Germanische Eroberer und Mittelmeervölker

Schnabbelschnut

Neues Mitglied
:scheinheilig:Hallo, Geschichtsinteressierte,
ich bin neu hier und habe gleich eine Frage.
Westgoten, Vandalen und andere Germanenstämme hatten im Mittelmeerraum (flächenmäßig) große Reiche gegründet. Wenn ich richtig informiert bin, hatten die Germanen nur geringe Bevölkerungszahlen, während die Mittelmeervölker schon Millionen Menschen zählten.
Z.B. sollen die Vandalen mit nur 20 Tausend Angehörigen von Spanien nach
Nordafrika übergesetzt haben.
Nun meine Fragen: Hat sich für die Masse so eines Mittelmeervolkes überhaupt was dadurch geändert? (Hat ein gewöhnlicher Nordafrikaner überhaupt eine Änderung bemerkt?)
Oder war das so, dass womöglich nur ein Teil der Oberschicht durch eine neue ersetzt (oder sogar nur ergänzt) wurde?

Vielen Dank im Voraus und viele Grüße an alle Geschichtsinteressierte,
Schorschi Schnabbelschnut
 
Natürlich gab es Auswirkungen, z. B. auf religiösem Gebiet: Die romanische Bevölkerung war überwiegend katholisch, die neuen Herren (ausgenommen die Franken) meist arianisch. Das sorgte für Konflikte, wenn auch in den einzelnen Reichen in unterschiedlichem Ausmaß. Dazu kam aber auch noch, dass die neuen germanischen Herrscher meist Zweiklassengesellschaften errichteten: einerseits die Germanen, andererseits die Romanen. Die Romanen waren oft rechtlich schlechtergestellt, es gab mitunter auch Heiratsverbote. Für die Germanen galten deren Volksrechte, für die Romanen römisches Recht. Aber freilich bedeutete das nicht, dass die Romanen generell unterdrückt wurden. Die neuen Herren waren bei ihrer Herrschaft vielfach auf romanisches Personal angewiesen, also vor allem auf romanische Verwaltungsbeamte, da sie weitgehend die vorhandene Verwaltungsorganisation übernahmen und weiterführten.
All diese Unterschiede verringerten sich im Laufe der Zeit aber, zumindest in den Reichen, die lange genug bestanden. Die Westgoten und die Langobarden traten zum Katholizismus über, und auch im Recht ging der Trend Richtung Vereinheitlichung.

Aber sehen wir uns die einzelnen Germanenreiche an:

Im Wandalenreich machte sich der religiöse Konflikt am stärksten bemerkbar. Die Könige Hunerich und Thrasamund betrieben (wenngleich die römischen Quellen übertreiben mögen) eine aggressive antikatholische Politik, Gunthamund und Hilderich waren in der Beziehung allerdings liberaler. Die romanischen Großgrundbesitzer wurden großteils enteignet. Ehen zwischen Wandalen und Romanen waren verboten. Es gab quasi einen parallelen Staatsaufbau: einen für die Wandalen und einen für die Romanen.

Bei den Ostgoten bemühte sich insbesondere Theoderich um ein harmonisches Zusammenleben von Ostgoten und Romanen und stützte sich auf romanische Beamte. Er behielt in Rom auch den Senat und die Konsuln bei. Der religiöse Gegensatz zwischen den arianischen Ostgoten und den katholischen Untertanen bestand trotzdem, aber Theoderich war den Katholiken gegenüber tolerant. Später hatte natürlich auch die romanische Bevölkerung unter den langen Kriegen zwischen Ostgoten und Oströmern zu leiden.

Auch im Westgotenreich bestand lange Zeit ein religiöser Gegensatz zwischen den arianischen Westgoten und den katholischen romanischen Untertanen, und auch hier gab es eine Zweiklassengesellschaft mit verschiedenen Rechtsordnungen und Heiratsverbot. Allerdings waren die meisten Westgotenkönige (ausgenommen Eurich) religiös recht tolerant.
In der zweiten Hälfte des 6. Jhdts. kam es dann zu wichtigen Veränderungen: der Aufhebung des Eheverbots und dem Übertritt der Westgoten zum Katholizismus. Im 7. Jhdt. kam es unter König Rekkeswinth zur Rechtsvereinheitlichung.

Auch bei den Burgundern gab es anfangs den religiösen Gegensatz, allerdings nahmen sie unter König Sigismund den Katholizismus an. Wenig später wurden sie freilich von den Franken unterworfen.

Das Frankenreich unterschied sich von den anderen germanischen Reichen insofern, als es schon frühzeitig, bereits unter Chlodwig, katholisch wurde, womit wenigstens der religiöse Gegensatz zwischen Herren und Untertanen wegfiel. Aber auch sonst schritt die Verschmelzung von Franken und Romanen rascher vor sich: Die Franken hatten zwar ihr eigenes Volksrecht, aber es gab kein Heiratsverbot. Die Könige stützten sich stark auf die romanische Verwaltung und auf romanische Beamte und Gelehrte, und es kam rasch zu einer Verschmelzung von fränkischem und romanischem Adel.

Auch bei den Langobarden gab es anfangs den religiösen Gegensatz, ehe sie im 7. Jhdt. zum Katholizismus wechselten. Zu dieser Zeit romanisierten sich die Langobarden auch zunehmend.
 
Die Ausgangsfrage, wie sich die Eroberungen für die Masse der Bevölkerung darstellte, ist aber durchaus berechtigt. Dass der römische Gutsbesitzer unter den neuen Herren zu leiden hatte - auch wenn sich manche arrangierten - ist logisch. Ob sich der Machtwechsel großartig auf die Landarbeiter auswirkte, bleibt die Frage.
Viele der neuen Herren übernahmen einfach die Positionen des alten Adels, so etwa einige Ostgoten in Italien, aber auch in den anderen Gebieten. Noch lange führten sich einige Adelsfamilien auf Eroberervölker zurück, in Frankreich etwa auch auf die Alanen. Für den einfachen Bauern mag der Unterschied nicht unbedingt greifbar gewesen sein.
 
Wenn der kleine Bauer seinen katholischen Glauben nicht mehr frei ausüben konnte, weil sein Priester verbannt und seine Kirche zweckentfremdet worden war, gab es auch für ihn konkrete Auswirkungen.
Das Heiratsverbot wird den kleinen Bauern zwar nicht unmittelbar betroffen haben (schließlich hatte er früher auch keine Chance auf eine Hochzeit mit der römischen Gutsbesitzertochter), aber das bedeutet nicht, dass er sich nicht vielleicht trotzdem deswegen als Mensch zweiter Klasse gefühlt haben kann. Dazu kam dann eventuell noch ein Unbehagen darüber, von Häretikern beherrscht zu werden.
Und wenn er mal Wickel mit einem Angehörigen der neuen Herrenschicht hatte, bekam er die Rechtskollision zu spüren - ganz abgesehen davon, dass er vermutlich Probleme hatte, sich mit ihm überhaupt zu verständigen. Sein früherer Herr hingegen unterlag demselben Recht wie er und sprach zwar infolge seiner guten Ausbildung vielleicht ein gehobeneres Latein als der kleine Bauer mit seinem Vulgärlatein, aber er sprach wenigstens auch Latein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn der kleine Bauer seinen katholischen Glauben nicht mehr frei ausüben konnte, weil sein Priester verbannt und seine Kirche zweckentfremdet worden war, gab es auch für ihn konkrete Auswirkungen.
Das Heiratsverbot wird den kleinen Bauern zwar nicht unmittelbar betroffen haben (schließlich hatte er früher auch keine Chance auf eine Hochzeit mit der römischen Gutsbesitzertochter), aber das bedeutet nicht, dass er sich nicht vielleicht trotzdem deswegen als Mensch zweiter Klasse gefühlt haben kann. Dazu kam dann eventuell noch ein Unbehagen darüber, von Häretikern beherrscht zu werden.
Und wenn er mal Wickel mit einem Angehörigen der neuen Herrenschicht hatte, bekam er die Rechtskollision zu spüren - ganz abgesehen davon, dass er vermutlich Probleme hatte, sich mit ihm überhaupt zu verständigen. Sein früherer Herr hingegen unterlag demselben Recht wie er und sprach zwar infolge seiner guten Ausbildung vielleicht ein gehobeneres Latein als der kleine Bauer mit seinem Vulgärlatein, aber er sprach wenigstens auch Latein.

Die Konflikte in der Kirche betrafen doch mehr die Bischofssitze, mit ihren lukrativen Pfründen und Machtpositionen. Ob der "kleine Mann" davon so viel zu spüren bekam, und ob es ihn so sehr interessierte, bleibt fraglich.

Rechtskollision und Sprache? Die neuen Herren dürften weitestgehend Latein beherrscht haben. Und davon, dass die alte herrschende Klasse dem gleichen Recht wie ein einfacher Bauer unterworfen war, kann ja wohl kaum eine Rede sein.
 
Hunerich ließ 4966 Kleriker deportieren, das können nicht alles Bischöfe gewesen sein. 484 ließ er auf einer Synode den Katholizismus als Häresie verurteilen und erließ in der Folge Edikte gegen die Katholiken, die sich an die kaiserlichen Donatistengesetze anlehnten.
 
Natürlich gab es Auswirkungen, z. B. auf religiösem Gebiet: Die romanische Bevölkerung war überwiegend katholisch, die neuen Herren (ausgenommen die Franken) meist arianisch.

Wie Stilicho schon schrieb: Die breite Bevölkerung ging auch unter ihrer neuen germanischen Herrschaft ungestört ihrem katholischen Glauben nach. Das gilt für die West- und Ostgoten ebenso wie für die Burgunder. Lediglich im afrikanischen Wandalenreich griff die arianische Regierung stärker in die Belange der Bevölkerung ein, indem sie Priester stellenweise behinderte.

Wenn in der Literatur stets vom religiösen Gegensatz zwischen Katholiken und Arianern zu lesen ist, so betraf das in der Regel die kirchliche Führungsschicht, nicht aber die romanische Bevölkerung, die ihren katholischen Gottesdienst überall weiter ungestört verrichten konnte. Der dünnen germanischen Elite war durchaus klar, dass sie der millionenfachen alteingesessenen Bevölkerung nicht ihren katholischen Glauben verbieten konnte, ohne gewaltige Konflikte heraufzubeschwören. Und daher kam es in der Regel nur zu Streitigkeiten zwischen dem hohen arianischen und katholischen Klerus.

Ohnehin löste sich die Problematik von selbst, da Westgoten, Burgunder und Langobarden nach unterschiedlichen Zeitspannen zum Katholizismus konvertierten, den Reichen der arianischen Ostgoten und Wandalen nur eine kurze Lebensdauer beschieden war und die Franken ohnehin früh zum Katholizismus überwechselten.
 
Vielen Dank für die ausführlichen Antworten. Mit so vielen und so schnellen Beiträgen
hatte ich gar nicht gerechnet.
Schorschi Schnabbelschnut
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Lediglich im afrikanischen Wandalenreich griff die arianische Regierung stärker in die Belange der Bevölkerung ein, indem sie Priester stellenweise behinderte.

Und auch dort wissen wir wenig über die tatsächliche gesellschaftliche Stellung der Priester, ob sie vielleicht mehr als Steuereintreiber gesehen wurden.
Aus späteren Zeiten ist uns ja überliefert, dass die "Pfaffen" durchaus umstritten waren.
 
Priester, die Steuern eintrieben? Woher hast Du das? Ich habe keine näheren Informationen über die Steuereintreibung bei den Wandalen, aber ich vermute einmal, dass sie im Wesentlichen das spätrömische Steuersystem beibehalten haben werden, wo die Kleriker zwar Steuerfreiheit genossen, aber die Steuereintreibung Sache von Beamten und Gemeinderäten war. (Steuerfrei waren übrigens auch die Güter der Wandalen.)
Falls Du den verpflichtenden Zehent meinst, der kam erst im Mittelalter auf.
 
Falls Du den verpflichtenden Zehent meinst, der kam erst im Mittelalter auf.

Der ist doch viel älter, wird schon von Eugissipius erwähnt. Und was ein verpflichtender Zehnt anderes als eine Steuer sein soll, weiß ich nicht. Gerade die Kirche übernahm doch hier im Übergang zum Mittelalter die Rolle des nicht mehr funktionierenden Beamtenapparates. Ein Grund, warum sie von den germanischen Herrschern besonders gefördert wurde.
 
Der ist doch viel älter, wird schon von Eugissipius erwähnt. Und was ein verpflichtender Zehnt anderes als eine Steuer sein soll, weiß ich nicht.
Zu Severins Zeiten war der Zehent aber anscheinend noch nicht verpflichtend, denn sonst müsste Severin die Bürger von Lauriacum nicht ermahnen, den Armen den Zehent zu geben. Gleichzeitig zeigt diese Stelle auch, dass die Bürger von Lauriacum den Zehent nicht an die Kirche, sondern direkt an die Armen abliefern sollten.

Gerade die Kirche übernahm doch hier im Übergang zum Mittelalter die Rolle des nicht mehr funktionierenden Beamtenapparates. Ein Grund, warum sie von den germanischen Herrschern besonders gefördert wurde.
Richtig, aber das gilt vor allem für das Frankenreich ab dem 7. Jhdt. Also nicht unbedingt für das Wandalenreich des 5. Jhdts.
 
Und auch dort wissen wir wenig über die tatsächliche gesellschaftliche Stellung der Priester, ob sie vielleicht mehr als Steuereintreiber gesehen wurden.
Aus späteren Zeiten ist uns ja überliefert, dass die "Pfaffen" durchaus umstritten waren.

Römische Nachrichten über die Verhältnisse im Wandalenreich sind oft sehr tendenziös. So z.B. der 484 verfasste Bericht des Bischofs Victor von Vita über die Verfolgung der katholischen Kirche durch die arianischen Wandalenkönige. Walter Pohl schreibt [1], dass die afrikanische Kirche bereits vor Machtübernahme durch die Wandalen von heftiger religiöser Zwietracht und Unduldsamkeit geprägt war.

Die konfessionelle Scheidung in Arianer und Katholiken markierte zugleich die ethnische Trennung zwischen Wandalen und Römern. Zum Konflikt kam es, als Geiserich und sein Nachfolger Hunerich den Einfluss der katholischen Kirche zurückzudrängen begannen, um wenigsten einen Teil der römischen Führungsschicht zu integrieren. Die Wandalenkönige forderten die Konversion zum Katholizismus als Voraussetzung für alle Hofämter, später wurden einige Bischöfe abgesetzt und vertrieben, Kirchen oder Kirchengüter Arianern übergeben.

Die Behauptung Victors, dass Hunerich alle katholischen Kirchen schließen ließ, ein Verbot der katholischen Liturgie verfügte und tausende Priester und Bischöfe ins Exil schickte, hält Pohl freilich für eine Übertreibung katholischer Apologeten.

Auf jeden Fall ist nicht zu verkennen, dass die afrikanische Kirche stärkerer Bedrückung seitens der Arianer ausgesetzt war, als das sonst der Fall im Imperium war. Dass im Wandalenreich Priester Steuern eingetrieben hätten, habe ich in der Literatur nirgends gefunden. Vermutlich ließen die Wandalen das funktionierende römische Steuersystem fortbestehen, wo die Steuereintreibung zunächst Sache der Beamten (Quästoren, Prokuratoren) war oder Lizenzen zur Eintreibung der Gelder an die lokalen Eliten vergeben wurden. Ob damit möglicherweise auch der katholische Klerus betraut wurde, ist nicht auszuschließen.

[1] Walter Pohl, Die Völkerwanderung, Köln 2002/2005
 
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