ wohl den Briten keine andere Wahl, alles andere wäre wohl unlogisch gewesen, von britischer Seite gesehen.
 
Lord Fisher soll gegenüber König Edward gesagt haben, das Beste sei, die deutsche Flotte zu "kopenhagen". So steht es - wohl auch von niemand bestritten - in der Literatur.

Nun wollte ich - quasi als Einleitung zu einer ursprünglich rein technischen Frage - lediglich schreiben wann Lord Fisher dies gesagt haben soll. Aber so richtig fündig wurde ich nicht. Es wird kein Datum, sondern eine Jahreszahl (1908) und als Quelle die Fisher-Biographie von 1929 von Reginald Bacon genannt. War etwa das Gespräch zwischen dem Ersten Seelord und seinem König in der Kaiserzeit gar nicht bekannt?

Meine (ursprüngliche) Frage war rein technischer Natur, wobei ich davon ausging, dass die Hochseeflotte in Wilhelmshaven angegriffen werden sollte. M.W. hatten die deutschen Schiffe aufgrund der Gegebenheiten an der friesischen Küste geringeren Tiefgang. Hätten englische Schiffe überhaupt in den Jadebusen fahren können?

Der Fernsehserie "Das Rätsel der Sandbank" (ihr liegt ein bekannter Spionageroman von E. Childers aus dem Jahr 1903 zugrunde) lag die Annahme zugrunde, dass die englische Admiraltät keine Aufzeichnungen über die Wassertiefen in der Deutschen Bucht (insb. Ostfriesische Inseln) hatte. Ist das historisch korrekt?

Aus Salewski/Elvert/Lippert, Die Deutschen und die See, S. 112 ff. (nachlesbar im Internet) schließe ich, dass einige Seeoffiziere meinten, die Engländer wollen die Hochseeflotte in Kiel zerstören. Wäre eine Überraschung in der Ostsee überhaupt realistisch gewesen (die englische Schlachtflotte hätte vor den Augen der Dänen durch die Belte fahren müssen)? Wäre die Fahrt durch die Belte keine Neutralitätsverletzung gewesen?
 
Lord Fisher soll gegenüber König Edward gesagt haben, das Beste sei, die deutsche Flotte zu "kopenhagen". So steht es - wohl auch von niemand bestritten - in der Literatur.
Nun wollte ich - quasi als Einleitung zu einer ursprünglich rein technischen Frage - lediglich schreiben wann Lord Fisher dies gesagt haben soll. Aber so richtig fündig wurde ich nicht. Es wird kein Datum, sondern eine Jahreszahl (1908) und als Quelle die Fisher-Biographie von 1929 von Reginald Bacon genannt. War etwa das Gespräch zwischen dem Ersten Seelord und seinem König in der Kaiserzeit gar nicht bekannt?

Die Problematik war den Deutschen schon bewusst, denn schon in dem Naval Scare von 1904 wurde in der britischen Presse dieses „kopenhagen“ gefordert.


Meine (ursprüngliche) Frage war rein technischer Natur, wobei ich davon ausging, dass die Hochseeflotte in Wilhelmshaven angegriffen werden sollte. M.W. hatten die deutschen Schiffe aufgrund der Gegebenheiten an der friesischen Küste geringeren Tiefgang. Hätten englische Schiffe überhaupt in den Jadebusen fahren können?

Der Fernsehserie "Das Rätsel der Sandbank" (ihr liegt ein bekannter Spionageroman von E. Childers aus dem Jahr 1903 zugrunde) lag die Annahme zugrunde, dass die englische Admiraltät keine Aufzeichnungen über die Wassertiefen in der Deutschen Bucht (insb. Ostfriesische Inseln) hatte. Ist das historisch korrekt?

Aus Salewski/Elvert/Lippert, Die Deutschen und die See, S. 112 ff. (nachlesbar im Internet) schließe ich, dass einige Seeoffiziere meinten, die Engländer wollen die Hochseeflotte in Kiel zerstören. Wäre eine Überraschung in der Ostsee überhaupt realistisch gewesen (die englische Schlachtflotte hätte vor den Augen der Dänen durch die Belte fahren müssen)? Wäre die Fahrt durch die Belte keine Neutralitätsverletzung gewesen?

