Französisches und Deutsches Verständnis von der Nation - Elsaß-Lothringen

Gandolf schrieb:
Aber so völlig inoffiziell war der Zusatz nicht, oder?

Darüber ließe sich diskutieren, aber das hier ist wohl nicht der richtige Pfad dafür. Mir war in Erinnerung, daß es sich um einen inoffiziellen Zusatz handelt (vgl. http://home.pages.at/cimbria/austria.html), und das paßt auch zu meiner Beobachtung, daß mir in Dokumenten des 17. und 18. Jahrhunderts dieser Zusatz nie begegnet ist.
 
Gandolf schrieb:
...dürfte der Streit, ob die deutsche Nation als Kulturnation oder als Abstimmungsnation zu definieren ist, ziemlich unerheblich sein.

daß ist überhaupt nicht unerheblich, weil der begriff der kultutrnation den wahren kern des deutschen national- und selbstverständnisses verdeckt. ich versuche das mal mit einem kleinen beispiel und vergleichend zum französischen verständnis zu verdeutlichen und bitten künstlerische aspekte beim folgenden unberücksichtigt zu lassen:

niemand wird ernsthaft bezweifeln, daß der als armenier geborene charles aznavour ein heurausragender vertreter des französischen chansons und selbstverständlich franzose war. aber ist ebenso selbstverständlich unumstritten, daß der in bayern geborene roberto blanco ein wichtiger interpret deutschen volkstümlichen liedgutes und selbstverständlich deutscher ist?

ponzelar
 
Andronikos schrieb:
Man muss diesen "Irrweg" aber auch unter den Vorraussetzungen des 19. Jahrhunderts betrachten und zu verstehen versuchen. Frankreich war ein festgefügter Zentralstaat (und das schon seit langem), während es einen deutschen Staat zu dieser Zeit gar nicht gab. Die meisten (aber eben nicht alle!) deutschsprachigen Staaten waren im Deutschen Bund zusammengeschlossen, dieser definierte sich notwendigerweise als Gemeinschaft der Staaten, die zur deutschen Kultur und Sprache gehören. Diese Tatsache war also im 19. Jahrhundert kein Irrweg, sondern Notwendigkeit, um den zu schaffenden deutschen Nationalstaat vorher theoretisch zu beschreiben.

Die deutsche Staatsbildung musste dann logischerweise im Konflikt mit den Nachbarstaaten erfolgen, da einerseits deutsche Bundesstaaten (Schleswig, Holstein) von Nachbarstaaten beansprucht wurden und andererseits deutschsprachige Gebiete (die qua Definition des frühen 19. Jhds. zum deutschen Staat gehören sollten) im Ausland lagen. Das betrifft Elsaß-Lothringen, die Deutsch-Schweiz und wurde später, als der deutsche Staat dann geschaffen war, fälschlicherweise wie man heute sagen muss, auf alle "Volksdeutschen" übertragen.

Alle Deutschen in einem Staat zusammenfassen zu wollen, war für die meisten Deutschen bis 1866 das große patriotische Ziel. Erst nach dem Deutsch-Deutschen-Krieg von 1866 und der Kleindeutschen Reichsbildung 1871 entwickelte sich dieses Ziel zu einem Irrweg.
Für die in einer Vielzahl von Staaten lebenden Deutschen stellte die Umkehrung des Dogmas von der Nationalsprache "eine Nation - eine Sprache" in die Formel "eine Sprache - eine Nation" in der Tat die Möglichkeit dar, die deutsche Nation zu beschreiben.

Allerdings half diese Umformung allein nicht wirklich weiter, um zu einem einheitlichen deutschen Staat zu gelangen. Das von Rousseau geprägte Nationalverständnis verstand unter der Nation ja gerade die Gemeinschaft der Bürger, die in einem Staat zusammenleben. Die Nation war also eine Staatsnation. Demzufolge gab es eine preußische, bayerische, württembergische, württembergisch-hohenzollerische, badische, etc. Staatsnation, aber mangels eines einheitlichen deutschen Staates keine deutsche Staatsnation.

Um zum einheitlichen deutschen Staat der deutschen Nation, einem Nationalstaat, zu kommen, musste das überlieferte deutsche Verständnis vom Verhältnis zwischen der deutschen Nation und den deutschen Staaten neu bestimmt werden. Die alte Formel, dass die Nation aus vielen Staaten besteht (Nation > Staat), musste verändert werden.

Die Anhänger rigoroser Schlussfolgerungen des Verstandes und des aufschäumenden Nationalgefühls forderten, dass der zu schaffende deutsche Nationalstaat alle Deutschen in einem Staat vereinigen müsse (Nation => Nationalstaat).

Die Anhänger einer vernünftigen Lösung waren bereit Kompromisse zu schließen und auf internationale Belange, aber auch auf das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen (Niederländer, Schweizer, Elsäßer, Lothringer) Rücksicht zu nehmen (Nation > Nationalstaat).

Für das Elsaß bestand der deutsche Irrweg darin, dass sich - aus Sicherheitsgründen - die rigorose Lösung durchsetzte. Wie rigoros diese Lösung sein konnte, zeigte sich an folgenden Zitaten:

Augsburger Allgemeine Zeitung, 30.8.1870 zur Forderung einer Volksabstimmung in Elsaß-Lothringen: "Hübsch! Die Kinder sollen abstimmen, ob sie Kinder ihrer Mutter seien! Der Wille! Als ob es nicht auch einen schlechten Willen gebe! Mit der Rute müssen wir leider anfangen. Die entarteten Kinder müssen unsere Faust fühlen! Der Züchtigung wird die Liebe folgen, und diese wird sie wieder zu Deutsche machen." (zitiert nach Lothar Gall in: Schieder/Duerlein, Reichsgründung 1870/71, 1970, S. 374).​

J. Hölder, Führer der württembergischen Liberalen, Brief an E. Lasker vom 12.8.1870:
"Die Abneigung der Bevölkerung kommt nicht in Betracht, wird sind ja keine sentimentalen Politiker und keine doctrionären Narren. Die Nationalität wird sich bald wieder geltend machen, bis dahin können diese Länder nötigenfalls militärisch im Zaun gehalten und regiert werden" (zitiert nach Lothar Gall in: Schieder/Duerlein, Reichsgründung 1870/71, 1970, S. 375).

