Für die RAF war er das System, für mich der Vater

Ich empfand es immer als Schieflage, daß die Opfer des RAF-Terrors so wenig zu Wort gekommen sind. Obgleich ich den Zorn der 68ger auf Ungerechtigkeiten in der Nachkriegs-BRD nachvollziehen kann, mit dem Ausüben von terroristischen Akten, die ganz bewußt mit zumindest der Gefährdung von Menschenleben, muß da eigentlich jegliche Sympathie enden.

Auch die Biographien der RAF-Opfer, die z.T. als Rechtfertigung für die Terror- akte herangezogen, sollten hier eigentlich nur höchstens untergeordnet eine Rolle spielen. Ich hörte schon oft rechtfertigende Statements gerade in Bezug auf Schleyer, das finde ich schon haarsträubend. Und es ist umso bedrückender, daß sich diese Rechtfertigungsszenarien so lange hielten.

In diesem Sinne empfinde ich den Titel des Buches als gelungen an, denn die Betrachtung von Menschen als Ausdruck irgendeines Systems hat an sich schon etwas sehr beunruhigendes an sich, sie reduziert das Menschliche auf ein Minimum und macht Menschen zur Zielscheibe.

Wenn nun die RAF in Auslebung ihrer Ideale per Terror zwangsweise der Gesellschaft aufdrängen wollte, dann frage ich mich auch, was für eine "neue" Gesellschaft bzw. "neuer" Staat das hätte sein sollen.. ein Staat, welcher auf wackligen Fundamenten aufgebaut wäre, eine Gesellschaft, die letzten Endes sich mit den Morden auseinandersetzen müßte..
In jedem Fall keiner, in dem ich gerne Leben wollen würde.

Danke Ursi für den Buchtipp!!

Ein guter Artikel zum Buch:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesbuch/597481/
 
Zuletzt bearbeitet:
Sendung im DLF

Hinrichtung auf der Straße

Vor 30 Jahren wurde Siegfried Buback von der RAF erschossen

Von Otto Langels

In den 70er Jahren wurde eine Reihe politischer Anschläge zu einer schweren Belastungsprobe für die Bundesrepublik Deutschland. Die linksterroristische Rote Armee Fraktion sah es als legitim an, führende Repräsentanten des verhassten Systems zu ermorden. Eines der ersten prominenten Opfer war Generalbundesanwalt Siegfried Buback.


"Als die Ampel von Rot auf Gelb und Grün schaltete und der Fahrer anrollte, gab der Soziusfahrer eines Motorrades, das in der rechten Abbiegespur stand, aus der Maschinenpistole sein ganzes Arsenal in den Wagen. Der Wagen rollte eine kurze Strecke noch und kam an der Bordsteinkante zum Stehen."

Ein Reporter des Südwestfunks schilderte den Hergang des Attentats, bei dem am 7. April 1977, einem Gründonnerstag, Generalbundesanwalt Siegfried Buback und sein Fahrer Wolfgang Göbel im Kugelhagel starben. Der ebenfalls im Wagen sitzende Justizwachtmeister Georg Wurster erlag wenige Tage später seinen Verletzungen.

Siegfried Buback war 1974 zum Generalbundesanwalt ernannt worden. Seine Amtszeit stand vor allem im Zeichen des Terrorismus. Eine linksradikale Gruppe um Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof hatte als Rote Armee Fraktion dem westdeutschen Staat den Krieg erklärt. In einer Schrift der RAF über den bewaffneten Kampf in Westeuropa heißt es:

"Noch schneller wird die Auflösung der Moral in den Institutionen der vorgeschalteten Repression vor sich gehen, wenn allenthalben die anonymen, feigen, blutleeren und einfallslosen Routiniers der administrativen Repression für ihre volksfeindlichen Handlungen zur Verantwortung gezogen werden. Die Guerilla wird dabei nach dem Grundsatz verfahren: Bestraft einen und erzieht Hunderte."

Nach mehreren Anschlägen wurden die RAF-Anführer verhaftet und vor Gericht gestellt. Mit weiteren Attentaten und Racheakten sei zu rechnen, warnte der Generalbundesanwalt.