Was die Tiefenverhältnisse der deutschen Bucht angeht, glaube ich kaum, dass ein Seegefecht der Größenordnung möglich gewesen wäre. Das zeigt schon allen dass Gefecht Aug 1914 vor Helgoland, bei dem die kleinen deutschen Kreuzer vernichtet wurden, weil die Tide so ungünstig stand, dass die deutschen Großkampfschiffe nur verspätet aus dem Jadebusen auslaufen konnten. Somit stellt sich diese Frage wohl kaum, zumal die Gefechtsentfernung für eine Schlacht mittlerweile so hoch war, dass ein Gefecht in dem Jadebußen gar nicht möglich war. Dieses „kopenhagen“ war zu diesem Zeitpunkt mehr sinnbildlich für den Erstschlag der britischen Flotte gegen die deutsche Flotte gedacht, aber sicher nicht direkt im Hafen!
Das trifft auch auf die Bemerkung für einen Angriff in der Ostsee zu, wobei hier die Tiefenverhältnisse noch schlechter gewesen wären. Im übrigen lag der Tiefgangdurchschnitt bei britischen Großkampfschiffen bei 8,5 m, bei den deutschen Schiffen bei über 9m.:pfeif:
 
köbis17, bedeutet der letzte Satz, dass der Tiefgang bei den deutschen Schiffen größer war (sie eine größere Wassertiefe brauchten)?
 
Richtig, die deutschen Großkampfschiffe tauchten mit ihren Unterwasserschiff tiefer ein als britische Großkampfschiffe. Das liegt daran, daß man immer ein gewisses Längen-Breiten-Verhältnis bei den Konstruktionen einhalten musste, da diverse Schleusen in Wilhelmshaven sowie im Kaiser-Wilhelm-Kanal dieses begrenzten.
Die deutschen Großkampfschiffe waren in der Regel kürzer als britische Konstruktionen, was dazu führte, daß der Tiefgang höher war. Weniger Auftrieb halt.
 
Danke, köbis17. Aber dann hat die Kopenhagen-Angst keine Basis im Realen. Ein Überfall wäre nur möglich, wenn das Auslaufen der Flotte oder Flottenteile allgemein bekannt ist (z.B. Manöver, Paraden) oder wenn man über Spionage über ein Auslaufen informiert werden würde. Eine Vernichtung der Gesamtflotte scheint mir dann doch sehr unwahrscheinlich zu sein.

Aber was hätte England davon außer einem Zeitgewinn? Insbesondere ist es zweifelhaft, ob sich Englands kontinentale Verbündete auf solche Weise in einen Landkrieg verwickeln ließen. Da liegt der Fall von 1807 doch etwas anders. Man wird argumentieren können, daß der Vorgang in Zusammenhang mit den napoleonischen Kriegen zu sehen ist, während zu Beginn des 20. Jahrhunderts allgemein Frieden herrschte.
 
Lord Fisher soll gegenüber König Edward gesagt haben, das Beste sei, die deutsche Flotte zu "kopenhagen". So steht es - wohl auch von niemand bestritten - in der Literatur.
War etwa das Gespräch zwischen dem Ersten Seelord und seinem König in der Kaiserzeit gar nicht bekannt?
Der Fernsehserie "Das Rätsel der Sandbank" (ihr liegt ein bekannter Spionageroman von E. Childers aus dem Jahr 1903 zugrunde) lag die Annahme zugrunde, dass die englische Admiraltät keine Aufzeichnungen über die Wassertiefen in der Deutschen Bucht (insb. Ostfriesische Inseln) hatte. Ist das historisch korrekt?

Das sollte man in den Kontext stellen, wie von Köbis bereits angemerkt.

Zu dem "to kopenhagen":
Die Situationen 1904-1909-1914 sind mE marineseitig aufgrund des Technologiesprungs 1906 und der vorhandenen Stückzahlen nicht vergleichbar. Bezüglich der realen Möglichkeit verstehe ich nicht, wieso der Jadebusen für die britische Flotte ein Hemmnis darstellen sollte.

Das "Rätsel der Sandbank" ist ein Roman, der 1903 unmittelbar vor dem Navy Scare 1904/05 liegt und in England große Beachtung fand. Die hochgepeitschte Presse verarbeitete den "schlechten Zustand" der britischen Armee (hier wurde mit dem Burenkrieg argumentiert) und die Invasionsangst vor einer künftigen deutschen Flotte. Dass die Tiefenverhältnisse vor der deutschen Küste britischerseits unbekannt gewesen sein sollen, halte ich für ein Märchen (Besuche, Handelsschiffsverkehr, beschaffbare Seekarten etc.). Eine kleine Analogie, die natürlich nichts weiter besagt: mir liegen Handbücher der Reichsmarine 1930 vor, die die Zufahrten zu allen japanischen Flottenhäfen kartenseitig mit Tiefenangaben und Fahrtrinnen ausweisen.

