Gedenke am Trafalgar Day

Neddy

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Da ja schon wieder Trafalgar Day ist, möchte ich den Anlass nutzen, auf dem Anlass ein wenig rumzugedenken. Hier einige Thesen, die vielleicht die eine oder andere Reaktion provozieren:

1. Nelsons Leistung:
Ein einfacher Seemann ist mithin der Ansicht, dass The Nile der noch vollständigere Seesieg Nelsons war. Wenn man aber seine eigentliche Leistung als Admiral bemessen will, war diese wohl bei Trafalgar am höchsten (oder doch nicht?). Ich vergleiche hier einmal Aboukir / The Nile (1798), Kopenhagen (1801) und Trafalgar (1805). Das waren die drei großen Schlachten, in denen Nelson die kämpfende Flotte kommandierte (gewunden ausgedrückt, da er 1801 einen Vorgesetzten in Sichtweite rumdilettieren hatte). Die Voraussetzungen konnten unterschiedlicher nicht sein. 1798 hatte er die besten Schiffe unterstellt bekommen, die die Royal Navy zu bieten hatte. Darüber hinaus hatte er auch noch Gelegenheit, einen Teil seiner Kommandanten gründlich mit seinen taktischen Grundsätzen und Absichten vertraut zu machen. Die Schlacht gegen die schludrig vorbereiteten Franzosen de Brueys' war danach ein Selbstläufer. (Dazu unten mehr - Stichwort: Führen mit Auftrag). 1801 hatten Parker/Nelson das bekommen, was irgendwie gerade da und klein genug für die Ostsee war. Die Flotte, mit der Nelson Kopenhagen angriff, war bös ausgedrückt die Resterampe der ohnehin nachrangigen Nordseeflotte. Nach einer Serie von Pannen und Mißgeschicken, sowohl im Vorfeld des Angriffes als auch im Angriff selbst, sorgte Nelson dreimal persönlich dafür, dass die drohende Katastrophe abgewendet wurde: Zuerst, als er seinen überforderten Lotsen das Heft aus der Hand nahm und seine verbleibenden Schiffe gegen deren Rat auf die richtige Seite des Fahrwassers befahl; dann, als er den hirnris... unbedachten Befehl seines Chefs, Hyde Parker, den Angriff abzubrechen, ignorierte, und schließlich, als er in eigentlich schon mehr als kritischer Lage dem dänischen Kronprinzen einen Waffenstillstand abschwatzte. Während the Nile eigentlich mehr von einem glänzend funktionierenden Geschwader geschlagen wurde und Nelsons Verdienst mehr in der Vorbereitung dieses Geschwaders und im Angriff direkt aus dem Anmarsch heraus lag, hat er vor Kopenhagen praktisch durch persönlichen Einsatz einen Erfolg herbeigeführt. Trafalgar ist die einzige seiner drei Schlachten, die er einigermaßen konventionell mit einer ziemlich durchschnittlichen Flotte der Royal Navy geschlagen hat. Während the Nile und Kopenhagen eher vom jeweiligen Gegner verloren wurden (die Franzosen hat er 1798 buchstäblich mit runtergelassenen Hosen erwischt, während die Dänen sowohl in der langfristigen, wie in der mittelfristigen wie in der kurzfristigen Vorbereitung zur Verteidigung ihrer Flottenbasis Kopenhagen doch arg nachlässig gewesen waren), haben Franzosen und Spanier vor Trafalgar ihre Haut im Rahmen ihrer Möglichkeiten teuer verkauft (von Dumanoir und seinen Mit-Türmern einmal abgesehen). Damit war Trafalgar von Nelsons drei großen Schlachten die mit demjenigen Gegner, der sich noch am besten zur Wehr zu setzen vermochte.

2. Die Flotte:
N. A. M. Rodger schreibt, dass die Royal Navy materiell 1805 schon auf dem letzten Löchlein gepfiffen hat, nachdem sie von St. Vincents gnadenlosem Antikorruptionskurs brutal zusammengespart worden war. http://www.bbc.co.uk/history/british/empire_seapower/trafalgar_impact_01.shtml Woanders hat er geschrieben, dass eine Schlachtflotte mit 27 Einheiten zwei Jahre später materiell wohl nicht mehr drin gewesen sei. Ob von Nelson gewusst oder nicht - womöglich hatte er die vorerst letzte Möglichkeit am Schopfe gepackt. Vielleicht ist das Nelsons Verdienst und DER (unbeabsichtigte) Fehler Villeneuves & Napleons, dass sie nicht einfach noch ein paar weitere Jährchen mit einer Fleet in Being zugewartet hatten, bis vor der Haustür nur noch morsche Seelenverkäufer lauerten...

3. Führen mit Auftrag:
In deutschen Militärkreisen wird ja gerne die Monstranz vor sich her getragen, man hätte die Auftragstaktik erfunden. Ich hab heute mal ein wenig rumgegoogelt - die meisten Seiten, inkl. solchen, die institutionell oder personell der Bundeswehr nahestehen - verorten als Erfinder den älteren Moltke, mit Vorläufern seit den preußischen Heeresreformern und Perfektion in der Ausbildung in der Reichswehr und der Durchführung in der Wehrmacht. Gleichzeitig wird insbesondere den englischsprachigen Militärs neben den Russen gerne stumpfe Befehlstaktik (als Gegensatz zum Führen mit Auftrag vorgeworfen). Wenn ich nun den alten Nelson und seine Zeitgenossen anschaue: In Zeiten, in denen die Kommunikation mit Zurufen, über unausgereifte Signalgebung oder erst überhaupt gar nicht stattfand und man wusste, dass man nicht alles über Monate im Vorhinein planen und im Detail anweisen konnte: musst da nicht insbesondere jede Marine mehr oder weniger mit Auftrag führen und Verantwortung an die nächst niedrigeren Hierarchieebenen delegieren? Auf einem Schlachtfeld in See kommt ja noch erschwerend dazu, dass zunächst die Riggs der beteiligten Schiffe und später der Pulverrauch die Sicht massiv einschränkten - ein Führer konnte spätestens dann gar nicht mehr führen. Und wenn dann auch noch sein Schiff oder sein schwacher Leib in Trümmern lag...

Dahingegen hatte zumindest die britische Marine (bei den anderen muss das m. E. zwangsläufig ebenso der Fall gewesen sein) - nicht nur Nelson allein - m. E. die einzelnen Unterführer zwangsläufig zur Entscheidung vor Ort und im Augenblick ermutigt: Nelson in der Schlacht von St. Vincent, Foley bei Aboukir, Riou bei Kopenhagen, praktisch alle britischen Kommandanten bei Trafalgar entschieden im Gefecht nach eigenem Ermessen und Lage im Sinne des ihnen bekannten Auftrags ihres Vorgesetzen. Und diese Selbständigkeit/Eigenmächtigkeit wurde von ihren Vorgesetzten nicht nur hingenommen, sondern auch wiederholt ausdrücklich belobigt. Schon in theoretischen Diskussionen glänzte Nelson mit Ratschlägen wie (sinngemäß):
Kein Kommandant kann völlig falsch liegen [;)], wenn er beim Gegner längsseits geht.
oder
Im Zweifelsfall immer kämpfen, das passt dann schon. (Always fight and you are sure to be right.)
Legendär schon der Befehl des von Nelson ziemlich unbeeinflussten, aber von der konfus scheinenden Signalgebung seines Chefs entnervten John Inglis in der Schlacht von Camperdown (1797)
Captain John Inglis of the Belliqueux, a fiery Scot, was so exasperated by Duncan's signalling that he cried, 'Damn ... Up wi' the hellem and gang into the middle o' it'
https://books.google.de/books?id=y2...in the middle of it camperdown inglis&f=false [Ach verd... abfallen und mitten rein!]
Führen mit Auftrag - eine deutsche Erfindung des späten 19. Jahrhunderts?
 
Nur in einem Punkt muss ich widersprechen. Befehle als Auftrag zu verstehen, also sinngemäß auszuführen war eine preußische Tradition. Schon Friedrich d.G. lobte Generäle dafür. Das hatte wohl auch damit zu tun, dass die Monarchen selbst militärische Erfahrung hatten.

Friedrich schrieb in den 'Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburgs' (1748, natürlich im Original auf Französisch) -vielleicht nicht (nur?) aufgrund eines Missverständnisses, sondern als erstes Eingeständnis, dass das Verhalten Schwerins bei Mollwitz richtig war- dem Prinzen von Homburg einen erfolgreichen eigenmächtigen Angriff zu. Aufgrund dieser Beschreibung entstand das Drama Kleists. Vergeben hat Friedrich Schwerin erst später, doch hat er Generäle gelobt, wenn sie Befehle hinterfragten und nicht im Wortsinn ausführten.

Aber die Bedeutung der Eigeninitiative der Generäle eines Feldherrn war ja schon in der Antike bekannt. Denken wir an Titus Labienus als Reiterführer unter Caesar und später auf der Seite des Pompeius. Die Frage ist, wie weit das ausgedehnt wurde. Zur Zeit Nelsons waren da natürlich schon länger die Kommandeure taktischer Einheiten im Blickfeld, obwohl es da ausgerechnet in der Britischen Marine drakonische Urteile gab, wenn es nicht zum Erfolg führte. Als allgemeines Führungsprinzip mag es erst Moltke eingeführt haben.
 
Zur Flotte: ich denke, dass das von außen nicht einsehbar war. Außerdem war ja Napoleons ungeduldig gemeinhin bekannt. Was hätten die Franzosen weitere 3-4 oder mehr Jahre im Lager von Boulogne rumlungern sollen? Napoleon war zu allen Zeiten auf Prestige aus; sein Kaiserreich betonte den Wert des Ruhms über viele andere Tugenden. Überhaupt war das Frankreich des Consulat und Empire in einem ganz anderen Maße militarisiert - von daher erscheint diese wenig aggressive Seekriegstaktik als um so erstaunlicher, wenn man es mit der Taktik zu Land verglich...

Kommunikation: Gerade da scheint es genau zu Nelsons Zeit doch massive Fortschritte gegeben zu haben. Am Wochenende werde ich wieder mehr über Sichttelegrahen erfahren. Aber auch in der Zeitung 1804 ist von ähnlichem die Rede. Es ging, glaube ich, darum dass die ganze Atlantikküste entlang bis nach London ein Netzwerk von Nachrichten von Schiff zu Schiff existieren sollte, welche es ermöglichte, wenn die wertvollen Linienschiffe im Hafen lagen, diese in „Windeseile“ herbei zu beordern. Habe jetzt nicht weiter gelesen inwiefern dies auch von Erfolg gekrönt war.
 
Man hat beiderseits des Kanals (und in anderen Teilen Europas) während der Revolutions- und Napoleonischen Kriege Ketten sogenannter Semaphoren errichtet. Das waren im Prinzip große Versionen dessen, was bis ins 20. Jahrhundert von "Winkern" (Signalgassten mit einer Flagge in jeder Hand) taten. Hat die Kommunikation unheimlich beschleunigt. Dennoch waren a) lange und b) komplexe Texte immer noch sperrig und nur unter Zeitverlust zu übermitteln. Nix desto weniger war es aber ein enormer Fortschritt. Frankreich mit Armen https://de.wikipedia.org/wiki/Optische_Telegrafie (siehe Chappe-System) [Chapeau!], England mit Klappen. https://en.wikipedia.org/wiki/Semaphore_line
Das verlängerte zwar den Arm der Zentrale bis in (variable) Sichtweite der letzten Station an der Küste. Ab dann aber - und das war immer noch der größte Teil des Globus - war die Zentrale wieder auf reitende Boten und andernfalls der Führer vor Ort auf sein bestes Wissen und Können angewiesen.
 
Ich würde annehmen, dass das Projekt von Home Popham und Sir Sidney Smith einer dauernden Kommunikation von meinetwegen Bordeaux bis London schon schwer zu meistern war. Gerade auf See können ja die Stationen der Nachrichtenleitung mit als örtlich fixe Punkte funktioniert haben. Schiffe werden weggetrieben, können näher unter der Küste eh nicht dauerhaft vor Anker liegen... Wenn das schon in einer deutschen Zeitung stand, werden die Franzosen allemal was davon erfahren haben und hätten das Projekt zu unterbinden gesucht.

Wenn ich mir Nelsons Talent anschaue, scheint er mir durchaus ein überdurchschnittliches Maß daran besessen zu haben. Selbst in einer doch an geschickten Flottenführern nicht eben armen Marine wie der RN stach er heraus. Es ist sicher mehr als am richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.
 
Naja, eigentlich war seine Karriere Ende der 1780er schon beendet, weil er im Krieg seinen eigenmächtigen Angriff auf Turk's Island gründlich versemmelt hatte und es sich im Frieden mit seinem stur rechtspositivistischen Starrsinn mit den falschen Leuten verdorben hatte. Für ihn waren die Revolutionskriege zur rechten Zeit am rechten Ort. Die Geschichte wäre sonst mit Sicherheit einigermaßen anders verlaufen, die Vernichtungsschlachten von Aboukir und Trafalgar hätten so definitiv nicht stattgefunden, Kopenhagen womöglich auch nicht, das wäre aber nicht weiter tragisch gewesen, denn die Schlacht war sowas von überflüssig. Spannend wäre geworden, wie die Schlacht von St. Vincent ohne ihn ausgegangen wäre...
 
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