"Wir müssen weiterhin mit dem Terrorismus leben und entsprechend einrichten. Die Sicherheitsbehörden insbesondere im Bereich des Bundeskriminalamtes, aber auch der Landespolizeien haben erhebliche Anstrengungen unternommen, personelle, technische Verstärkungen. Man hat mit viel Fantasie Methoden erarbeitet, deren Wirkung sich zeigen werden. Man darf hier nicht mit ganz raschen Ergebnissen rechnen."

Im Mai 1976 beging Ulrike Meinhof in ihrer Gefängniszelle Selbstmord. Die Mitangeklagten Baader, Ensslin und Raspe sprachen von einer "kalt konzipierten Hinrichtung", für die Buback verantwortlich sei. Obwohl der Generalbundesanwalt gewarnt war, verzichtete er auf erhöhten Begleitschutz, wie sich der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt erinnerte.

"Er hatte kürzlich in einem privaten Gespräch gesagt: Ich kann mein Leben nicht so einrichten, dass ein Attentat auf meine Person von vornherein zur Unmöglichkeit wird. Dann ist es nicht mehr lebenswert."

Wenige Tage nach der Ermordung Siegfried Bubacks ging bei einer Presseagentur ein Bekennerschreiben ein.

"Buback hat die Auseinandersetzung mit uns als Krieg begriffen und geführt. Wir werden verhindern, dass unsere Fighter in westdeutschen Gefängnissen ermordet werden. Für Akteure des Systems wie Buback findet die Geschichte immer einen Weg. Am 7.4.77 hat das Kommando Ulrike Meinhof Generalbundesanwalt Siegfried Buback hingerichtet."

Eine Woche später fand in der Evangelischen Stadtkirche Karlsruhe ein Staatsakt für die Ermordeten statt. Bundeskanzler Helmut Schmidt würdigte Siegfried Bubacks Engagement.

"Er war ein harter Kämpfer für das Recht, für die demokratische Grundordnung, für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Die Schüsse hier in Karlsruhe zielten aber nicht nur gegen den Generalbundesanwalt, der die zusammengeschmolzene Truppe der Terroristen nicht zur Ruhe kommen ließ, sondern sie sollten dem Rechtsstaat überhaupt gelten."

Der Mord an Siegfried Buback war der Auftakt zu einer Serie von Attentaten, die als Deutscher Herbst in die Geschichte eingingen. Daran beteiligt waren unter anderen. die RAF-Mitglieder Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt. 1982 wurden sie verhaftet, bis April 1985 standen sie vor Gericht.

"Die Urteile gegen die beiden Terroristen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, die heute morgen der 5. Senat des Stuttgarter Oberlandesgerichts nach 14-monatiger Verhandlung gesprochen hat: Beide Terroristen wurden jeweils zu fünfmal lebenslänglich und zusätzlich 15 Jahren Haft verurteilt."

Die kürzlich erfolgte Freilassung Mohnhaupts sowie das Gesuch Klars, vorzeitig aus der Haft freizukommen, haben drei Jahrzehnte nach der Ermordung Siegfried Bubacks eine kontroverse Debatte über Reue, Gnade und Recht ausgelöst. Die RAF, obwohl längst Geschichte, provoziert immer noch heftige Emotionen.



http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kalenderblatt/609464/
 
Noch ein interessanter und für mich überraschender Artikel aus der FAZ:

RAF-Debatte
Gnade und Gerechtigkeit
[Von Andreas Platthaus]
leer.gif




18. April 2007

An diesem Mittwoch soll sich im Bundespräsidialamt eine kleine Gruppe getroffen haben, um gemeinsam mit Horst Köhler zu beraten, ob er dem Gesuch des seit vierundzwanzig Jahren in Haft sitzenden RAF-Terroristen Christian Klar auf vorzeitige Begnadigung stattgeben solle. Nähere Auskünfte dazu verweigerte das Amt.
Zu einer solchen Runde geladen aber war Michael Buback, der Sohn des 1977 von der RAF ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback. Er hat sich in der „Süddeutschen Zeitung“ für eine Begnadigung Klars ausgesprochen. Nicht geladen waren Angehörige von anderen Terroropfern wie Hergard Rohwedder, die Witwe des 1992 erschossenen Treuhand-Chefs Detlev Karsten Rohwedder, Traudl Herrhausen, die Witwe des 1989 ermordeten Deutsche-Bank-Sprechers Alfred Herrhausen, und Hanns-Eberhard oder Dirk Schleyer, die Söhne des 1977 entführten und ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer. Mit Ausnahme von Frau Herrhausen haben sich alle diese Hinterbliebenen explizit gegen eine Begnadigung Klars ausgesprochen.