Mit der Reichsgründung 1870/71 war für die Anhänger der rigorosen Lösung die endgültige Gestalt des deutschen Nationalstaates noch nicht gefunden:

Joseph Edmund Jörg, konservativer Publizist und Begründer der bayerischen Patriotenpartei, 1871: Deutschland könne sich „als noch unvollendeter Nationalstaat seiner Natur nach keinerlei Grenzen ziehen lassen durch bindende Verträge. Es muss sich vielmehr vorbehalten, bei nächster Gelegenheit auch noch die außen stehenden Teile deutscher Nationalität in seinen Rahmen einzubeziehen.“ (zitiert nach Klaus Hildebrand, Das vergangene Reich, 1999, S. 17).
 
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Gandolf schrieb:
Für das Elsaß bestand der deutsche Irrweg darin, dass sich - aus Sicherheitsgründen - die rigorose Lösung durchsetzte. Wie rigoros diese Lösung sein konnte, zeigte sich an folgenden Zitaten:

Augsburger Allgemeine Zeitung, 30.8.1870
(....)

J. Hölder, Führer der württembergischen Liberalen, Brief an E. Lasker vom 12.8.1870:
(...)
(zitiert nach Lothar Gall in: Schieder/Duerlein, Reichsgründung 1870/71, 1970, S. 375).[/size][/font][/font]​


Ich kenne das Buch, das du als Quelle zitierst nicht - vermute aber mal, daß diese beiden Stimmen als beispielhaft gelten sollen.
Ich für mich kann jedoch aus einem Kommentar einer Orts- oder auch Regionaltageszeitung und einem Auszug aus einem privaten Briefes eines Regionalpolitikers in Württemberg nicht auf die Regierungs-/Reichstagsaussprache in Berlin oder die breite öffentliche Meinung schließen. Zumal beide Zitate aus 1870 - zu Kriegzeiten! stammen

Auch heute kann man aus ähnlichen Zitaten, z.B. des Heidelberger Tagesblattes oder den privaten Äußerungen z.B. eines SPD-Politikers aus Hessen nicht auf die rot-grüne Regierungspolitik in Berlin schliessen.

Dir ist da allerdings kein Vorwurf zu machen, denn du schreibst ja eingangs ausdrücklich ""Wie rigoros diese Lösung sein konnte..."​
 
Zuletzt bearbeitet:
bis zur französischen revolutionen kann man nicht von nationen sprechen, darüber sind wir uns, glaub ich, einig. die menschen in den verschiedenen staaten waren untertanen, und es war nichts ungewöhnliches, zeit seines lebens untertan mehrerer monarchen gewesen zu sein, auch wenn man nie seine heimat verliess.

das "nationen"-bewusstsein entstand mit den theorien rousseaus bzw. in der französischen revolution. und, wie gandolf richtig anmerkt, gibt es auch in frankreich ganz schnell die gleichung nation=sprache. auf der anderen rheinseite entwicklet sich das national-bewusstsein im zuge des kampfes gegen napoleon, ernst moritz arndt sie hier beispielhaft genannt. in preussen wurde von den reformern schnell erkannt, dass dies die karte ist, mit der das eigene volk für den kampf zu gewinnen war. später, unter bismarck, kanalisierte man damit die revolutionären umtriebe des volkes damit.

zudem kann ich nicht erkennen, dass das deutsche nationen-verständnis ein sonder- oder gar irrweg gewesen sein soll. nicht zu unrecht beziechnet man das 19. jhdt ja als das zeitalter der nationalstaaten. parallel zum deutschen reich vereinigt sich italien, in den vielvölkerstaaten russland, österreich-ungarn und dem osmanischen reich brodelt und gärt es an allen ecken und enden. und alle verstehen unter nation mindestens die sprachgemeinschaft (manche gehen noch weiter, und haben ein "historisches" verständnis von nation, in dem auf irgendwelche vorläuferstaaten zurückgegriffen wird, besonders auffällig auf dem balkan).

insofern ist eher das französische verständnis von nation die ausnahme von der regel. wobei sich dieses ja auch dem "sprachlichen" verständnis annäherte, nur halt aus der anderen richtung. deswegen glaube ich auch nicht, dass sich das deutsche nationen-verständnis aus der umkehrung des französischen herausgebildet hat, wie gandolf es in seiner 4. these behauptet hat.

elsass-lothringen ist aus militärisch-strategischen gesichtspunkten annektiert worden (sicherung der südwestflanke, schwächung frankreichs, inbesitznahme der festungen). die sprachlich-völkischen gedanken, die immer gerne genannt wurden, sind eher als alibi zu betrachten und spielten bei bismarck keine rolle. schliesslich hat er 1866, ohne mit der wimper zu zucken, einen bedeutenden teil der deutschen gewaltsam aus der nation herausgedrängt.

eine "heim ins reich"-politik wurde unter dem kaiserreich nicht betrieben, wen sollte man den heimholen? natürlich gab es grossdeutsche anhänger, die zu einem teil den ideen von 1848 nachhingen, zum anderen teil das vorwegnahmen, was dann ab 1933 offizielle politik wurde.
 
