Freiheits-Gerechtigkeits-Paradoxon

Martas schrieb:
...Im Artikel wird vor irgendeinem höheren Wertgesichtspunkt gesprochen, als Beispeil wird "vor Gott" genannt. Demnach muss es noch andere höhere Wertgesichtspunkte geben.
:confused:
Nein, in meinen Augen gibt es nur die irdische Gerechtigkeit, da ich Atheist bin.
Zum Verdienst eines Menschen möchte ich noch etwas hinzufügen:
Viele Leute empfinden es natürlich nicht gerecht, wenn sie hören, daß ein Top-Manager mehrere Mill. $ / € oder was auch immer an Gehalt bekommt. Dazu zähle ich mich auch, aber man sollte sowohl den Verdienst eines Menschen, als auch den Konkurenzkampf in unserer Wirtschaft nicht zusehr verteufeln, denn gerade dieser Wettbewerb ist der Motor unseres technologischen Fortschritts. Und je härter der Kampf wird, um so mehr muß jeder einzelne Teilnehmer Anstrengungen unternehmen, also versuchen, besser zu sein, als der Andere. Das ist genau das, was uns voranbringt, so bitter es auch klingt. Aber gäbe es den Wettbewerb plötzlich nicht mehr, würden wir technologisch auch plötzlich stagnieren, denn - das ist meine Überzeugung - der Mensch strengt sich nur dann besonders an, wenn er einen Anreiz hat, ansonsten wird er faul. Der Mensch an sich ist einfach so
veranlagt.
 
Wieger schrieb:
Warum muss ich mich einer übergeordneten, sonstwie gearteten "Macht" unterwerfen auf die eine oder andere Art? Das muss mir mal einer erklären. Das versteh ich nicht.
dieser Macht musst du dich nur dann unterwerfen, wenn du alle Ungleichheiten zwischen den Personen aufheben willst (oder zumindest die Wahrnehmung selbiger, wie durch den Leuchtturm). Du kannst aber auch akzeptieren, dass wir Menschen unterschiedlich sind
und dafür nichts können: z.B. Alter
das so wollen: unterschiedliche Talente durch Übung selbiger
es so sein muss: wir können nicht alle Bäcker sein.
Jedesmal wenn du eine dieser Ungleichheiten (die zu Ungerechtigkeit führen können) beseitigen willst, beschneidest du jemandens Freiheiten.
 
Barbarossa schrieb:
:confused:
Nein, in meinen Augen gibt es nur die irdische Gerechtigkeit, da ich Atheist bin.

Hab ich nicht von was anderem als Gott gesprochen? Ich sagte doch, es müsse etwas anderes geben.

Aber das mit dem Anreiz zum Denken und Hndeln, den du durch den Konkurrenzkampf begründest, das ist wirklich gut. Nur stellt sich dabei die Frage, ob wir den ganzen Technologiekram überhaupt brauchen?! Vielleicht kämen wir ohne Technologie auch gut zurecht, nur würden wir uns entwickeln, weil unere Neugier uns treibt. Nicht gerade der Konkurrenzkampf. Ich würde deswegen noch die menschliche Neugier als wichtigen Faktor in unserer Entwicklung nennen.
 
Martas schrieb:
Hab ich nicht von was anderem als Gott gesprochen? Ich sagte doch, es müsse etwas anderes geben.

Aber das mit dem Anreiz zum Denken und Handeln, den du durch den Konkurrenzkampf begründest, das ist wirklich gut. Nur stellt sich dabei die Frage, ob wir den ganzen Technologiekram überhaupt brauchen?! Vielleicht kämen wir ohne Technologie auch gut zurecht, nur würden wir uns entwickeln, weil unere Neugier uns treibt. Nicht gerade der Konkurrenzkampf. Ich würde deswegen noch die menschliche Neugier als wichtigen Faktor in unserer Entwicklung nennen.

Oh, dann habe ich dich wohl falsch verstanden.