In die gleiche Kerbe wie 1904 schlug die Daily Mail-Serie "The Invasion of 1910" in 1906, die in diesem Zeitraum eine gutes Beispiel für die Invasionsangst darstellt und große Beachtung fand. Dazu die britischen Haushaltsstreitereien um die Dreadnought-Programme, die Hochschätzung von "german secret dreadnoughts", für die von 7 deutschen Werften ausgegangen wurden, die als Obergrenze des jährlichen Bauprogramms befürchtet wurden.

In diesen Kontext des allgemeinen Mißtrauens wäre die Äußerung einzuordnen.


Nachfrage:
Gibt es dazu ein Zitat bzw. eine Fundstelle, bei Massie habe ich oberflächlich nichts gefunden.
 
Bei Salewski/Elvert/Lippert, Die Deutschen und die See, S. 112 ff. kann man im Internet, bei Massie, Schalen des Zorns, S. 379 kann man etwas lesen, aber nichts mit Substanz. Das ist das, was mir zu denken gab. Den Hinweis, dass Fisher den Vorgang seinem Biographen Bacon schilderte, habe ich im Internet gelesen (weiß leider nicht mehr wo).

Ferguson, Der falsche Krieg, S. 35 ff. listet eine ganze Reihe von Büchern auf, die von englandfeindlichen Aktivitäten Deutschlands handeln, beginnend mit der Spioagestory "Spies of Wight" von 1899. Auch Sherlock Holmes jagte deutsche Agenten, die Marinegeheimnisse ausspionierten (His last bow, der Bösewicht Van Bork ist dem deutschen Marineattachee in England Wilhelm Widenmann nachgebildet).

Die Erzählung "Riddle of the Sand" wurde mehrfach verfilmt (z.B. 1979 mit Michael York, für Deutsche Fernsehen 1984 als Fernsehfilm mit 128 Minuten und (mit dem gleichen Stab) als 1oteiliger Film mit fast 500 Minuten Laufzeit, der auch auf DVD angeboten wird.
 
Die Theorie der Briten die deutsche Flotte zu „kopenhagen“ besteht m.E. im Zusammenhang, mit der Auslegung der Begründung des Risikogedanken, der ja gegen England gerichtet war.

Der Risikogedanke basierte hauptsächlich auf eine angemessene Größe der deutschen Flotte, aber es gab noch den Gedanken der internationalen Koalitionen. Angesichts des britischen Two-Power-Standards ging man wohl in Deutschland nun davon aus, dass es nicht mehr nur zwei Gegner zur See (Frankreich und Russland) geben wird, sondern mit der deutschen Flotte nun drei Gegner der britischen Flotte gegenüberstehen und deren Baukapazität weiter an ihre Grenzen gezwungen würde.

So schien Tirpitz´ Denken sich mehr und mehr um diesen Kopenhagen-Überfall zu drehen. Wann immer eine Krise nicht zu diesen Überfall geführt hatte (1904/05, 1911), konnte er daraus eine Bestätigung seines Risikoansatzes ziehen, gleichzeitig verlor er außenpolitische Realitäten völlig aus dem Blick, als er noch 1912 froh über den Stapellauf dreier französischer Schiffe war, die er der Waagschale gegen England zurechnete ( Tirpitz, Erinnerungen, S153; Stadelmann, Flottenrivalität, S134f.)

Die Spannungen nach dem Doggerbankzwischenfall 1904 führten dazu, dass Fisher König Edward VII. 1905 diesen Vorschlag allen Ernstes unterbreitete. Die Reaktion des Königs wurde legendär: „My God, Fisher, you must be mad!“
 
Ferguson, Der falsche Krieg, S. 35 ff. listet eine ganze Reihe von Büchern auf, die von englandfeindlichen Aktivitäten Deutschlands handeln, beginnend mit der Spioagestory "Spies of Wight" von 1899. Auch Sherlock Holmes jagte deutsche Agenten, die Marinegeheimnisse ausspionierten (His last bow, der Bösewicht Van Bork ist dem deutschen Marineattachee in England Wilhelm Widenmann nachgebildet).

