Frankreich: Pairs und die Domaine Royal

muck

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Hallo allerseits,

alle Interessierten möchte ich gerne mit folgender Frage behelligen:

Derzeit befasse ich mich interessehalber mit dem Weg Frankreichs vom zersplitterten Feudal- zum Nationalstaat. Freilich kann man dabei die Domaine Royal, also die Domäne der französischen Könige, nicht übersehen. Leider ist die gängige deutschsprachige Literatur über das Königreich Frankreich überschaubar, insofern als sie sich in drei Namen zusammenfassen lässt: Hugo Capet, Johanna von Orleans, Ludwig XIV. Außerhalb von Fachbibliotheken findet sich wohl wenig über die Zwischenräume, die Karls VI und VII vielleicht ausgenommen. Sehr wenig findet sich über die Pairs.

Doch welche tatsächliche Macht hatten die Pairs noch inne, als immer mehr Gebiete der Krondomäne einverleibt wurden? Gleichviel ob apanagierter Prinz oder treuer Gefolgsmann (z.B. Archibald Douglas als Herzog von Touraine): War ein Graf von XYZ, dessen Grafschaft der Krondomäne zugehörte, mit regulären Lehensinhabern anderer Länder vergleichbar, oder war sein Stuhl ungleich wackeliger?

Besten Dank für alle Antworten! :winke:
 
Also sehr interessante Frage!

Sobald du woanders über gute Literatur stolpern sollest, wäre es klasse, wenn du sie uns/mir mitteilen könntest. Ich bin selbst auf der Suche. :winke:
 
Selbstredend!

(Allerdings hatte ich gehofft, jemand, der sich in der Sache auskennt, könnte ein wenig Fachwissen aus dem Ärmel schütteln. =))

Vielleicht sollte ich noch besser präzisieren, worauf meine Frage abzielt, die erste Fragestellung war doch etwas schwammig.

Mein bisheriger, aber womöglich unzutreffender Eindruck ist der, dass die Domaine Royal vor allem dazu verwendet wurde, die königliche Familie zu apanagieren oder treue Gefolgsleute mit den Einkünften aus solchen Ländereien zu belohnen (bspw. den schottischen Heerführer auf Seiten Frankreichs im Hundertjährigen Krieg, Archibald Douglas, später Herzog von Touraine).

Doch hat die mir verfügbare, deutschsprachige Literatur offengelassen, ob mit der Verleihung eines Lehens aus der Domaine Royal auch weitergehende Rechte verknüpft waren. Freilich lässt sich das HRRDN nicht mit dem Königreich Frankreich vergleichen, doch hätte jedenfalls in Deutschland ein gleichrangiger Fürst mit seinem Lehen umfangreiche Rechte erlangen können, von ohnehin kodifizierten wie der Gerichtshoheit, ggf. bis hin zu individuell zugestandenen Gerechtsamen wie dem Münzregal. Sein Lehnsherr hätte nur noch das Obereigentum an dem Lehen besessen, kurz, unser Fürst wäre Landesherr gewesen.

Es spricht jedoch die Zielsetzung der französischen Könige, alle Territorien der Feudalherren unter sich zu vereinen, gegen eine solche Machtfülle der Pairs. Die meisten waren Blutsverwandte des Königs. Wären sie "vollwertige" Herzöge und Grafen gewesen, sie hätten das Königtum stärken können; aber als Herren großer, traditionell militärmächtiger Territorien wie des Alencon hätten sie ihn auch in Gefahr bringen können.

Andererseits mussten die Gefolgsleute des Königs noch irgendeine Machtbasis besessen haben, oder sie wären der Krone nicht länger nützlich gewesen. Auch treten Pairs selbst gegen Ende des 17. Jahrhunderts, als ganz Frankreich der Domaine Royal zugehörte, regelmäßig noch als Heerführer auf, und ich sehe keinen Grund zu der Annahme, sie seien moderne Generäle ohne eigene Aufgebote gewesen. Mit eigenen Aufgeboten müssten sie freilich über eine gewisse Hausmacht verfügt haben.

Man könnte die Frage also auf den Nenner bringen:

Waren die Pairs aus der Domaine Royal nur Nutznießer (d.h. bestenfalls Grund-), oder auch Landesherren ihrer Territorien?
 