Informationen aus dem Bereich der RAF
Für Michael Buback galt bis jetzt das Gleiche. Noch bei der Freilassung Brigitte Mohnhaupts nach Verbüßung ihrer Mindesthaftdauer von vierundzwanzig Jahren vor zwei Wochen hatte der in Göttingen lehrende Chemiker auf einer Gedenkveranstaltung anlässlich des dreißigsten Jahrestags der Ermordung seines Vaters erklärt: „Wir müssen fragen, ob es wirklich richtig ist, dass Täter frühzeitig freigelassen werden, ohne dass sie sich zu ihrer Tat bekennen, ihren Tatbeitrag einräumen und sich von ihren Verbrechen distanzieren.“ Nichts davon hat Klar getan. In den neun Tagen seit seiner Äußerung aber hat Buback, wie er schreibt, „Informationen aus dem Bereich der RAF“ erhalten, die besagen, dass Klar weder auf Siegfried Buback und dessen beide Begleiter geschossen noch das Attentat geplant oder den Schützen ausgebildet habe. Bislang galt Klar neben Günter Sonnenberg und Knut Folkerts als Hauptverantwortlicher für den dreifachen Mord vom 7. April 1977.
Die Kehrtwende Michael Bubacks ist eine Sensation. Mit ihm plädiert zum ersten Mal ein Hinterbliebener für Gnade im Fall Klar. Buback begründet den Schwenk mit seinem Gerechtigkeitsgefühl: „Wenn die Schwere der Verbrechen von Christian Klar die der Morde anderer RAF-Mitglieder nicht deutlich übersteigt, kann man fragen, ob seine Haftstrafe länger als die von Frau Mohnhaupt andauern sollte.“ Klar ist 1985 zusammen mit Brigitte Mohnhaupt wegen gemeinschaftlicher Mitwirkung an den Morden an Siegfried Buback, Jürgen Ponto und Hanns-Martin Schleyer verurteilt worden. 1997 wurde seine Mindesthaftdauer auf sechsundzwanzig Jahre festgelegt. Sie endet am 3. Januar 2009.


Neue Informationen zum Schützen
Michael Buback nennt sein Plädoyer den „schwierigsten Text, den ich je geschrieben habe“. Das ist in vielerlei Hinsicht wahr. Die genaue Quelle aus dem RAF-Bereich will er nicht nennen, auch wenn die Bundesanwaltschaft mittlerweile bestätigt hat, dass es neue Informationen zum Schützen im Buback-Mord gebe. Laut Michael Buback aber werden durch seinen anonymen Informanten nunmehr auch Sonnenberg und Folkerts diesbezüglich entlastet. Natürlich soll mit diesen Informationen Klars Begnadigung befördert werden; zugleich jedoch werden die Umstände der Tat immer undurchsichtiger. Sollte damals jemand geschossen haben, den die Fahnder noch gar nicht im Visier hatten?
Das würde zu den unaufgeklärten Morden an Herrhausen und Rohwedder passen. Bislang gibt es in beiden Fällen noch keinen einzigen konkreten Tatverdächtigen - ein Armutszeugnis für die Ermittler, wie die Angehörigen immer wieder feststellen. Allerdings sind auch noch nicht alle Fakten veröffentlicht. So existiert offiziell kein Bekennerschreiben zum Rohwedder-Mord, doch neuerdings kursieren Auszüge aus einem entsprechenden Schreiben der RAF, die in ihrer obligatorischen Verdammung des Kapitalismus dieselbe Position erkennen lassen, die Christian Klar bei seinem Grußwort an die Berliner Rosa-Luxemburg-Konferenz vertrat.