Arne schrieb:
Ich kenne das Buch, das du als Quelle zitierst nicht - vermute aber mal, daß diese beiden Stimmen als beispielhaft gelten sollen.
Genau und zwar als Beispiel dafür wie rigoros diese Lösung sein konnte.
Arne schrieb:
Ich für mich kann jedoch aus einem Kommentar einer Orts- oder auch Regionaltageszeitung und einem Auszug aus einem privaten Briefes eines Regionalpolitikers in Württemberg nicht auf die Regierungs-/Reichstagsaussprache in Berlin oder die breite öffentliche Meinung schließen. Zumal beide Zitate aus 1870 - zu Kriegzeiten! stammen
Was die breite öffentliche Meinung anging, gab es eine Pressekampagne - die von Bismarck gesteuert wurde - und die Annexion aus nationalen Gründen forderte. Bismarck erschien infolge dieser Kampange als ein Politiker, der dem öffentlichen Druck widerwillig und aus rationalen Sicherheitsgründen nachgab. So berichtete der englische Botschafter nach Londen, der Druck der Öffentlichkeit Elsaß-Lothringen zu annektieren, sei so stark verbreitet, dass kein deutscher Politiker in dieser Frage anders entscheiden könnte. Ob man allerdings sagen kann, Bismarck habe mit Hilfe dieses Eindrucks seine eigene nationalistische Stimmung verdecken wollen, ist umstritten. Letztlich finden sich für eine solche nationalistische Gesinnung Bismarcks keine Beweise. Ihm ging es wohl eher darum, seine Sicherheitsvorstellungen durchzusetzen und hierzu einerseits eine breite Zustimmung in der deutschen Öffentlichkeit für die Annexion zu gewinnen sowie andererseits mit den anderen Großmächten in dieser Frage nicht verhandeln zu müssen.

Die Annexion war auch innenpolitisch nicht unproblematisch. Immerhin wollte die Bevölkerung von Elsaß-Lothringen bei Frankreich verbleiben und nicht annektiert werden. Auf diesen Umstand wies Bismarck in seiner Reichstagsrede vom 02.05.1871 zum "Gesetzentwurf betreffend der Vereinigung von Elsaß-Lothringen mit dem Deutschen Reich" ausdrücklich hin. Wie heikel dieses Problem innen- und außenpolitisch war, zeigt sich auch darin, dass der Reichstag auf Absprache der Fraktionen darauf verzichtete, zur Annexion von Elsaß-Lothringen inhaltlich zu diskutieren (Deutscher Reichstag, 1871, Band 23, S. 517-521).

In der deutschen Öffentlichkeit sprachen sich nur wenige Stimmen gegen die Annexion aus. So lehnten zum Beispiel Dr. Johnn Jacoby (Volkspartei in Königsberg) und August Bebel (SPD) die Annexion wegen ihrem Charakter als "Vergewaltigung" der Elsaß-Lothringer und den nachteiligen Folgen für das künftige deutsch-französische Verhältnis ab.

Die breite Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit hingegen befürwortete die Annexion. Natürlich musste sich diese Mehrheit mit dem allseits bekannten Widerspruch auseinandersetzen, dass die Deutschen zwar Elsaß-Lothringen als deutsches Land zurück haben wollten, die "urdeutschen" Elsaß-Lothringer aber keine deutschen Staatsbürger werden wollten. Es boten sich prinzipiell zwei Möglichkeiten an, mit diesem Problem "rhetorisch" umzugehen:
  • Bismarck beschwörte in seiner Reichstagsrede die Fähigkeit Deutschlands für die Elsässer und Lothringer ein gutes Vaterland zu sein. Motto: wir haben denen mehr zu bieten, als die Franzosen. Das vernebelte natürlich - in diplomatisch geschickter Weise -, dass auch er bereit war, sich über den Willen der Bevölkerung hinwegzusetzen.
  • Ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit war da schon plumper und direkter als Bismarck. Die von mir zitierten Stimmen sind ein Beispiel für diese Gruppe. Interessanterweise stammten die von mir ausgewählten Zitate aus dem angeblich so "menschenfreundlichen" Süddeutschland und nicht aus dem "unmenschlichen" Preußen. Ich will nicht behaupten, dass es solche Stimmen nicht auch in Preußen gab. ABER selbst in der Führung der württembergischen Liberalen (!) - was das Zitat von Hölder beweist - war man bereit, sich über den Willen der Elsässer und Lothringer hinwegzusetzen.
Die Auffassung, dass der Prozeß der Vereinheitlichung Deutschlands notwendigerweise auch die Überwindung von Widerständen bedeutete, war in allen geographischen Teilen und politischen Parteien - mit ganz wenigen Ausnahmen - Deutschlands verbreitet und machte eben - je rigoroser man die Nationalstaatsgründung betreiben wollte - selbst vor dem entgegenstehenden Willen der Bürger, die in einem solchen Staat vereint werden sollten, nicht halt. Das war natürlich ein ziemlich starker Widerspruch zum französischen Verständnis von der Nation, die ja gerade auf dem freiwilligen Beitritt ihrer Bürger beruhte und deren Bürger durch eine gegen ihren Willen erzwungene Gebietsabtretung der Nation nicht entrissen werden durften.
 
SO freiwillig sind die korsen, bretonen etc. der französischen nation nicht beigetreten. und die kurzfristigen "erweiterungen" unter napoleon waren auch kein beitritt, sondern annexionen (hat nicht auch napoleon III. ansprüche auf deutsches gebiet erhoben, landau/pfalz?).

natürlich kam bismarck die nationale hochstimmung 70/71 zupass und er wäre ein politischer narr gewesen, hätte er nicht darauf reagiert, nachdem er 5 jahre zuvor österreich-ungarn ungeschoren liess.

annexionen, die per definition gegen den willen der bevölkerung durchgeführt werden, waren der natürlich lohn eines gewonnenen krieges. im falle elsass-lothringens konnte man den anspruch historisch-sprachlich verbrämen. übrigens finde ich es interessant, dass man schon damals über volksabstimmungen nachdachte. eine frühform des selbstbestimmungsrechts der völker.
 
ponzelar schrieb:
niemand wird ernsthaft bezweifeln, daß der als armenier geborene charles aznavour ein heurausragender vertreter des französischen chansons und selbstverständlich franzose war.
Ich würde dass, davon abhängig machen, ob Charles Aznavour der französischen Nation freiwillig beigetreten ist. Allein durch das Singen französischer Chansons wird man noch nicht zum französischen Bürger.
ponzelar schrieb:
aber ist ebenso selbstverständlich unumstritten, daß der in bayern geborene roberto blanco ein wichtiger interpret deutschen volkstümlichen liedgutes und selbstverständlich deutscher ist?
Spricht Roberto Blanco deutsch als Muttersprache? Nein, seine Muttersprache ist spanisch! Hat Roberto Blanco einen deutschen Elternteil? Nein, seine Eltern sind Kubaner. Übrigens wurde Roberto Blanco nicht in Bayern sondern in Tunis geboren und er verbrachte seine Jugend in einem Internat in Beirut (vgl. Homepage von Roberto Blanco - http://www.robertoblanco.de/info_deutsch.htm).