Bislang habe ich noch keine greifbaren Erkenntnisse gewinnen können — was an mir liegen muss, ich wäre sehr verblüfft, sollte sich niemand mit der Frage sozusagen hauptberuflich befasst haben —, immerhin aber einen Hinweis, der mir nicht unbedeutend erscheint.
Sicherlich vielen ein Begriff ist der Streit um die Grafschaft Artois, den Robert, der Schwager König Philipps des VI. ab 1302 mit seiner Tante Mathilde über fast dreißig Jahre hinweg ausfocht (seine Wut auf das Urteil gegen ihn ließ Robert zu den Engländern übergehen und eine treibende Kraft an Eduards des III. Hof für den Krieg gegen Frankreich werden). Während dieses Streits wurde das Artois mehrmals von der Krone eingezogen und spätestens ab Philipp VI. als Teil der Domaine Royal betrachtet, aber wirklich darauf setzen konnten sich er und seine Nachfolger einstweilen nicht.
Auch der umständliche und langwierige lehensrechtliche Prozess um das Artois zeigt m.E.n., dass zumindest in dieser Phase des Königreiches (und logischerweise, bedenkt man die Entwicklung der Domaine Royal, auch davor) das Gesetz und/oder deren faktische Macht den Königen nicht diejenige Verfügungsgewalt über aus der Krondomäne vergebene Lehen erlaubte, die man erwarten möchte. Bis Robert (bereits als Pair, anscheinend sogar für die Grafschaft Artois, die er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht besaß) der Urkundenfälschung überführt wurde, scheint die Krone nicht in der Lage gewesen sein, das Lehen nach Mathildes Tod einzuziehen, und auch danach scheiterte der König daran, das Artois zu behalten und musste es Johannas Erbin übergeben (bzw. deren Ehemann, dem Herzog von Burgund).
Da Philipp IV. stark genug war, um Robert, als dieser sich der Verbannung zu widersetzen suchte, durch das ganze Land zu jagen und selbst das Namur und Brabant für Roberts Aufnahme mit Krieg bedrohte, kann der König nicht zu schwach gewesen sein, um sich das Artois ggf. auch widerrechtlich anzueignen. Also stand ihm wohl das geschriebene oder Gewohnheitsrecht im Wege.
Man mag nun dahingehend argumentieren, dass das Artois zu diesem Zeitpunkt gerade erst Krongut geworden war, also politisch wie mgwl. auch rechtlich einen Sonderfall darstellte. Dies widerspräche aber der Erfahrung, dass gerade in einem solchen Klima, darin die Wahrung und Wahrnehmung subjektiver Rechte stärker auf die Durchsetzungskraft des Berechtigten als auf den (noch schwachen, weil vorkonstitutionellen) Schutz des Gesetzes angewiesen ist, der Berechtigte i.d.R. nach jedem Strohhalm greifen wird — eben wie Robert es selbst zwischen 1302 bis 1329 tat.
Soll heißen: Hätte der König frei über das Artois verfügen können, er hätte es (wie in späteren Fällen ersichtlich) getan. Meine Vermutung lautet also, dass wenigstens bis in das vierzehnte Jahrhundert hinein nicht nur der König von Frankreich seine Pairs tatsächlich wie pares behandeln musste und nicht einfach überfahren konnte, und zweitens wenigstens bis in diesen Zeitraum hinein die Pairs und andere Empfänger von Lehen aus dem Krongut denselben Status wie Feudalherren in anderen Reichen genossen.

Was mir hingegen keinen Einblick verschafft hat, war die Suche nach Belegen für typische herrschaftliche Befugnisse, bspw. Münz- und Bergrecht, der Umfang der zugestandenen Gerichtsbarkeit etc.pp. Das System der Verflechtungen ist zu komplex.
 
Auch der umständliche und langwierige lehensrechtliche Prozess um das Artois zeigt m.E.n., dass zumindest in dieser Phase des Königreiches (und logischerweise, bedenkt man die Entwicklung der Domaine Royal, auch davor) das Gesetz und/oder deren faktische Macht den Königen nicht diejenige Verfügungsgewalt über aus der Krondomäne vergebene Lehen erlaubte, die man erwarten möchte.