Klar im Bundespräsidialamt?
Damit glaubte man seine Begnadigung erledigt, doch nun forciert der Bundespräsident die Sache wieder. Seine Idee, nach dem Vorbild des Zellenbesuchs von Johannes Paul II. 1983 bei Mehmet Ali Agca, der zwei Jahr zuvor auf den Papst geschossen hatte, Klar in der Haft zu besuchen, um sich ein Bild von der Persönlichkeit des Terroristen zu machen, wurde dem Staatsoberhaupt wieder ausgeredet, wie jetzt zu erfahren ist. Aber Köhler, so wird gemutmaßt, könnte sich den Verurteilten im Bundespräsidialamt zu einem Gespräch vorführen lassen. Das allerdings würde wohl strikt geheim gehalten werden.
Michael Buback appelliert jedenfalls offen an Köhler, Klar zu begnadigen. Er vermutet „Druck und Beeinflussung innerhalb der RAF“ noch in den Gefängnissen, weil Klar die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nie abgestritten habe. An der misslungenen, im Mord endenden Entführung Pontos habe Klar teilgenommen, das sei auch von seiner ungenannten Quelle bestätigt worden, aber dieser Fehlschlag habe Klar innerhalb der RAF so in Misskredit gebracht, dass er nicht mehr in die Schleyer-Entführung einbezogen worden sein soll. Buback glaubt dieser Darstellung. Klars Schweigen wird so für ihn nicht mehr zum Hindernis für die Begnadigung - falls Bubacks Informant nicht ohnehin Klar selbst ist. Wofür das Bemühen der Quelle spricht, nicht nur Klar, sondern auch andere zu entlasten.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa
http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE7...8F86349D8F1DABFE79~ATpl~Ecommon~Scontent.html
 
Ich empfand es immer als Schieflage, daß die Opfer des RAF-Terrors so wenig zu Wort gekommen sind. Obgleich ich den Zorn der 68ger auf Ungerechtigkeiten in der Nachkriegs-BRD nachvollziehen kann, mit dem Ausüben von terroristischen Akten, die ganz bewußt mit zumindest der Gefährdung von Menschenleben, muß da eigentlich jegliche Sympathie enden.

Auch die Biographien der RAF-Opfer, die z.T. als Rechtfertigung für die Terror- akte herangezogen, sollten hier eigentlich nur höchstens untergeordnet eine Rolle spielen. Ich hörte schon oft rechtfertigende Statements gerade in Bezug auf Schleyer, das finde ich schon haarsträubend. Und es ist umso bedrückender, daß sich diese Rechtfertigungsszenarien so lange hielten.

Ich habe einige Tage darüber gegrübelt, was mich an Deinen Worten gestört hat. Der jüngste Amoklauf in den USA hat mir die Augen geöffnet.

Die Frage nach dem Warum steht nunmal im Vordergrund. Wie erfolgt die Transformation eines Menschen in eine abgebrühte Tötungsmaschine, seine Entfremdung aus der Gesellschaft, die bis zum abgrundtiefen Hass führt, auf das, was "wir" normal nennen.

Ich erkenne in diesem Bedürfnis keine "Schieflage". Im Gegenteil, wenn wir versuchen wollen, die Tat zu erklären bzw. Frieden und Sicherheit in dieser Gesellschaft zu garantieren, dann nutzt uns in diesen Fällen die Sicht der Opfer wenig.

Pope
 
Die Sicht der Opfer gehört aber zum Gesamtbild des RAF-Phänomens. Ich habe sicher nichts gegen das Bemühen, die Täter, ihr Denken und die - wie Du das schön nanntest - "Transformation in eine abgebrühte Tötungsmaschine" nachzuvollziehen, nur kommt mir hier in einigen Darstellungen, die sichtlich von Sympathien den Tätern gegenüber geprägt ist, die Tatsache zu kurz, daß diese Täter wissen- und willentlich den Tod von Menschen in Kauf nahmen.

Bei allen Mißständen in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft (der Spruch "unter den talaren muff von 1000 jahren" hat mir immer gut gefallen) gab es sicher berechtigten Anlaß zum Zorn und Protest, die radikale Weise jedoch, mit der die RAF zu Lösungen fand, muß letzten Endes von jedem der die Werte des Grundgesetzes, dem Konsens dieser Gesellschaft, achtet, abgelehnt werden.

Ohne die SIcht der Opfer kann sich meines Erachtens kein vollständiges Bild der RAF-Ära bilden, und hier lag auch mein Kritikpunkt - die Opfer kommen zu selten zu Wort, stehen sie doch für die Auswirkungen der Vorgehensweise der RAF.
Die Ursachen zu erforschen ist sicher von elementarer Wichtigkeit, die Auswirkungen (versinnbildlicht durch die Opfer) nicht oder zu wenig zu beachten, halte ich nach wie vor für bedenklich.
 
ein aktueller Artikel:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,481776-2,00.html
RAF-OPFER

"Wie kann man einen Menschen zum Schwein machen?"