Wie von mir prognostiziert, wäre das Ergebnis nach beiden Kriterien (Muttersprache und Abstammung) das gleiche: Roberto Blanco ist kein Angehöriger der Deutschen Nation. ABER natürlich gibt es auch im deutschen Konzept die Ausnahmemöglichkeit Ausländern den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zu ermöglichen, wofür übrigens ein Mindestmaß deutscher Sprachkenntnisse erforderlich ist. Vor diesem Hintergrund gehe ich selbstverständlich davon aus, dass Roberto Blanco Deutscher ist, ohne zu wissen, ob er nicht vielleicht doch einen kubanischen Pass hat.

In diesem Strang geht es weniger um das heutige Verständnis von der Nation oder um die Abgrenzung der Deutschen von den Ausländern, sondern vielmehr um die Entwicklung des deutschen Nationalverständnisses im 18./19. Jahrhundert. Hand aufs Herz. Wieviele Menschen ausländischer Abstammung wurden im 19. Jahrhundert in Deutschland geboren, wuchsen in Deutschland auf und sprachen deutsch als ihre Muttersprache? Ich schätze mal, dass die damalige Zahl derartiger Lebensläufe so gering ist, dass es sich nicht weiter lohnt, die Frage, ob Deutschland nach damaligen Verständnis eine Kulturnation oder eine Abstammungsnation war, weiter zu verfolgen.

Zudem muss man auch bedenken, dass die Frage, wer zur Deutschen Nation gehört und wer nicht, vom Nationalsozialismus rassistisch aufgeladen wurde. Die vom Dritten Reich angestrebte Trennung zwischen den Deutschen und den Juden war mit Hilfe des Kriteriums der Sprache ja gerade nicht möglich. Die deutschen Juden sprachen natürlich deutsch. Auch gab es hervorragende jüdische Schriftsteller der deutschen Sprache wie z.B. Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Erich Mühsam, Ernst Toller oder Alfred Döblin. Die Selektion konnte also nur über die Definition einer jüdischen Rasse erfolgen und somit mit Hilfe des Kriteriums der Abstammung, was ja dann in den Nürnberger Rassegsetzen auch so erfolgte.

Im 19. Jahrhundert düfte es kaum einen Unterschied gemacht haben, ob jemand deutsch als Muttersprache sprach oder von deutschen Eltern abstammte. Das war damals in 99,9 % der Fälle das gleiche. Unter dem Einfluß der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts dürfte die Vorstellung von der Abstammungsnation die von der Kulturnation überlagert oder verdrängt haben. Das heisst aber nicht, dass die Abstammung schon immer das deutsche Konzept von der Nation prägte.
 
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Gandolf schrieb:
In diesem Strang geht es weniger um das heutige Verständnis von der Nation oder um die Abgrenzung der Deutschen von den Ausländern, sondern vielmehr um die Entwicklung des deutschen Nationalverständnisses im 18./19. Jahrhundert. .

... und der beginnt im modernen Sinn doch mit dem Versuch einer über die Standes-und Landesgrenzen grenzen hinweg führenden gemeinsamen Sprache , die zunächst in der dt. Nationalliteratur anzutreffen ist, die aus den Elementen der Gemeinsprache, Religion und Literatur zusammengesetzt ist. Ein Staats-Nationenbegriff aus den Elementen der Kulturnation. Diese reflektierte Idee einer dt. Kuturnation liegt dann im Kampf mit dem polit.
Nationalismus, unterliegt scheinbar, aber ist bis heute nie zerstört worden.
Hinsichtlich Elsaß-Lothringens ist zu bemerken, daß sich Anfangs des 19. Jahrh. z.B.sowohl in Deutschland, wie in Frankreich eine "Neubelebung des Geistes der Gotik" als vaterländischer Protest gegen "fremdländischen " Einfluß und Bevorzugung (z. B i.d. Architektur ) artikuliert.
Fast gleichzeitig zu den romantischen Wiederbelebungs Aktionen des mittelalterl. Mystizismus in Deutschl., sehen junge Vertreter in Frankreich gegen Ende der napoleon. Herrschaft , die Kunst des hohen MA als einzig adäquaten Ausdruck des "Genie francais " an, womit sie den universalistischen Ansatz der Aufklärungsliteratur und dessen Geist einvernehmlich, grenzüberschreitend dokumentieren.
 
es gab im deutschen reich vor 1914 über drei mio. polnisch sprechende deutsche staatsbürger, etliche hundertausend französisch, dänisch, kaschubisch, masurisch, liatuisch sprechende deutsche staatsbürger, mit allen rechten (zumindest theoretisch), mit allen pflichten (als eine der wichtigsten pflichten sah man an, dass diese bürger deutsch lernten, ob sie wollten oder nicht. aber, das habe ich an anderer stelle schon aufgeführt, die minderheitenpolitik im deutschen reich unterschied sich da nicht sonderlich vo der frankreichs oder grossbritanniens).

ich übertreibne jetzt mal, aber das halbe ruhrgebiet war im 19 jhdt. polnischsprachig, und wie heute auch zu beobachten ist, eine art freiwillige separierung mit eigenen kirchengemeinden, zeitungen etc., man blieb unter sich und redete untereinander polnisch. deutsch war die sprache der vorgesetzten, der schule, in behörden, beim militär.