Meiner Einschätzung nach siehst Du das richtig. Im Mittelalter (in etwa bis zu den Hugenottenkriegen) hat sich die disbezügliche Situation in Frankreich nicht wesentlich von derjenigen des HRR unterschieden. Die Hauptursache der eingeschränkten Verfügbarkeit über die "Domaine Royale" ist - wie im HRR ebenfalls - lässt sich grundsätzlich mit der Erblichkeit der Lehensgüter erklären. Solange legitime männliche Nachkommen vorhanden waren, konnte das Lehen vom König nicht eingezogen werden.

Bei Frankreich kommt noch hinzu, dass die Krondomäne ursprünglich viel kleiner war als diejenige des Heiligen Römischen Reiches. Vor allem die Fürstentümer im Süden waren aus dem Eigenbesitz der lokalen Adligen hervorgegangen und ursprünglich meist keine Lehen des französischen Königtums gewesen.

Wenn es Frankreich im Gegensatz zu Deutschland in nachmittelalterlicher Zeit viel früher zu einer Art "Nationalstaat" geschafft hat, ist dies hauptsächlich damit zu erklären, dass es den Capetingern und ihren Nebenlinien Valois und Bourbon gelungen war, beim Aussterben der lokalen Machthaber deren Gebiete, vermittels Kauf, Eroberung oder Verheiratung mit der Erbtochter, der Krondomäne einzuverleiben (Du errinerst dich - das Beipsiel Dauphiné und die Albons ?). Diesen Umstand deomonstrieren u.a. auch die zahlreichen Nebenlien wie die Capetinger von Burgund, die Valois-Burgund, die Valois-Orléans, die Valois-Berry, die Valois-Angoulême, die Bourbon-Montpensier etc.

Da Frankreich und das HRR mehr oder weniger das Kerngebiet des Frankenreichs ausmachten, war gerade in diesen Regionen das mehr oder weniger über das ganze mittelalterliche Europa (Ausnahme Byzanz) verbreitete Lehnssystem am ausgeprägtesten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was mir hingegen keinen Einblick verschafft hat, war die Suche nach Belegen für typische herrschaftliche Befugnisse, bspw. Münz- und Bergrecht, der Umfang der zugestandenen Gerichtsbarkeit etc.pp. Das System der Verflechtungen ist zu komplex.

Hilft das weiter?

Monnaie et majesté royale dans la France du XIVe siècle - Persée

Seite 336:

Einige der Münzprägungen wurden eingezogen, andere blieben durchs ganze 14. Jahrhundert. Aber kein Erbe wurde abgetreten mit einem Emissionsrecht und nur die Fürstentümer an der Peripherie Bretagne, Flandern, Bourgogne, Foix und Guyenne anglaise konnten mit ihrem Geld in Konkurrenz mit dem königlichen treten. Es vermischte sich mit ausländischen Währungen. Parallel wurde der Esterlin anglais toleriert ab 1265, aber ab 1295 vollkommen verboten. Das Verbot wurde 1305 ausgeweitet auf „alles Geld außerhalb unseres Königreichs“. Mit wenigen Ausnahmen immer wieder verlängert.


L'ordonnance ou règlement de 1315 sur le monnayage des barons - Persée
Adolphe Dieudonné: L’ordonnance ou règlement de 1315 sur le moyannage des barons

Seite 7:

Das „feudale“ Geld verlor mehr und mehr an Bedeutung als Saint Louis und Philippe III. Ordnung schufen. Sie postulierten einige Grundsätze:

1. Die Barone respektieren in ihren Ländern die königlichen Verordnungen die Geldpolitik betreffend, besonders das Verbot ausländischer Währungen.
2. Das Geld eines jeden Barons gilt nur auf dem jeweiligen Gebiet und das königliche Geld im gesamten Königreich. Von Baron zu Baron ist der Austausch untersagt, außer einige Ausnahmen nach „altem Recht“.
3. Es ist den Baronen untersagt Münztypen zu verwenden, die sich nicht deutlich von den königlichen Münzen „Parisis“ und „Tournois“ unterscheiden.
4. Die Barone sollten sich im Prinzip zurückhalten ihre Währung zu verschlechtern. Wenn sie sie „verringern“, sollte das durch einen Wechsel des Aussehens, des Typs geschehen.

Diese Vorgaben wurden erinnert durch die Verordnungen vom 19. Mai 1305, des 19. November 1315, des 15. Januar 1316. Diese sagen außerdem, daß die „feudalen“ Denare unterschiedlich sein dürfren von allen anderen.
 
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