Hans Eckhardt, Leiter der polizeilichen Sonderkomission Baader-Meinhof, wurde 1972 von der RAF ermordet. Eckhardts Witwe, 82, spricht im Interview mit SPIEGEL ONLINE nach 35 Jahren zum ersten Mal öffentlich über den Mord - und wirft der Politik mangelnde Sensibilität vor.

SPIEGEL ONLINE: Frau Eckhardt, ihr Mann wurde von der RAF 1972 ermordet, sein Mörder 16 Jahre später begnadigt. Ist es Ihnen schwer gefallen, die Entscheidung des damaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Bernhard Vogel, zu akzeptieren?

Annemarie Eckhardt: Begnadigungen sind Entscheidungen von Politikern, die zu akzeptieren sind. Ich stelle den Rechtsstaat und seine Mittel nicht in Frage. Auf einer emotionalen Ebene indes sind solche Entscheidungen für mich schwer anzunehmen, das ist sicher verständlich. Ich habe von Manfred Grashof, dem Mörder meines Mannes, nach dessen Begnadigung nie ein Wort der Distanzierung von seinen Taten gehört oder gelesen, noch ein Wort der Reue. Doch meine Kritik gilt nicht nur den Tätern, sondern auch der Politik.
SPIEGEL ONLINE: Wen meinen Sie?
Eckhardt: Am Montagabend sagte Dr. Bernhard Vogel in der ARD, er habe vor den Begnadigungen, über die er als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz entschied, immer auch Kontakt mit den Angehörigen der Opfer aufgenommen. Das Gegenteil ist der Fall und das ist ein Grund, warum ich mich heute zum ersten Mal seit der Ermordung meines Mannes öffentlich äußere.
SPIEGEL ONLINE: Auf welche Weise haben Sie von der Begnadigung Manfred Grashofs, die formell am 30.11.1988 ausgesprochen wurde, erfahren?

Eckhardt: Bei meinen Nachbarn wurde ein Zettel abgegeben. Darauf stand, ich möge bitte in der Staatskanzlei in Mainz anrufen. Das war alles. Ich habe das über die Polizei-Dienststelle meines Mannes in Hamburg machen lassen. So erfuhr ich von der Begnadigung und davon, dass Manfred Grashof schon seit einigen Jahren Freigänger war. Dass ich dem Mörder meines Mannes möglicherweise auf der Straße begegnen könnte, darüber wäre ich gern informiert worden. Auch hätte ich gern gewusst, dass Herr Dr. Vogel sich am 27. Oktober 1988 mit Manfred Grashof zum Gespräch getroffen hatte, um dann über die Begnadigung zu entscheiden. Dass er mit ihm sprach, war wohl notwendig, das stelle ich nicht in Frage. Doch die mangelnde Sensibilität mir gegenüber hat mich sehr verletzt. Ich fühlte mich durch diesen Zettel in meiner Würde missachtet. SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie reagiert?
Eckhardt: Mit Hilfe eines Anwalts versuchte ich, zumindest ein anderes Entlassungsdatum zu erwirken. Manfred Grashof ist am 2. März 1989 aus der Haft gekommen, dem Datum, an dem er meinen Mann 17 Jahre zuvor lebensgefährlich verletzt hatte. Ich habe es als besonders verletzend empfunden, dass ausgerechnet dieses Datum für seine Entlassung gewählt wurde. Man wollte mich von Seiten der verantwortlichen Stellen sicher nicht persönlich treffen, wahrscheinlich geht die Sensibilität zwischen den einzelnen Stellen verloren, aber für mich ist diese Erfahrung sehr bitter gewesen. Es hätte ja der 26. Februar sein können oder der 5. März. Die Reaktionen aus der Staatskanzlei von Herrn Dr. Vogel und seinem Nachfolger Herrn Wagner habe ich als Floskeln empfunden.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie je darüber nachgedacht, noch einmal mit Bernhard Vogel in Kontakt zu treten?
Eckhardt: Nein. Ich war in seinen Augen offenbar nur die Witwe eines Polizeibeamten, die man nicht angemessen benachrichtigen muss.
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie von dem Schuss auf Ihren Mann und seiner Verletzung am 2. März 1972 erfahren?