aber die weitaus meisten dieser einwanderer waren deutsche staatsangehörige. solange der bedarf an arbeitskräften auch noch innerhalb des eigenen landes gedeckt werden konnte, gab es auch kaum arbeitsimmigranten wie heute. nicht zu vergessen, erst gegen ende des kaiserreichs hörte deutschland auf ein auswandererland zu sein. daher kann die zahl der eingebürgerten ausländer nur gering gewesen sein (und es gab sie!). ähnliches gilt ja auch für grossbritannien und frankreich. oder wurden heine oder marx franzosen oder engländer?
 
oha, mein beispiel roberto blanco war nicht ganz so gut gewählt, da hat mich gandolf eines besseren belehrt. offenbar in ich einem irrtum aufgesessen, ich kenne mich in dieser musikgattung halt auch nicht gut aus. danke für die korrektur! dennoch bleibe ich dabei, daß in der wahrhehmung der leute die deutsche nation abstammungsnation ist, im gegensatz zu französischen bekenntnisnation, der man beitreten kann. und das ganz unabhängig, welches ausweispapier der jeweilige mensch besitzt und das bereits vor dem dritten reich.
ist z.b. housten chamberlain, der während des 1. wk die deutsche staatsbürgerschaft annahm aus wahrnehmung der deutschen ein DEUTSCHER?

ponzelar
 
Aber auch in der französischen "Bekenntnisnation" grassiert die Ausländerfeindlichkeit gegen die "Bekenntnisfranzosen" wie Algerier und Afrikaner. Wie sonst wären 20 % Ergebnisse für die FN zu erklären, in einigen Städten stellen sie sogar die Mehrheit in den Kommunalvertretungen.

Offiziell darf also jeder relativ einfach Franzose werden. Für "das Volk" gehört man aber eben auch in Frankreich nur dazu, wenn man "ethnischer Franzose" ist. Im Prinzip sehe ich da keine Unterschiede zu jedem anderen Volk. Da spielen Details in der Einwanderungsgesetzgebung für den normalen Bürger keine Rolle. Man neigt eben als Mensch dazu sich gegen andere Gruppen von Menschen abzugrenzen.

(Bitte nicht über die Begriffe in Gänsefüßchen diskutieren, mir ist u.a. bekannt, dass es kein "etnisch reines" französisches Volk gibt, es nie ethnisch reine Völker gab, weil ständig und überall Vermischung der Standart war - und das ist gut so.;) )
 
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mal sehen, was eine zeitgenössische, deutsche quelle (meyers konversationslexikon, 4. auflage von 1889) zum begriff der nation sagt:

Nation (lat., Völkerschaft), ein nach Abstammung und Geburt, nach Sitte und Sprache zusammengehöriger Teil der Menschheil; Nationalität, die Zugehörigkeit zu diesem. Nach heutigem deutschen Sprachgebrauch decken sich die Begriffe N. und Volk keineswegs, man versteht vielmehr unter "Volk" die unter einer gemeinsamen Regierung vereinigten Angehörigen eines bestimmten Staats. Wie sich aber die Bevölkerung eines solchen aus verschiedenen Nationalitäten zusammensetzen kann, so können auch umgekehrt aus einer und derselben N. verschiedene Staatswesen gebildet werden. Denn manche Nationen, und so namentlich die deutsche, sind kräftig genug, um für mehrere Staatskörper Material zu liefern. Das Wort N. bezeichnet, wie Bluntschli sagt, einen Kulturbegriff, das Wort "Volk" einen Staatsbegriff. Man kann also z. B. sehr wohl von einem österreichischen Volk, nicht aber von einer österreichischen N. sprechen. Zu beachten ist ferner, daß nach englischem und französischem Sprachgebrauch der Ausdruck N. gerade umgekehrt das Staatsvolk (die sogen. politische Nationalität) bezeichnet, während für die N. im deutschen Sinn des Wortes, für das Naturvolk (die sogen. natürliche Nationalität), die Worte Peuple (franz.) und People (engl.) gebräuchlich sind. In. dem Begriff der N. liegt das Bewußtsein der gemeinsamen Abstammung und das Bewußtsein der Zusammengehörigen überhaupt: das Nationalgefühl. Ebendieses nationale Selbstbewußtsein ist es aber, welches zugleich den Gegensatz zwischen der einen und der andern N. hervortreten läßt. Kann zudem eine N. auf eine große Vergangenheit zurückblicken, oder nimmt sie unter den verschiedenen Nationen eine besonders hervorragende Stellung ein, so steigert sich das Nationalgefühl zum Nationalstolz, während sich jener Gegensatz zwischen verschiedenen Nationalitäten zuweilen bis zum Nationalhaß verschafft. Mit dem Nationalgefühl steht der nationale Selbsterhaltungstrieb im Zusammenhang; darum gilt jeder N. die Nationalfreiheit als höchstes Gut, und die Nationalehre verbietet ihr die freiwillige Unterwerfung unter eine andre N. Aus demselben Grund ist auch jede N. auf die Erhaltung ihrer nationalen Eigentümlichkeiten bedacht, vor allem auf die der Nationalsprache, denn auf dieser beruht zumeist das Wesen der N., und sie ist es, welche die Stammesgenossen am engsten verbindet. Dazu kommt bei den Kulturvölkerschaften eine gemeinsame Nationalliteratur, in welcher die Nationalsitte ihren besten Ausdruck findet. Denn wie die Ausdrucksweise jeder N., d. h. ihre Sprache, eine besondere ist, so pflegt es auch ihre Anschauungs- und Auffassungsweise auf dem sittlichen Gebiet, der Nationalcharakter, zu sein. Am leichtesten wird natürlich einer N. die Erhaltung ihrer Selbständigkeil dann werden, wenn sie allein ohne anderweite nationale Elemente einen Staat bildet, und ebendieser Staat wird sich durch besondere Stetigkeit und Festigkeit auszeichnen, weil er eine natürliche Grundlage hat. Jedenfalls ist es für einen Staat von großer Bedeutung, wenn eine Hauptnationalität die Basis desselben bildet. Sind aber in einem Staatswesen verschiedene Nationalitäten vereinigt, so können für die politische Behandlungsweise derselben folgende Systeme zur Anwendung kommen: 1) das System der Unterdrückung, welches z. B. von Rußland der polnischen N. gegenüber befolgt worden ist; 2) das System der Verschmelzung, das altrömische und das französische System; 3) das System der Gleichberechtigung der verschiedenen Nationalitäten, auch wohl das deutsche System genannt, welches aber auch in der Schweiz mit bestem Erfolg angewendet worden ist. Verwerflich war dagegen die Art und Weise, wie dieses System früher zum Zweck der Erhaltung der österreichischen Monarchie von österreichischen Staatsmännern, namentlich von Metternich, lange Zeit hindurch zur Anwendung gebracht worden ist, indem hier die einzelnen Nationalitäten gegeneinander aufgereizt und die eine durch die andre in Schach gehalten wurden. Das politische Leben der Neuzeit hat die Bildung nationaler Staaten besonders begünstigt. Dies zeigt sich nicht nur in dem erfolgreichen Streben der in verschiedene Staaten zersplitterten Nationen nach einem einheitlichen Staatswesen, wie dies namentlich in Italien und Deutschland der Fall war, sondern auch in den Bestrebungen verschiedener zu. einem gemeinsamen Staatskörper vereinigte Nationalitäten nach politischer Selbständigkeit, wie in Österreich-Ungarn. Man hat es sogar geradezu als ein politisches Prinzip hingestellt, daß jede N. es als ihr Recht beanspruchen könne, einen besondern Staat zu bilden (Nationalitätsprinzip). Allein dieser Grundsatz kann in seiner radikalen Auffassung und Ausführung, wie ihn Napoleon III. zur Grundlage seiner Politik erhoben hatte, nicht gutgeheißen werden. Denn nicht. jede N. hat die Kraft, einen lebensfähigen Staat zu bilden, und umgekehrt sind manche Nationen kräftig und vielseitig genug, um die Grundlage für verschiedene Staaten abgeben zu können. Daß übrigens Napoleon III. das Nationalitätsprinzip zumeist nur als Mittel zur Erreichung selbstsüchtiger Zwecke benutzt hat, geht am besten aus seiner Handlungsweise Mexiko gegenüber sowie aus der Annexion von Savoyen und Nizza, welche zu diesem Prinzip im direkten Gegensatz standen, hervor. Immerhin muß aber die nationale Theorie, wonach der Staat auf wesentlich nationaler Grundlage beruhen soll, freilich mit der gehörigen historischen Einschränkung, dem einseitigen Festhalten an dem sogen. Legitimitätsprinzip (s. d.) und der Gleichgewichtstheorie des Wiener Kongresses gegenüber als ein wichtiger Fortschritt in der Entwickelung des politischen Völkerlebens bezeichnet werden. Vgl. v. Kremer, Die Nationalitätsidee und der Staat (Wien 1885).

(hervorhebung durch mich, ähnliche begriffsverwirrung gibt es ja auch beim paar zivilisation und kultur)

kein wunder also, wenn das deutsche und französische verständnis von nation etwas grundlegend anderes beinhalten.
 
collo schrieb:
SO freiwillig sind die korsen, ... der französischen nation nicht beigetreten.
solange ein Korse Kaiser der Franzosen war ...
collo schrieb:
und die kurzfristigen "erweiterungen" unter napoleon waren auch kein beitritt, sondern annexionen (hat nicht auch napoleon III. ansprüche auf deutsches gebiet erhoben, landau/pfalz?).
Die französische Nation ging so manchen Irrweg. Aber das Verständnis von der Nation blieb.
collo schrieb:
natürlich kam bismarck die nationale hochstimmung 70/71 zupass und er wäre ein politischer narr gewesen, hätte er nicht darauf reagiert, nachdem er 5 jahre zuvor österreich-ungarn ungeschoren liess.
Hmmm.... er hätte den Elsaß-Lothringer, Deutschen und Franzosen viel Ärger ersparen können, wenn er auf 1870/71 wie 1866 auf Annexionen verzichtet hätte
collo schrieb:
annexionen, die per definition gegen den willen der bevölkerung durchgeführt werden, waren der natürlich lohn eines gewonnenen krieges. im falle elsass-lothringens konnte man den anspruch historisch-sprachlich verbrämen. übrigens finde ich es interessant, dass man schon damals über volksabstimmungen nachdachte. eine frühform des selbstbestimmungsrechts der völker.
Interessant sind auch die Einschätzungen der damaligen deutschen Völkerrechtslehrer. Die lehnten die Annexion ohne Volksabstimmung als völkerrechtswidrig ab. Menschen könnten doch nicht wie Sachen behandelt und in Besitz genommen werden.
 