Ich vermute mal , dass sich hier alle Beteiligten nicht viel unterscheiden.
Spionage , besonders im militärischen Bereich ist so alt wie.......
Die Briten haben ja zB. ausgiebig den Bau der Bagdad -Bahn ausspioniert,
ein früher Job des bekannten " lawrence of arabia " . Dreyfuss , Mata Hari
und was es noch alles gab.....

Die Sache ist , das noch so ausgiebige Spionage meistens nur ein Teilbild
ergibt und das man in der Beurteilung der Gesamtlage schwer daneben
liegen kann.

Insofern kann sowohl den Briten als auch den Deutschen die jeweilige
Marinerüstung übersteigerte Bedrohungen vermittelt haben.
Auf moderne Spionage geh ich gar nicht erst ein:)
 
In meinem Beitrag # 116 schreibe ich mit Hinweis auf Massie (#122), dass Lord Fisher König Edward 1908 den Vorschlag machte, die deutsche Flotte zu "kopenhagen".

In der Magisterarbeit "Krieger, Denker, Amateure" von Rödel, S. 103 Fn. 199 ist zu lesen, dass Fisher dies 1905 nach dem Doggerbank-Zwischenfall gesagt haben soll (Rödel bezieht sich auf den amerikanischen Historiker Marder, Dreadnought I, S. 113 ff.).

In Tirpitz, Erinnerungen, ist auf Seite 222 angeführt, dass "mächtige Kreise in England" 1905 die deutsche Flotte "kopenhagen" wollten. Er bezieht sich auf "neuerdings veröffentlichte Erinnerungen des Admirals Fisher" (ich denke, er meint Bacons Biographie), in dem auch "Handelsrivalität" als Streitpunkt genannt sein soll.
 
Man sollte sich an politisch und militärisch tatsächlich erwogenen Optionen mehr orientieren, als an den diversen Luftblasen des Navy Scare 1904/5.


Über die diversen Agenten- und Gruselstories haben wir schon gesprochen. Hier einige weitere Beiträge zur Rezeptionsgeschichte des deutschen Flottenbaus in Großbritannien:

April 1904: Entente Cordiale, Aufgabe der britischen "splendid isolation"
1.5.1904: National Review, The Menace of the German Navy", Invasion, Konzentration der zusammengefaßten deutschen Flotte auf die global verstreute Royal Navy. Forderungen: Allianz mit Japan+Frankreich.
1.6.1904: Empire Review zum bevorstehenden Besuch des Königs, Der weitere Ausbau der deutschen Flotte sei für den Weltfrieden untragbar.
25.-30.6.1904: Kieler Besuch Edwards VII., Vorführung fer deutschen Flotte. Tirpitz berichtet von bedeutungsschwangeren Wortwechsel und Blickkontakten zwischen Edward VII./Selborne
Times und alle weiteren bedeutenden Blätter 1.7.1904: die deutsche Flotte werde nach dem Muster der britischen gebaut, Edward VII. sei von der german fleet in being stark beeindruckt.
10.7.1904: Gegenbesuch der deutschen Flotte in Plymouth, kühler "Empfang" durch die Presse laut Metternich. Die deutsche Flotte wird als Bedrohung empfunden, "auffalend häufige Besuche" deutscher Schiffe in englischen Gewässern werden festgestellt. Spionage wird von der Presse vermutet.
12.7.1904 deutsch-englischer Schiedsvertrag.
16.7.1904 statt vieler The Spectator: we cannot be close friends both with France and Germany. Deutsche Diplomatie gehe auf Täuschung Großbritanniens aus, bis die deutsche Flotte zuschlagen könne.
September/Oktober 1904, u.a. Times: deutsche Kohleversorgung der russischen Flotte auf der Fahrt in den Pazifik sei Bruch der Neutralität.
21.10.1904 Beschießung der Fischerboote auf der Doggerbank durch russische Flotte. Die starke deutsche Flotte wird für eine deutsch-russische Verständigung als unerläßlich angesehen.

Es folgt der Artikel von Arnold White in der Sunday Sun, 6.11.1904: England müsse die deutsche Flotte ohne Kriegserklärung angreifen und vernichten. Reaktion von Balfour: "Arnold White ought to be hanged." Allerdings berichtet Metternich, der Presseartikel entspreche der Stimmung, und zitiert aus einem Brief: "Deutschland sei der gefährlichere Feind [als Rußland]. Es werde immer klarer, dass der deutsche Kaiser seine Flotte ausbaue, um England später zu bekriegen. Als Engländer müsse man sich daher die Frage vorlegen, ob es nicht richtiger sei, das Prävenire zu spielen und Deutschland zu bekämpfen, solange dafür noch Zeit sei."
12.11.1904: Army and Navy Gazette: "The Naval Horizon". Die deutsche Flotte sei während des Doggerbank-Zwischenfalls im Kieler Hafen in Bereitschaft gehalten worden. Deutschland profitiere vom russisch-japanischen Krieg. Die Flottenvorbereitungen seien unerträglich. "We are contend to point put that the present moment is particularly opportune for asking that this fleet [die deutsche Flotte] should not be further increased." Der Vorschlag bedeutete im Kontext, die Flotte einfach zu vernichten.
14.11.1904: Vanity Fair "If the German Fleet were destroyed, the peace of Europe would last for two generations... The German Navy is absolutely useless except for purposes of aggression against England.

Am 10.12.1904 wurde die britische Heimatflotte um 4 Linienschiffe aus der Mittelmeerflotte verstärkt.


Fisher, Memories, 1919, S. 4 und S. 14:
"We should "copenhagen" the german fleet at Kiel a´la Nelson. But, alas! even the very whisper of it exited exasperation agaist the supposed bellicose, but really peaceful, First Sea Lord, and the project was damned."
Wie auch dieser Hinweis zeigt, sind die Überlegungen - ex post als Beleg für die Prophezeiungen Fishers über den kommenden Konflikt von ihm selbst ausgewertet - nicht in ein politisch bemerkbares Stadium übergegangen.

O´Byron, Die Beurteilung der deutschen Flottenpolitik in amerikanischen Zeugnissen der Vorkriegszeit.
Metz, Die deutsche Flotte in der englischen Presse, der Navy Scare vom Winter 1904/05.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ferguson, Der falsche Krieg, S. 37 ff. erwähnt auch einige deutsche Romane, die sich mit einem englichen Angriff auf Deutschland beschäftigen. Dennoch scheinen die tendenziösen englischen Romane sowohl nach Zahl wie Auflage deutlich mehr gewesen zu sein. Natürlich darf man nicht vergessen, dass Childers "Riddle...." einfach ein gutes - und daher bekanntes - Buch ist, das in Seglerkreisen auch heute noch auf der ganzen Welt gelesen wird. Allerdings - auch das sollte man nicht vergessen - Childers Buch ist aus dem Jahre 1903. Das war während der Zeit des 2. Flottengesetzes, also als Deutschland erst mal eine vernünftige Flotte aufbauen wollte. Von einem Rüstungswettlauf konnte noch nicht die Rde sein. Aber es war doch auch die Zeit in der England die Voraussetzungen schuf, die Royal Navy in der Nordsee zu konzentrieren (Japan 1902, Frankreich 1904). Die Grundlagen des allierten Kriegsbündnisses wurden damals geschaffen.

Hinsichtlich der "scare" sollten auch die Ausführungen von P. Overlack, "Maritime Power in the 20. Century" im Kapitel Australia and Germany, S. 22 ff. (im Internet) gelesen werden. Er berichtet von einer geradezu absurden Angst der Australier vor den wenigen Deutschen (wikipedia schreibt von 2.069 Europäern und Amerikanern und 2.400 Soldaten für 1913 im von Sdney etwa 8.000 km entfernten Tsingtau).

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Ferguson eine Reihe von - pazifistischen - Büchern aus England und Deutschland erwähnt, die apokalyptische Vorstellungen von einem eventuellen Krieg entwickelten - und die die spätere Realität vorwegnahmen.
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Ferguson, Der falsche Krieg, S. 37 ff. erwähnt auch einige deutsche Romane, die sich mit einem englichen Angriff auf Deutschland beschäftigen. Dennoch scheinen die tendenziösen englischen Romane sowohl nach Zahl wie Auflage deutlich mehr gewesen zu sein. Natürlich darf man nicht vergessen, dass Childers "Riddle...." einfach ein gutes - und daher bekanntes - Buch ist, das in Seglerkreisen auch heute noch auf der ganzen Welt gelesen wird. Allerdings - auch das sollte man nicht vergessen - Childers Buch ist aus dem Jahre 1903. Das war während der Zeit des 2. Flottengesetzes, also als Deutschland erst mal eine vernünftige Flotte aufbauen wollte. Von einem Rüstungswettlauf konnte noch nicht die Rde sein. Aber es war doch auch die Zeit in der England die Voraussetzungen schuf, die Royal Navy in der Nordsee zu konzentrieren (Japan 1902, Frankreich 1904). Die Grundlagen des allierten Kriegsbündnisses wurden damals geschaffen.

Hinsichtlich der "scare" sollten auch die Ausführungen von P. Overlack, "Maritime Power in the 20. Century" im Kapitel Australia and Germany, S. 22 ff. (im Internet) gelesen werden. Er berichtet von einer geradezu absurden Angst der Australier vor den wenigen Deutschen (wikipedia schreibt von 2.069 Europäern und Amerikanern und 2.400 Soldaten für 1913 im von Sdney etwa 8.000 km entfernten Tsingtau).

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Ferguson eine Reihe von - pazifistischen - Büchern aus England und Deutschland erwähnt, die apokalyptische Vorstellungen von einem eventuellen Krieg entwickelten - und die die spätere Realität vorwegnahmen.


Zu silesia #126 Ich halte es nicht für richtig Stimmungen in der Bevölkerung als Luftblasen zu bezeichnen. Die Politik reagiert auf so etwas, gleich ob in demokratischen oder autoritären Systemen.
 
Ferguson, Der falsche Krieg, S. 37 ff. erwähnt auch einige deutsche Romane, die sich mit einem englichen Angriff auf Deutschland beschäftigen. Dennoch scheinen die tendenziösen englischen Romane sowohl nach Zahl wie Auflage deutlich mehr gewesen zu sein. ...Von einem Rüstungswettlauf konnte noch nicht die Rde sein. Aber es war doch auch die Zeit in der England die Voraussetzungen schuf, die Royal Navy in der Nordsee zu konzentrieren (Japan 1902, Frankreich 1904)...
...Er berichtet von einer geradezu absurden Angst der Australier vor den wenigen Deutschen (wikipedia schreibt von 2.069 Europäern und Amerikanern und 2.400 Soldaten für 1913 im von Sdney etwa 8.000 km entfernten Tsingtau). ...
Zu silesia #126 Ich halte es nicht für richtig Stimmungen in der Bevölkerung als Luftblasen zu bezeichnen. Die Politik reagiert auf so etwas, gleich ob in demokratischen oder autoritären Systemen.

Wie hat sie denn nachweislich reagiert? Hier fehlt unverändert der link zwischen Handeln, formulierten Strategien und publizistischer Aufregung, bei Ferguson nur munter gemixt, nichts anderes habe ich mit Luftblase formuliert.

Bereits das australische Beispiel zeigt die absurden Hysterien, die in diese Zeit fallen. Dass gerade die britische Publizistik nicht zimperlich ist, gilt heute wie damals (besondere 1900er-Hyterien mal daneben ausgeblendet). Wenn Ferguson diesen alten Hut benötigt, um seine Erläuterungsketten für den "falschen Krieg" zu bilden, wäre ein Rückgriff auf alte Untersuchungen zu diesem Thema sicher hilfreich. Ich finde solches nicht.

Ich sehe im Navy Scare eher das letzte Signal für die deutsche Rumpelfüßler-Diplomatie nach ihrem Abstieg in die Amateurliga (kleine Anleihe bei @jschmidt :scheinheilig: ), auf die ganze Brisanz der Tirpitzschen Visionen in noch frühem Stadium aufmerksam zu werden, wonach nämlich angeblich eine deutsche Flottenrüstung am Ende des Tages England zum Handschlag zwingen werde.

Das Gegenteil war der Fall, was aus der britischen Reaktion und den Rüstungswettlauf mit den Franzosen 15-20 Jahre zuvor leicht ablesbar war. Das hätte - um mit Salewski zu sprechen - nicht erst ausgetestet zu werden brauchen, wenn man auf die Signale geachtet hätte. Welcher Bruch liegt hier zur Bismarckschen Sichtweise, entfernte deutsche Interessen (Handels- oder Kolonialinteressen oder was auch immer) würden vor Metz verteidigt und mit Großbritannien immer verhandelbar sein?
 
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