Eckhardt: Der Vorgesetzte meines Mannes benachrichtigte mich persönlich. Mein Mann war an dem Abend schon zu Hause gewesen, dann ist er dienstlich noch einmal weggerufen worden. Gegen 22.15 Uhr rief er noch einmal bei mir an und sagte: "Ich komme jetzt gleich nach Hause, es dauert nicht mehr lange." Meine nächste Erinnerung ist, dass ich im Krankenhaus angerufen habe und erfuhr, dass mein Mann und der ebenfalls verletzte Manfred Grashof im gleichen Krankenzimmer untergebracht waren. Ich rief bei der Dienststelle meines Mannes an und bat um Hilfe, mich zum Krankenhaus zu bringen. Die Situation regte mich sehr auf und so wurden mein Mann und sein Täter getrennt voneinander untergebracht. Ich durfte meinen Mann in der Nacht nicht sehen. Seine Verletzungen waren so schwer, dass man mir den Anblick nicht gestatten konnte oder wollte.
SPIEGEL ONLINE:
Und Manfred Grashof?
Eckhardt: Nein, weder damals noch jemals später.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie je darüber nachgedacht, mit Tätern aus der RAF in Kontakt zu treten?
Eckhardt: Nein. Manfred Grashof zu begegnen ist unvorstellbar für mich. Wer so etwas Schreckliches tut, muss mit sich selbst fertig werden. Mein Mann lag nach seiner Verletzung 20 Tage lang im Koma, war nicht mehr ansprechbar. Das ist das Schreckliche, dieser plötzliche Schnitt. Wir hatten uns abends verabschiedet, und man sagt: "Bis nachher!" Aber da ist dann kein Nachher mehr.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie einen Umgang mit dem Attentat gefunden?
Eckhardt: Das habe ich bis heute nicht. Das Attentat war wie eine große Hand, die mein ganzes Leben zu einem ganz kleinen Etwas zusammengedrückt hat - und so ist es geblieben. Ich lebe allein, mein Mann und ich hatten keine Kinder. Es sind nicht gelebte Leben - das meines Mannes, aber auch meines. Seine Ermordung hat bei mir auch gesundheitliche Folgen nach sich gezogen. Bis heute leide ich etwa unter Schlafstörungen.
SPIEGEL ONLINE: Wurde Ihnen von staatlicher Seite Hilfe angeboten, psychologische Betreuung etwa?
Eckhardt: Nein, so waren die Zeiten damals noch nicht. Es gab keinerlei Routine mit solchen Fällen. Die Polizei-Behörde meines Mannes hat mich während des 20-tägigen Leidens meines Mannes, bis er starb, abgeschirmt. Nach einiger Zeit unterblieb dieser anfängliche Beistand dann. Es gab eine Art Staatsbegräbnis für meinen Mann. Rückblickend ist das sehr seltsam für mich. Auf der einen Seite gab es die äußerst aufwendige Bestattung und Jahre später kam dann diese entwürdigende Nachricht über die Entlassung des Mörders meines Mannes.