Arcimboldo schrieb:
... und der beginnt im modernen Sinn doch mit dem Versuch einer über die Standes-und Landesgrenzen grenzen hinweg führenden gemeinsamen Sprache , die zunächst in der dt. Nationalliteratur anzutreffen ist, die aus den Elementen der Gemeinsprache, Religion und Literatur zusammengesetzt ist. Ein Staats-Nationenbegriff aus den Elementen der Kulturnation. Diese reflektierte Idee einer dt. Kuturnation liegt dann im Kampf mit dem polit.
Nationalismus, unterliegt scheinbar, aber ist bis heute nie zerstört worden.
Hinsichtlich Elsaß-Lothringens ist zu bemerken, daß sich Anfangs des 19. Jahrh. z.B.sowohl in Deutschland, wie in Frankreich eine "Neubelebung des Geistes der Gotik" als vaterländischer Protest gegen "fremdländischen " Einfluß und Bevorzugung (z. B i.d. Architektur ) artikuliert.
Fast gleichzeitig zu den romantischen Wiederbelebungs Aktionen des mittelalterl. Mystizismus in Deutschl., sehen junge Vertreter in Frankreich gegen Ende der napoleon. Herrschaft , die Kunst des hohen MA als einzig adäquaten Ausdruck des "Genie francais " an, womit sie den universalistischen Ansatz der Aufklärungsliteratur und dessen Geist einvernehmlich, grenzüberschreitend dokumentieren.
Das Verständnis von der Kultur-Nation umfasst natürlich mehr als nur die Sprache. Hierzu könnte man sicherlich noch viel posten, auch zum Begriff der "Gothik". Beim Punkt "Religion" muss ich jedoch passen. Soll die Religion im Land der Kirchenspaltung wirklich ein verbindendes Element gewesen sein? Da bitte ich um Aufklärung!

Erwähnenswert scheint mir noch zu sein, dass das Ansehen der staatlichen Institutionen und politischen Ideen im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts nach einem ständigen Auf und Ab letztlich an einem Tiefpunkt angelangt war. Die Monarchien erwiesen sich als fragwürdig, die Alternative der Republik wegen den Ausartungen der jakobinischen Terrorherrschaft ebenfalls. Die französischen Befreier entpuppten sich als Imperialisten (Napoleon). Das 800 Jahre alte - seit langer Zeit handlungsunfähige - Deutsche Reich ging unter. Die an seine Stelle tretenden deutschen Fürsten erwiesen sich als unfähig den französischen Imperator aus Deutschland herauszuhalten oder paktierten mit diesem. In den Befreiungskriegen befreite sich das Volk von französischer Herrschaft, was die Fürsten nicht davon abhielt im Wiener Kongreß ihre Herrschaft zu restaurieren. In dieser bewegten, unruhigen und unbeständigen Zeit des Niedergangs der Politik und seiner Institutionen strebte die deutsche Sprache einem bislang nicht bekannten Höhepunkt zu: der deutschen Klassik. Reiche, Staaten, Revolutionen und Ideen waren vergänglich, aber die Sprache und ihre ästethtischen Werke erschienen als eine immer währende Konstante. Sie bot sich also nicht nur wegen ihrer Verbreitung und sozialen Funktion (Abgrenzung gegenüber den Nichtdeutschsprachigen) als Kriterium für die Zugehörigkeit zur Deutschen Nation an, sondern auch wegen ihrer (scheinbaren) Zeitlosigkeit.

Übrigens entstand die deutsche Klassik im Elsaß. Nachdem das Elsaß von Ludwig XIV. dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation entrissen wurde, gewährte dieser dem Elsaß weitgehende Autonomie. Auf eine gewaltsame Französierung wurde verzichtet. Das Elsaß blieb somit im 18. Jahrhundert noch dem geschichtlichen und kulturellen Erfahrungsraum des HRRDN verankert. Nur langsam, aber kontinuierlich, fand seit Anfang des 18. Jahrhunderts die französische Sprache - bedingt vor allem durch die französische Verwaltung - zunehmend Eingang in breitere elsässische Bevölkerungsschichten. Die elsässische "Dualität" begann. Eingebettet im kulturgeschichtlichen Reichtum zweier Kulturen begann die elsässische Identitätssuche. In diesem Zusammenhang entfaltete sich an der dem Zugriff des 'deutschen Kleinwesens' (Goethe) entzogenen deutschen Universität in Straßburg eine besondere "elsässiche Spielart der Auifklärung" (Goethe). Diese war für die Entstehung der deutschen Klassik verantwortlich. "Die 'Ville libre' war die Gebärmutter, die - unter dem Schutz französischer Staatlichkeit - die deutsche Klassik ausgetragen hat." (Hanns-Albert Steger, Straßburg, S. 2 - zitiert nach Michael Essig, Das Elsaß auf der Suche nach seiner Identität, 1994, S. 83).
 
Gandolf schrieb:
Das Verständnis von der Kultur-Nation umfasst natürlich mehr als nur die Sprache. Hierzu könnte man sicherlich noch viel posten, auch zum Begriff der "Gothik". Beim Punkt "Religion" muss ich jedoch passen. Soll die Religion im Land der Kirchenspaltung wirklich ein verbindendes Element gewesen sein? Da bitte ich um Aufklärung!


Das nur die Sprache den Begriff der Kulturnation beschreibt , kann ich aus meinem Beitrag nicht erkennen, vielleicht habe ich nicht klar genug formuliert. Mir ging es erst mal um Deine Feststellung , daß es in diesem Strang um die Entwicklung des
des deutschen Nationalverständnisses im 18.+19.Jahrh. geht, und da gehört eben der deutsche Idealismus mit seinem Sinn-und wertstiftenden pädagogischen Antrieb anfangs dazu.
"Das verbindende Element der Religion " verstehe als ein im Grundcharakter der Deutschen verbliebene Suche nach "Religiosität " über die Konfessionskonflikte hinweg.
Hier unterscheiden sich dann auch französische und nostalgisch- deutsche Hinwendung zum MA und das daraus resultierende Verständnis von Nation bzw. Staatsnation.
Die Zeit der Gotik(i.d.Architektur ) wird in Frankreich , dem „Erfinder“der Gotischen Dome , gern als große patriotische Rückbesinnungsära zitiert, hier namentlich Ludwig der Heilige , der , wann kam das schon vor , 1242 die Engländer besiegte und der franz. Monarchie enormen Prestigegewinn im Äußeren und Inneren verlieh, nicht zuletzt als wehementer Verteidiger staatlicher Rechte gegen Kirche und Klerus. So zieht sich
durch die franz. Geschichte eine an großen Taten und Bauten gewachsene patriotische Begeisterung. Diese war auch in den Chaosjahrzenten der Konfessionskonflikte, die wie oft machtpolit. Natur waren, nicht untergegangen.
Was Richelieu u.a. mit der Gründung der „Akademie Francaise“ von oben geschaffen hatte, das holten die Philosophen des dt. Idealismus und die Literaten der Frühromantik jetzt von Innen heraus nach;
Eine Begründung des dt. Nationalbewußtseins . Dazu mußte erstmal alles gesammelt werden , was sich dafür anbot . Dazu gehörte auch die Zeit des MA mit ihrem festverwurzeltem , konfessionell ungeteilten Glauben. Die Gotik wurde als "Zeitalter des Glaubens" interpretiert, daher ihr Einfluß auf nostalgische Ideen der Zusammengehörigkeit von Reichs-und Glaubeneinheit. Die relig. Aspekt spielen dann im Deutschland des ausgehenden 18.Jahrh. und vorallem dann des beginnenden 19. Jahrh. eine gewichtige Rolle im Prozess der nationalen Identitätsfindung.
 
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Für die Annexion von 1871 spielten eigentlich nur militär-strategische Überlegungen eine Rolle. Bismarck war bekannt, dass die Bevölkerung von Elsaß-Lothringen die Abtrennung von Frankreich ablehnte. Im deutschen Volk hingegen herrschte die Auffassung vor, dass Elsaß-Lothringen urdeutsch sei und deshalb auch dem deutschen Staat anzugehören habe unabhängig davon, was die "entarteten Kinder" Germaniens wollten. Zu diesem Aspekt erlaube ich mir den Verweis auf folgenden Beitrag: Elsaß-Lothringen 1871-1918 - Geschichtsforum.de - Forum für Geschichte


Ganz genau. Bismarck war zutiefst davon überzeugt, dass Frankreich nach der Niederlage ohnehin auf Rache sinnen würde und bei erster passender Gelegenheit die Chance zu einer Revanche wahrnehmen würde. Dann sei es aber eben sinnvoll, sich so viel Sicherheit vor den Überfällen des unruhigen und aggressiven Nachbarn wie möglich zu erreichen. So Bismarck. Bismarck war von einer langandauernden französischen Feindschaft überzeugt.
In Deutschland war ohnehin schon durch die Presse, der Boden für die Annexion bereitet. Es galt dies dem Zarenreich und Großbritannien überzeugend zu verkaufen.
 
Ich bin unter http://mjp.univ-perp.fr/textes/fustel1870.htm auf eine Antwort des franzöischen Historikers http://de.wikipedia.org/wiki/Numa_Denis_Fustel_de_Coulanges (interessanterweise Bretone, bis 1871 Professor an der Universität von Straßburg bzw. Strasbourg:D).

Er schreibt diesen Aufsatz als Reaktion auf eine Argumentation von (Theodor?) Mommsen, der vorher argumentiert hat, warum das Elsaß deutsch sei. Leider konnte ich diese Argumentation von Mommsen bisher nicht finden. Hat jemand einen Link dazu?
 
Die Betroffenen wurden nie gefragt

1. 1648 bis 1697 annektierte Frankreich Elsaß-Lothringen. Die Betroffenen wurden nicht gefragt.

2. 1871 annektierte Deutschland Elsaß-Lothringen. Die Betroffenen wurden nicht gefragt.

3. 1918 annektierte Frankreich Elsaß-Lothringen. Die Betroffenen wurden nicht gefragt.

4. 1940 annektierte Deutschland Elsaß-Lothringen. Die Betroffenen wurden nicht gefragt.

5. 1945 annektierte Frankreich Elsaß-Lothringen. Die Betroffenen wurden nicht gefragt.

Was lernen wir daraus? In strittigen Grenzregionen, besonders mit strittiger ethnischer Zugehörigkeit, sollte man die Betroffenen fragen und abstimmen lassen. Das gilt auch heute noch. Es gibt leider immer noch zu viele Konflikte dieser Art, selbst in Europa.

P.S.: Elsaß-Lothringen ist heute unbestritten ein Teil Frankreichs und die übergroße Mehrheit der Betroffenen stimmt dem offensichtlich zu. Gefragt wurden sie aber nie.
 
Was lernen wir daraus? In strittigen Grenzregionen, besonders mit strittiger ethnischer Zugehörigkeit, sollte man die Betroffenen fragen und abstimmen lassen.

Das ist einerseits ein konsequentes Plädoyer für die Kernidee des Selbstbestimmungsrechts der Völker, das vor allem der US-amerikanische Präsident Wilson am Ende des WW I formuliert hatte.

Andererseits hatte er zwar keinen Plan, für wen seine Forderung realpolitisch gelten soll und welche Konsequenzen das für die Grenzziehung hat, aber dafür hat er sich für diese politische Forderung konsequent, weitgehend, eingesetzt, wie M. MacMillan ausgesprochen kompetent aufgezeigt wird.

Paris 1919: Six Months That Changed the World - Margaret MacMillan - Google Books

Wobei der Verweis von "Freierbürger" auf das Jahr 1648 und der Nichtbefragung der Bürger aus einer Reihe von Gründen wohl eher ein historischer Scherz sein soll.

Und es ist natürlich auch eine deutliche unkritische Sicht vorhanden in Bezug auf das Konzept des "Nationalstaates". Es hat auch 1871 niemand die Bayern gefragt, ob sie "heim ins Reich" wollen.

Und es lassen sich natürlich mehr als genug weitere Beispiele finden, die das gesamte Konstrukt des Nationalismus in einem negativen Licht im zwanzigsten Jahrhundert erscheinen lassen. Nicht zuletzt, da in seinem Namen die verheerendsten Kriege und die grausamsten ethnischen "Säuberungen" begangen worden sind.

Dieses ist auch zu betrachten, bevor man anfängt etwas zu glorifizieren, was den Glorienschein nicht verdient. Auch wenn es unter dem Gesichtspunkt der Modernisierung vermutlich keine historische Alternative gab, leider.
 
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