Wir "brauchen" heutzutage den Technologiekram bereits zum leben, denke ich, selbst ein paar Tage ohne Strom und unsere heutige Gesellschaft wäre nicht lebensfähig.
Und zum Konkurrenzkampf: Natürlich würden wir uns weiterentwickeln, das haben wir in der Frühzeit auch, als es noch so gut wie keinen Wettbewerb gab, aber die Entwicklung ging damals viel langsamer voran.
Wieder ein Beispiel:
Jemand geht einem Hobby nach, daß heißt, ohne damit Geld zu verdienen. Er hat bei seiner Beschäftigung keinerlei Zeitvorgaben, also "fummelt" einfach nur so vor sich hin - es ist ihm egal, wann er fetig wird. Irgendwann ist er fertig und freut sich natürlich über den Erfolg.
Anders ist es jedoch, wenn eine zweite Person mit dem gleichen Hobby dazu kommt, die behauptet, sie könne es besser und schneller. Beide treten nun automatisch in einen Wettbewerb und geben ihr Bestes. Und nun gehen beide ihrem Hobby nach, aber jeder setzt sich Zeitvorgaben und überlegt, wie
es noch schneller und besser geht.
Was ich damit meine ist, sogar dort, wo es nicht ums Geld verdienen geht, wird eine Wettbewerbssituation eine Tätigkeit immer ankurbeln, meinst du nicht? :grübel:
 
In der sozialen Marktwirtschaft kann ich also nichts paradoxes finden.
Es gibt bzw. gab in der Demokratie schon etwas paradoxes, nämlich die extrmen Parteien.
In unserer Demokratie haben wir die größtmögliche Freiheit. Diese Freiheit geht soweit, daß sie sogar extreme Parteien von links oder rechts in der Leglität beläßt.
Ich nehme jetzt mal das Beispiel - Weimarer Republik ( Wir sind ja ein Geschi-Forum ).
In der Weimarer Republik waren die staatstragenden Parteien natürlich demokratische Parteien.
Aber es gab am linken und rechten politischen Rand sehr extreme Parteien, wie z. B. KPD und NSDAP, die nichts weiter im Sinn hatten, als die bestehende Demokrtie zu beseitigen. Trotzdem wurden sie zu jeder Wahl zugelassen, bis vor allem die NSDAP so stark wurde, daß sie tatsächlich
an die Macht kam und die Demokratie abschaffte.
Und darin sehe ich ein Paradoxon, nämlich, daß die Demokraten grundsätzlich andere Meinungen zulassen, sogar von solchen Parteien, die die Meinungsfreiheit und andere Menschenrechte und damit die bestehende Demokratie abschaffen wollen und es in der Geschichte bereits getan haben,
siehe Weimarer Republik und die NSDAP. :grübel:
 
Barbarossa schrieb:

...
Und darin sehe ich ein Paradoxon, nämlich, daß die Demokraten grundsätzlich andere Meinungen zulassen, sogar von solchen Parteien, die die Meinungsfreiheit und andere Menschenrechte und damit die bestehende Demokratie abschaffen wollen und es in der Geschichte bereits getan haben,
siehe Weimarer Republik und die NSDAP. :grübel:

In der Tat paradox.
Jedoch wäre es auch paradox, wenn die Demokratie eine freie Meinung unterdrückt obwohl sie Meinungsfreiheit verspricht.
 
Barbarossa schrieb:
In unserer Demokratie haben wir die größtmögliche Freiheit. Diese Freiheit geht soweit, daß sie sogar extreme Parteien von links oder rechts in der Leglität beläßt.
größtmöglich meint praktisch am längsten durchführbar ohne das Überleben von Menschen zu gefährden, oder?
ansonten wäre da nämlich einiges an Konkurrenz z.B. das System der USA (die Wirtschaft und Waffenliebhaber haben imho mehr Freieheiten als wir) oder gleich Anarchie.
 
Themistokles schrieb:
größtmöglich meint praktisch am längsten durchführbar ohne das Überleben von Menschen zu gefährden, oder?
ansonten wäre da nämlich einiges an Konkurrenz z.B. das System der USA (die Wirtschaft und Waffenliebhaber haben imho mehr Freieheiten als wir) oder gleich Anarchie.
Mit größtmöglicher Freiheit meine ich natürlich, soviel Freiheit, wie es in unserer Demokratie z.Z. möglich ist. Es wäre natürlich schön, wenn es noch mehr Freiheiten gäbe, ich denke da z. B. an die Abschaffung der Wehrpflicht, die eine klare Beschneidung unserer Freiheit darstellt.
Aber dafür gibt es im Moment leider keine parlamentarische Mehrheit.
:hmpf:
 
Du meinst die Freiheit, innerhalb der gültigen Gesetze mit größtmöglich? Damit stimmst du nur der Bezeichnng Rechtsstaat zu. Du nennst selber Freiheiten, die dir fehlen (im Thread über politische Gefangene auch), die aber keine wirkliche oder offensichtliche Gefahr darstellen. Deshalb spreche ich nicht von größtmöglicher. Denn möglich bezieht sich in meinen Sprachgebrauch auf das theoretisch einrichtbare und nciht wie in diesem Beispiel praktisch auszulebende.
 