SPIEGEL ONLINE: Ihr Mann war von 1971 an mit der Leitung der Sonderkommission Baader-Meinhof beauftragt. War er sich der Risiken dieses Postens bewusst?
Eckhardt: Es waren ja noch die Anfänge der RAF, mein Mann ist 1972 ermordet worden. Die große Welle der Gewalttaten begann von 1975 an. Die Baader-Befreiung 1970, die heute oft als Geburtsstunde der RAF bezeichnet wird, wurde damals natürlich wahrgenommen, aber nicht in der Schwere eingestuft, mit der man sie heute sieht.
SPIEGEL ONLINE: Als Polizeibeamter trägt man immer auch das Berufsrisiko der Verletzbarkeit, auch des Angegriffenwerdens. Wie ist Ihr Mann damit umgegangen?
Eckhardt: Er hatte den Krieg überstanden, hatte tausend Gefahren bereits hinter sich gebracht - er ging zur Polizei, da man, wenn man als junger Mann aus der Kriegsgefangenschaft 1946 nach Hause kam, innerhalb von vier Wochen eine Arbeit nachweisen musste. Er war politisch unbelastet, war im Dritten Reich kein Mitglied der NSDAP gewesen. Ich glaube nicht, dass er darüber nachgedacht hat, ob der Beruf des Polizisten und später des Kriminalbeamten lebensgefährlich für ihn sein könnte. Er war ja auch nicht akut an der Fahndung beteiligt, sondern derjenige, der verantwortlich dafür war, dass Informationen zusammengetragen werden, für die Frage, wer observiert werden sollte und ähnliches.
SPIEGEL ONLINE: Waren die Mitglieder der RAF in seinen Augen politische Täter?
Eckhardt: Sie orientierten sich in ihren Kampfzielen ja unter anderem am südamerikanischen Guerilla-Kampf, wollten mit diesen Methoden das System der Bundesrepublik verändern. Auch ich sehe sie als politische Täter, wobei sie sich in ihrem behaupteten Kampf natürlich sehr überhöht darstellten. Sie hatten ja zu keinem Zeitpunkt ein breites Unterstützerfeld. Es ist bedauerlich, dass auch bis heute manche Intellektuellen nicht einsehen, wie viel Schaden und Verletzung durch die Taten der RAF angerichtet wurden. Ihre Morde waren sinnlos. Die einzige wirkliche Konsequenz sind der Schmerz und der Verlust für die Angehörigen.
SPIEGEL ONLINE: Wie dachte Ihr Mann über die Studentenbewegung?
Eckhardt: Die Forderung der Studenten nach Aufklärung der persönlichen Verantwortungen im Dritten Reich empfanden mein Mann und ich als legitim. Ich weiß noch genau, ich war Mitte der Sechziger Jahre in Hamburg am Mittelweg tätig; damals hatte die Stadt noch etwa 32 Konsulate. Vorm US-amerikanischen Konsulat wurde ständig protestiert. Auch vor dem Amerikahaus wurde gegen den Vietnamkrieg demonstriert. Man hat damit gelebt, das ist ja auch in Ordnung. Dafür leben wir in einer Demokratie. Die zunehmende Radikalisierung bei den Studentenprotesten hat mein Mann mit Besorgnis betrachtet.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt die These, das Eingreifen der Polizei habe zu dieser Radikalisierung beigetragen.
Eckhardt: In einigen Fällen mag das vielleicht so gewesen sein, aber zu einer Radikalisierung gehören zwei Seiten. Wie aus den Studentenprotesten die RAF entstehen konnte, ist mir bis heute unbegreiflich. Man konnte sich in der Bundesrepublik für Veränderungen engagieren. Dafür brauchte man doch niemanden umzubringen. Wir lebten doch in einer Demokratie. Und wie kann man einen Menschen zum System machen? Zum Schwein?
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie Ihren Mann in Erinnerung?
Eckhardt: Er war sehr musikalisch. Durch ihn habe ich eigentlich zum ersten Mal richtige Jazzmusik gehört. Mein Mann kam während seiner Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg in verschiedenen US-amerikanischen Bundesstaaten bis nach Louisiana. Wenn der Krieg nicht gewesen wäre, hätte er vielleicht einen ganz anderen beruflichen Weg eingeschlagen.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es etwas, das Ihren Mann in Ihren Augen besonders ausgezeichnet hat?

Eckhardt: Seine Offenheit und seine Freundlichkeit. Er war ein sehr humorvoller Mensch, auch sehr zuverlässig und verantwortungsbewusst. Er hatte die Überzeugung, dass man mit jedem Menschen reden könne. SPIEGEL ONLINE: Wie denken Sie über den heutigen Umgang mit der Geschichte der RAF?
Eckhardt: Die Aufarbeitung ist aus meiner Sicht sehr zurückhaltend und oft noch sehr einseitig. Bis heute gibt es das kollektive Schweigen der Täter aus der RAF. Und nach wie vor sind viele Fragen offen, so zum Beispiel: Wie weit reichte das Unterstützernetzwerk der DDR für die RAF? Welche Rolle spielte der russische Geheimdienst? Und wo ist eine Antwort, eine Reflektion der Täter über ihre menschenverachtende Haltung, etwa, dass Polizisten Schweine sind.


Das Interview führte Anne Siemens, Journalistin und Buchautorin, für SPIEGEL ONLINE.


[ Anm. : A. Siemens ist Autorin des im Eingangspost beschriebenen Buches]
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben