Geschichtsschreibung

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Alexandros

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Schon bei den Völkern des Orients (Babylonien, Assyriern, Ägyptern, Persern) war das Interesse an geschichtlichen Vorgängen sehr groß. Besonders die Könige liebten es, in großen Inschriften auf den Wänden der Tempel und an Felswänden ihre Taten zu überliefern. Jedoch liegt in alledem keine eigentliche Geschichtschreibung vor, sondern eine Verherrlichung der Könige. Auch die jüdische Geschichte des Alten Testaments ist keine Geschichtschreibung in modernem Sinne.

Eine wirkliche G. entstand erst bei den Griechen in Kleinasien. Den Ionern lag das historein u. theorein, das Forschen u. Schauen. Alles, was man erkundet hatte, Kultur-, politische Geschichte u. Geographie, häufte man in den ältesten Geschichtsbüchern zusammen. Die Werke der älteren Logographen hatten daher einen sehr bunten Inhalt; auch die Kritik fehlte nicht. Aus ihrer Reihe hob sich Herodot hervor; aber neben wissenschaftlicher Durchdringung des Stoffes finden sich bei ihm viele Beispiele alter ionischer Fabulierkunst.
Das erste Geschichtswerk im heutigen Sinn schuf Thukydides. Seine Nachfolger erreichten seine Höhe nicht. Xenophon fehlte trotz allem guten Willen die Weite des Blickes; durch Ephoros u. Theopompos (Schüler des Isokrates) geriet die Geschichtsschreibung unter den Einfluss der Rhetorik. Im Hellenismus nahm der Einfluss der Rhetorik immer mehr zu; die Geschichtswerke wurden zum Tummelplatz der Beredsamkeit, besonders in den eingeflochtenen langen Reden. Alexander der Große fand nicht den Historiker, den er verdient hätte. Die Werke des bedeutendsten Geschichtsschreibers Alexanders: die des Ptolemaios sowie die des Aristobulos von Kassandreia sind nur noch aus späteren Historikern (Arrian, Curtius Rufus) erkennbar.
Erst der Zusammenstoß der Griechen mit Rom brachte in Polybios wieder einen großen Historiker hervor. Ihn setzte der Philosoph Poseidonios fort, der noch viel eingehender die röm. Geschichte behandelte. Die Erweiterung des Gesichtskreises nach dem röm. Westen hin veranlasste Diodor, die erste Weltgeschichte zu schreiben. Von da an ging die gr. Geschichte in die röm. auf. Dionysios von Halikarnassos behandelte die röm. Vorgeschichte. Plutarch, der sich selbst nicht als Historiker betrachtete, verband in seinen Parallelbiographien Griechen und Römer. Auch in der Kaiserzeit fehlte es nicht an bedeutenden Historikern, z. B. Arrianos, Applanos, Cassius Dio.
Im Mittelalter war die griech. Geschichte ebenfalls sehr rege. Ihre Werke send für unsere Kenntnis der europäischen und vorderasiatischen Geschichte wichtig. Die konservativen, staatlich interessierten Römer hatten anfänglich seltsamerweise wenig Sinn für Geschichte. In späterer Zeit wunderten sie sich selbst über dieses mangelnde Interesse ihrer Vorfahren. Sallust hat dafür die stolze, prägnante Formulierung gefunden: "Gerade die Besten wollten lieber handeln als reden“ sie wollten lieber ihre Taten vor anderen gelobt sehen als selbst die anderer erzählen" (Bellum Catilinae 8,5).
Die amtlichen Aufzeichnungen der in älterer Zeit allein schriftkundigen Oberpriester (pontifices maximi) dienten nicht historischem Rückerinnern, sondern religiösen Zwecken. Erst als um 240 v. Chr. griechische Bildung in Rom eindrang und die Römer schon Mittelmeer-(d. h. für ihre Verhältnisse Welt-) politik trieben erwachte das Interesse für Geschichte. Nunmehr stellten die Annalisten in chronikartiger Form geschichtliche Tatsachen zusammen, zunächst noch in griech. Sprache. Cato (gest. 149 v. Chr.) war der erste, der sein Geschichtswerk lateinisch schrieb. Im 1. Jh. v. Chr. Begann die Blütezeit der röm. Geschichtsschreibung; alles Frühere, uns nur in geringen Bruchstücken kenntlich war historisch und literarisch von geringem Wert.
Der erste kunstmäßige röm. Geschichtsschreiber war Sallust dessen Monographien zu den besten literarischen Leistungen der Römer gehören; zu gleicher Zeit belebte sich das Interesse für Universalgeschichte Cornelius Nepos), und bedeutende Männer wie Caesar veröffentlichten ihre Denkwürdigkeiten in augustinischer Zeit schrieb Livius seine künstlerisch formvollendete Geschichte des röm. Volkes, und hundert Jahre später kam die röm. Geschichte mit Tacitus meisterhafter Kaisergeschichte auf ihren höchsten Gipfel. Alles Spätere trat dagegen weit in den Schatten (über Sueton und die Scriptores Historae Augustae); doch ragt noch im 4. Jh. n. Chr. Ammianus Marcellinus hervor, und als letzter röm. HistorikerCassiodor, der Geschichtsschreiber der Goten (um 550n. Chr.).

Die moderne Wissenschaft erkennt einige Größen der antiken Geschichte namentlich Thukydides, auch Polybios an, tadelt aber im übrigen deren Vertreter, auch in der Weltliteratur Hochstehende wie Plutarch, weil sie keine eigentlichen Historiker im heutigen Sinne seien; es überwiege bei ihnen die Freude an der Rhetorik, an der sprachlich geschickten, auf den Leser wirkenden Darbietung des Stoffs, z. T. in dem Maße, dass die Geschichtsschreibung zum Geschichtsroman, zur Geschichtsnovelle werde. Der Tadel ist richtig, führt aber leicht zu einer falschen Bewertung der antiken G. im allgemeinen. Um alle Weisheit haben sich die antiken Historiker fast alle bemüht; nur taten es viele nicht so methodisch, wie wir es heute verlangen. Gegenüber diesem Mangel erfüllte jedoch die antike G. eine zweite Aufgabe des Historikers besonders glänzend die der Darstellung. Da uns Rhetorik an sich wenig liegt, sehen wir in ihr oft nur das Tadelnswerte, das ihr allerdings anhaftet, und vergessen ihre Vorzüge. Die antike Geschichtsschreibung erreichte es mit ihrer rhetorischen Darstellung, dass die geschilderten Menschen und Szenen (freilich nichts stets völlig historisch treu, aber) wirklich lebenswahr und plastisch vor uns stehen. Die nachantike G. hat lange und bis weit in die Neuzeit hinein eine solche Höhe der Darstellung nicht erreicht. Über Erforschung und Mitteilung geschichtlicher Tatsachen hinaus ist schließlich die dritte Aufgabe des Historikers die Erschließung des Sinnes der Geschichte. Was z. B. antike Geschichte über Wert und Unwert der einzelnen Staatsformen lehrt, kann auch heute noch als gute Orientierungshilfe dienen.
Wenn also für Plutarch die Geschichte "ein Rüsthaus ist, dem er Beispiele für Nachahmenswertes und Abschreckendes entnimmt", so ist das nicht zu tadeln; der Meister selbst betont ja den Nutzen seiner G. für Beurteilung zukünftiger Ereignisse (Thukyd.122, 4)!

Werke: Historicorum Romanorum Reliquiae, hg.H. Peter, I '1914, II 1906, beide neu 1967;
Die Fragmente d. griech. Historiker, hg. F. Jacoby, III 1923- 30, Leiden 1940, neu
1954.

Sekundäliteratur: E. Howald, Vom Geist antiker G., 1944. neu 1964; M. I. Finley, The Greek historians, 1959; F. Jacoby, GI. Historiker, 51962; M. L. W. Laistner. The Greater Roman Historians, 1947; A. Momigliano, Studios in Historiography, 1966; T. A, Dorey (Hg.), Latin Historrians, Lond.1966; K. v. Fritz. GI. G., I 1967; V. Pöschl (Hg.), Röm. G., 1969; M. Grant,
Klassiker der G., d. 1973; W. Schadewaldt, Die Anf. d. G. bei d. GI.. 1982; D. Flach,
Einf. in d. röm. G., '1992; O. Lendle, Einf. in d. gr. G., 1992.

aus Kröner "Wörterbuch der Antike" 10., verbesserte und ergänzte Auflage, Ausgabe 1995
ISBN: 3-520-09610-2
 
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