Themistokles schrieb:
Du meinst die Freiheit, innerhalb der gültigen Gesetze mit größtmöglich? Damit stimmst du nur der Bezeichnng Rechtsstaat zu. Du nennst selber Freiheiten, die dir fehlen (im Thread über politische Gefangene auch), die aber keine wirkliche oder offensichtliche Gefahr darstellen. Deshalb spreche ich nicht von größtmöglicher. Denn möglich bezieht sich in meinen Sprachgebrauch auf das theoretisch einrichtbare und nciht wie in diesem Beispiel praktisch auszulebende.
Ja klar. Im Prinzip entscheidet der Staat darüber, wieviel Freiheiten wir haben und wieviel nicht. ( Dabei ist natürlich klar, daß der Staat von der Politik gelenkt wird, deren Regierung wir selbst wählen. )
Wenn uns die Entscheidungen der Regierung nicht passen, bleibt uns nur noch die Möglichkeit, auszuwandern.
Und die RAF-Mitglieder wurden durch den Staat ja auch nicht bedroht, bis sie Terroristen wurden. Sie wollten mit ihrem Tun ja auch "nur" das System ändern ( ob sie jedoch statt mehr Freiheit, eher weniger Freiheit, im Sinne ihrer Ideologie wollten lasse ich dabei jetzt mal ausgeklammert ).
 
Wir leben doch jetzt gerade im Jubiläumsjahr eines großen Freiheitsdenkers , der auch darüber nachgedacht, auf welchen Gebieten und aus welchem Grund diese Freiheit durch den Staateingegrenzt werden soll: John Stuart Mill, 1806 geboren. und sein Werk On Liberty; man liest ja gerade allenthalben darüber.

Er hat folgende drei Freiheiten für jeden Menschen gefordert:

Die innere Freiheit:
"Sie umfasst Gewissensfreiheit im umfassendsten Sinne, Freiheit des Denkens und Fühlens, absolute Freiheit der Meinung und des Empfindens in Bezug auf alle praktischen oder spekulativen, wissenschaftlichen, moralischen oder theologischen Gegenstände."

Die äußere Freiheit:
"Sie umfasst die Freiheit, unserem Leben einen unserem eigenen Charakter gemäßen Rahmen zu geben, die Freiheit, so zu handeln, wie es uns gefällt, welche Konsequenzen daraus auch folgen mögen: ohne Behinderung von Seiten unserer Mitmenschen, solange unser Tun ihnen nicht schadet."

Die Vereinigungsfreiheit:
"Dieser Bereich umfasst die Freiheit, sich für irgendeine Sache zu vereinigen, die nicht eine Schädigung anderer einschließt, unter der Voraussetzung, dass die sich vereinigenden Personen volljährig und nicht gezwungen noch getäuscht worden sind."

Dementsprechend war er im Grundsatz ein Gegner des Staates, erkannte aber dessen Notwendigkeit für Verteidigung, Polizei, und Rechtsystem. Auch auf dem Gebiet der Wasser- und Energieversorgung und der Eisenbahn sah er eine Aufgabe des Staates, nämlich im Bereich dieser Grundbedürfnisse die Bildung von Monopolen zu verhindern. Eine weitere Aufgabe sah er in der Armenpflege, also im Sozialsystem, soweit dadurch nicht die Eigeninitiative untergraben werde.
Die äußere Freiheit und auch die Vereinigungsfreiheit konnte also eingeschränkt werden, aber nur zum Schutze anderer Mitglieder der Gesellschaft.

Wie der staatliche Eingriff in die Freiheit nun aber geschehen sollte, darüber war er sich nicht sicher, denn durch Alexis de Tocquevilles Überlegungen nach seinem Studium der Demokratie in Amerika war er unsicher. Tocqueville hatte geschrieben: „Ich halte den Grundsatz, dass im Bereich der Regierung die Mehrheit eines Volkes das Recht habe, schlechthin alles zu tun, für gottlos und
abscheulich, und dennoch leite ich alle Gewalt im Staat aus dem Willen der Mehrheit ab. Widerspreche ich mir damit selbst? Es gibt ein allgemeines Gesetz, das nicht bloß von der Mehrheit
irgendeines Volkes, sondern von der Mehrheit aller Menschen, wenn nicht aufgestellt, so doch angenommen worden ist. Dieses Gesetz ist die Gerechtigkeit.“
Die Mehrheit ist also in ihrer Herrschaft gebunden durch das Prinzip Gerechtigkeit.
Damit war die Verknüpfung zwischen Freiheit und Gerechtigkeit hergestellt. Nur, wer definiert denn die Gerechtigkeit? Darauf hat Mill ebenso wenig wie Tocqueville eine konsistente Antwort gegeben.
Und ich glaube, dass es auch keine konsistente Antwort gibt.
Sozialistische und religiöse Gesellschaftstheoretiker haben soziale Ungleichheit per se als ungerecht angesehen, andere haben die Ungerechtigkeit in einem Gesellschaftssystem gesehen, das manchen Gruppen der Gesellschaft nicht die gleiche Chance zu sozialem Aufstieg ermöglicht.
Und je nachdem, auf welche Weise man nun den Unterschied zwischen einer gerechten und einer ungerechten Gesellschaft definieren will, kommt man zu ganz unterschiedlichen Ansätzen, wie weit die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt werden darf.

Dieser Konfliki ist unlösbar, deshalb gibt es eben auch ein Freiheits-Gerechtigkeits-Paradoxon
 
Merkwürdig, dass niemand von Euch auf Niklas Luhmann kommt, wenn nach Gerechtigkeit ohne Gott gesucht wird. Ich habe ihn gerade nicht parat, weil ich in Reykjavik sitze. Aber ich erinnere mich, dass er Gerechtigkeit als das Ergebnis eines allseits anerkannten Verfahrens definierte. Er verabschiedet sich von dem Versuch, eine materielle Definition der Gerechtigkeit zu finden. Das Gesellschaftssystem, das Gerechtigkeit produzieren will, vergleicht er nach meiner vagen Erinnerung mit einem kybernetischen System der dauernden Selbsregulierung. D.h.: Wenn ein System permanent Ergebnisse produziert, die nicht allgemein akzeptiert werden (nicht "ungerecht" sind. Nicht materiale Gerechtigkeit ist gefragt, sondern allgemeine Akzeptanz des Ergebnisses), so kommen Steuerungsmechanismen in Gang (z.B. Gesetzgebung, Richtlinien usw.), die die Akzeptanz der Ergebnisse erhöhen sollen, bis ein Optimum erreicht ist. Man kann diesen Prozess gerade in der Ausländerpolitik beobachten (Deutschland versus Dänemark). Diese Gerechtigkeit wird durch Verfahren produziert. Wenn Lynchjustiz und ein geordnetes strafrechtliches Verfahren, das von (fast) allen als zur Erreichung allgemein akzeptierter Ergebnisse anerkannt ist, zu den gleichen Ergebnissen kommt, wird doch nur das Ergebnis des zweiten Verfahrens akzeptiert.
Man muss sich doch darüber klar sein, dass "Gerechtigkeit" Gegenstand eines Gefühls ist, wie der Begriff "Kunst". Und es ist ja wohl unbestreitbar, dass bei einem Konflikt das "gerechte" Ergebnis zuerst kommt, und danach erst die weitschweifige Begründung, wieso. Kein guter Richter ist bei der Subsumtion eines Sachverhalts unter die einschlägigen Vorschriften vom Ergebnis überrascht. Sondern er hat das Ergebnis schon vorher im Gefühl und sucht aus den Vorschriften die Bausteine, die es rechtfertigen.
Die ganze Diskussion wird doch von einer Pseudorationalität beherrscht. Man hat irgendein Gefühl (hier jeder ein anderes), wie es eigentlich sein sollte, und versucht diesem Gefühl einen rationalen Anstrich zu geben. Am deutlichsten wird das bei der "Bedarfsgerechtigkeit". Keiner sagt, wer denn den Bedarf eines Menschen bestimmt und was aus den Menschen werden soll, die Luxusgüter herstellen, die keinen echten Bedarf befriedigen. Gehört das Haben von Kunst zum Bedarf? Kann Anne Sophie Mutter statt mit einer wertvollen Violine zu hantieren nicht bedarfsgerechte Altenpflege betreiben? Rational ist dem Problem nicht beizukommen. Entscheidend ist vielmehr die Akzeptanz der Mehrheit, die - wie jede Akzeptanz - im tiefsten Grunde irrational ist.
 
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